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1999: Beginn des NATO-Einsatzes im Kosovo

Redaktion

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Am 24. März 1999 begann die NATO mit Luftschlägen gegen Ziele in Jugoslawien und läutete damit das Ende des Krieges im Kosovo ein. Der Einsatz ist bis heute umstritten.

Ein deutscher Tornado startet am 23.3.1999 von der italienischen Airbase San Damiano bei Piacenza zu einem Aufklärungsflug über Serbien. (© picture-alliance/dpa, ANSA Daniel Dal Zennaro)

Ende der 1990er Jahre eskalierte der Konflikt zwischen der Interner Link: jugoslawischen Regierung in Belgrad und der Interner Link: kosovo-albanischen Befreiungsarmee UÇK, nachdem die Regierung die Rechte der ethnisch albanischen Bevölkerungsmehrheit im Kosovo immer weiter eingeschränkt hatte. In der Folge kam es zu militärischen Kampfhandlungen mit vielen Toten auch unter der Zivilbevölkerung. Beiden Seiten werden schwere Kriegsverbrechen vorgeworfen. Als Verhandlungen zwischen der Regierung in Belgrad und der UÇK scheiterten, begann die Interner Link: NATO am 24. März 1999 mit der Bombardierung von Zielen in Serbien, Kosovo und Montenegro. Die Luftschläge dauerten zweieinhalb Monate und sind bis heute umstritten, weil sie ohne Mandat der Interner Link: Vereinten Nationen durchgeführt wurden.

Vorgeschichte des Kosovo-Kriegs

Jugoslawien war in den 1980er Jahren von Krisenerscheinungen geprägt. Der Tod des Interner Link: langjährigen Machthabers Tito im Jahr 1980 sorgte für Orientierungslosigkeit. Gleichzeitig nahmen die wirtschaftlichen Probleme zu. Dies befeuerte die Spannungen zwischen Serben und Albanern im Kosovo, einer der ärmsten Regionen des Landes. Es kam immer wieder zu gegenseitigen Anfeindungen. Hintergrund waren nationalistische Bestrebungen: Albaner forderten die Anerkennung des Kosovo als Teilrepublik Jugoslawiens, serbische Nationalisten sahen im Kosovo das „Herzland“ Serbiens, Interner Link: weil hier 1389 auf dem Amselfeld ein serbisches Koalitionsheer gegen die Osmanen gekämpft hatte.

Geschichte des Kosovo

Der heutige Kosovo hat in der Geschichte häufig seine territoriale Zugehörigkeit gewechselt. Lange Zeit war er Teil des Römischen, dann des Byzantinischen Reiches. Dazwischen wurde er von südslawischen Ländern wie Serbien beherrscht. Als die Osmanen im 14. Jahrhundert große Teile des Balkans eroberten, wurde der Kosovo von Osmanen und Serben gemeinsam verwaltet. Mitte des 15. Jahrhunderts übernahmen die Osmanen die alleinige Herrschaft über das Gebiet. Der Kosovo war nun mehr als 500 Jahre lang Teil des Interner Link: Osmanischen Reiches. In Folge des Interner Link: Ersten Balkankriegs 1912/13 fiel der Kosovo an das Königreich Serbien. Ab 1918 wurde es, ohne weitere Autonomierechte, Teil des Interner Link: Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörte es als Region der Sozialistischen Republik Serbien zur Interner Link: Föderativen Volksrepublik Jugoslawien.

Faktische Aufhebung der Autonomie

Die zunehmenden Spannungen im Jugoslawien der 1980er Jahre gingen mit dem Aufstieg von Slobodan Milošević einher. Milošević wurde 1986 zum Vorsitzenden der serbischen Kommunisten gewählt und nutzte gezielt eine serbisch-nationalistische Rhetorik, die sich gegen die Kosovo-Albaner richtete. Seinen Vorstellungen nach sollte Serbien eine Führungsrolle in Jugoslawien einnehmen. Im März 1989 wurde der Autonomiestatus des Kosovos durch eine Änderung der serbischen Verfassung faktisch aufgehoben. Die Kosovo-Albaner wurden aus der Verwaltung zurückgedrängt und schrittweise entrechtet, die albanische Sprache wurde in den Schulen und Universitäten verboten.

In dieser Zeit kam es bereits immer wieder zu schweren Unruhen, für den Kosovo wurde der Ausnahmezustand ausgerufen. Im Juli 1990 löste Serbien das kosovarische Parlament auf.

Vielvölkerstaat Jugoslawien 1981 Interner Link: Hier finden Sie die Karte als hochauflösende PDF-Datei (mr-kartographie) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Bürgerkrieg ab 1998

Während der Kriege in Slowenien, Kroatien und Bosnien blieb die Lage auch im Kosovo angespannt. Anfang der 1990er Jahre wurde die ultra-nationalistische „Befreiungsarme des Kosovos“ (Albanisch: Ushtria Çlirimtare e Kosovës, kurz: UÇK) gegründet. Ab 1996 verübte die UÇK Anschläge auf serbische Einrichtungen, Polizisten und Mitglieder der Sozialistischen Partei. Die serbische Regierung reagierte darauf mit Gewalt, auch gegen die Zivilbevölkerung. Im Jahr 1998 eskalierte die Situation. Jugoslawische Sicherheitskräfte und Einheiten der UÇK lieferten sich teils heftige Gefechte. Zeitweise kontrollierte die UÇK etwa ein Drittel des Kosovos, wurde danach aber wieder zurückgedrängt. „Im Krieg wurde die kosovarische und vor allem die kosovo-albanische Zivilbevölkerung Opfer systematischer Überfälle, Vertreibungen und Massenmorde. Auch die kosovo-albanische Befreiungsarmee UÇK machte sich schwerer Menschenrechtsverbrechen schuldig“, Interner Link: schreibt Julia Nietsch im Dossier Kriege und Konflikte.

Nun erhielt der Konflikt im Kosovo auch auf internationaler Ebene mehr Aufmerksamkeit. Externer Link: Im September 1998 forderte der UN-Sicherheitsrat eine Waffenruhe (Resolution 1199). Im folgenden Monat richtete die Interner Link: OSZE eine Mission zur Überwachung der Lage im Kosovo ein. Ab Februar 1999 liefen im französischen Rambouillet Verhandlungen über einen Friedensvertrag für den Kosovo. Beide Seiten lehnten den Entwurf zunächst ab, die Delegation des Kosovo lenkte später ein. Die jugoslawische Regierung verweigerte hingegen weiter ihre Unterschrift. Spätestens Mitte März 1999 wurde deutlich, dass die NATO-Staaten die Zustimmung zu dem Abkommen notfalls auch militärisch erzwingen würden.

Beginn der Bombardements

Am 24. März 1999 begannen die NATO-Staaten – ohne UN-Mandat – mit Luftschlägen gegen Ziele in Jugoslawien. Die Bundesregierung berief sich auf eine befürchtete „humanitäre Katastrophe“ und die Weigerung Jugoslawiens, auf internationale Vermittlungsversuche einzugehen. Für die Bundeswehr war es der erste Kampfeinsatz in ihrer Geschichte. Sie beteiligte sich mit Tornado-Flugzeugen an der Luftaufklärung und der Bekämpfung der Flugabwehr. Das Mandat dazu hatte der Bundestag bereits im Oktober 1998 gegeben. Die NATO-Staaten griffen strategische Ziele in Serbien, Kosovo und Montenegro an, beispielsweise das serbische Verteidigungsministerium. Mit zunehmender Dauer des Konflikts erhöhte sich jedoch auch die Zahl der getroffenen Ziele. So wurden auch Brücken in Novi Sad oder das Gebäude des staatlichen Rundfunks bombardiert. Das Bündnis hatte erwartet, dass es sich um eine kurze Militäroperation handeln würde, da Milošević schnell einlenken werde. Diese Hoffnung erfüllte sich nicht.

Der Kosovokrieg dauerte bis zum 10. Juni 1999. Über die Opferzahlen gibt es bis heute sehr unterschiedliche Angaben: Externer Link: Die jugoslawische Regierung schätzte nach Ende des Krieges, dass die Luftschläge 1.200 bis 5.700 zivile Opfer gefordert hätten. Externer Link: Human Rights Watch ging von etwa 500 toten Zivilisten aus. Externer Link: Nach Angaben der Unabhängigen Internationalen Kosovo-Kommission flohen zudem zwischen März und Juni 1999 etwa 860.000 Kosovo-Albaner oder wurden vertrieben, weitere 590.000 wurden zu Binnenflüchtlingen. Externer Link: Laut UNHCR waren es etwa 200.000 Menschen, die nach Serbien flohen oder dorthin vertrieben wurden, vermutlich vor allem ethnische Serben, aber auch Angehörige der Volksgruppe der Roma. Die jüdische Gemeinde Kosovos, die vor Ausbruch der Jugoslawienkriege etwa 100 Menschen umfasste, schrumpfte ebenfalls durch den Konflikt. Externer Link: Insgesamt wurden laut der NGO Humanitarian Law Center circa 13.500 Menschen zwischen 1998 und 2000 als tot oder vermisst gemeldet, darunter über 10.800 Kosovo-Albaner und etwa 2.200 Serben.

Externer Link: Am 10. Juni 1999 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1244, in der die Schaffung einer von der NATO geführten Sicherheitstruppe für den Kosovo geregelt wurde – der Externer Link: „Kosovo Force“ (KFOR). Ihr Ziel war es zunächst, den Abzug der jugoslawischen Armee und die Entmilitarisierung des Kosovo zu überwachen, später den Aufbau einer zivilen Friedensordnung zu garantieren. Der Einsatz dauert bis heute an. Auch deutsche Soldatinnen und Soldaten mit KFOR-Mandat sind weiterhin im Kosovo stationiert. Ihre Zahl soll im Frühjahr 2024 von zuletzt knapp 80 auf fast 300 erhöht werden. Zu Beginn des Einsatzes waren bis zu 8.500 deutsche Soldatinnen und Soldaten im Kosovo stationiert.

Völkerrechtliche Kontroversen

In Deutschland führte die Beteiligung der Bundeswehr am Kosovo-Krieg zu einer intensiven Debatte, da es sich um den ersten deutschen Kampfeinsatz seit dem Zweiten Weltkrieg handelte. Der damalige Außenminister Joschka Fischer begründete seine Zustimmung zur Beteiligung am Kosovo-Krieg im Mai 1999 auf dem Parteitag der Grünen unter anderem mit umstrittenen Assoziationen zu den Verbrechen des Zweiten Weltkriegs. Hintergrund war der Vorwurf an die serbische Seite, gezielt Vertreibungen und Massaker an Kosovo-Albanern zu verüben. Auch der kosovo-albanischen UÇK werden Kriegsverbrechen vorgeworfen. Bis heute gibt es völkerrechtliche Bedenken hinsichtlich des Kriegseinsatzes. Ein Mandat des UN-Sicherheitsrats für einen militärischen Eingriff lag nicht vor. Die NATO-Staaten argumentierten, dass man eine „humanitäre Katastrophe“ nicht einfach dulden könne, weil der UN-Sicherheitsrat durch das russische Veto blockiert sei. Kritikerinnen und Kritiker verweisen jedoch auf Artikel 2 der UN-Charta, der die territoriale Unversehrtheit eines jeden Mitgliedsstaates garantiert und die „Androhung und Anwendung von Gewalt“ untersagt, sofern sie mit den „Zielen der Vereinten Nationen“ unvereinbar ist. Bis heute wird der Eingriff der NATO von Russland propagandistisch genutzt, auch um seinen Angriffskrieg in der Ukraine zu legitimieren.

Unabhängigkeit des Kosovo 2008

Karte von Jugoslawiens Nachfolgestaaten
Interner Link: Hier finden Sie die Karte als hochauflösende PDF-Datei (mr-kartographie) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Als der Kosovo sich im Jahr 2008 für unabhängig erklärte, warf das auch vor dem Hintergrund anderer ethnischer Konflikte in Europa – zum Beispiel in Interner Link: Moldau oder Interner Link: Berg-Karabach – die Frage nach dem Interner Link: Selbstbestimmungsrecht der Völker auf. Grundsätzlich haben Volksgruppen nach Externer Link: Artikel 1 der UN-Charta ein Recht darauf, ihre Beziehungen zu anderen Völkern – und damit auch Fragen ihrer Unabhängigkeit – selbst zu bestimmen. Dieses Recht ist eines der Gründungsprinzipien der Vereinten Nationen. Dem gegenüber steht das Recht eines Staates auf territoriale Integrität: Nicht jede Unabhängigkeitsbewegung kann sich deswegen auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker berufen. Während der Zerfall der Sowjetunion oder Jugoslawiens als Auflösung von föderativ organisierten Staaten in ihre Teilrepubliken betrachtet wurde, steht die internationale Gemeinschaft Sezessionsbestrebungen von Volksgruppen kritischer gegenüber. Hier müssen besondere Umstände vorliegen – beispielsweise die fortwährende gewaltsame Unterdrückung von Minderheiten.

Bis heute erkennen 117 Staaten weltweit den Kosovo völkerrechtlich als unabhängig an, darunter auch Deutschland. Unter den Ländern, die das nicht tun, sind auch EU-Mitglieder wie Spanien und Griechenland. Der Blickwinkel auf die Unabhängigkeit des Kosovo hängt davon ab, ob man diesen Schritt als einen Akt legitimer Selbstbestimmung oder als illegitime Sezession betrachtet. Dazu gehört auch, wie man den Kosovo staatsrechtlich verortet, also ob es auf einer Stufe mit den Teilrepubliken des zerfallenen Jugoslawiens steht oder integraler Bestandteil der unabhängig gewordenen Teilrepublik Serbien ist. Befürworter der Unabhängigkeit argumentieren, dass alle Versuche zu einer einvernehmlichen Lösung der Kosovo-Frage gescheitert sind und das zerrüttete Verhältnis des Kosovos zu Serbien eine gemeinsame Zukunft unmöglich mache. Zudem erfüllten die Kosovo-Albaner durch eine gemeinsame Identität und durch ein weithin geschlossenes Siedlungsgebiet auch die Kriterien für die Definition eines „Volkes“. Gegner der Unabhängigkeit sagen, dass für einen solchen Schritt – angesichts des Rechts auf territoriale Integrität – die Zustimmung beider Seiten nötig sei. Zudem beziehen sie sich auf die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates von 1999, in dem die territoriale Integrität Jugoslawiens garantiert worden sei.

Externer Link: Der Internationale Gerichthof in Den Haag stellte in einem Rechtsgutachten 2010 fest, dass die Unabhängigkeit des Kosovo weder gegen geltendes Völkerrecht noch gegen die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates verstoße.

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