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Der Weg in den Krieg

Michael Wildt

/ 14 Minuten zu lesen

Konsequent verfolgte die NS-Politik das Ziel, durch militärische Aggression den Herrschaftsbereich des Deutschen Reiches in Europa auszuweiten. Die Westmächte versuchen, den Konflikt mit Deutschland friedlich zu lösen. Doch Hitler hält an seinem Kriegskurs fest und gewinnt in Stalin einen mächtigen Verbündeten.

Adolf Hitler im offenen Wagen während einer Parade in Kraslice (Graslitz) nach dem Anschluss des Sudetenlandes im Oktober 1938. (© Bundesarchiv Bild 137-049535)

Außenpolitische Erfolge

Von Anfang an bestimmte der Wille der nationalsozialistischen Führung zum Krieg um "Lebensraum im Osten“ ihre Außen- und Wirtschaftspolitik. Dass die europäischen Mächte so lange Illusionen über den eigentlichen Charakter der deutschen Politik hegten, lag an den einseitigen Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages von 1919, dessen teilweise Revision von britischer wie amerikanischer Seite mittlerweile als durchaus berechtigter Anspruch Deutschlands angesehen wurde. Bestärkt durch die entsprechende NS-Propaganda wurde nationalsozialistische Politik daher lange Zeit von den Westmächten als "Revisionspolitik“ verkannt, die an ihr Ziel gelangt sei, wenn die Gebietsabtretungen wieder rückgängig gemacht wären. In Wirklichkeit zielte sie weit über die Revision des Versailler Vertrages hinaus auf die Eroberung von "Lebensraum“ in Osteuropa.

Um Kontinentalimperium zu werden, war ein Bündnis mit oder zumindest die Tolerierung durch Großbritannien, das als imperiale Weltmacht die Meere beherrschte, nötig, wie Hitler schon in "Mein Kampf“ geschrieben hatte. Polen, das zu dieser Zeit unter der autoritären Regierung von Marschall Józef Piłsudski stand, war in den außenpolitischen Plänen der NS-Führung die Rolle eines Juniorpartners für den geplanten Krieg gegen die Sowjetunion zugedacht. Deshalb kam es – in überraschender Abkehr von der bis dahin notorisch antipolnischen Politik der Regierungen der Weimarer Republik – im Januar 1934 zu einem deutsch-polnischen Nichtangriffspakt. Um sich aus jeglichen völkerrechtlichen Verpflichtungen zu lösen, hatte Deutschland bereits zuvor, im Oktober 1933, die Genfer Abrüstungskonferenz des Völkerbundes verlassen, die zwischen Februar 1932 und Juni 1934 mit Unterbrechungen tagte und die Abrüstung ihrer insgesamt 64 Teilnehmerstaaten zum Ziel hatte. Gleichzeitig erklärte das Deutsche Reich seinen Austritt aus dem Völkerbund. Schon Anfang Juni 1933 hatte das Hitler-Kabinett ein einseitiges Moratorium aller Auslandsschulden verkündet, was die internationale Finanzwelt zu Recht als aggressiven Konfrontationskurs bewertete und es der NS-Regierung in den kommenden Jahren fast unmöglich machte, neue Kredite auf dem Weltfinanzmarkt zu erhalten.

Im Hintergrund stand der unbedingte Aufrüstungswille der neuen Regierung. Im April 1933 war das Reichsluftfahrtministerium unter Leitung von Hermann Göring geschaffen worden, das den forcierten Aufbau einer Luftwaffe betreiben sollte; im Dezember fiel die Entscheidung für die Aufstockung des Heeres auf 300 000 Mann, was einen Bruch mit den Bestimmungen des Versailler Vertrages bedeutete, der eine Begrenzung auf 100 000 Mann vorgesehen hatte. Wer im März 1934 die im Reichsgesetzblatt veröffentlichten Zahlen des neuen Reichshaushaltes las, konnte feststellen, dass sich der Etat für die Reichswehr gegenüber 1933 offiziell von 73,7 auf 141,5 Millionen Reichsmark nahezu verdoppelt hatte. Die tatsächlichen Zahlen lagen noch beträchtlich darüber: Allein die Aufwendungen für den Ausbau der Kriegsmarine betrugen 1934 insgesamt 172,3 Millionen Reichsmark, überstiegen also bereits die offiziell angegebenen Gesamtausgaben. Innerhalb weniger Jahre, zwischen 1933 und 1935, wuchs der Anteil der Militärausgaben am Volkseinkommen von weniger als einem Prozent auf nahezu zehn Prozent. Kein anderer Staat, so der britische Wirtschaftshistoriker Adam Tooze, hatte jemals zuvor in Friedenszeiten so rasch und aggressiv eine derartige Umschichtung des nationalen Sozialprodukts zugunsten der Ausgaben für den Krieg vorgenommen.

Im Januar 1935 sorgte die Abstimmung im Saargebiet für einen ersten triumphalen Sieg der Nationalsozialisten. Die Saarländer, die aufgrund des Versailler Friedensvertrages durch den Völkerbund regiert worden waren, sollten 15 Jahre später darüber abstimmen, ob sie sich Frankreich oder Deutschland anschließen oder ihren Mandatsstatus beibehalten wollten. Obwohl im Unterschied zum Deutschen Reich die Hitler-Gegner im Saarland im Wahlkampf uneingeschränkte politische Möglichkeiten besaßen und deshalb auf ein deutliches Votum gegen Hitler-Deutschland hofften, war das Resultat der Abstimmung eindeutig: Bei einer Wahlbeteiligung von 98 Prozent sprachen sich annähernd 91 Prozent der saarländischen Bevölkerung für den Anschluss an das Deutsche Reich aus.

Hitler nutzte diesen Erfolg, um am 16. März 1935 gegen die Bestimmungen des Versailler Vertrages die allgemeine Wehrpflicht wieder einzuführen. Bezeichnenderweise war damit auch ein Wechsel der Begriffe verbunden: Aus der "Reichswehr“ wurde "Wehrmacht“, aus dem "Reichswehrminister“ der "Reichskriegsminister“. Zwar erhob die britische Regierung Protest gegen diese Vertragsverletzung, fand sich aber wenige Monate später, im Juni 1935, bereit, mit dem Deutschen Reich ein Flottenabkommen abzuschließen. Dieses zielte zwar darauf, gegenseitige Rüstungsgrenzen zu definieren, gestand aber Deutschland zugleich eine deutlich umfangreichere Marine zu, als der Versailler Vertrag erlaubte. Dass es dem außenpolitisch unerfahrenen Joachim von Ribbentrop, der von Hitler als Sonderemissär nach London geschickt worden war, gelang, diese wichtigen Verhandlungen erfolgreich zu führen, trug ihm bei Hitler den Nimbus eines geschickten Außenpolitikers ein und führte ihn 1938 schließlich sogar an die Spitze des Auswärtigen Amtes.

Als Benito Mussolini im Oktober 1935 völkerrechtswidrig Äthiopien besetzen ließ, um ein "großitalienisches Imperium“ zu errichten, sah die NS-Führung eine neue günstige Gelegenheit, einen Bündnispartner zu gewinnen. Während sich die Westmächte uneins waren, wie sie auf die italienische Aggression reagieren sollten, und sich nur zu halbherzigen Sanktionen bereitfanden, demonstrierte Deutschland wohlwollende Neutralität. Daraufhin erklärte Mussolini, der bislang kein Bündnis mit dem Deutschen Reich angestrebt hatte, dass sich die deutsch-italienischen Beziehungen grundlegend verbessert hätten. Selbst das "Österreich-Problem“, sprich den Anschluss Österreichs an Deutschland, den Hitler wollte und Mussolini bis dahin vehement abgelehnt hatte, um nicht ein mächtiges Reich an der Nordgrenze Italiens entstehen zu lassen, ließe sich nun gemeinsam lösen.

Der nächste außenpolitische Schritt zielte auf das Rheinland. Aufgrund der Abrüstungsbestimmungen des Versailler Vertrages, erneut bekräftigt 1925 im Vertrag von Locarno zwischen Deutschland, Frankreich, Belgien, Großbritannien und Italien, stellte es eine entmilitarisierte Zone dar, um den westlichen Nachbarn des Deutschen Reiches Sicherheit vor deutschen Übergriffen zu geben. Die Ratifizierung eines französisch-sowjetischen Beistandspaktes im Februar 1936 nahm Hitler zum Anlass zu behaupten, die Westmächte hätten den Locarno-Vertrag gebrochen. Daraufhin ließ er am 7. März deutsche Truppen in das Rheinland einmarschieren – mit dem geheimen Befehl, sich sofort wieder zurückzuziehen, falls sie auf den Widerstand der französischen Armee stoßen sollten.

Wiederum gaben die Westmächte zu erkennen, dass sie trotz des eklatanten Bruchs völkerrechtlicher Verträge keine militärische Aktion gegen das Deutsche Reich unternehmen würden. Zwar verurteilte der Völkerbund die deutsche Aggression, aber praktische Konsequenzen blieben aus. Damit war Hitlers Vabanque-Spiel aufgegangen. In Deutschland nährte sein erneuter Erfolg den "Hitler-Mythos“ so der Historiker Ian Kershaw. Diesem Mann schien alles zu gelingen, seine Gegner und Skeptiker verstummten zunehmend. Nur wenige erkannten die unerbittliche Absicht und Konsequenz, mit der Hitler auf den Krieg zusteuerte.

Mit der Inszenierung der Olympischen Spiele in Berlin im Sommer 1936 sollte der Welt das Bild eines machtvollen, aber friedfertigen Deutschlands vorgegaukelt werden. Entgegen diesem öffentlichen Schein entschied Hitler noch während der Spiele, den Aufstand des Generals Francisco Franco gegen die legitime republikanische spanische Regierung zu unterstützen und damit den spanischen Bürgerkrieg zum internationalen Schlachtfeld gegen den "Bolschewismus“ zu machen. Zusammen mit Italien lieferte Deutschland trotz internationaler Absprachen, Neutralität zu wahren, Rüstungsgüter nach Spanien und entsandte sogar heimlich die "Legion Condor“. Der spanische Bürgerkrieg sollte zum Versuchsfeld der eigenen Kriegsführung werden, die sich, wie im Falle des verheerenden Angriffs auf die baskische Stadt Guernica im April 1937, auch gegen die Zivilbevölkerung richtete.

In einer geheimen Denkschrift vom August 1936 forderte Hitler, dass innerhalb von vier Jahren die deutsche Armee einsatzfähig und die deutsche Wirtschaft kriegsfähig gemacht sein müssten. Angesichts des chronischen Mangels an Devisen und der Abhängigkeit des Deutschen Reiches von Rohstoffimporten, die sich durch die gleichzeitige Autarkie- und Aufrüstungspolitik drastisch verschärften, hatte Hitler bereits im April 1936 Hermann Göring als "Beauftragten des Reiches für Rohstoff- und Devisenfragen“ eingesetzt. Im Oktober 1936 wurde eine mit weitreichenden Kompetenzen ausgestattete Vierjahresplanbehörde unter Hermann Göring gebildet, welche die wirtschaftlichen Anstrengungen zentral lenken und intensivieren sollte. Ihr vordringliches Ziel war, die Abhängigkeit von ausländischen Rohstoffen zu verringern, insbesondere was die Mineralölproduktion und die Herstellung synthetischen Kautschuks (Buna) betraf. Doch wurde die höhere Eigenproduktion durch den rasant wachsenden Bedarf der Wehrmacht gleich wieder aufgesogen, sodass sich die Auslandsabhängigkeit des Deutschen Reiches nicht verminderte. Hielt man an der vehementen Aufrüstungspolitik fest, führte dieses Dilemma notwendigerweise zu der Konsequenz, dass nur durch die Eroberung ausländischer Industrieanlagen und Rohstofffelder der Bedarf gedeckt und die Kostenexplosion eingedämmt werden konnten. Angesichts der gigantischen Mobilisierung des militärischen Potenzials war der Krieg keine bloße politische Option mehr, sondern die unausweichliche Folge der bereits getroffenen Vorbereitungen.

Rüstungsausgaben und Volkseinkommen 1932-1938 (Die Verwendung dieser Grafik ist honorarpflichtig)

Quellentext„Proben“ für die einen …

Der Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe, Hermann Göring, sagt später [vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg 1946] über die deutsche Beteiligung am Spanischen Bürgerkrieg:
„Als in Spanien der Bürgerkrieg ausgebrochen war, sandte Franco einen Hilferuf an Deutschland um Unterstützung besonders in der Luft. Man darf nicht vergessen, Franco stand mit seinen eigentlichen Truppen in Afrika. [...] Das Entscheidende war, dass zunächst seine Truppen nach Spanien kamen. [...] Ich sandte mit Genehmigung des Führers einen großen Teil meiner Transportflotte und sandte eine Reihe von Erprobungskommandos meiner Jäger, Bomber und Flakgeschütze hinunter und hatte auf diese Weise Gelegenheit, im scharfen Schuss zu erproben, ob das Material zweckentsprechend entwickelt wurde. Damit auch das Personal eine gewisse Erfahrung bekam, sorgte ich für einen starken Umlauf, das heißt, immer wieder neue hin und die anderen zurück.“

Hans-Christian Kirsch (Hg.), Der spanische Bürgerkrieg in Augenzeugenberichten, Karl Rauch Verlag Düsseldorf/München 1971, S. 101 f.

Quellentext… Ernstfall für die anderen

Am 26. April 1937 bombardierte die „Legion Condor“ Guernica, baskisch: Gernika. Pablo Picasso erinnert mit seinem weltberühmten Gemälde „Guernica“ an die Zerstörung der nordspanischen Stadt, bei der mehrere Hundert Zivilisten getötet wurden. Padre Alberto de Onaindía, ein junger baskischer Priester, sieht das Bombardement mit an:
„[...] Es war ein wunderbar klarer Tag, der Himmel war weich und klar. Wir kamen in den Vororten von Guernica gegen 5 Uhr an. In den Straßen war viel Betrieb, denn es war Markttag. Plötzlich hörten wir die Sirene. [...] Bald erschien ein feindliches Flugzeug über Guernica. [...] Direkt über dem Zentrum warf es drei Bomben ab. Kurz darauf sah ich sieben Flugzeuge, auf die sechs weitere folgten, dann kamen noch einmal fünf. Alle waren Junkers-Maschinen. Unterdessen war ganz Guernica von einer Panik ergriffen. [...]
Mehr als eine Stunde blieben die achtzehn Maschinen in einer Höhe von wenigen hundert Metern über Guernica, und sie warfen Bombe auf Bombe.
Von dem Lärm der Explosionen und dem Geräusch der einstürzenden Häuser macht man sich keinen Begriff. Sie flogen über die Straßenzüge hin. Sehr viele Bomben fielen. Scheinbar überall. Später sahen wir die Krater. Sie hatten einen Durchmesser von sechzehn Metern und waren acht Meter tief.
Gegen 7 Uhr flogen die Maschinen ab, und nun kam eine neue Welle, die diesmal in sehr großer Höhe flog. Die zweite Welle warf Brandbomben auf unsere gemarterte Stadt. Das zweite Bombardement dauerte fünfunddreißig Minuten, aber es reichte hin, um den ganzen Ort in einen gewaltigen Feuerofen zu verwandeln. [...] Die Angriffe und die Zerstörung der Stadt hielten noch weitere zwei Stunden und fünfundvierzig Minuten an. Als das Bombardement vorbei war, kamen die Leute aus ihren Schutzräumen. Keiner weinte. Verwunderung stand auf ihren Gesichtern. Jeder von uns konnte einfach nicht begreifen, was er da sah.
Bei Sonnenuntergang konnte man immer noch nicht weiter als fünfhundert Meter sehen. Überall wüteten die Flammen, und dicker schwarzer Rauch stieg auf. Um mich herum beteten die Leute und streckten die Arme in Kreuzform gegen den Himmel, um Gnade zu erbitten. [...]
Guernica hatte keine Flak, überhaupt gab es keine Geschütze in der Stadt, nicht einmal ein Maschinengewehr wäre zu finden gewesen.
In den ersten Nachtstunden sah ich fürchterliche Szenen: Männer, Frauen und Kinder liefen durch den Wald und suchten ihre Angehörigen. In den meisten Fällen fanden sie nur die Leichen, durchsiebt von den Kugeln der Bordwaffen. [...]“

Ders., S. 268 ff.

Wille zum Krieg

Im Oktober 1936 schloss die Hitler-Regierung ein Bündnis mit Italien, in dessen Folge Mussolini von einer "Achse Berlin-Rom“ sprach. Im November folgte ein deutsch-japanisches Abkommen gegen die Kommunistische Internationale, der sogenannte Antikominternpakt, der sich ausdrücklich gegen die Sowjetunion richtete und dem Italien im November 1937 ebenfalls beitrat. Dergestalt ermutigt, offenbarte Hitler am 5. November 1937 in einer Besprechung mit dem Reichskriegsminister Werner von Blomberg, den Oberbefehlshabern von Heer, Marine und Luftwaffe sowie dem Reichsaußenminister Konstantin Freiherr von Neurath seine Entschlossenheit zum Krieg. Ziel der deutschen Politik sei "die Sicherung und die Erhaltung der Volksmasse und deren Vermehrung“, was vor allem ein "Problem des Raumes“ aufwerfe. Das deutsche Volk von über 85 Millionen Menschen brauche mehr "Lebensraum“. Die landwirtschaftliche Produktion im Deutschen Reich sei kaum mehr zu steigern, die Versorgung durch den Welthandel sei unsicher und voller Bedrohungen durch andere Imperien. Die einzige Abhilfe stelle daher die "Gewinnung eines größeren Lebensraumes“ dar, der, wenn die Sicherung der Ernährungslage im Vordergrund stünde, nicht in fernen Kolonien, sondern vielmehr in Europa gesucht werden müsse. Es handele sich dabei, betonte Hitler, "nicht um die Gewinnung von Menschen, sondern von landwirtschaftlich nutzbarem Raum“. Dass jede "Raumerweiterung“ nur durch "Brechung von Widerstand und unter Risiko“ vor sich gehen könne, habe die Geschichte gezeigt. "Zur Lösung der deutschen Frage“, stellte Hitler klar, "könne es nur den Weg der Gewalt geben“.

Zwei militärische Nahziele nannte Hitler in dieser Unterredung: Österreich und die Tschechoslowakei. Beide Länder müssten erobert werden, nicht zuletzt "könne die Einverleibung der Tschechei und Österreichs den Gewinn von Nahrungsmitteln für 5-6 Millionen Menschen bedeuten unter Zugrundelegung, dass eine zwangsweise Emigration aus der Tschechei von zwei Millionen, aus Österreich von einer Millionen Menschen zur Durchführung gelange“, womit unmissverständlich die Vertreibung der Juden aus diesen Ländern gemeint war.

All diejenigen, die Hitlers Kriegspolitik nicht bedingungslos mittrugen, verloren Anfang 1938 ihre Posten. Der bisherige Außenminister von Neurath wurde durch Ribbentrop ersetzt; Reichskriegsminister von Blomberg und der Oberbefehlshaber des Heeres, Werner von Fritsch, wurden wegen tatsächlicher oder angeblicher Details aus ihrem Privatleben entlassen; zwölf weitere Generäle mussten folgen. Neuer Oberbefehlshaber des Heeres wurde Walther von Brauchitsch, und anstatt einen neuen Minister an die Spitze zu stellen, übernahm Hitler selbst den Oberbefehl über die Wehrmacht, das heißt über Heer, Marine und Luftwaffe insgesamt.

Anschließend erhöhte die NS-Führung den Druck auf die österreichische Regierung. Am 12. Februar 1938 bestellte Hitler den österreichischen Kanzler Kurt Schuschnigg nach Berchtesgaden ein und verlangte die "Unterwerfung" Österreichs unter Deutschland. Schuschnigg versuchte, dem Druck durch eine Volksabstimmung über die Unabhängigkeit Österreichs zu begegnen, die am 13. März stattfinden sollte. Aber Hitler ließ bereits eine militärische Intervention vorbereiten, und in einem von Berlin aus organisierten Staatsstreich wurde der österreichische Nationalsozialist Arthur Seyß-Inquart zum Regierungschef ernannt. Schuschnigg trat zurück. Am Morgen des 12. März überschritten deutsche Truppen die österreichische Grenze, nachdem sich Mussolini mit dem "Anschluss“ einverstanden erklärt hatte. Während in Wien und vielen anderen Orten Österreichs Pogrome gegen Juden stattfanden, jubelten an den Straßenrändern zahlreiche Menschen den deutschen Soldaten zu. Die Volksabstimmung vom 10. April 1938, die in einer Atmosphäre von Gewalt und Machtergreifung stattfand, brachte 98 Prozent Ja-Stimmen für den "Anschluss" Österreichs an das Deutsche Reich. Nicht nur politisch, auch wirtschaftlich profitierte Deutschland vom "Anschluss", da wichtige Eisenerzressourcen, wertvolle Devisen und ein zusätzliches Reservoir an dringend benötigten Arbeitskräften die deutsche Rüstungsindustrie stärkten.

Gemäß dem Programm, das Hitler im November 1937 offenbart hatte, war das nächste Angriffsziel die Tschechoslowakei. Sie galt als eine der stabilsten Demokratien in Europa und stand in festen Bündnisverträgen mit Frankreich und der Sowjetunion. Viele Angehörige der bedeutsamen deutschen Minderheit in der Tschechoslowakei hatten in dem 1919 gegründeten Staat ein Auskommen gefunden; es gab deutsche Abgeordnete im Parlament. Obwohl die deutschsprachige Minderheit ihre Bevorzugung aus der Zeit der Habsburger Monarchie verloren hatte, schien eine friedliche Perspektive in einem gemeinsamen Staat möglich. Doch wuchs seit dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 unter den Sudetendeutschen die "Heim-ins-Reich“-Bewegung, die von Deutschland finanziell und politisch massiv unterstützt wurde und die Abspaltung des Sudetenlandes von Prag vorantrieb. Hitler selbst beauftragte den Führer der Sudetendeutschen Partei, Konrad Henlein, im März 1938, unannehmbare Forderungen an die tschechoslowakische Regierung zu stellen, damit die Konfliktsituation nicht durch Kompromissangebote entschärft würde. Am 30. Mai gab er der Wehrmacht die Weisung, alle Vorbereitungen zu treffen, um die Tschechoslowakei in absehbarer Zeit durch eine Militäraktion zu "zerschlagen“.

Die Westmächte, allen voran Großbritannien, bemühten sich hingegen, den Konflikt mit Deutschland auf dem Verhandlungswege zu lösen und sich nicht in eine militärische Auseinandersetzung verwickeln zu lassen. Der britische Premierminister Neville Chamberlain, der französische Ministerpräsident Édouard Daladier und Mussolini reisten im September 1938 nach München, um mit Hitler zu verhandeln. Der jedoch ließ sich auf keine Kompromisse ein, und schließlich unterzeichneten Chamberlain, Daladier und Mussolini am 30. September ein Abkommen, das die Tschechoslowakei zwang, die sudetendeutschen Gebiete bis zum 10. Oktober an das Deutsche Reich abzutreten, und als Gegenleistung eine Beistandsgarantie der Westmächte gegen einen militärischen Angriff Hitler-Deutschlands enthielt.

Das "Münchener Abkommen“ und die sogenannte Appeasement-Politik (Beschwichtigungspolitik) sind im Nachhinein als der Ausdruck einer verantwortungslosen und allzu nachgiebigen Politik gegenüber den Nationalsozialisten bewertet worden. Doch ist in Rechnung zu stellen, dass damals weder in Frankreich noch in Großbritannien die Mehrheit der Bevölkerung einem Krieg gegen Deutschland zugestimmt hätte. Im Gegenteil, Chamberlain wurde bei seiner Rückkehr in London mit großem Beifall als europäischer Friedenspolitiker begrüßt. Zudem hatte die britische Regierung die Erhaltung des weltweiten Commonwealth im Blick und war militärisch zu diesem Zeitpunkt noch nicht stark genug, um gegen das mittlerweile hoch und modern aufgerüstete Deutschland anzutreten. Mindestens ebenso viel Verantwortung für die verpasste Chance, der Expansionspolitik des NS-Regimes Einhalt zu gebieten, trug jene Gruppe von Offizieren um den im August 1938 wegen Hitlers Kriegskurs zurückgetretenen Generalstabschef des Heeres, Ludwig Beck. Sie hatte einen Militärputsch für den Fall geplant, dass Hitler wegen des Konflikts um die Sudetendeutschen einen Krieg vom Zaun brechen würde. Angesichts des "Münchener Abkommens“, das den Krieg zunächst abwendete, glaubten die Widerständler, dass es nunmehr keine politische Legitimation für den Militärputsch gebe und brachen die bereits weit gediehenen Vorbereitungen ab. Eine erfolgversprechende Möglichkeit, Hitler zu stürzen, war damit vertan.

Allen offiziellen Friedensbeteuerungen zum Trotz hielt dieser an seinem unbedingten Kriegskurs fest. Ende Oktober bot Ribbentrop der polnischen Führung eine Garantie der Westgrenze Polens an, was bislang alle deutschen Regierungen seit Abschluss des Versailler Vertrages verweigert hatten. Im Gegenzug sollte Polen auf Danzig verzichten und eine exterritoriale Autobahn durch den "Korridor“ zwischen Pommern und Ostpreußen zulassen. Doch die Antwort der polnischen Führung, die stets darauf bedacht war, gegenüber ihren beiden mächtigen Nachbarn, Deutschland wie der Sowjetunion, gleichermaßen Distanz zu halten, blieb zurückhaltend.

Hitler entschloss sich daraufhin zu einem deutschen Alleingang, stachelte die Slowakei, die seit Oktober 1938 einen autonomen Status besaß, dazu auf, ihre Unabhängigkeit von Prag zu erklären, und befahl den tschechoslowakischen Regierungschef Emil Hácha am 14. März 1939 nach Berlin. Hácha wurde mit der Drohung, Prag zu bombardieren, so massiv unter Druck gesetzt, dass er in den Morgenstunden des 15. März bereit war, eine Erklärung zu unterzeichnen, "das Schicksal des tschechischen Volkes und Landes vertrauensvoll in die Hände des Führers des Deutschen Reiches“ zu legen. Am frühen Morgen des 16. März marschierten deutsche Truppen in der "Rest-Tschechei“ ein. Anders als in Österreich stießen die deutschen Soldaten bei der tschechischen Bevölkerung keineswegs auf Sympathie, sondern wurden deutlich als Besatzungsarmee betrachtet.

Am gleichen Tag erklärte Hitler in Prag die Errichtung des "Protektorats Böhmen und Mähren“, das von dem ehemaligen Außenminister von Neurath regiert werden sollte. Ihm zur Seite stand der Höhere SS- und Polizeiführer Karl Hermann Frank, der den Besatzungsterror organisierte. Obwohl offiziell formal unabhängig, stellte die Slowakei in Wirklichkeit nicht mehr als einen vom Deutschen Reich abhängigen Satellitenstaat dar. Wiederum stärkte die Eroberung hochwertiger Indus-trieanlagen wie die der Skoda-Werke in Pilsen und Prag oder die der Tschechoslowakischen Waffenwerke A.G. in Brünn die Rüstungskapazität des Reiches.

QuellentextDas Münchener Abkommen

Abkommen zwischen Deutschland, dem Vereinigten Königreich von Großbritannien, Frankreich und Italien, getroffen in München am 29.[30.]9.1938:

Deutschland, das Vereinigte Königreich, Frankreich und Italien sind unter Berücksichtigung des Abkommens, das hinsichtlich der Abtretung des sudetendeutschen Gebiets bereits grundsätzlich erzielt wurde, über folgende Bedingungen und Modalitäten dieser Abtretung und über die danach zu ergreifenden Maßnahmen übereingekommen und erklären sich durch dieses Abkommen einzeln verantwortlich für die zur Sicherung seiner Erfüllung notwendigen Schritte.

1. Die Räumung beginnt am 1. Oktober.

2. Das Vereinigte Königreich, Frankreich und Italien vereinbaren, dass die Räumung des Gebiets bis zum 10. Oktober vollzogen wird, und zwar ohne Zerstörung irgendwelcher bestehender Einrichtungen, und dass die Tschechoslowakische Regierung die Verantwortung dafür trägt, dass die Räumung ohne Beschädigung der bezeichneten Einrichtungen durchgeführt wird.

3. Die Modalitäten der Räumung werden im einzelnen durch einen internationalen Ausschuss festgelegt, der sich aus Vertretern Deutschlands, des Vereinigten Königreichs, Frankreichs, Italiens und der Tschechoslowakei zusammensetzt.

4. Die etappenweise Besetzung des vorwiegend deutschen Gebiets durch deutsche Truppen beginnt am 1. Oktober. [...]

Das restliche Gebiet vorwiegend deutschen Charakters wird unverzüglich von dem oben erwähnten internationalen Ausschuss festgestellt und bis zum 10. Oktober durch deutsche Truppen besetzt werden. [...]

München, den 29. September 1938
Adolf Hitler
Neville Chamberlain
Ed. Daladier
Mussolini



Wolfgang Michalka (Hg.), Das Dritte Reich. Dokumente zur Innen- und Außenpolitik, Band 1, dtv, München 1985, S. 256 ff.

Hitler-Stalin-Pakt

Mit der Besetzung Tschechiens war unmissverständlich deutlich geworden, dass die NS-Führung keineswegs am Frieden in Europa interessiert war, sondern den Krieg wollte. Damit waren alle Prämissen der Appeasement-Politik wertlos geworden. Chamberlain erklärte vor dem Parlament, dass Großbritannien entschlossen sei, Polen als dem erkennbar nächsten Opfer der deutschen Eroberungspolitik militärisch gegen einen Angriff beizustehen, was am 6. April 1939 zu einem förmlichen polnisch-britischen Beistandsversprechen führte. Ähnlich äußerte sich der französische Ministerpräsident Daladier. Trotz alledem befahl Hitler am 11. April der Wehrmacht in einer geheimen Weisung, den Krieg gegen Polen vorzubereiten. Ende Mai legte er vor der Wehrmachtsführung seine Kriegsziele offen: "Es handelt sich für uns um Arrondierung des Lebensraumes im Osten und die Sicherstellung der Ernährung“; da es keinen Grund mehr gebe, Polen zu schonen, gelte es nun, "bei erster passender Gelegenheit Polen anzugreifen.“

Eine Schlüsselrolle in dieser Situation wuchs nun der Sowjetunion zu, um deren Unterstützung sich sowohl die Westmächte als auch die NS-Führung bemühten. Stalin hatte in einer Rede im März 1939 zu erkennen gegeben, dass er sich nicht in einen Krieg mit Deutschland hineinziehen lassen wolle, dem dann die Westmächte womöglich nur zuschauen würden, statt ihre Bündnisverpflichtungen zu erfüllen. Für die NS-Führung wiederum war eine Annäherung an den bolschewistischen Feind nicht bloß ideologisch schwierig. Eine solche Politik stellte auch die Bündnisgrundlagen des Antikominternpaktes mit Japan und Italien in Frage. Dementsprechend bewegten sich die sowjetische wie die deutsche Seite sehr vorsichtig, aber deshalb nicht minder beharrlich aufeinander zu, zumal beide Seiten auf die Erfahrungen der geheimen militärischen Zusammenarbeit zwischen Reichswehr und Roter Armee während der Weimarer Republik zurückgreifen konnten.

Da die Zeit drängte, wenn es 1939 noch zu einem Angriff auf Polen kommen sollte, forcierte die deutsche Seite das Tempo der geheimen Verhandlungen und bot schließlich an, dass Außenminister Ribbentrop persönlich nach Moskau kommen könne, um mit uneingeschränkter Vollmacht Hitlers den Vertrag unter Dach und Fach zu bringen. Am 22. August traf Ribbentrop in Moskau ein, und noch in der Nacht wurde der Nichtangriffspakt unterzeichnet, der in einem geheimen Zusatzprotokoll die Zerschlagung Polens und die Aufteilung des Landes zwischen Deutschland und der Sowjetunion vorsah. Nach den polnischen Teilungen Ende des 18. Jahrhunderts wurde Polen, das 1919 endlich seine staatliche Unabhängigkeit errungen hatte, nun erneut von seinen Nachbarländern einverleibt. Der 23. August 1939 markiert daher ein besonderes Datum: die gemeinsame Aufteilung, Ausbeutung und Unterdrückung Europas durch das nationalsozialistische Deutschland und die stalinistische Sowjetunion.

Während Außenminister Ribbentrop in Moskau den Weg zum Krieg freimachte, erläuterte Hitler den Befehlshabern der Wehrmacht in seinem Wohnsitz auf dem Obersalzberg seine Vorstellungen über den bevorstehenden Krieg gegen Polen: "Herz verschließen gegen Mitleid“, notierte ein Teilnehmer Stichworte aus Hitlers Rede. "Brutales Vorgehen. 80 Mill. Menschen müssen ihr Recht bekommen. Ihre Existenz muß gesichert werden. Der Stärkere hat das Recht. Größte Härte.“

Großbritannien warnte Deutschland unmittelbar nach Bekanntwerden des deutsch-sowjetischen Paktes davor zu glauben, dass sich die Haltung Londons bezüglich seines Beistandsversprechens gegenüber Polen verändert habe. Hitler zeigte sich unbeeindruckt und befahl den Angriff auf Polen für den 26. August. Als am 25. August ein Brief Mussolinis eintraf, dass Italien sich nicht vor 1942 imstande sehe, an der Seite Deutschlands in einen Krieg zu ziehen, machte Hitler zunächst eine Kehrtwendung und widerrief den Angriffsbefehl. Doch dann entschloss er sich endgültig zum Krieg: In den Morgenstunden des 1. September marschierte die Wehrmacht in Polen ein. Zwei Tage später, am 3. September, erklärten Großbritannien und Frankreich dem Deutschen Reich den Krieg.

Anders als im Juli 1914 war die Stimmung in der deutschen Bevölkerung dieses Mal gedrückt. Der amerikanische Korrespondent William L. Shirer, der schon in den Wochen zuvor die Kriegsfurcht in der deutschen Bevölkerung beobachtet hatte, befand sich am 3. September auf dem Wilhelmplatz in Berlin, als die Lautsprecher verkündeten, dass England Deutschland den Krieg erklärt habe. Die Menschen hörten gespannt zu, notierte Shirer; "nach Beendigung der Durchsage gab es nicht einmal ein Murmeln. Sie standen unverändert dort. Betäubt. Die Leute können es noch nicht fassen, dass Hitler sie in einen Weltkrieg geführt hat.“

QuellentextDeutsch-sowjetischer Nichtangriffspakt vom 23. August 1939

Die Deutsche Reichsregierung und die Regierung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken,
geleitet von dem Wunsche, die Sache des Friedens zwischen Deutschland und der UdSSR zu festigen, und ausgehend von den grundlegenden Bestimmungen des Neutralitätsvertrages, der im April 1926 zwischen Deutschland und der UdSSR geschlossen wurde, sind zu nachstehender Vereinbarung gelangt:

Artikel I.

Die beiden Vertragschließenden Teile verpflichten sich, sich jeden Gewaltakts, jeder aggressiven Handlung und jedes Angriffs gegen einander, und zwar sowohl einzeln als auch gemeinsam mit anderen Mächten, zu enthalten.

Artikel II.

Falls einer der Vertragschließenden Teile Gegenstand kriegerischer Handlungen seitens einer dritten Macht werden sollte, wird der andere Vertragschließende Teil in keiner Form diese dritte Macht unterstützen. [...]

Artikel VI.

Der gegenwärtige Vertrag wird auf die Dauer von zehn Jahren abgeschlossen mit der Maßgabe, dass, soweit nicht einer der Vertragschließenden Teile ihn ein Jahr vor Ablauf dieser Frist kündigt, die Dauer der Wirksamkeit dieses Vertrages automatisch für weitere fünf Jahre als verlängert gilt.

Artikel VII.

[...] Der Vertrag tritt sofort mit seiner Unterzeichnung in Kraft. […]

Moskau am 23. August 1939.

Für die Deutsche Reichsregierung: von Ribbentrop
In Vollmacht der Regierung der UdSSR: W. Molotow

Geheimes Zusatzprotokoll

Aus Anlass der Unterzeichnung des Nichtangriffsvertrages zwischen dem Deutschen Reich und der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken haben die unterzeichneten Bevollmächtigten der beiden Teile in streng vertraulicher Aussprache die Frage der Abgrenzung der beiderseitigen Interessenssphären in Osteuropa erörtert. Diese Aussprache hat zu folgendem Ergebnis geführt:

  1. Für den Fall einer territorial-politischen Umgestaltung in den zu den baltischen Staaten (Finnland, Estland, Lettland, Litauen) gehörenden Gebieten bildet die nördliche Grenze Litauens zugleich die Grenze der Interessenssphären Deutschlands und der UdSSR. Hierbei wird das Interesse Litauens am Wilnaer Gebiet beiderseits anerkannt.

  2. Für den Fall einer territorial-politischen Umgestaltung der zum polnischen Staate gehörenden Gebiete werden die Interessenssphären Deutschlands und der UdSSR ungefähr durch die Linie der Flüsse Narew, Weichsel und San abgegrenzt.
    Die Frage, ob die beiderseitigen Interessen die Erhaltung eines unabhängigen polnischen Staates erwünscht erscheinen lassen und wie dieser Staat abzugrenzen wäre, kann endgültig erst im Laufe der weiteren politischen Entwicklung geklärt werden.
    In jedem Falle werden beide Regierungen diese Frage im Wege einer freundschaftlichen Verständigung lösen.

  3. Hinsichtlich des Südostens Europas wird von sowjetischer Seite das Interesse an Bessarabien betont. Von deutscher Seite wird das völlige politische Desinteressement an diesen Gebieten erklärt.

  4. Dieses Protokoll wird von beiden Seiten streng geheim behandelt werden.

Moskau, den 23. August 1939.

Für die Deutsche Reichsregierung: von Ribbentrop
In Vollmacht der Regierung der UdSSR:W. Molotow

Externer Link: http://www.dhm.de/sammlungen/zendok/hitler-stalin-pakt/Vertrag.html bzw. Externer Link: http://www.dhm.de/sammlungen/zendok/hitler-stalin-pakt/Zupro.html
(zuletzt abgerufen: 25.10.2012)

Verträge und Vertragsbrüche in der NS-Außenpolitik 1933-1939 (Die Verwendung dieser Grafik ist honorarpflichtig)

QuellentextDas erste Ziel in Polen

[...] Am 31. August [...] ist alles bereit. Im Gefechtsquartier der 4. Luftflotte in Schloss Schönwald östlich der schlesischen Kreisstadt Rosenberg herrscht besonders angespannte Hektik. Denn hier hatte der Fliegerführer zur besonderen Verfügung, Generalmajor Wolfram Freiherr von Richthofen, schon vor fünf Tagen von seinem Chef, dem Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Hermann Göring, einen Einsatzbefehl erhalten. „Ostmarkflug 26. August, 4.30 Uhr“, hatte der Funkspruch aus Berlin gelautet, der einige Stunden später widerrufen worden war. Jetzt, in der Nacht zum 1. September, soll der Angriff auf Polen definitiv erfolgen.
[...] Der Fliegerführer bestellt die Kommandanten seines Stuka-Geschwaders 76 sowie des Geschwaders 2 Immelmann zum Befehlsempfang ein. Als Angriffsziel nennt er ihnen den Namen eines polnischen Städtchens, 100 Kilometer östlich von Breslau gelegen, nicht weit hinter der Grenze: Wielun. [...]
16 000 Einwohner zählt das Städtchen, die meisten sind Bauern und kleine Kaufleute. Am 31. August 1939 hat es zwar einen Fliegeralarm gegeben, doch dann heißt es, das sei nur Probe gewesen, niemand müsse sich sorgen. Warum sollen die Deutschen auch ausgerechnet Wielun angreifen? Hier gibt es keinen wichtigen Eisenbahnknotenpunkt und, bis auf die kleine Zuckerfabrik am Rande der Stadt, auch keine Industrie. Das Militär ist längst abgezogen; ein Kavallerie-Regiment wurde bereits im Frühsommer zur Grenzverteidigung an die Warthe verlegt. Die Stadt ist unbefestigt, wehrlos, ohne Flak und ohne Bunker.
Auf dem Militärflughafen von NiederEllguth am Steinberg nordöstlich von Oppeln bereitet man indes den Einsatz vor. Zwar behindert in der Nacht leichter Bodennebel die Sicht, doch für Hauptmann Walter Sigel ist das kein Grund, sich lange aufhalten zu lassen. Er hat als Erster den Einsatzbefehl gegen Wielun erhalten. [...]
Der Flug dauert kaum 20 Minuten. Der Kampfauftrag lautet: Vernichtung des westlichen Teils von Wielun. Gegen 4.35 Uhr stürzen sich Sigels Stukas mit dem infernalischen Sirenengeheul der so genannten Jericho-Trompeten auf die schlafende Stadt. Die ersten Bomben fallen um 4.40 Uhr. Insgesamt werfen Sigels Flugzeuge bei diesem ersten Einsatz 29 500-Kilo-Sprengbomben und 112 50-Kilo-Bomben ab. „Ziel vernichtet, Brände beobachtet“, vermerkt der Hauptmann in seinem Einsatzbericht, nachdem er ohne Verluste kurz nach 5 Uhr wieder auf der Asphalt-Rollbahn in Nieder-Ellguth gelandet ist. Und unter der Rubrik Feststellung und Beobachtung zur Lage am Ziel, auf An- und Rückmarsch notiert er: „Keine besondere Feindbeobachtung.“
Der Bombenhagel bringt Tod und Zerstörung. Die ersten Bomben haben das Allerheiligen-Hospital getroffen, obwohl das Krankenhaus auf dem Dach mit einem roten Kreuz gekennzeichnet ist. „Ich war sehr früh zu Bett gegangen und bin dann sehr früh am anderen Morgen vom Dröhnen der Flugzeuge wach geworden“, berichtet später der Arzt Zygmunt Patryn. „Plötzlich gab es eine Explosion auf dem Krankenhausgelände. Fensterscheiben klirrten und fielen auf mein Bett. Ich sprang auf, griff meine Kleidung und rannte ins Freie. In diesem Moment stürzte das Haus hinter mir zusammen. Überall lagen Trümmer, und unter den Trümmern hörten wir Stöhnen. Dreimal bombardierten die Flugzeuge das Krankenhaus. Eine Bombe riss im Garten einen so gewaltigen Krater, dass ein halbes Haus hineingepasst hätte. Zwei Ordensschwestern, 4 Krankenschwestern und 26 Patienten sind bei dem Angriff getötet worden.“
Kurz darauf greift die Luftwaffe zum zweiten Mal an, diesmal soll der östliche Teil der Stadt zerstört werden. Der dritte und letzte Einsatz, bei dem wieder 29 Maschinen über die Stadt fliegen, wird von Major Oskar Dinort vom Stuka-Geschwader 2 Immelmann befehligt. Aus über 2000 Meter Höhe stürzt sich die gesamte Staffel steil auf das Ziel. Erst nachdem sie auf 800 Meter gefallen sind, lösen sie die Bomben aus. Die schwerste wirft Dinort selbst. „Direkt auf den Marktplatz!“, jubelt er später in einer NS-Publikation mit dem Titel „Die Höllenvögel“ .
Die Menschen in Wielun können noch gar nicht begreifen, was mit ihnen geschieht. Der Mechaniker Józef Musia ist acht Jahre alt, als die Bomben fallen. Mit seiner Schwester hat er das Bombardement vom Stadtrand aus beobachtet: „Es waren große graue Flugzeuge mit schwarzen Kreuzen […] Viele Menschen rannten aus der Stadt. Nach dem Angriff sind wir ins Zentrum gegangen, um zu sehen, was dort passiert ist. Es war sehr zerstört […] Überall lagen Leichen und abgerissene Körperteile: Arme, Beine. Ein Kopf.“
Die grausame Bilanz: Insgesamt 380 Bomben mit einer Sprengkraft von zusammen 46 000 Kilogramm, die in drei Angriffswellen von jeweils 29 Stukas des Typs JU 87 B abgeworfen wurden, töteten 1200 Menschen. Die Stadt ist zu 70 Prozent zerstört, der enge Stadtkern durch Brände sogar zu 90 Prozent.
[...] Wielun war der schreckliche Auftakt, die Zerstörung Warschaus sollte folgen. Die ersten Bomben fallen am 1. September noch auf militärische Einrichtungen. Am 9. September folgt die Attacke gegen das Zentrum der polnischen Hauptstadt. Wie vorher in Wielun greifen wieder Stuka-Geschwader an. Warschau, bald von deutschen Truppen eingeschlossen, leistet Widerstand. Doch längst sind die Vorbereitungen für den Großangriff vorbereitet, Code-Wort: „Wasserkante“ – das erste Flächenbombardement einer Großstadt in der Geschichte des Luftkriegs. Drei Tage lang wird Warschau gnadenlos attackiert, der schwerste Angriff auf die Innenstadt erfolgt am 25. September, die letzte Bombe fällt am frühen Nachmittag des 27. Septembers. Danach kapituliert die Stadt.
Während des dreitägigen Bombardements warf die Luftwaffe 560 Tonnen Sprengstoff und 72 Tonnen Brandbomben ab. Über 400 Flugzeuge flogen knapp 1200 Einsätze, Stukas und Bomber vom Typ DO 17. Da die schnellen Stukas keine Brandbomben abwerfen konnten, wurden zusätzlich langsame Transportmaschinen vom Typ JU 52 eingesetzt. Vor allem die neu entwickelte Bombe B 1 Fe erzielte, auf Wohnblocks abgeworfen, eine verheerende Wirkung. Die Brandwolke über der Millionenstadt soll in diesen Tagen auf drei Kilometer Höhe gestiegen sein, bevor sie entlang der Weichsel gen Norden zog. Nach den ersten schweren Luftangriffen hatte Warschau 10 000 Tote zu beklagen, insgesamt wurden in wenigen Tagen 20 000 Menschen durch Bomben und Artilleriebeschuss getötet und 50 000 verletzt. [...]

Joachim Trenkner, „Ziel vernichtet“, in: Die Zeit vom 1. September 2009

Michael Wildt ist gelernter Buchhändler und arbeitete von 1976 bis 1979 im Rowohlt-Verlag. Anschließend studierte er von 1979 bis 1985 Geschichte, Soziologie, Kulturwissenschaften und Theologie an der Universität Hamburg. 1991 schloss er seine Promotion zum Thema „Auf dem Weg in die ‚Konsumgesellschaft‘. Studien über Konsum und Essen in Westdeutschland 1949-1963“ ab und war anschließend Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg. Von 1997 bis 2009 arbeitete er als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hamburger Institut für Sozialforschung und habilitierte 2001 mit einer Studie über das Führungskorps des Reichssicherheitshauptamtes. Seit 2009 ist er Professor für Deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert mit Schwerpunkt in der Zeit des Nationalsozialismus an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Seine Forschungsschwerpunkte sind Nationalsozialismus, Holocaust, Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts und soziale wie politische Ordnungsvorstellungen in der Moderne.

Kontakt: E-Mail Link: michael.wildt@geschichte.hu-berlin.de

Peter Krumeich, Mitarbeiter am Lehrstuhl von Professor Wildt, hat an der inhaltlichen Entwicklung des Heftes mitgewirkt und insbesondere in Abstimmung mit der Redaktion die Bildrecherche für dieses Heft übernommen.