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Aktuelle Situation
Seit der Corona-Pandemie vor vier Jahren hat sich die allgemeine soziale und politische Situation in Tadschikistan weiter verschärft und die Lage der Menschenrechte, vor allem mit Blick auf unabhängige Journalisten und ethnische Minderheiten, wie den Pamiris, massiv verschlechtert. Das autoritäre Missmanagement der Corona-Pandemie
Das staatliche Versagen während der Corona-Pandemie hat zu einer weiteren Erosion des Vertrauens der Bevölkerung in das herrschende Regime geführt und die Spannungen innerhalb der Elite, die von der Familie Rahmon dominiert wird, verstärkt. Rahmon baut seit Jahren seinen ältesten Sohn Rustam Emomali, der Senatsvorsitzender und Bürgermeister von Duschanbe ist, als seinen Nachfolger auf. Allerdings hat Rustam innerhalb der Elite mittlerweile eine Vielzahl an Konkurrenten, allen voran seine Schwester Ozoda, welche die Präsidialadministration ihres Vaters leitet und das Vertrauen der mächtigen Sicherheitsbehörden genießt. Anzeichen sprechen dafür, dass Rahmon die Konflikte innerhalb seiner Familie immer weniger zu deckeln und vor der Öffentlichkeit zu verbergen vermag. So soll Rustam an die Medien durchgestochen haben, dass Ozoda eine Affäre mit ihrem Fahrer gehabt haben soll, um ihrer öffentlichen Reputation zu schaden.
Die letzte wirkmächtige Opposition zur Herrschaft der Familie Rahmon wurde bereits 2015 ausgeschaltet, als die Islamische Partei der Wiedergeburt (IRPT) gerichtlich verboten und ihre Mitglieder und deren Familienangehörige, Rechtsanwälte und Unterstützer aus rein politischen Gründen mit hohen Haftstrafen belegt wurden. Unabhängige zivilgesellschaftliche Gruppen und Journalisten, die über die politischen Entwicklungen im Land berichten, werden seit 2022 ebenfalls massiv verfolgt und mit hohen Haftstrafen belegt.
Am 25. November 2021 erschossen tadschikische Beamte des Staatlichen Komitees für Nationale Sicherheit im Dorf Tavdem (Autonomes Gebiet Berg-Badachschan, kurz GBAO) den 29-jährigen, unbewaffneten Pamiri Gulbuddin Ziyobekov. Ziyobekov sollte wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte festgenommen werden, nachdem er ein Jahr zuvor eine junge Frau seines Dorfes gegen die Belästigungen durch einen tadschikischen Beamten verteidigt hatte. Die tadschikische Regierung hat in GBAO regelmäßig von extralegalen Tötungen Gebrauch gemacht. Doch der Fall Ziyobekov markiert einen Wendepunkt und den Beginn der bislang repressivsten und gewaltsamsten Periode in Tadschikistan seit dem Ende des Bürgerkriegs. Eine Gedenkveranstaltung für Ziyobekov im Zentrum der Regionalhauptstadt Khorog kurz nach seiner Ermordung entwickelte sich schnell zu einem mehrtägigen Protest der örtlichen Bevölkerung. Die Demonstranten forderten nicht nur eine gründliche Ermittlung in dem Fall und eine gerichtliche Bestrafung der Täter, sondern auch den Abzug der tadschikischen Armee aus GBAO, die Schließung aller militärischen Kontrollpunkte in Khorog und die Entfernung des neuen Regionalgouverneurs Alischer Mirzonabot, den Rahmon erst wenige Wochen zuvor eingesetzt hatte. Parallel starteten Aktivisten die Online-Petition „Demanding Human Rights and Justice in GBAO Tajikistan“, die fast 17.000 Unterschriften erbrachte.
Die Sicherheitskräfte reagierten auf die Demonstration mit massiver Gewalt und töteten durch Schüsse in die Menge zwei Menschen und verletzten 17 weitere. Rahmon nahm die Demonstration zum Anlass, die Pamiris mit militärischer Gewalt zu unterwerfen und sich mit der regionalen Autonomie von GBAO des letzten Hindernisses auf dem Weg zur totalen Kontrolle des Landes zu entledigen. In den staatlichen Medien begann eine Hetzkampagne, in der Pamiris als Kriminelle und Terroristen stigmatisiert wurden, um Massenverhaftungen in GBAO zu rechtfertigen. Zwischen November 2021 und März 2022 wurde eine totale Internetblockade über GBAO verhängt.
Im Mai 2022 formierten sich in Khorog neue Proteste gegen die anhaltende Unterdrückung, woraufhin erneut das Militär geschickt wurde. In Womar wurden mindestens 25 Pamiris getötet, als sie versuchten, den Konvoi auf dem Weg nach Khorog aufzuhalten. In Khorog begann das Militär mit einer Serie gezielter Tötungen von lokalen Anführern. Einer der einflussreichsten von ihnen, Mamadbokir Mamadbokirov, ein ehemaliger hochrangiger Kommandeur der Vereinigten Tadschikischen Opposition (UTO) aus der Zeit des Bürgerkriegs, wurde am 22. Mai 2022 erschossen. Seither wird das religiöse und kulturelle Leben der Pamiris systematisch unterdrückt, und mehrere unabhängige Journalisten und Aktivisten aus der Region wurden zu langen Haftstrafen verurteilt.
Ursachen und Hintergründe des Konflikts
1929 wurde Tadschikistan in den bis heute gültigen Grenzen als eigenständige Sozialistische Sowjetrepublik (SSR) innerhalb der Sowjetunion etabliert. Die Einteilung der Bevölkerung in ethnische Gruppen (v.a. Tadschiken, Usbeken, Pamiris) erfolgte gemäß der sowjetischen Nationalitätenpolitik. Diese Klassifizierung verdeckt und verzerrt die Komplexität und Dynamik der tieferen regionalen Identitäten und kleinteiligeren Beziehungsnetze. Im alltäglichen Leben ist die Identifikation mit der nationalen Ebene, trotz der von der Regierung propagierten nationalen „tadschikischen“ Geschichte und Kultur, eher gering. Die aktuelle staatliche Gewalt gegen die Pamiris ist auch Ergebnis dieses gescheiterten tadschikischen Nationalismus (vgl. Akbarzadeh 1996).
Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion befindet sich Tadschikistan in einer politischen und ökonomischen Dauerkrise. Besonders dramatisch war die Situation zwischen 1992 und 1997, als das Land im Bürgerkrieg versank. Ursache war der Machtkampf zwischen rivalisierenden Fraktionen um die Kontrolle des Staatsapparates und die wirtschaftlichen Ressourcen des Landes. Die „neue“ Machtelite des seit September 1991 unabhängigen Tadschikistans, die zu diesem Zeitpunkt noch ein hohes Maß an personeller Kontinuität mit der sowjetisch-tadschikischen Nomenklatura aufwies, profitierte dabei von den engen Verflechtungen mit der informellen Wirtschaft und der organisierten Kriminalität. So verdankt Rahmon seinen Aufstieg dem für seine Brutalität berüchtigten Warlord Sangak Safarov, von dem er im November 1992 als Vorsitzender des Exekutivkomitees von Kulob eingesetzt wurde. Safarov selbst wurde im März 1993 erschossen und in den 2000er Jahren von Rahmon aus dem öffentlichen Gedächtnis getilgt (Epkenhans 2016: 360).
Der Bürgerkrieg wurde 1997 durch einen Friedensvertrag beendet, welcher der oppositionellen IRPT eine ständige Regierungsbeteiligung von mindestens 30 % zusicherte. Rahmon hat jedoch bereits in den späten 1990er Jahren damit begonnen, Mitglieder der Opposition in Staat und Verwaltung schrittweise durch Loyalisten zu ersetzen. Mit zunehmender Machtkonsolidierung verkleinerte sich der von Rahmon protegierte Personenkreis im Zentrum seines Herrschaftsnetzwerkes. So wurden anfängliche Unterstützer aus seiner Heimatregion Kulob durch Loyalisten aus seiner Heimatstadt Dangara und diese schließlich durch nahe und ferne Verwandte sowie engste Freunde und Vertraute ersetzt. Der letzte noch aus der Zeit des Bürgerkriegs stammende Weggefährte Rahmons, Mahmadsaid Ubaydulloev, wurde 2020 im Amt des Senatsvorsitzenden von Rustam Emomali abgelöst. Seitdem dominiert die Familie Rahmon Staat und Wirtschaft praktisch uneingeschränkt. Die derzeit sechs im Parlament vertretenen Parteien sollen im De-facto-Einparteienstaat den Schein einer funktionierenden Demokratie wahren.
Zugleich ist es gerade diese repressive Form der Machtkonsolidierung, die die Lage tendenziell weiter destabilisiert und vor dem Hintergrund des ausstehenden Machttransfers ein hohes Konfliktpotenzial birgt. Zudem fragmentiert sich die tadschikische Elite zunehmend in konkurrierende Interessengruppen, deren in sich geschlossene und durch gegenseitige Loyalität definierte Netzwerke immer weniger Raum für Kooptation lassen.
Bearbeitungs- und Lösungsansätze
Tadschikistan ist ein frühes Beispiel für eine autoritäre Bearbeitung und Befriedung innerstaatlicher Konflikte.
Rahmon stützt sich auf Kooptation, Legitimation und Repression als den drei Säulen seiner autoritären Herrschaft (Lemon 2020). Politische Macht und die wirtschaftlichen Ressourcen des Landes sind heute in den Händen einiger weniger Vertrauter Rahmons konzentriert. Aufgrund der überpersonalisierten Herrschaft muss Rahmon ständig die verschiedenen Machtpole ausbalancieren, die innerhalb seiner erweiterten Familie an den teilweise milliardenschweren Staatseinnahmequellen entstanden sind.
Da Legitimation und Kooptation an ihre Grenzen kommen, verbleibt für Rahmon die offene Repression als letzte voll funktionsfähige Säule seiner Herrschaft. Opposition und Zivilgesellschaft wurden schon vor Jahren weitgehend ausgeschaltet, weshalb das Fadenkreuz der staatlichen Repression auf eines der wenigen verbliebenen Ziele gerichtet wurde: die ethnische und religiöse Minderheit der Pamiris in GBAO im Osten des Landes. Rahmon hat die Rolle des autonomen Gebiets im Bürgerkrieg nie vergessen und die Pamiris seitdem stets als potenzielle Separatisten und ihre regionale Autonomie als Gefahr für die Integrität des tadschikischen Staates gesehen.
Das Regime versucht außerdem, seine Macht durch die Verbreitung eines essentialistischen Narrativs über die Ursprünge und das „Wesen“ der tadschikischen Nation zu konsolidieren. Darin wird den Tadschiken eine „friedliche“ und auf Harmonie bedachte „Natur“ zugeschrieben. Die Bürger sollen sich nicht als mündige Subjekte eines demokratischen Gemeinwesens verstehen, sondern als passive und apolitische Angehörige einer durch Staat und Präsident verkörperten einheitlichen, stabilen und in Eintracht lebenden Nation. Aus diesem Narrativ heraus zeichnet die Propaganda das Bild von den Pamiris als kriminellen Abweichlern und nationalen Störenfrieden, denen nur mit militärischen Mitteln und kollektiver Disziplinierung beizukommen sei. Dabei wird ganz bewusst auf ethnische und religiöse Ressentiments zurückgegriffen, die ihren Ursprung in der Zeit des Bürgerkriegs haben. Rahmon ist an keiner Aufarbeitung des Bürgerkriegs interessiert, da sein Regime auf der Gewalt jener Zeit gebaut ist und bis heute von ihr aufrechterhalten wird.
Geschichte des Konflikts
Als mit dem Zerfall der Sowjetunion die Subventionen aus Moskau von einem auf den anderen Tag ausblieben und Tadschikistan völlig unvorbereitet seine Unabhängigkeit erhielt, entwickelte sich entlang der regionalen und ideologischen Unterschiede rasch ein Konflikt um die politische und wirtschaftliche Kontrolle des Staates (Scarborough 2024). Durch den Bürgerkrieg haben die trennenden Gruppenloyalitäten und -solidaritäten zusätzlichen Auftrieb erhalten und sich weiter verfestigt. Der bis heute dominierende Regionalismus stellte zwar nicht die Ursache des Konfliktes dar, war jedoch ein wichtiges Mittel zur Mobilisierung der jeweiligen Gruppen und Akteure des Kriegsgeschehens.
Die damalige Regionalpartei Lali Badachschan hatte zu Beginn des Bürgerkriegs die Unabhängigkeit von GBAO erklärt, diese aber wenig später wieder zurückgenommen und sich stattdessen 1993 der UTO angeschlossen.
Die negativen Folgen des Krieges sind bis heute nicht überwunden. Im offiziellen Erinnerungsdiskurs wird der Konflikt auf ein simples Gut-gegen-Böse-Schema reduziert, wobei hauptsächlich der persönliche Einsatz und das diplomatische Geschick Rahmons für den Abschluss des Friedensabkommens herausgestellt werden. Die von allen Seiten verübten Gräueltaten werden verschwiegen und nicht aufgearbeitet, was die neue Episode der ethnisch motivierten Gewalt gegen die Pamiris seit 2021 maßgeblich mit ermöglicht hat.