Angesichts der zunehmend globalen Folgen von Konflikten, Wirtschaftskrisen, Unterentwicklung und Umweltzerstörung bleibt die UNO eine unverzichtbare Weltorganisation, deren Möglichkeiten indes von ihren Mitgliedstaaten nur unzureichend ausgeschöpft werden.
Von der Ukraine-Krise und deren Auswirkungen auf das Zusammenleben von Staaten und Völkern, den Bürgerkriegen in Syrien und Libyen, der Ausbreitung des sogenannten Islamischen Staates, der Zerstörung von Staaten durch terroristische Gruppierungen in Somalia, Nigeria oder Mali über die gravierende Unterentwicklung in vielen Ländern Afrikas und Asiens bis hin zur Ausbreitung von Infektionskrankheiten wie Vogelgrippe, AIDS oder Ebola: Schon ein oberflächlicher Blick auf die sicherheitspolitische Weltkarte des Jahres 2015 zeigt, dass Risiken und Bedrohungen in der globalisierten Welt nicht mehr vor Staatsgrenzen haltmachen und dass es zu ihrer Bewältigung intensiver internationaler Zusammenarbeit bedarf. Das wichtigste globale Forum hierzu bilden die Vereinten Nationen (United Nations Organization – UNO, UN) – eine Organisation mit vielen Möglichkeiten, aber auch eine, an der sich die Geister scheiden.
In der UNO haben sich derzeit 193 Staaten zusammengeschlossen, um den Weltfrieden zu bewahren und humane Lebensbedingungen für eine Weltbevölkerung von mehr als 7,5 Milliarden Menschen zu gewährleisten. Auch wenn ihr Kosovo und Palästina bis auf Weiteres nicht angehören und der Vatikan auch künftig seine traditionelle Rolle als "aktives Nichtmitglied" spielen wird, kann die UNO als die einzige Organisation bezeichnet werden, welche die universelle Gültigkeit ihrer Grundsätze und Ziele beanspruchen kann. Ihre oft auch als "Weltverfassung" bezeichnete Charta bildet seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Grundlage einer neuen Völkerrechtsordnung, die nicht nur Krieg und Gewalt aus den internationalen Beziehungen verbannen soll. Vielmehr wurden der Organisation in den nunmehr sieben Jahrzehnten ihres Bestehens zahlreiche weitere Zuständigkeiten und Funktionen von der Wahrung der Menschenrechte über die soziale und ökonomische Entwicklung bis hin zum Schutz von Umwelt und Klima übertragen. Längst stehen dabei auch nicht mehr nur die Staaten, sondern zunehmend das Individuum und die "menschliche Sicherheit" im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Verfechter der UNO plädieren vor diesem Hintergrund für eine weitere Stärkung ihrer Rolle in der internationalen Politik.
Zugleich ist die UNO aber auch und vor allem eine Gemeinschaft von Staaten, die auf ihre Souveränitätsrechte großen Wert legen und allzu großen Eingriffen in ihre inneren Angelegenheiten ablehnend gegenüberstehen. So waren und sind sie nicht bereit, der UNO eigene Instrumente und Machtmittel an die Hand zu geben. Alle Entscheidungen und damit alle Handlungsmöglichkeiten der Organisation liegen fast vollständig in den Händen der Mitgliedstaaten, insbesondere der großen Mächte. Deren Eigeninteressen kollidieren immer wieder mit den kollektiven Normen und Mechanismen der UNO. Die auf Konsens- bzw. Kompromisssuche zwischen (formal) gleichberechtigten Staaten ausgerichtete politische Praxis der Vereinten Nationen gestaltet sich somit oft schwierig und langsam. Kritische Stimmen werfen der Organisation daher mitunter Hilflosigkeit und Versagen angesichts der Weltprobleme vor.
Unbestritten dürfte indes sein, dass die UNO mit all ihren Stärken und Schwächen eine in vielerlei Hinsicht einzigartige Einrichtung mit erheblicher Bedeutung für die Ausgestaltung der internationalen Beziehungen darstellt. Sie gibt Normen und Werte vor, an denen sich das Handeln der einzelnen Staaten ausrichten soll.
Grundstruktur der Vereinten Nationen
Das Herzstück der Vereinten Nationen bilden ihre sechs Hauptorgane, deren Zusammensetzung, Zuständigkeiten und Befugnisse untereinander und gegenüber den Mitgliedstaaten in der Charta verankert sind: Der Generalversammlung gehören alle 193 Mitglieder auf der Grundlage des Prinzips "Ein Staat – eine Stimme" an. Beschlüsse der Generalversammlung, die über die Binnenstruktur der Organisation hinausweisen, entfalten jedoch keine Bindungswirkungen für die Staatenwelt.
Dies ist anders beim Sicherheitsrat, dem mächtigsten der Hauptorgane. Die fünf ständigen (China, Frankreich, Großbritannien, Russland und USA) und zehn nicht ständigen Mitglieder können zur Sicherung des Friedens sehr weitreichende und vor allem rechtlich bindende Entscheidungen treffen, die alle Staaten befolgen und umsetzen müssen. Zudem kommt den ständigen Mitgliedern aufgrund ihres Vetorechts eine besondere Vormachtstellung zu, die sie deutlich von den übrigen Mitgliedstaaten unterscheidet.
Der aus 54 Staaten bestehende Wirtschafts- und Sozialrat (für den sich auch im Deutschen die englische Abkürzung für Economic and Social Council, ECOSOC, eingebürgert hat) befasst sich im Auftrag der Generalversammlung mit Fragen der wirtschaftlichen, sozialen und humanitären Entwicklung weltweit.
Der Internationale Gerichtshof (IGH) ist ein Staatengericht, das völkerrechtliche Streitfälle zwischen Ländern verhandeln und entscheiden kann. Allerdings müssen sich die Streitparteien mit der Befassung des IGH in ihrer Sache einverstanden erklären. Zugleich trägt der IGH mit seinen Rechtsgutachten maßgeblich zur Interpretation und Fortentwicklung des Völkerrechts bei.
Das Sekretariat, an dessen Spitze der Generalsekretär (seit 2007 der Südkoreaner Ban Ki-Moon) steht, ist vor allem ein Verwaltungsorgan. Es besitzt keine eigenen Entscheidungsbefugnisse, sondern wird im Auftrag vor allem von Generalversammlung und Sicherheitsrat tätig.
Ursprünglich für die Kontrolle der Ausübung der Treuhandschaft von Staaten über bestimmte Territorien zuständig, hat der Treuhandrat nach der Entlassung des letzten Treuhandgebiets in die Unabhängigkeit (Palau 1994) seine Arbeit am 1. November 1994 eingestellt. 2005 haben die Mitgliedstaaten seine Auflösung beschlossen.
Fünf Hauptorgane sind im Hauptquartier der UNO in New York angesiedelt, der IGH hat seinen Sitz in Den Haag. Das Sekretariat verfügt zudem über Außenstellen in Genf, Nairobi und Wien.
Die Charta gibt den Hauptorganen zusätzlich die Möglichkeit, eigene Neben- und Spezialorgane zu schaffen, wie sie dies etwa mit dem Kinderhilfswerk UNICEF, dem Entwicklungsprogramm UNDP, dem Umweltprogramm UNEP, dem Welternährungsprogramm WFP und zahlreichen weiteren Einrichtungen getan haben. Die UNO kann aber auch in Kooperationsbeziehungen mit anderen Organisationen oder Akteuren eintreten. Sie unterhält daher über den ECOSOC enge Verbindungen zu 15 Sonderorganisationen (z. B. zur Internationalen Arbeitsorganisation ILO, zur Weltgesundheitsorganisation WHO, zur Organisation für Industrielle Entwicklung UNIDO oder zum Weltpostverein UPU) sowie zu mehr als 3000 Nichtregierungsorganisationen.
Entstanden ist so ein komplexes System, das einerseits schwer zu koordinieren ist, das sich andererseits aber immer wieder flexibel an neue Aufgaben angepasst und ein einzigartiges Set universaler Kompetenzen entwickelt hat, mit denen es den Herausforderungen der globalisierten Welt entgegentreten kann.
Weltfrieden und Sicherheit
Die wichtigste Aufgabe der UNO ist die Wahrung von Frieden und internationaler Sicherheit. Auch wenn die Charta den Vorschriften zur Vermeidung zwischenstaatlicher Auseinandersetzungen besonderen Raum gibt, liegt ihr dennoch von Beginn an das Verständnis zu Grunde, dass Frieden mehr ist als die schiere Abwesenheit von Krieg. Vielmehr geht es darum, einen "positiven Frieden" zu schaffen, der auch grundlegende Menschenrechte gewährleistet oder einigermaßen gerechte soziale Bedingungen für alle Menschen schafft. Zunächst musste jedoch der Ost-West-Konflikt zu Ende gehen, bevor die UNO in ihren Friedensbemühungen über die klassische Staatensicherheit hinausgehen konnte und ein umfassenderes Konzept menschlicher Sicherheit mit dem Individuum im Mittelpunkt entwickeln konnte.
Kollektive Sicherheit
Gleichwohl bleibt die Verdrängung der Gewalt aus den internationalen Beziehungen eine entscheidende Voraussetzung für den Frieden. Hierzu haben die Vereinten Nationen ein kollektives Sicherheitssystem geschaffen, welches den Mitgliedstaaten die friedliche Lösung ihrer internationalen Konflikte auferlegt. Das Allgemeine Gewaltverbot des Artikels 2, Ziffer 4 entzieht den Staaten das Recht, zur Durchsetzung ihrer Interessen Gewalt anzuwenden oder diese auch nur anzudrohen. Wächter über dieses Gewaltverbot ist der UN-Sicherheitsrat, dem die Mitgliedstaaten die vorrangige Verantwortung für den Frieden und die internationale Sicherheit übertragen haben (Art. 24). Kommt er bei der Untersuchung einer Situation zu der Überzeugung, dass eine Friedensbedrohung, ein Bruch des Friedens oder eine Aggressionshandlung vorliegt, kann er nach Kapitel VII der Charta Zwangsmaßnahmen gegen den Friedensstörer verhängen. Diese können von Sanktionen, wie zum Beispiel Waffenembargos oder Handelsbeschränkungen, bis hin zur Autorisierung militärischer Gewalt reichen, wie dies im Irak 1990 oder in Libyen 2011 der Fall war. Ohne Erlaubnis des Sicherheitsrates dürfen Staaten militärische Gewalt nur zur Selbstverteidigung anwenden, wenn sie Opfer eines bewaffneten Angriffs geworden sind (Art. 51). Hierzu können sie – etwa im Rahmen von Bündnissen wie der NATO – auch andere Staaten um kollektiven Beistand bitten.
QuellentextKapitel VII der UN-Charta
Maßnahmen bei Bedrohung oder Bruch des Friedens und bei Angriffshandlungen
Artikel 39
Der Sicherheitsrat stellt fest, ob eine Bedrohung oder ein Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung vorliegt; er gibt Empfehlungen ab oder beschließt, welche Maßnahmen auf Grund der Artikel 41 und 42 zu treffen sind, um den Weltfrieden und die internationale Sicherheit zu wahren oder wiederherzustellen.
Artikel 40
Um einer Verschärfung der Lage vorzubeugen, kann der Sicherheitsrat, bevor er nach Artikel 39 Empfehlungen abgibt oder Maßnahmen beschließt, die beteiligten Parteien auffordern, den von ihm für notwendig oder erwünscht erachteten vorläufigen Maßnahmen Folge zu leisten. Diese vorläufigen Maßnahmen lassen die Rechte, die Ansprüche und die Stellung der beteiligten Parteien unberührt. Wird den vorläufigen Maßnahmen nicht Folge geleistet, so trägt der Sicherheitsrat diesem Versagen gebührend Rechnung.
Artikel 41
Der Sicherheitsrat kann beschließen, welche Maßnahmen – unter Ausschluss von Waffengewalt – zu ergreifen sind, um seinen Beschlüssen Wirksamkeit zu verleihen; er kann die Mitglieder der Vereinten Nationen auffordern, diese Maßnahmen durchzuführen. Sie können die vollständige oder teilweise Unterbrechung der Wirtschaftsbeziehungen, des Eisenbahn-, See- und Luftverkehrs, der Post-, Telegraphen- und Funkverbindungen sowie sonstiger Verkehrsmöglichkeiten und den Abbruch der diplomatischen Beziehungen einschließen.
Artikel 42
Ist der Sicherheitsrat der Auffassung, dass die in Artikel 41 vorgesehenen Maßnahmen unzulänglich sein würden oder sich als unzulänglich erwiesen haben, so kann er mit Luft-, See- oder Landstreitkräften die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen durchführen. Sie können Demonstrationen, Blockaden und sonstige Einsätze der Luft-, See- oder Landstreitkräfte von Mitgliedern der Vereinten Nationen einschließen.
http://www.unric.org/de/charta#kapitel7
Auch wenn das kollektive Sicherheitssystem zahlreiche Fehlfunktionen aufweist (s. u.) und das Gewaltverbot immer wieder gebrochen wird, wie zum Beispiel durch die USA im Irak 2003 oder durch Russland in der Ukraine 2014, ist seine Grundidee, den Staaten die freie Verfügbarkeit über das Mittel des Krieges zu entziehen, zur weithin akzeptierten, fundamentalen Norm des modernen Völkerrechts geworden.
Komplexe Friedensmissionen
Das für die UN-Friedenssicherung so zentrale Kapitel VII der Charta sieht ein starkes Engagement der Mitgliedstaaten vor, die den Vereinten Nationen auf der Grundlage von Sonderabkommen Streitkräfte zur Verfügung stellen sollen (Art. 43). Hierzu kam es allerdings nie, weil die Staaten die Verfügungsgewalt über ihre Truppen nicht aus der Hand geben wollen. Die UNO musste daher alternative Formen der Friedenssicherung entwickeln, die einerseits den Anforderungen eines sich wandelnden Kriegs- und Konfliktgeschehens entsprachen und andererseits nicht den Interessen bzw. den Souveränitätsansprüchen der Mitgliedstaaten zuwiderliefen. Mit den bereits in den 1940er-Jahren eingesetzten Beobachtungsmissionen, um die Waffenstillstände in Palästina (UNTSO) oder im Kaschmirtal zwischen Indien und Pakistan (UNMOGIP) zu überwachen, sowie den ab Mitte der 1950er-Jahre eingesetzten Friedenstruppen – die nach der Farbe ihrer Kopfbedeckung als "Blauhelme" bezeichnet werden – entstand eine eigene Form der UN-Friedenssicherung. In den mehr als 60 Jahren seines Einsatzes hat dieses auch im Deutschen so genannte peacekeeping eine ganze Reihe sehr unterschiedlicher Instrumente und Operationstypen herausgebildet.
In ihrer klassischen Form bestehen UN-Missionen aus unbewaffneten Militärbeobachtern oder leichtbewaffneten Truppenverbänden, die unter Wahrung strikter Neutralität eingesetzt werden, um die Einhaltung eines Waffenstillstands bzw. Friedensvertrags zu überwachen. Zwischen 1948 und 1988 führten die Vereinten Nationen 13 solcher Friedensmissionen durch, vor allem in Afrika (zum Beispiel im Kongo), Asien (zum Beispiel im Kaschmirtal) und dem Nahen Osten (Palästina/Sinai), aber auch in Europa (Zypern). Sie trugen damit maßgeblich zur Kontrolle der Konflikte bei – allerdings oft um den Preis oft jahrzehntelanger Einsatzdauer.
Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts stieg die Zahl der UN-Friedensmissionen sprunghaft an, allein zwischen 1988 und 1992 wurden mehr Operationen begonnen als in den ersten 45 Jahren seit Gründung der UNO. Diese rapide Steigerung ist einerseits durch die größere Handlungsfähigkeit des Sicherheitsrates nach dem Wegfall der Blockkonfrontation zu erklären, zum anderen aber auch dadurch, dass sich die Weltorganisation zunehmend auch der Bewältigung einer großen Zahl innerstaatlicher Konflikte zuwandte. Die Gesamtzahl der Missionen beläuft sich seither auf insgesamt 69, im Mai 2015 sind in 16 UN-geführten Friedensoperationen mehr als 125.000 militärische und zivile Friedensschützer im Einsatz.