Die Idee der Intervention zum Schutz der Menschenrechte ist nicht neu. Sie wurde von den Völkerrechtlern des 17. Jahrhunderts, insbesondere von Hugo Grotius in das Völkerrecht eingeführt und gilt heute als Vorläufer des modernen Menschenrechtsschutzes
Das Spannungsverhältnis zwischen Legalität und Legitimität
Insgesamt gibt es drei verschiedene Szenarien militärischer Intervention. Das ist zum einen die militärische Intervention zum Schutz der Menschenrechte bei internationalen Konflikten, die durch das Handeln der Staaten nach einem Beschluss des Sicherheitsrats ohne weiteres von Kapitel VII UN-Charta erfasst ist. Zum anderen diejenige militärische Intervention zum Schutz der Menschenrechte bei internen Konflikten, die durch den Sicherheitsrat autorisiert werden – unter der Voraussetzung, dass auch hier der Frieden und die internationale Sicherheit bedroht sind. Weiterhin ist von humanitärer Intervention die Rede, wenn das militärische Eingreifen zum Schutz der Menschenrechte in einem Staat nicht vom Sicherheitsrat mandatiert ist.
Mit einer militärischen Intervention ohne Sicherheitsratsmandat wird jedoch an der bestehenden Völkerrechtsordnung gerüttelt; denn damit wird in Grundprinzipien dieser Ordnung, wie in das Gewaltverbot, Interventionsverbot und in die souveräne Gleichheit zum Schutz vor Verletzungen elementarer Menschenrechte, eingegriffen. Geprägt wird die Diskussion durch die Frage, unter welchen Voraussetzungen Interventionen zum Schutz der Menschenrechte erlaubt sind. Es handelt sich hierbei um das Spannungsverhältnis zwischen Legalität und Legitimität, also der Rechtmäßigkeit und der Rechtfertigung solcher Einsätze. Während grundsätzlich Eingriffe in bestehende Grundregeln des Völkerrechts nicht rechtmäßig sind, können diese doch im Interesse des Menschenrechtsschutzes gerechtfertigt sein, und zwar bei Schutz vor Massenverbrechen wie Genozid, Kriegsverbrechen, Menschlichkeitsverbrechen und ethnischen Säuberungen. Hier besteht ein Dilemma. Auf der einen Seite stehen die Grundsätze des Gewaltverbots und der staatlichen Souveränität als fundamentale Rechtsgüter des Völkerrechts. Auf der anderen Seite steht der Menschenrechtsschutz, der zu einem allgemein anerkannten Rechtsgut erwachsen ist. Anhand der Praxis der Vereinten Nationen und bestehender sowie im Werden begriffener völkerrechtlicher Regelungen soll gezeigt werden, wie dieses Spannungsverhältnis zwischen Rechtmäßigkeit und Rechtfertigung schrittweise aufgelöst werden kann.
Der Wandel in der Sicherheitsratspraxis
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat seit Anfang der 1990er Jahre in mehreren Resolutionen zu internen Konflikten, in denen elementare Menschenrechte massenhaft und systematisch verletzt wurden, herausgestellt, dass derartige Situationen eine Bedrohung für den Weltfrieden und die internationale Sicherheit darstellen (gem. Art. 39 UN-Charta). Mit der Resolution zu Somalia im Jahr 1992 hat der Sicherheitsrat erstmals gravierende Menschenrechtsverletzungen in einem internen Konflikt als Friedensbedrohung begriffen
Beim
Mit Verabschiedung dieser Resolutionen zu internen Konflikten anerkennt die Staatengemeinschaft, dass Maßnahmen im Rahmen von Kapitel VII UN-Charta, die bisher nur auf internationale Konflikte anwendbar waren, nun auch zum Schutz elementarer Menschenrechte bei
Wertewandel im Völkerrechtsverständnis
Eine dieser Voraussetzungen ist, dass ein Beschluss des Sicherheitsrats zustande kommt, was die Zustimmung aller ständigen Sicherheitsratsmitglieder voraussetzt – wobei auch eine Stimmenthaltung als Zustimmung gewertet wird. Hingegen sind unilaterale militärische Interventionen zum Schutz vor schweren Menschenrechtsverletzungen, die nicht vom Sicherheitsrat mandatiert werden, nicht völkerrechtsgemäß.
Diese Voraussetzung ist durch die NATO im Jahr 1999 im
Bis heute wird diskutiert, ob eine Intervention zur Beseitigung schwerer Menschenrechtsverletzungen gerechtfertigt werden kann, auch wenn sie nicht rechtmäßig ist, sie also nicht auf legaler Grundlage vollzogen wird. Die herrschende Meinung in der Völkerrechtwissenschaft verneint dies bis heute, obgleich der Schutz vor schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen als Rechtfertigungsmoment weiter an Gewicht zunimmt
Auch Zwangsmaßnahmen auf Grundlage von Regionalabkommen gem. Art. 53 UN-Charta sind nur erlaubt, wenn sie vom Sicherheitsrat vorgesehen und beschlossen werden. Der Sicherheitsrat hat die alleinige Kompetenz, entsprechende Maßnahmen zu beschließen (Ermächtigungsvorbehalt). Diese auf Regionalorganisationen bezogenen Einsätze hat die
Die Operationalisierung der militärischen Interventionen zum Schutz vor schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen durch das Konzept der Schutzverantwortung
Um den Konflikt zwischen Legalität und Legitimität aufzulösen und die Grauzone zwischen Recht und Nichtrecht auszufüllen, hatte Kofi Annan als Generalsekretär der Vereinten Nationen die Idee, die Staaten zum Schutz der Menschenrechte stärker in die Verantwortung zu nehmen. Auch sollten rechtliche Kriterien für Interventionen bei schweren Menschenrechtsverletzungen entwickelt werden, die die Schutzverantwortung legitimieren und legalisieren. Unter dem Leitgedanken, "Souveränität als Verantwortung" hatte Annan die Bildung der ICISS (International Commission on Intervention and State Sovereignty) veranlasst, die seine Idee umsetzen sollte. Herausgekommen ist ein umfassendes Konzept zur Schutzverantwortung (Responsibility to Protect ) der Staaten bei Kriegsverbrechen, Menschlichkeitsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Völkermord
als Verantwortung zur Verhütung (Responsibility to Prevent),
als Verantwortung zur Reaktion (Responsibility to React) und
als Verantwortung zum Wiederaufbau (Responsibility to Rebuild).
Im Zentrum der Diskussion steht die zweite Ebene, die Verantwortung zur Reaktion, also auch zu militärischem Eingreifen. Militärische Intervention soll nur unter der Voraussetzung erfolgen können, dass die internationale Gemeinschaft tätig wird und dass der Staat, in dem die schweren Menschenrechtsverletzungen begangen werden, nicht Willens oder nicht in der Lage ist, die Verantwortung zum Schutz der Menschenrechte seiner Bevölkerung selbst wahrzunehmen
Das Konzept der ICISS hat in abgeschwächter Form Eingang in die Dokumente der Vereinten Nationen gefunden. Im Abschlussdokument der Weltkonferenz der Vereinten Nationen 2005
Der Grund für die restriktive Aufnahme des ICISS-Papiers in das Abschlussdokument des Weltgipfels ist wohl darin zu sehen, dass die Schutzverantwortung, obgleich universell angelegt, in der Praxis nicht für alle Staaten gleichermaßen zur Anwendung kommt. Nur die Großmächte und mit ihr verbündete Staaten werden in Drittstaaten intervenieren können; denn nur sie bringen die dazu erforderlichen materiellen und finanziellen Voraussetzungen mit. Damit richten sich militärische Interventionen zum Schutz vor schweren Menschenrechtsverletzungen faktisch nur gegen Staaten der sogenannten Dritten Welt. Aus diesem Grund sind ebendiese Staaten, die eine ungleiche Interventionspraxis fürchten, gegenüber dem Konzept der Schutzverantwortung zurückhaltend.
Die Libyen-Resolution 1973 des Sicherheitsrats, die die Staaten zur Schutzverantwortung aufrief
Die Militärschläge in Syrien – illegal aber legitim?
Auch im
Russland ist im September 2015 mit Luftschlägen der Bitte Assads auf Unterstützung im Kampf gegen terroristische Aktivitäten gefolgt, die nach Auffassung des syrischen Präsidenten nicht nur den IS sowie die Al-Nusra-Front, sondern auch die syrische Opposition umfasst. Die Intervention, der eine Aufforderung zu militärischen Aktivitäten im eigenen Land vorausgegangen ist, kennt das Völkerrecht als "Intervention auf Einladung". Diese ist anerkannt, aber nicht unumstritten
Im Sicherheitsrat gab es wiederholt Bemühungen, ein Mandat zur Intervention in Syrien zu erlangen, die von Russland, aber auch von China blockiert wurden. Nicht mehr als zehn Mal hat Russland mit seinem Veto ein Eingreifen in Syrien verhindert. Bisher wurde in Sicherheitsratsresolutionen lediglich die Entschlossenheit bekräftigt, die beispiellose Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit mit allen Mitteln zu bekämpfen. Auch wurde die Forderung aufgestellt, dass die Mitgliedstaaten, die dazu in der Lage sind, unter Einhaltung des Völkerrechts alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen haben, um terroristische Handlungen zu verhüten und zu unterbinden
Die Erweiterung des Sicherheitskonzepts des Sicherheitsrats
Die Anwendung der in Kapitel VII UN-Charta angelegten kollektiven Sicherheit auf interne Konflikte bedeutet eine Ausdehnung des Handlungsrahmens des Sicherheitsrats. In der UN-Charta ist geregelt, dass der Sicherheitsrat für die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen handelt (Art. 24 Abs. 1 UN-Charta) und die von ihm ergriffenen Zwangsmaßnahmen nach Kapitel VII vom Interventionsverbot nicht berührt werden (Art. 2 Ziff. 7 UN-Charta).
Jedoch: Jegliches Veto eines ständigen Sicherheitsratsmitglieds verhindert einen Beschluss zur militärischen Intervention bei schweren Menschenrechtsverletzungen. Die ICISS hat in ihrem Papier zur Schutzverantwortung die Möglichkeit erwogen, dass diese, wenn ein Veto zu erwarten ist, auch außerhalb des Sicherheitsrats ausgeübt werden kann. Diese Möglichkeit wurde von den Staaten ganz überwiegend als zu weitreichend betrachtet und stattdessen über eine Begrenzung des Vetorechts der fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder nachgedacht. Eine Initiative geht dahin, die ständigen Sicherheitsratsmitglieder aufzufordern, ihr Veto nicht auszuüben – sofern zentrale staatliche eigene Interessen nicht berührt werden und sie durch ein Veto eine Intervention behindern, für die es ansonsten eine Mehrheit geben würde. Damit sollen die ständigen Sicherheitsratsmitglieder zu einem Verzicht auf ihr Vetorecht bewegt werden, wenn schwere Menschenrechtsverletzungen in einem internen Konflikt begangen werden und die Voraussetzungen für die Wahrnehmung der Schutzverantwortung vorliegen
Dieser Vorschlag und andere vorausgehende Vorschläge sind bis heute politische Forderungen geblieben, die noch keine rechtliche Gestalt angenommen haben – auch nicht im Sinne einer im Entstehen befindlichen Norm
Schluss
Man mag beklagen, dass der Sicherheitsrat nicht effizient genug arbeitet und das Völkerrecht nicht schnell genug auf neue Herausforderungen reagiert. Dies ist dem schwierigen Rechtsbildungsprozess auf internationaler Ebene geschuldet. Erst durch das Zusammentreffen einer einheitlichen Staatenpraxis und einer übereinstimmenden Rechtsüberzeugung entstehen neue völkergewohnheitsrechtliche Regeln. Im Fall der Anwendung der Regelungen aus Kapitel VII UN-Charta auf interne Konflikte ist dieser Weg erfolgreich gegangen worden. Den Staaten sind damit Handlungsmöglichkeiten bei Verletzung elementarer Menschenrechte gegeben, die zuvor als Verletzung des Interventionsverbots und damit als völkerrechtswidrig einzuordnen waren. Es ist zur allgemein anerkannten Praxis geworden, dass die internationale Gemeinschaft unter Mandat des Sicherheitsrats bei schweren Menschenrechtsverletzungen in interne Konflikte eingreifen kann, die mit einer Bedrohung der internationalen Sicherheit einhergehen.
Das Mandat des Sicherheitsrats für Interventionen in interne Konflikte ist jedoch, wie bei einem Eingreifen in internationale Konflikte, unabdingbar. Die Anforderungen an eine militärische Intervention zum Schutz der Menschenrechte müssen verbindlich festgelegt werden. Dieses Anliegen verfolgt auch das Konzept der Schutzverantwortung. Eine militärische Intervention ist nur als ultima ratio und nur durch Ermächtigung des Sicherheitsrats möglich.
Mit Rechtfertigung allein ist der Missbrauch des Rechts groß. Deshalb muss Legitimierung immer auch mit Unrechtsausschließung verbunden werden. Andernfalls würde die Völkerrechtsordnung durch die Gefahr willkürlicher Entscheidungen unterminiert und die Rechtssicherheit angegriffen werden.