Einleitung
Etwa 8,5 Millionen Deutsche waren Mitglieder der NSDAP gewesen. Sie bildeten den Kern von Hitlers Parteigängern und mussten, so hatten es die Alliierten noch während des Krieges beschlossen und in Potsdam 1945 bekräftigt, der politischen Säuberung in Gestalt der "Entnazifizierung" unterworfen werden. Damit wurde, noch ehe der Kontrollrat die Ausführungsbestimmungen für ein einheitliches Vorgehen in allen vier Besatzungszonen erließ, überall im Frühjahr 1945 begonnen.
Deutsche beteiligten sich dabei. Antifaschistische Komitees entstanden in ganz Deutschland während des Zusammenbruchs der NS-Herrschaft; es waren vor allem Männer der Arbeiterbewegung, die sich zur kollektiven Selbsthilfe und mit dem Ziel, Schuldige der Gerechtigkeit zu überantworten, zusammenfanden. Die Antifa-Leute hinderten führende Nazis am Untertauchen, manchmal mussten sie ehemalige Parteigrößen auch vor der Lynchjustiz der Bevölkerung schützen. Die Alliierten waren an der Mithilfe deutscher Antifaschisten bei der politischen Säuberung freilich nicht interessiert, dazu war ihr Misstrauen gegen alle Deutschen zu groß. Die Antifa-Bewegung wurde im Frühsommer 1945 verboten, in der sowjetischen Zone ebenso wie in der amerikanischen.
Maßnahmen gegen Nationalsozialisten
Der Alliierte Kontrollrat in Berlin erließ im Januar 1946 eine erste Entnazifizierungsdirektive und im Oktober 1946 wurden Richtlinien veröffentlicht, wie aktive Nationalsozialisten, Helfer und Nutznießer des NS-Regimes behandelt werden sollten. Zur Durchführung der Potsdamer Grundsätze wurden nach dieser Direktive zwecks "gerechter Beurteilung der Verantwortlichkeit" und zur "Heranziehung zu Sühnemaßnahmen" fünf Gruppen gebildet: "1. Hauptschuldige, 2. Belastete (Aktivisten, Militaristen und Nutznießer), 3. Minderbelastete (Bewährungsgruppe), 4. Mitläufer" und "5. Entlastete (Personen der vorstehenden Gruppen, welche vor einer Spruchkammer nachweisen können, dass sie nicht schuldig sind)".
Die Entnazifizierungsprozedur, die der Kontrollrat damit in gleichförmige Bahnen lenken wollte, war freilich längst im Gang, und zwar in den einzelnen Besatzungszonen auf unterschiedliche Weise. Durch ihren moralischen und zugleich bürokratischen Rigorismus taten sich die Amerikaner hervor, in der britischen Zone wurde die Säuberung weniger streng gehandhabt, in der französischen Zone gab es regionale Unterschiede und diverse Kurswechsel der Besatzungsmacht. In den beiden letztgenannten Zonen wurde der Säuberungsprozess mehr als pragmatische Angelegenheit betrachtet, bei der das Schwergewicht darauf lag, die Eliten auszuwechseln. In der britischen und der französischen Zone neigte man bei der anzuwendenden Methode mehr politischen und administrativen als justizförmigen Prozeduren zu, passte sich aber dann den amerikanischen Vorstellungen an, die auch in der Kontrollratsdirektive Nr. 38 vom Oktober 1946 dominierten.
Politische Säuberung in der SBZ
In der sowjetischen Besatzungszone wurde die Entnazifizierung am konsequentesten durchgeführt und am schnellsten abgeschlossen. Die Entnazifizierung erfolgte hier im Zusammenhang mit der "antifaschistisch-demokratischen Umwälzung". Die Entfernung der ehemaligen NSDAP-Mitglieder aus allen wichtigen Stellungen war Bestandteil dieser politischen und sozialen Neustrukturierung, die unter dem Schlagwort "Auseinandersetzung zwischen der Arbeiterklasse und der Monopolbourgeoisie" die SED als bestimmende Kraft durchsetzen sollte.
Ende Oktober 1946 standen in der sowjetischen Zone eigene "Richtlinien für die Bestrafung der Naziverbrecher und die Sühnemaßnahmen gegen die aktivistischen Nazis" zur Verfügung. Sie waren von einem gemeinsamen Ausschuss der im "Demokratischen Block" unter Dominanz der SED zusammengefassten Parteien verfasst worden. Der Katalog der Sühnemaßnahmen beinhaltete: "1. Entlassung aus öffentlichen Verwaltungsämtern und Ausschluss von Tätigkeiten, die öffentliches Vertrauen erfordern; 2. zusätzliche Arbeits-, Sach- und Geldleistungen; 3. Kürzung der Versorgungsbezüge und Einschränkung bei der allgemeinen Versorgung, solange Mangel besteht; 4. Nichtgewährung der politischen Rechte einschließlich des Rechts auf Mitgliedschaft in Gewerkschafts- oder anderen Berufsvertretungen und in den antifaschistisch-demokratischen Parteien."
Aber wie in den Westzonen wurde auch in der Ostzone bei der Entnazifizierung Rücksicht genommen auf Fachleute wie Techniker, Spezialisten und Experten, die für das Funktionieren bestimmter Einrichtungen oder für den Wiederaufbau unentbehrlich waren. Ende 1946 waren in der sowjetischen Besatzungszone trotzdem insgesamt 390478 ehemalige NSDAP-Mitglieder entlassen bzw. nicht wieder eingestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt wurde das Säuberungsverfahren neu organisiert.
Speziallager
Unter direkter Regie des sowjetischen Geheimdienstes waren in der sowjetischen Besatzungszone Internierungslager eingerichtet worden, in denen - wie in den Westzonen - ehemalige Nazis arretiert waren, um sie zur Rechenschaft ziehen zu können. Die Speziallager unterschieden sich freilich in einem Punkt grundlegend von den Internierungslagern der Westzonen: Sie dienten neben der Inhaftierung von Nationalsozialisten auch dazu, Gegner der gesellschaftlichen Umwälzung (Sozialdemokraten, Liberale und Konservative) aus dem Verkehr zu ziehen und mundtot zu machen. Schlechte Behandlung war ebenso charakteristisch wie die Willkür, mit der man inhaftiert wurde. Das ehemalige KZ Buchenwald war das Speziallager Nr. 2, Sachsenhausen diente ab August 1945 als Speziallager Nr. 7 und war bis 1950 die größte Haftstätte der SBZ/DDR. Etwa 50 000 Menschen waren im Laufe der fünf Jahre in diesen Lagern inhaftiert, etwa 12 000 sind ums Leben gekommen und wurden in Massengräbern beerdigt. Die Vorgänge waren bis zum Ende der DDR tabuisiert.
QuellentextVerfolgung Oppositioneller
Unter 1565 Verurteilten sowjetischer Instanzen, die 1960 befragt wurden (Fragebogenaktion Karl-Wilhelm Frickes im Zusammenwirken mit der Vereinigung der Opfer des Stalinismus unter ehemaligen politischen Häftlingen, die zwischen 1945 und 1960 in der SBZ/DDR in Haft waren - Anm. d. Red.), befanden sich 187 - 18,3 Prozent, die vor ihrer Inhaftierung in einer der nach 1945 wiedererstandenen und neu gegründeten Parteien organisiert waren. Nach Parteien aufgeschlüsselt, entfielen davon auf die SED = 43,1 Prozent, auf die LDP = 33,7 Prozent, auf die CDU = 22,9 Prozent und auf die NDPD = 1,3 Prozent. Mitglieder der DBD wurden nicht registriert. Der hohe Anteil von Mitgliedern der SED geht auf ehemalige Sozialdemokraten zurück, die infolge der Zwangsfusion von KPD und SPD im Frühjahr 1946 Mitglieder der SED geworden waren und im Ergebnis der Befragung als solche erscheinen. [...]
Mit dem Zwang zur Gründung der SED waren sie als erste politische Gruppierung herausgefordert und in die Opposition gedrängt worden. Zum anderen besaßen sie vor der Vereinigung mit den Kommunisten fest gefügte Parteiorganisationen. [...]
Selbstverständlich informierten die mitteldeutschen Sozialdemokraten [...] das Ostbüro der SPD (seit April 1946 in Hannover, später in Bonn und West-Berlin - Anm. d. Red.) auch laufend über wichtige Vorgänge aus der SBZ/DDR - was ihnen allzu bald den Vorwurf der Spionage eintrug und ihre Verfolgung provozierte. [...]
Die Verfolgung oppositioneller Sozialdemokraten in der SBZ/DDR hatte schon 1946 begonnen, bald nach der Verschmelzung von KPD und SPD, aber sie erreichte ihre größte Intensität erst in den Jahren 1947/49, als die Kommunisten ihren monopolistischen Herrschaftsanspruch in der "geeinten" Partei mit rücksichtsloser Gewalt durchsetzten und die SED zur stalinistischen Kaderpartei umschmolzen. Laut einem Brief des "Freundeskreises ehemaliger politischer Häftlinge aus den Reihen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands" vom 31. März 1971 an das Zentralkomitee der SED, waren es "mehr als fünftausend Mitglieder und Funktionäre der deutschen Arbeiterbewegung", die "lange Jahre in menschenunwürdiger Haft ihrer Freiheit beraubt" wurden. "Über vierhundert von ihnen sind dabei umgekommen." Daßehemalige Sozialdemokraten in ihrer Mehrheit von sowjetischen Militärtribunalen statt von deutschen Gerichten verurteilt wurden, war nicht ohne Überlegung geschehen. Die SED schien so frei vonjeglicher Verantwortung dafür, obwohl ihr Zusammenspiel mit der "sozialistischen Besatzungsmacht" geschichtsnotorisch ist.
Karl Wilhelm Fricke, Politik und Justiz in der DDR, Köln 1979, S. 117, 120.
Vertreter der Parteien, der Gewerkschaften, der Vereinigung der Verfolgten des NS-Regimes, der Frauen- und Jugendausschüsse sowie der Industrie- und Handelskammern gehörten den Entnazifizierungskommissionen an. Die Arbeit vor Ort wurde von Kreiskommissionen unter dem Vorsitz der Oberbürgermeister bzw. Landräte getan. Die Kommissionen entschieden nur über Entlassung oder Weiterbeschäftigung. Sie arbeiteten sich von oben nach unten durch die Behörden und mussten unter ziemlichem Zeitdruck auch die zunächst erlaubten Fälle von Weiterbeschäftigung wieder aufrollen. Schwierigkeiten bereitete besonders der Austausch der Fachleute. So beschwor eine Entnazifizierungskommission auf Landesebene die nachgeordneten Instanzen: Es sei "heilige Pflicht, alle faschistischen Personen durch antifaschistische Kräfte zu ersetzen und keinerlei Rücksichten auf jene Elemente zu nehmen, die glauben, als unersetzbare ,Fachkraft? im trüben fischen zu können".
Rehabilitierung
Allmählich wurde aber auch der Gedanke der Rehabilitierung propagiert. Ab Februar 1947 wurde stärker zwischen nominellen NSDAP-Mitgliedern und Aktivisten unterschieden. Die erste Gruppe sollte so schnell wie möglich integriert werden, weil man sie zum Wiederaufbau brauchte. Die letzte Phase der Entnazifizierung wurde im August 1947 durch den Befehl Nr. 201 der Sowjetischen Militäradministration eingeleitet. Er stellte endgültig die Weichen zur Rehabilitierung aller nominellen NSDAP-Mitglieder. Das Ziel war die baldige Beendigung des Säuberungsprozesses. Der SMAD-Befehl gab den Mitläufern das Wahlrecht ganz und die übrigen bürgerlichen Rechte weitgehend zurück. Den deutschen Gerichten wurde gleichzeitig mit der Auflösung der meisten Entnazifizierungskommissionen die Aburteilung der NS- und Kriegsverbrecher übertragen. Bis zum März 1948 waren seit Beginn der Entnazifizierung in der Sowjetzone insgesamt 520 734 Personen aus ihren Ämtern und Funktionen entlassen bzw. nicht wieder eingestellt worden. Das war die rechnerische Schlussbilanz der politischen Säuberung in der sowjetischen Besatzungszone, als sie durch Befehl der Militärregierung im Frühjahr 1948 abgeschlossen wurde.
Zur Entnazifizierungspraxis in der amerikanischen Zone gab es Parallelen in Gestalt der gemeinsamen Intentionen bei der Säuberungs- bzw. Rehabilitierungsprozedur. Es gab aber auch einen ganz erheblichen Qualitätsunterschied. In der Ostzone lag nicht nur das Schwergewicht auf der Räumung von Positionen im öffentlichen Dienst (und selbstverständlich bei Schlüsselpositionen in Industrie und Wirtschaft), sondern in zwei Bereichen waren die Entlassungen definitiv und irreversibel, nämlich in der Inneren Verwaltung und in der Justiz.
Aus dem Justizapparat mussten auf Befehl der SMAD vom September 1945 sämtliche NSDAP-Mitglieder entfernt werden. Da etwa 90 Prozent des Justizpersonals in der Partei gewesen war, hatte der SMAD-Befehl revolutionären Charakter. Von den 16 300 Bediensteten der Justiz im Gebiet der ganzen Zone waren am Stichtag 8. Mai 1945 13 800 Beamte und Angestellte sowie 2467 Richter und Staatsanwälte in der NSDAP und ihren Gliederungen organisiert gewesen. Um das entstandene Vakuum wieder zu füllen, wurde ab 1946 in jedem der fünf Länder der sowjetischen Besatzungszone eine Volksrichterschule etabliert. In sechs- bis neunmonatigen Lehrgängen genossen jeweils 30 bis 40 Kandidaten, die von den politischen Parteien und Organisationen vorgeschlagen wurden, eine Ausbildung zu Volksrichtern. Die Erfolgsquote war zunächst recht gering, da fast die Hälfte der Kandidaten ungeeignet war und die Abschlussprüfung nicht bestand. Später wurde die Ausbildung um ein Jahr verlängert.
Entnazifizierung in der US-Zone
Die Amerikaner hatten das Problem der politischen Säuberung in ihrer Zone mit denkbar größtem Elan angepackt, um alle ehemaligen Nazis aus dem öffentlichen Leben und der Wirtschaft zu entfernen. Zur Ermittlung dieses Personenkreises diente der berühmt gewordene Fragebogen. Auf 131 Fragen wurde wahrheitsgetreue Antwort verlangt, Auslassung und Unvollständigkeit waren als Delikt gegen die Militärregierung mit Strafe bedroht. Das Kernstück des sechsseitigen Fragebogens bildeten die Positionen 41 bis 95, bei denen detaillierte Auskunft über die Mitgliedschaft in allen nationalsozialistischen Organisationen gefordert war. Anfang Dezember 1945 waren bei den Dienststellen der amerikanischen Militärregierung ungefähr 90 0000 Fragebogen eingegangen. 140 000 Personen wurden sofort aus ihren Positionen entlassen. Fast ebenso viele wurden als minder gefährliche Nazi-Sympathisanten eingestuft.
Die Durchführung der Entnazifizierung lag in der US-Zone bis zum Frühjahr 1946 in der Zuständigkeit der Militärregierung. Zunächst beschränkte sich die Säuberung freilich darauf, die Fragebogen zu überprüfen. Die am höchsten belasteten Nationalsozialisten fielen in die Kategorie "Automatischer Arrest", dann kamen die NS-Aktivisten, die aus ihren Stellungen entlassen werden mussten, nach ihnen die harmloseren Fälle, deren "Entlassung empfohlen" wurde, und schließlich die Mitläufer, die ihre Stellungen behalten durften.
Die ständige Erweiterung des Säuberungsprogramms über die eigentlichen Führungspositionen hinaus schuf beträchtliche Probleme: Einerseits entstand Personalmangel in der Verwaltung wegen der zahlreichen Entlassungen - im Frühjahr 1946 waren es 300 000 -, auf der anderen Seite bedeutete die Einrichtung von Internierungslagern, in denen rund 120 000 Personen der Kategorie "automatischer Arrest" inhaftiert waren, eine Belastung für den Demokratisierungsanspruch der amerikanischen Besatzungsmacht. Die in den elf Lagern der US-Zone auf ihre Entnazifizierung Wartenden sahen kaum den Zweck ihrer Festsetzung ein, und die ebenso schleppende wie unsystematische Prozedur ihrer Überprüfung ließ für die Betroffenen auch keinen rechten Sinn erkennen. Denn nach der Aussonderung der Inhaber hoher Ränge in der NS-Hierarchie und der mutmaßlichen Straftäter blieben die mittleren Ränge der SS und der SA, die mittleren Funktionäre der NSDAP, die Apparatschiks vom Ortsgruppen-Amtsleiter bis zum Gau-Amtsleiter übrig, und die brauchten sich kaum schuldiger zu fühlen als die meisten anderen, denen bis zu drei Jahre Internierungslager erspart blieben.
QuellentextEntnazifizierung
Aus einem Brief von Walter Dorn (1894 -1961, US-Historiker und Berater der US-Militärregierung in Deutschland 1945 -1949 - Anm. d. Red.) an General Clay über den Mißerfolg der Entnazifizierung, 11. Mai 1949
1. Wenn die Entnazifizierung in ganz Deutschland wirksam werden sollte, hätte sie in allen vier Zonen einheitlich durchgeführt werden müssen. Als diese Einheitlichkeit unwiederbringlich verloren war, büßte die Entnazifizierung viel von ihrer Bedeutung bei der deutschen Bevölkerung ein. Es genügte ja nicht, ein früheres Parteimitglied in der einen Zone als Belasteten zu verurteilen, wenn es in einer anderen ein hohes öffentliches Amt bekleiden konnte. [...]
2. Zu keiner Zeit hat sich beweisen lassen, daß die Entnazifizierung das Haupt- oder überhaupt ein ernsthaftes Hindernis wirtschaftlichen Wiederaufschwungs war, wie das so viele amerikanische Businessmen und leider auch einige Mitglieder Ihres Stabes glaubten. [...] Als General Patton auf Befehl General Eisenhowers am 29. 9. 1945 die führenden 17 aktiven Nazis im Bayerischen Landwirtschaftsministerium entließ, arbeitete dieses wirksamer als zuvor, was anhand der Erfassung der landwirtschaftlichen Produktion bewiesen werden kann. [...]
3. Das Befreiungsgesetz war, trotz seiner Vorzüge und des erhabenen Idealismus, der auf amerikanischer wie auf deutscher Seite hinter ihm stand, keine ganz befriedigende Regelung. Es führte als neues Konzept den Strafgedanken in das Entnazifizierungsverfahren ein. Deshalb war es ein Fehler, die Kontrollratsdirektive Nr. 24, die der Entlassung und Disqualifizierung [für die Bekleidung öffentlicher Ämter] dienen sollte, zum integrierenden Bestandteil des Gesetzes zu machen. [...] Diese Kritikpunkte, die sich aus der Erfahrung derjenigen ergaben, die das Gesetz durchführen sollten, wurden in der Folge bei den Änderungen des Befreiungsgesetzes berücksichtigt, die im Herbst 1947 und Frühjahr 1948 vorgenommen wurden. Zwar wurde das Gesetz durch die Änderungen für die Deutschen eher annehmbar, zugleich aber auch stumpf.
[...] Meines Erachtens gibt es [heute] allgemeine Übereinstimmung darüber, daß wir mehr Erfolg gehabt hätten, wenn die Militärregierung willkürlich die Zahl von 100 000 [der schwersten Fälle] bestimmt, das Beweismaterial gegen diese zusammengetragen und den Deutschen zur Aburteilung vorgelegt hätte.
Klaus-Jörg Ruhl (Hg.), Neubeginn und Restauration. Dokumente zur Vorgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945 -1949, München 1982, S. 290 ff.
Kurswechsel
Im Frühjahr 1946 wurde für die Länder der US-Zone ein "Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus" verabschiedet. Es bildete fortan die Rechtsgrundlage der Säuberung, die damit in deutsche Hände gelegt war. Das Befreiungsgesetz war formal in den Rahmen der Kontrollratsdirektiven eingepasst und suchte den Kompromiss zwischen dem Diskriminierungs- und Strafgedanken und der als notwendig empfundenen Rehabilitierung; wie in den anderen Zonen setzte sich die Idee der Rehabilitierung dann nachhaltiger durch. Infolge des größeren Rigorismus, mit dem in der US-Zone das Problem anfänglich in Angriff genommen worden war, erschien die zunehmend betriebene Umwidmung von Schuldigen in Unschuldige - die Entlastung ursprünglich schwer Beschuldigter zu "Mitläufern" - als eklatanter Fehlschlag des ganzen Unternehmens.
Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, die sich in der amerikanischen Zone im Laufe der Entnazifizierung ergab, war allerdings gewaltig. Dreizehn Millionen Menschen vom vollendeten 18. Lebensjahr an hatten ihre Fragebogen ausgefüllt, knapp ein Drittel der Bevölkerung war vom Befreiungsgesetz betroffen. Etwa zehn Prozent wurden dann schließlich verurteilt. Und tatsächliche Strafen oder Nachteile von Dauer erlitt weniger als ein Prozent der zu Entnazifizierenden überhaupt. Die Prozedur der Entnazifizierung in der amerikanischen Zone, die mit einer gewissen Zeitverzögerung auch in den beiden anderen Westzonen angewendet wurde, erfolgte vor Spruchkammern.
Die Spruchkammern, deren es insgesamt über 545 in der US-Zone gab, waren Laiengerichte mit öffentlichen Klägern. Oberste deutsche Instanz waren die Befreiungsministerien der Länder Bayern, Württemberg-Baden, Hessen und Bremen, beaufsichtigt wurde die Entnazifizierung von der amerikanischen Militärregierung. Jeder Fall war individuell zu würdigen. Ein bisschen Entlastung brachte die Jugendamnestie vom August 1946, die ab Jahrgang 1919 galt, und die Weihnachtsamnestie von 1946, die Kriegsbeschädigte und sozial Schwache begünstigte. Für die Spruchkammern blieben 930 000 Einzelfälle übrig.
Der Elan, die Reste des Nationalsozialismus zu beseitigen, die politische Säuberung zu vollziehen, war spätestens ab Frühjahr 1948 verschwunden. Die Besatzungsmacht lockerte die Kontrollen, und um die Sache abzuschließen, wurden sogar Schnellverfahren eingerichtet. Im Zeichen des Kalten Krieges hatte sich der Straf- und Diskriminierungsgedanke verflüchtigt. Und davon profitierten nicht wenige Belastete, die glimpflicher davonkamen als die minder schweren Fälle, die zu Beginn der Entnazifizierung behandelt worden waren. Ein anderer Vorwurf richtete sich gegen das grassierende Denunziantentum und gegen Korruption, Scheinheiligkeit und die Jagd nach "Persilscheinen" (das waren Bestätigungen von Unbelasteten, mit denen ehemalige NSDAP-Mitglieder ihre Harmlosigkeit dokumentieren wollten). Schließlich war die Spruchkammer als Instanz zur Gesinnungsprüfung - vom rechtsstaatlichen Standpunkt aus gesehen - ein zweifelhaftes Instrument.
General Clay, der amerikanische Militärgouverneur, der einer der Protagonisten des Säuberungsgedankens gewesen war, begründete im Rückblick den Abbruch der Unternehmung mit einem Argument, das nicht weniger einleuchtend war als der Gedanke der politischen Säuberung: "Hätten die nominellen Parteimitglieder nicht ihre vollen bürgerlichen Rechte und die Möglichkeit zurückerhalten, wieder ein normales Leben zu führen, dann hätte sich bestimmt früher oder später ein ernsthafter politischer Unruheherd entwickelt."
Re-education
Die Alliierten hielten die Herstellung eines demokratischen Systems, auch wenn sie diesen Begriff höchst unterschiedlich interpretierten und sehr verschiedene Methoden anwendeten, übereinstimmend für ein grundlegendes Kriegsziel und einen wichtigen Besatzungszweck gegenüber Deutschland. Dazu war es zunächst nötig, die Deutschen mit demokratischen Verhaltensweisen bekanntzumachen, sie zu Demokraten zu erziehen. Der Begriff "Umerziehung", mit dem der englische Ausdruck re-education (man sagte auch re-orientation) umschrieben wurde, war freilich sehr unglücklich und löste auf deutscher Seite heftige Abwehr aus. Nicht nur schien materieller Wiederaufbau vielen dringlicher als die Demokratisierung des Bildungswesens, der Presse, des Rundfunks, des ganzen öffentlichen Lebens, sie wehrten sich auch dagegen, auf kulturellem Gebiet Lehren von Amerikanern und Sowjetoffizieren, Franzosen und Briten anzunehmen. Die militärische und moralische Niederlage war vielen Deutschen schmerzlich genug, sie wollten jetzt nicht auch noch belehrt und erzogen werden.
Nach der Besetzung waren alle Schulen in Deutschland geschlossen worden. Vor der Wiederaufnahme des Unterrichts sollten die Lehrer (sowie Lehrpläne und Lehrmittel) entnazifiziert werden. Angesichts der Mitgliedschaft der überwiegenden Mehrheit aller Lehrer in der NSDAP oder deren Gliederungen war dies nicht nur ein organisatorisches Problem, die konsequente Durchführung eines umfassenden Entnazifizierungsprogramms hätte auch auf lange Zeit jeden Schulbetrieb in Deutschland verhindert. Gegen alle Bedenken und trotz mangelhafter Vorbereitung wurden daher in allen Zonen im Laufe des Herbstes 1945 die Schulen wieder eröffnet, hauptsächlich, um die Kinder und Jugendlichen von der Straße zu bringen. Wegen des Lehrermangels holte man Pensionäre in die Schulen zurück und stellte "Schulhelfer" ein (zum Beispiel Studenten), die in den unbeheizten Schulhäusern beim Schichtunterricht mithalfen. An Reformen war zunächst in dieser Situation nicht zu denken.
QuellentextWiederaufnahme des Lehrbetriebs in Bayern
[...] Auf dem Gebiete des Schulwesens kam zu der Zerstörung und der zweckfremden Belegung der Schulgebäude der äußerst große Ausfall an Lehrkräften, und das in einem Augenblick, wo die durch zwölf Jahre mißleitete Jugend dringendst der hingebenden Betreuung bedurfte.
Von 18 000 Volksschullehrkräften mußten 10 000 entlassen werden. Mit großer Mühe ist es gelungen, durch Verwendung von Ersatzlehrkräften aller Art den Stand wieder auf rund 14 000 zu bringen. Von den 1,2 Millionen Volksschülern haben immer noch drei Viertel nur verkürzten Unterricht. Die Ausbildung des Lehrernachwuchses ist in gutem Zuge. Die Lehrerbildungsanstalten wurden neu organisiert, neben ihnen bilden Sonderkurse noch Abiturienten und Schulhelfer aus. Im Unterricht wirkt äußerst hemmend der Mangel an Büchern und Schreibmaterial. Mit dem Lesebuch für die 2. Klasse hat das bayerische Unterrichtsministerium das bisher einzige neue Schulbuch in der US-Zone herausgebracht, weitere werden in Kürze folgen. Der vom nationalsozialistischen Staat verdrängte Religionsunterricht wurde wieder eingeführt, vom Nationalsozialismus verfolgte Lehrkräfte wurden wieder in ihre Ämter eingesetzt.
Die höheren Schulen haben unter ähnlichen Schwierigkeiten zu leiden wie die Volksschulen. Es ist jedoch gelungen, bis zum Mai 1946 alle Oberschulen für Knaben und fast alle für Mädchen wieder in Betrieb zu setzen; das von der Naziregierung zurückgedrängte humanistische Gymnasium wurde wieder in seinen Stand eingesetzt. Den aus dem Krieg Heimgekehrten wurde vielfach Gelegenheit zum Abschluß ihrer Schulbildung gegeben. [...]
Die Universitäten und sonstigen Hochschulen waren das besondere Sorgenkind der Unterrichtsverwaltung. Hier ist der Maßstab der politischen Säuberung besonders streng, eine sehr hohe Zahl von Professoren und Dozenten mußte daher ausscheiden. Ihr Ersatz ist äußerst schwer, da vielfach der Nachwuchs in den einschlägigen Fächern fehlt und von den Geeigneten nach dem erwähnten Säuberungsmaßstab viele nicht oder nicht sicher in Frage kommen.
[...] Stark vermehrt werden die Schwierigkeiten durch den außerordentlich hohen Andrang der Studierenden. Anzuerkennen ist, daß die Studierenden sich allenthalben mit größter Hingabe dem Studium widmen und nichts sehnlicher wünschen, als in Ruhe sich auf ihren künftigen Beruf vorbereiten zu dürfen. [...]
Klaus-Jörg Ruhl (Hg.), Neubeginn und Restauration, München 1982, S. 311 ff.
Schulreformen
Der Alliierte Kontrollrat stellte erst knapp zwei Jahre später Grundsätze zur Demokratisierung des deutschen Erziehungssystems auf. Die Direktive vom Juni 1947 enthielt zur Strukturreform des Bildungswesens aber nur vage Andeutungen und allgemeine Wendungen. So wurde ein "umfassendes Schulsystem" gefordert, in dem die "Begriffe Grundschule und Höhere Schule zwei aufeinanderfolgende Stufen der Ausbildung darstellen" sollten, aber nicht "zwei Grundformen oder Arten der Ausbildung" in Überschneidung. Gemeint war die sechsklassige Grundschule für alle. Tatsächlich waren in allen vier Zonen Reformen in Gang gekommen, die sich freilich in ihren Inhalten beträchtlich unterschieden.
In der sowjetischen Besatzungszone war ab Frühjahr 1946 das "Gesetz zur Demokratisierung der Deutschen Schule" in Kraft, das als Einheitsschule die achtklassige Grundschule mit anschließender vierstufiger Oberschule oder dreistufiger Berufsschule einführte. Etwa 40 000 Neulehrer (sie mussten Antifaschisten sein und sollten der Arbeiterklasse angehören) wurden in Schnellkursen von zunächst nur drei Monaten, später acht und ab 1947 zwölf Monaten Dauer ausgebildet. Ziel der Bildungsreform in der SBZ war der Abbau bürgerlicher Privilegien im Bildungswesen: Die Kinder aus der Arbeiter- und Bauernschaft sollten besonders gefördert werden.
Ganz anders sah es in der französischen Zone aus. Dort wurde dasbildungspolitisch radikalste und innovativste Besatzungsregime geführt. Die Militärregierung versuchte bis 1949, das französische Schulsystem zu etablieren. Es vereinigte liberalen Geist mit elitärer Zielsetzung, diente der sozialen Auslese und Elitenbildung. Die von der französischen Militärregierung oktroyierte Schulreform war jedoch in der Form einschneidender als im Inhalt. Am 1. Oktober 1946 erging der Befehl zur Vereinigung der verschiedenen Typen höherer Schulen. Neu war vor allem, dass die ersten drei Klassen des Gymnasiums - so hießen von nun an alle höheren Lehranstalten - eine Art Förderstufe darstellten, die auch Volksschülern noch den späteren Eintritt ermöglichen sollten. Französisch erhielt vor allen anderen Fremdsprachen den Vorrang, das humanistische Gymnasium wurde zwar nicht beseitigt, es sollte aber künftig nur noch eine untergeordnete Rolle spielen. Schließlich wurden auch alle Formen besonderer Mädchenbildung abgeschafft.
In der britischen und in der amerikanischen Besatzungszone verfuhren die Militärregierungen nach der Maxime, Schulreformen müssten von den Deutschen selbst entwickelt und durchgeführt werden. Während die Engländer diesen Grundsatz bis zum Ende des Besatzungsregimes aufrechterhielten, entschlossen sich die Amerikaner im Herbst 1946 aber doch dazu, stärkeren Einfluss zu nehmen. Die deutschen Bestrebungen zur Reform des Schulwesens waren nämlich bis dahin sehr verhalten geblieben.
Die Amerikaner propagierten das Modell einer Einheitsschule, in der alle Kinder ohne Unterschied des Geschlechts, der sozialen Herkunft und der Berufsziele die ersten sechs Jahre gemeinsam verbringen sollten, um Gemeinschaftsgefühl und demokratisches Verhalten zu entwickeln. Die höheren Schulen sollten vereinheitlicht, notwendige Differenzierungen nicht durch getrennte Schularten erzielt werden. Kernstück des amerikanischen Reformkatalogs war die Gesamtschule für alle Schulpflichtigen, außerdem wünschten die Amerikaner Schulgeldfreiheit, Lernmittelfreiheit, die Schulpflicht bis zum 15. Lebensjahr, die volle Integration von Berufsausbildung und Berufsberatung in das allgemeine Schulsystem und die Ausbildung der Lehrer an Universitäten. Diese Ziele sollten von den Bildungsoffizieren auf Länderebene propagiert, aber nicht oktroyiert werden. 1948 war es, wie sich auf vielen anderen Gebieten zeigte, für die Durchsetzung alliierter politischer Vorstellungen schon zu spät, und es wurdezunehmend beschlossene Sache, dass die Militärregierung nicht mehr auf die vollständige Erfüllung ihrer Anordnungen dringen würde.
Kulturpolitik
Die Bildungspolitik war im Rahmen der Demokratisierungsbemühungen ein Wechsel auf die Zukunft; es bestand aber zugleich die Notwendigkeit, möglichst sofort und unmittelbar auf die Erwachsenen in Deutschland einzuwirken. Das geschah auf vielfältige Weise, durch kulturelle Angebote, durch Unterhaltung und mit Hilfe von Informationen in einer neu gestalteten Medienlandschaft. Spielfilme und Dokumentarfilme aus alliierter Produktion und vor allem Wochenschauen dienten in den Kinos aller vier Besatzungszonen pädagogischen Absichten. Die Wiederbelebung der kulturellen Szene war den Alliierten aus mehreren Gründen wichtig: Propaganda für die eigene Kultur, Erziehung der Deutschen zur Demokratie und, zur Pazifizierung der Bevölkerung, auch ein bisschen Unterhaltung.
Kulturbund
Im Juli 1945 wurde in Berlin der "Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands" gegründet. Die Gründungsversammlung hatte im Haus des Schriftstellers Johannes R. Becher stattgefunden, der kurz zuvor aus dem Moskauer Exil zurückgekehrt war. Im August konstituierte sich dann der Kulturbund als Organisation mit Becher an der Spitze. Vizepräsidenten wurden der Maler Carl Hofer und der Schriftsteller Bernhard Kellermann, Ehrenpräsident war Gerhart Hauptmann. An vielen Orten, nicht nur in der sowjetisch besetzten Zone, fanden sich im Sommer und Herbst 1945 Intellektuelle unterschiedlichen politischen Standorts zu Ortsgruppen des Kulturbundes zusammen.
Obwohl die marxistisch orientierten Mitglieder den Ton angaben und obwohl die SMAD ein wachsames Auge auf den Kulturbund hatte, war er zunächst noch kein Werkzeug kommunistischer Propaganda, sondern der wohl früheste Versuch geistigen Neubeginns in Deutschland.
Den Frontbildungen des Kalten Kriegs fiel auch der Kulturbund allmählich zum Opfer, aber die Anfänge waren verheißungsvoll gewesen, und aus heutiger Sicht bot er erstaunlich lange auch Nichtmarxisten eine geistige Heimat. In der Zeitschrift des Kulturbundes mit dem Titel "Aufbau", die unter sowjetischer Lizenz Ende September 1945 erstmals erschien, wurde das Verlangen nach einer demokratischen "Reformation" in Deutschland artikuliert. Die Absicht, die "antifaschistische Reformation" auf überparteilichem Weg zu erreichen, wurde durch den Personenkreis der Herausgeber und ständigen Mitarbeiter der ersten Hefte demonstriert: Neben Heinrich Mann, Theodor Plivier, Georg Lukács, Willi Bredel waren auch Ferdinand Friedensburg und Ernst Wiechert genannt.
Aufsätze von Hans Fallada wie von Thomas Mann wurden gedruckt, und der CDU-Politiker Ernst Lemmer firmierte noch im 4. Jahrgang der Zeitschrift als Mitglied des Redaktionskollegiums.
Belletristik in der US-Zone
Der "Aufbau" war die erste politisch-kulturelle Zeitschrift, die Deutsche für Deutsche herausgaben. Bald folgten in allen Zonen Neugründungen von politisch-kulturellen,schöngeistig-literarischen, philosophischen, religiösen und sonstigen Kulturzeitschriften. In der Demokratisierungspolitik der Alliierten spielte auch die Belletristik eine nicht geringe Rolle. Am meisten ließen sich die Amerikaner den Import von Romanen und Erzählungen, Lyrik und Theaterstücken eigener Provenienz ins literarisch verödete Deutschland kosten. Das galt nicht nur für die Einrichtung der "Amerikahäuser", die ab Juli 1945 weit über die zunächst beabsichtigte Kulturpropaganda hinausreichende Funktionen hatten: Sie waren mancherorts die einzigen benutzbaren öffentlichen Bibliotheken und Lesesäle überhaupt.
Die US-Militärregierung förderte amerikanische Literatur dadurch, dass sie die Übersetzungsrechte in Amerika kaufte und sie deutschen Verlagen anbot. Die Titel, die auf den deutschen Markt kommen sollten, wurden im Hinblick auf ihre politische Eignung sorgfältig geprüft. Den deutschen Verlegern, die das Angebot annahmen, war die Militärregierung dann meist auch bei der Papierzuteilung - das war die ärgste Klippe für Veröffentlichungspläne in Nachkriegsdeutschland - behilflich.
Presse und Rundfunk
Das wichtigste und weiteste Feld für die alliierten Demokratisierungsbemühungen waren die Massenmedien. In drei Schritten (wobei der zweite aber schon nahezu gleichzeitig mit dem dritten getan wurde) sollten Presse und Rundfunk in Deutschland zunächst verboten, durch alliierte Sprachrohre ersetzt und dann in neuen Strukturen - pluralistisch und demokratisch - völlig neu aufgebaut werden. Das Gesetz Nr. 191 vom 24. November 1944, das General Eisenhower als Oberbefehlshaber aller westlichen Armeen für die von den Alliierten besetzten bzw. noch zu besetzenden deutschen Gebiete erließ, untersagte unter anderem das "Drucken, Erzeugen, Veröffentlichen, Vertreiben, Verkaufen und gewerbliche Verleihen von Zeitungen, Magazinen, Zeitschriften, Büchern, Broschüren, Plakaten, Musikalien und sonstigen gedruckten oder (mechanisch) vervielfältigten Veröffentlichungen, von Schallplatten, sonstigen Tonaufnahmen und Lichtspielfilmen jeder Art; ferner die Tätigkeit oder den Betrieb jedes Nachrichtendienstes und Bilddienstes oder von Agenturen, von Rundfunkstationen und Rundfunkeinrichtungen, von Drahtfunksendern und Niederfrequenzübertragungsanlagen; auch die Tätigkeit in oder den Betrieb von Theatern, Lichtspieltheatern, Opernhäusern, Filmateliers, Filmlaboratorien, Filmverleihanstalten, Jahrmärkten, Zirkusunternehmungen und Karnevalsveranstaltungen jeder Art." Beabsichtigt war mit diesem Totalverbot aller öffentlichen Kommunikation eine Art von Quarantäne, in der lediglich alliierte Mitteilungsblätter, die "Heeresgruppenzeitungen" (so genannt, weil sie von bestimmten Einheiten der alliierten Armeen herausgegeben wurden), der deutschen Bevölkerung die notwendigsten Informationen für den Besatzungsalltag vermittelten.
Im publizistischen Vakuum der ersten Besatzungszeit nahmen die Alliierten auch die deutschen Rundfunkstationen unter ihre Regie. Fast nahtlos war zum Beispiel der Übergang in Hamburg: 24 Stunden nachdem der Reichssender Hamburg am 3. Mai 1945 sein letztes Programm ausgestrahlt hatte, meldete sich "Radio Hamburg" als Station der Militärregierung, von britischen Radiooffizieren und Technikern bedient, zu Wort.
Die Heeresgruppenblätter und die Rundfunksendungen unter alliierter Regie leiteten die zweite Phase alliierter Medienpolitik ein, in der das Informationsmonopol bei den Besatzungsmächten lag. Der dritte Schritt war dann die Lizenzierungsphase: Sorgfältig ausgewählte und überprüfte deutsche Journalisten und Verleger durften unter alliierter Kontrolle, also unter Zensur, deutsche Zeitungen machen und in Funkhäusern tätig werden. Die neuen Zeitungen sollten im Idealfall das vollkommene Gegenteil der gleichgeschalteten NS-Presse sein, nämlich objektive Berichterstattung im Nachrichtenteil und, säuberlich davon getrennt, Meinungsvielfalt auf den Kommentarseiten bieten. Das Prinzip der Trennung von Nachricht und Meinung war vor allem den beiden angelsächsischen Besatzungsmächten heilig. Der deutschen Pressetradition war dieser Grundsatz fremd. Amerikaner und Briten betrachteten ihn jedoch als entscheidend für die Herstellung demokratischer Zustände in der öffentlichen Kommunikation.
Erste deutsche Zeitungen
Die Amerikaner gaben in den Westzonen bei der Lizenzierungspolitik die Richtung an, und sie machten auch den Anfang. Mitte 1946 existierten bereits 35 neue Zeitungen in der amerikanischen Zone. Ab Herbst 1945 erteilten die Franzosen insgesamt (bis 1949) in 33 Fällen die Erlaubnis zur Gründung einer Zeitung in ihrer Zone. Die Briten begannen am spätesten, Anfang 1946; in ihrer Zone gab es, wie in der amerikanischen, zuletzt 61 Lizenzzeitungen. In der US-Zone, wo sich auch die publizistisch bedeutendsten Blätter befanden - die "Süddeutsche Zeitung" in München errang schnell den Spitzenplatz, die "Stuttgarter Zeitung" und die "Stuttgarter Nachrichten" gewannen ebenso wie die "Nürnberger Nachrichten" und die "Frankfurter Rundschau" Renommee -, wurden Lizenzen am liebsten gemeinsam an drei oder vier Personen mit verschiedenen politischen Standorten vergeben. Ab 1947 begann die Entfernung der Kommunisten aus den Herausgebergremien; so beliebt KPD-Lizenznehmer am Anfang bei den US-Presseoffizieren als Pendant zu bürgerlichen und sozialdemokratischen Lizenziaten waren, so unerwünschtwurden sie im Zeichen des beginnenden Kalten Krieges.
QuellentextAuf der Suche nach "Lizenzträgern"
Ernst Langendorf, geboren 1908, war Reporter bei der SPD-Zeitung "Hamburger Echo" ... bis zu deren Verbot durch die Nationalsozialisten. Schon im April 1933 emigrierte Ernst Langendorf. [...] 1942 trat er in die US-Armee ein, was ihm den Erwerb der amerikanischen Staatsbürgerschaft ermöglichte. [...] Mit dem Vormarsch der amerikanischen Truppen kam Ernst Langendorf im Frühjahr 1945 nach Bayern.
[...] Anfang Juni 1945 kam ich zu meiner neuen Einheit nach München. Aufgrund des Militärregierungsgesetzes Nr.191 war es verboten, irgendwelche Zeitungen, Zeitschriften oder Bücher zu drucken, Filme zu produzieren oder Radiosendungen zu veranstalten, wenn sie von der Militärregierung nicht ausdrücklich genehmigt, das hieß "lizenziert", waren. Die Lizenzierung war Aufgabe der verschiedenen Abteilungen unserer Einheit. [...]
Radio Munich, wie es damals hieß, war ein Sender der Militärregierung und wurde von Amerikanern geleitet. Auf unsere Veranlassung brachte der Sender eine Meldung, die besagte, daß alle Personen, die an der Herausgabe von Zeitungen, Zeitschriften oder Büchern interessiert seien, sich an unser Büro in der Renatastraße wenden sollten. Da bildeten sich bald lange Schlangen von Interessenten, [...] Aber nur wenige genügten unseren Anforderungen. Wer Mitglied einer der Gliederungen der NSDAP gewesen war oder in einer Zeitung oder Zeitschrift während der Nazizeit gearbeitet hatte oder sonstwie belastet war, schied von vornherein aus. [...] Natürlich waren uns auch berufliche und praktische Erfahrung im Zeitungswesen wichtig. Der Personenkreis, der für die engere Wahl in Frage kam, war außerordentlich klein, und wir mußten lange suchen. [...]
Am Beispiel der "Süddeutschen Zeitung", die die erste Lizenz bekam, will ich erzählen, auf welch verschlungenen Pfaden wir oft die Lizenzträger fanden. [...]
Zufällig fiel bei einem Gespräch in Garmisch, bei dem es eigentlich um eine illegale Zeitungsgründung ging, der Name Hausenstein. [...] Hausenstein war Feuilletonmitarbeiter der renommierten "Frankfurter Zeitung", [...] Ich fragte sofort, wo der stecke. In Tutzing am Starnberger See, erfuhr ich. Sogar die Straße wurde uns angegeben. [...] Abends um zehn Uhr kamen wir bei Hausenstein an. Wir fragten ihn, ob er Lust habe, in München Verleger einer neu zu gründenden Zeitung zu werden. Er fühlte sich sehr geehrt, lehnte aber ab, weil er gesundheitlich nicht auf der Höhe sei. [...] Aber er empfahl uns Dr. Franz Josef Schöningh, den ehemaligen Schriftleiter der Kultur-Zeitschrift "Hochland", die 1941 von den Nazis endgültig verboten worden war. Der lebte in einer Jagdhütte am Starnberger See. Eine Woche später trafen wir ihn in Hausensteins Haus zu einer Vorbesprechung und kamen mit ihm ins Geschäft.
Eines Tages hörten wir, dass Wilhelm Hoegner aus dem Exil nach München zurückgekehrt sei. [...] Dort haben wir ihn aufgesucht und gefragt, ob er interessiert wäre, Verleger einer neuen Zeitung zu werden. "Ach nein", antwortete er. "[...] Aber ich kann Ihnen jemand empfehlen, den Herrn Goldschagg." Edmund Goldschagg war bis 1933 Politischer Redakteur der sozialdemokratischen "Münchner Post" gewesen. Hoegner hatte während seines Exils mit ihm korrespondiert und konnte uns Goldschaggs letzte Adresse in Freiburg geben.
Am nächsten Tag fuhren wir nach Freiburg. Die Straße, die uns Hoegner angegeben hatte, existierte überhaupt nicht mehr. So sind wir also eine Stunde durch Freiburg geirrt. [...] Und wieder ein Zufall! Wir treffen den Chef des Einwohnermeldeamtes auf der Straße. "Ja", sagt der, "der Goldschagg sitzt in der Verteilungsstelle für Lebensmittelmarken beim Landratsamt. Wenn ich darf, führe ich Sie hin."
Wir trafen Edmund Goldschagg in einem kleinen, dunklen Nebenzimmer mit einem großen Haufen grüner Lebensmittelkarten vor sich. Wir stellten uns vor. "Wir möchten mal mit Ihnen reden wegen einer Zeitung in München." Er war sehr zögernd. [...]
Vier Wochen später war ich wieder bei ihm. Und er sagte zu. [...]
Im Juli 1945 gab es die erste Zusammenkunft des zukünftigen Verlags- und Redaktionsstabes. [...]
Aber bevor es ans Drucken der Zeitungen gehen konnte, mußten noch ungeheure Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt werden. Das vorgesehene Verlagsgebäude [...] war so gut wie vollkommen zerstört. Große Mengen von Schutt mußten beiseite geschafft werden, um die Büros überhaupt wieder verwenden zu können. Nach der Überreichung der Lizenz Nr.1 an die drei Lizenzträger Goldschagg, Schöningh und Schwingenstein und einem Festakt im Hof des Verlagsgebäudes konnte Oberst Mac Mahon, der Chef der Information Control Division bei der amerikanischen Militärregierung, die Rotationsmaschine in Betrieb setzen.
Die erste Nummer der "Süddeutschen Zeitung" erschien am 6.Oktober 1945 in einer Auflage von 357000 Stück. Das war für damalige Verhältnisse sehr viel. Wir haben dann sogar noch auf 410000 erhöht. Aber das Papier war knapp. Am Anfang erschien die "Süddeutsche" nur zweimal pro Woche mit ursprünglich vier, später sechs Seiten. [...]
Alexander von Plato/Almut Leh (Hg.), "Ein unglaublicher Frühling". Erfahrene Geschichte im Nachkriegsdeutschland 1945-1948, Bonn 1997, S.320ff.
In der sowjetischen Besatzungszone hatte auch der Neubeginn im Pressewesen andere Züge als in den Westzonen. Die SMAD vergab im Sommer 1945 die Lizenzen zur Herausgabe von Tageszeitungen an die Parteien und Massenorganisationen. Die KPD, ab April 1946 die SED, wurde bevorzugt; SPD, CDU und LDP erhielten die Erlaubnis, jeweils ein zentrales Organ und außerdem in jedem der fünf Länder der SBZ eine weitere Tageszeitung zu publizieren. Über die Papierzuteilung wurde für die Dominanz der KPD bzw. SED gesorgt.
Die Papierknappheit war auch im Westen das größte Problem der neuen Publizistik. Bis zur Währungsreform erschienen die Tageszeitungen in der Regel nur zweimal wöchentlich in dünnen Ausgaben. Die alliierte Zensur, nicht zu vergleichen mit der nationalsozialistischen Uniformierung der öffentlichen Meinung durch Gleichschaltung und Sprachregelung, war milde genug und beschränkte sich im Wesentlichen darauf, militärische und nationalistische Töne sowie Kritik an den Besatzungsmächten zu verhindern. Eine Kontrollratsdirektive bestätigte im Oktober 1946 diese Praxis, wie sie seit Sommer 1945 auf zonaler Ebene gehandhabt wurde.
Alliierte Zeitungen in Deutschland
Neben der Lizenzpresse, die, von den Presseoffizieren betreut, als Übungsfeld deutscher demokratischer Publizistik betrachtet wurde, gaben die Alliierten auch eigene Blätter heraus. Die SMAD startete Mitte Mai 1945 in Berlin die "Tägliche Rundschau" die Amerikaner publizierten seit Mitte Oktober "Die Neue Zeitung", in der britischen Zone erschien in Hamburg ab Anfang April 1946 "Die Welt" als "überparteiliche Zeitung für die gesamte britische Zone", und auch im französischen Besatzungsgebiet gab es ein Organ der Militärregierung, die zweisprachige Zeitung "Nouvelle de France".
Am attraktivsten, auch weit über die Grenzen der US-Zone hinaus, war "Die Neue Zeitung". Bis zum Sommer 1948 konnte sie, trotz einer Auflage von 1,2 Millionen Exemplaren in ihrer Blütezeit, die Nachfrage nicht befriedigen; es gab Wartelisten für potenzielle Abonnenten.
Die Massenmedien - Lizenzpresse und Rundfunkstationen ebenso wie die 1946 auf zonaler Ebene gegründeten Nachrichtendienste - sollten in deutsche Verantwortung übergehen, nachdem sie ihre Bewährungsprobe bestanden und nachdem die deutschen Politiker demokratische Presse- und Rundfunkgesetze geschaffen haben würden. Wie schwierig es jedoch mitunter war, dem Geist der Demokratisierungsära zu folgen, bewiesen die Politiker der US-Zone Ende 1946 mit dem Entwurf eines Pressegesetzes, das von der Militärregierung zurückgewiesen wurde. Das Gesetz entsprach nicht den amerikanischen Vorstellungen von Pressefreiheit, weil es unter anderem den Zugang zu amtlichen Informationen vom Wohlverhalten der Presse abhängig machen wollte und polizeiliche Durchsuchungen von Redaktionen für notwendig hielt, wenn Verdacht auf politisch unerwünschte Berichterstattung bestand. General Clay konstatierte später, dass sich das deutsche Unvermögen, "demokratische Freiheit wirklich zu erfassen",vor allem auf zwei Gebieten am deutlichsten gezeigt habe, bei der Schulreform und der Pressegesetzgebung.
Öffentlichrechtliches Radiosystem
Nach der Intention der Westmächte sollte der künftige Rundfunk in Deutschland weder staatlich betrieben oder dominiert noch den Händen privater Interessenten ausgeliefert sein. Durch alliierten Machtspruch wurden daher die Rechte der Post und die Gelüste der Politiker nach Einfluss auf den Rundfunk beschnitten. Beim Aufbau eines öffentlichrechtlichen Rundfunksystems nahmen die Briten die Vorreiterrolle ein. Nach dem Vorbild der British Broadcasting Cooperation (BBC) und von einem prominenten britischen Rundfunkmann, Hugh Carleton Greene, dirigiert, wurde zum 1. Januar 1948 der "Nordwestdeutsche Rundfunk (NWDR)" in Hamburg und Köln als erste Anstalt des neuen Typs errichtet.
In der US-Zone hatte die Militärregierung den Übergang der Funkhäuser in deutsche Hände von demokratischen Rundfunkgesetzen der Länder abhängig gemacht. Darüber wurde bis 1949 gestritten, als längst deutsche Intendanten, von amerikanischen Beratern und Überwachern flankiert, an der Arbeit waren. Immerhin hatten die drei westlichen Alliierten, als sie 1955 zusammen mit den Insignien politischer Souveränität auch die endgültige Rundfunkhoheit an die Bundesrepublik übergaben, eine Reform zustande gebracht und gegen deutsche Interessenten und Politiker durchgesetzt, die bis in die achtziger Jahre Bestand haben sollte: den Alleingeltungsanspruch des öffentlich kontrollierten, pluralistischen und dezentralisierten Rundfunks. Das gehört zu den Erfolgen der Demokratisierungspolitik, die allen damaligen deutschen Befürchtungen zum Trotz ganz überwiegend positiv ausfiel.
In der Ostzone begann der Rundfunkbetrieb am 13. Mai 1945 mit den Sendungen "Hier spricht Berlin!" aus dem "Haus des Rundfunks" in der Masurenallee, der ehemaligen nationalsozialistischen Sendezentrale. Daraus entwickelte sich unter Kontrolle der sowjetischen Militärregierung der Berliner Rundfunk, dem im Oktober 1945 in Leipzig der "Mitteldeutsche Rundfunk" folgte. Wenig später waren die Landessender Dresden und Schwerin und ab 1946 auch die Stationen in Weimar, Potsdam und Halle betriebsbereit. Politisch zuständig war - immer unter der Zensurhoheit der SMAD - die Abteilung für kulturelle Aufklärung der "Zentralverwaltung für Volksbildung". Unter dem "Generalintendanten des deutschen demokratischen Rundfunks" Hans Mahle, einem 1945 aus der Moskauer Emigration zurückgekehrten Kommunisten, waren alle Sender der sowjetischen Besatzungszone verwaltungsmäßig und ideologisch zentralisiert. Am 12. Oktober 1949 übergab die sowjetische Militäradministration ihre Kontrollbefugnis über den Hörfunk an die Regierung der neu gegründeten DDR.