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Kurze Geschichte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte

Rainer Huhle

/ 6 Minuten zu lesen

Entsetzt über die nationalsozialistischen Verbrechen Hitler-Deutschlands, nahm sich die Allianz der Kriegsgegner Großes vor: Eine friedliche, die Menschenrechte anerkennende Weltordnung sollte etabliert werden. Ganz ohne Widerspruch verlief der Weg zur historischen Resolution 217 am 10. Dezember 1948 jedoch nicht.

Als Vorsitzende der UN-Menschenrechtskommission war Eleanor Roosevelt maßgeblich an der Ausarbeitung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beteiligt. Hier ist sie mit einem Poster der Deklaration in englischer Sprache zu sehen. (© picture-alliance, Everett Collection)

"This is a war which cannot be regarded as won until the fundamental rights of the peoples of the earth are secured."
(Under-Secretary of State Sumner Welles 1942)

Die Idee, dass Menschen Rechte haben, die ihnen niemand nehmen darf, geht in der Geschichte einher mit der Erfahrung, dass genau dies geschah. Im Zweiten Weltkrieg widerfuhr den Menschen Unrecht, gegen das sich das Innerste im Menschen auflehnt. Die grauenhaften Verbrechen des Nazi-Regimes erfüllten "das Gewissen der Menschheit mit Empörung", wie später die Präambel der Allgemeinen Erklärung erinnerte.

Das Entsetzen über diese Verbrechen war auch in Afrika, Asien und Lateinamerika groß. Dort erhoben sich Stimmen, die forderten, solche Verbrechen nie wieder möglich zu machen. Die Allianz der Kriegsgegner Hitler-Deutschlands machte das Projekt einer neuen friedlichen, die Menschenrechte achtenden Weltordnung zu ihrem Programm. Im August 1941, schon vor dem offiziellen Kriegseintritt der USA, hatten US-Präsident Roosevelt und der britische Premier Churchill auf einem Kriegsschiff vor der Küste Nordamerikas die "Atlantik-Charta" proklamiert. In ihr setzten sie eine friedliche und gerechte neue Weltordnung als Kriegsziel. Eine Ordnung in der "allen Menschen in allen Ländern ein Leben frei von Not" und die Achtung ihrer elementaren Rechte garantiert würden. Im Januar 1942 wurden diese Kriegsziele in der Erklärung zur Gründung der "United Nations" aller Welt verkündet. Diese Kriegsallianz von anfangs 25 "Vereinten Nationen" war der Ausgangspunkt für die gleichnamige Weltorganisation, die sich - auf 50 Staaten angewachsen - im Frühsommer 1945 in San Francisco gründete.

Die Menschenrechte in ihrer heutigen Gestalt sind also ein Produkt des Zweiten Weltkriegs. Die Allgemeine Erklärung selbst gibt eine Reihe von Hinweisen auf diesen Ursprung. Der zitierte Absatz aus der Präambel lautet vollständig:

"[D]a die Nichtanerkennung und Verachtung der Menschenrechte zu Akten der Barbarei geführt haben, die das Gewissen der Menschheit mit Empörung erfüllen, und da verkündet worden ist, dass einer Welt, in der die Menschen Rede- und Glaubensfreiheit und Freiheit von Furcht und Not genießen, das höchste Streben des Menschen gilt..."

Diese Freiheiten waren erstmals von Präsident Roosevelt in seiner Jahresrede vor dem Kongress im Januar 1941 verkündet worden. In ihr versprach er den Amerikanern und der Welt, "Vier Freiheiten": die Rede- und Glaubensfreiheit sowie die Freiheit von Furcht und Not. Nicht nur in der Präambel, auch in den Artikeln der Menschenrechtserklärung finden sich diese Ideen deutlich wieder. Während die Religions- und Redefreiheit zu den Forderungen der französischen und amerikanischen Revolution gehören, war die Proklamation einer Freiheit von Furcht und von Not eine geradezu revolutionäre Neuerung im Verständnis der Menschenrechte. Sie war Ausdruck der Sozialpolitik des "New Deal", mit der Präsident Roosevelt ab den frühen Dreißiger Jahren auf die Weltwirtschaftskrise reagierte. Mit umfassenden staatlichen Interventionen wurde die soziale Lage der verarmten Massen von Amerikanern verbessert. Diese sozialen Rechte waren für ihn nicht weniger als eine "Second Bill of Rights", ein zweiter Satz von Rechten mit gleichem Rang wie die in den amerikanischen Verfassungszusätzen garantierten Bürgerrechte.

So kamen entscheidende Impulse für die internationale Proklamation von Menschenrechten aus den USA. Aber weltweit griffen Freiheitskämpfer wie der spätere indische Ministerpräsident Jawaharlal Nehru oder der junge Nelson Mandela die in der Atlantik-Charta und der Erklärung der Vereinten Nationen von 1942 verkündeten Freiheitsrechte auf - und wandten sie auch gegen ihre Verkünder. Vor allem Churchill versuchte die universelle Gültigkeit dieser Rechte für das britische Empire einzuschränken. Noch während des Weltkriegs entfalteten die Menschenrechte somit große Sprengkraft. Einmal in die Welt gesetzt, und sei es zu Zwecken der Kriegspropaganda, waren sie nicht mehr so einfach zurückzunehmen.

Die "Konferenz über internationale Organisation" in San Francisco im April 1945 (© AP)

Dies zeigte sich bald deutlich auf der großen "Konferenz über internationale Organisation", zu der die USA mit den anderen Großmächten im April 1945 nach San Francisco einluden. Einen ersten Entwurf für eine neue internationale Organisation, hatten die Großmächte im Jahr zuvor in Washington hinter verschlossenen Türen erarbeitet. Diese sollte den diskreditierten Völkerbund ablösen. Viele dieser im "Entwurf von Dumbarton Oaks" enthaltenen Mechanismen, finden sich später in der UN-Charta wieder, insbesondere den starken Sicherheitsrat mit dem Vetorecht der Großmächte. Doch die Menschenrechte wurden kaum erwähnt.

Als dieser Entwurf bekannt wurde, führte er überall in der Welt zu Widerspruch. So machten, im März 1945, wenige Wochen vor der Konferenz von San Francisco, die lateinamerikanischen Staaten auf ihrer "Inter-Amerikanischen Konferenz über Probleme von Krieg und Frieden", ihre Unzufriedenheit deutlich. Wie die Delegierten vieler "kleiner Staaten" wollten sie den Entwurf der Großmächte in San Francisco einer gründlichen Revision unterziehen. Wichtige Diskussionspunkte waren das Vetorecht der Großmächte, das Selbstbestimmungsrecht aller Völker, auch derer unter Kolonialherrschaft oder Treuhandschaft, und die Anerkennung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts. Und nicht zuletzt lag ihnen an der Verankerung der Menschenrechte. Panama und Kuba legten sogar eine komplette Menschenrechtserklärung vor, die sie als Teil der UN-Charta verabschiedet sehen wollten.

Dazu kam es zwar nicht, doch gelang es, an sieben Stellen der Charta die Achtung der Menschenrechte als Prinzip und Ziel der UNO zu verankern. Artikel 68 sah die Schaffung einer Menschenrechtskommission vor, der einzigen in der Charta selbst angelegten Kommission. Stéphane Hessel, französischer Diplomat und Überlebender des KZ Buchenwald schrieb später: "Ich spürte, dass es sich dabei um die wichtigste Neuerung handelte, durch die sich die Vereinten Nationen (...) von allen früheren Formen internationaler Zusammenarbeit unterscheiden würden." Die Konferenz beauftragte nun diese Menschenrechtskommission, eine umfassende "Bill of Rights" zu formulieren.

Was verstand man darunter? Deutlich mehr als die herkömmliche Bedeutung des Begriffs vermuten ließ. Wenn die Menschenrechte eine Antwort auf die Barbarei des Nationalsozialismus geben sollten, brauchte es mindestens drei Dinge:

  • eine Erklärung, die die wesentlichen Menschenrechte möglichst allgemein und umfassend formuliert;

  • einen Vertrag (Convention), der diese Rechte für die Mitgliedstaaten verbindlich erfasst;

  • Durchsetzungsmaßnahmen ("measures of implementation"). Zu letzteren zählte man u.a. juristische Maßnahmen, andere Beschwerdemöglichkeiten (Petitionen) und Bildungsanstrengungen.

Entsprechend organisierte sich die Menschenrechtskommission zunächst in drei Arbeitsgruppen, die sich jeweils einem dieser drei Schritte widmen sollten. Doch die 18-köpfige Kommission stieß bald an die Grenzen ihrer Arbeitskapazität, aber auch an politische Schranken. Pragmatisch entschied sie, keine "Petitionen" anzunehmen, also direkte Beschwerden über Menschenrechtsverletzungen. Noch bis Mitte 1948 hoffte die Mehrheit der Mitglieder, neben einer Erklärung auch den Entwurf einer Menschenrechtskonvention erarbeiten zu können. Doch verblasste der aus dem Weltkrieg gespeiste Enthusiasmus für die Menschenrechte im Kalten Krieg. Die engagierten Mitglieder der Kommission spürten, dass sie nicht mehr viel Zeit hatten, ihr Projekt durch die Vollversammlung zu bringen. So entschlossen sie sich, alle Kräfte auf eine Erklärung zu konzentrieren. Und noch heute erstaunt es, dass diese Erklärung am 9. und 10. Dezember auf fast einhellige Zustimmung in der Generalversammlung der UNO stieß, obwohl sich die beteiligten Staaten in einer Reihe schwerster Konflikte befanden. Nach zweijähriger Debatte wurde in der historischen Resolution 217 vom 10. Dezember die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte proklamiert. In ihr erinnerte die Generalversammlung noch einmal ausdrücklich an die ursprünglichen drei Aufgaben der Kommission und forderte sie auf, nunmehr eine Konvention und Durchsetzungsmaßnahmen zu erarbeiten.

Manchen Enttäuschten zum Trotz erkannten schon damals die meisten Beobachter die historische Bedeutung des Dokuments. Erstmals in der Geschichte hatte man sich auf weltweit geltende Menschenrechte geeinigt, auf der Grundlage eines gemeinsamen Verständnisses der Menschenwürde. Niemand sollte mehr wegen seiner Herkunft oder sonstiger Merkmale diskriminiert werden. Menschen aus allen Kontinenten hatten an der Erklärung mitgewirkt und unterschiedliche Rechtskulturen eingebracht. Nicht mehr nur Bürgerrechte, sondern Rechte für alle Menschen waren proklamiert. Und neben die politischen waren nunmehr gleichberechtigt die sozialen Menschenrechte getreten. Trotz des zwanzig Jahre dauernden Prozesses bis zur Verabschiedung der beiden Menschenrechtspakte, und trotz der bis heute unzureichenden "Durchsetzungsmaßnahmen": Die "subversive Kraft", die Bischof Tutu später der Allgemeinen Erklärung beim Kampf gegen Unterdrückung und Diskriminierung bescheinigte, hat sich in den sechzig Jahren seit ihrer Verabschiedung eindrucksvoll entfaltet.

Fussnoten

Der Politikwissenschaftler Dr. Rainer Huhle ist Mitarbeiter des Nürnberger Menschenrechtszentrums und Kuratoriumsmitglied des Deutschen Instituts für Menschenrechte. Von 1997-1999 arbeitete er im Büro des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte in Kolumbien.