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Pakistan | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Pakistan

Almut Wieland-Karimi

/ 9 Minuten zu lesen

Nach den Wahlen Anfang 2024 haben die beiden etablierten Parteien mit Billigung des Militärs wieder die Macht in Pakistan übernommen. Die Sicherheitslage im Land bleibt angespannt.

18.10.2024, Peschawar, Pakistan: Anhänger der oppositionellen PTI demonstrieren für die Freilassung des früheren Premierministers Imran Khan. (© picture-alliance, ZUMAPRESS.com)

Aktuelle Situation

Die Ergebnisse der Parlaments- und Provinzwahlen im Februar 2024 erlauben wenig Hoffnung auf mehr Stabilität in dem chronisch instabilen Land, das unter einer schweren Finanzkrise, hoher Inflation, steigender Armut und Arbeitslosigkeit, terroristischen Anschlägen und den Folgen des Klimawandels leidet. Einige demografische Daten des nach seiner Bevölkerung mit 242 Millionen Menschen fünftgrößten Landes der Welt unterstreichen die großen Herausforderungen: Das Durchschnittsalter beträgt 20,6 Jahre, jede Frau gebärt im Durchschnitt 3,5 Kinder und die Analphabetenquote liegt bei ca. 40 %.

Bei den Wahlen, die von weit verbreiteten Vorwürfen der Wahlmanipulation und des Wahlbetrugs überschattet waren, konnte sich keine Partei klar durchsetzen. Die größte Gruppe im neuen Parlament sind unabhängige Abgeordnete, die mehrheitlich von der Partei des inhaftierten ehemaligen Premierministers Imran Khan, Pakistan Tehreek-e-Insaaf (PTI), unterstützt werden. Auf dem zweiten Platz rangiert die Pakistan Muslim League-Nawaz (PML-N), die von der Familie Sharif geführt wird, ihre Bastion in der bevölkerungsreichsten Provinz Punjab hat und als wirtschaftsnah gilt. An dritter Stelle folgt die Pakistan People‘s Party (PPP) der Familie Bhutto-Zardari, die ihre Wurzeln in der Provinz Sindh hat und, wie auch die PML-N, in der Gunst des mächtigen Militärapparats steht (vgl. z.B. Lamm 2024).

Die beiden großen Parteien PML-N und PPP haben sich auf ein fein austariertes Machtarrangement geeinigt, in dem der Bruder des Vorsitzenden der PML-N, Shehbaz Sharif, den Premierminister und der Vater des Vorsitzenden der PPP den Präsidenten stellt. Die Koalitionsregierung wird von mehreren kleinen Parteien unterstützt. Die Provinzregierung in Punjab wird von der PML-N und die in Sindh und Belutschistan von der PPP geführt. Lediglich die Regierung in Khyber Pakhtunkhwa (KP) wird wieder von der PTI gebildet. Damit ist es der PML-N und der PPP nach dem vierjährigen Intermezzo der PTI-Regierung unter Imran Khan zumindest vorerst gelungen, ihre auf dynastische Netzwerke und Korruption gestützte politische Dominanz wiederherzustellen.

Khan hatte in seiner Regierungszeit (2018-22) sein Versprechen, den politischen Status quo zu überwinden und die Lebensbedingungen für die verarmte Bevölkerung zu verbessern, nicht einlösen können. Im Gegenteil, die Wirtschaftslage verschlechterte sich so dramatisch, dass er im Frühjahr 2022 die Unterstützung des Militärs und der Geheimdienste verlor und ihn die Opposition per Misstrauensantrag stürzen konnte. Seit seiner Absetzung im Frühjahr 2022 hat die Polarisierung zwischen den politischen Lagern immer wieder zu landesweiten Demonstrationen und gewaltsamen Auseinandersetzungen bis hin zu Angriffen auf Militäreinrichtungen geführt.

Die neue Regierung steht auch sicherheitspolitisch vor riesigen Herausforderungen. Seit dem überstürzten Abzug westlicher Truppen aus Afghanistan im August 2021 und der Machtübernahme der Taliban im benachbarten Afghanistan ist die Zahl an Terroranschlägen durch die „Bewegung der pakistanischen Taliban“ (Tehreek-e Taliban-e Pakistan – TTP) und den Islamischen Staat Khorasan Provinz (ISKP) erheblich angestiegen. Die 2007 aus mehreren Gruppen formierte Terrororganisation TTP verfolgt das Ziel, die Provinz KP schrittweise unter ihre Kontrolle zu bringen, um ihr entweder mehr Autonomie zu verschaffen oder einen Anschluss an Afghanistan vorzubereiten.

Die Hoffnung Pakistans, durch gute Beziehungen zu den afghanischen Taliban einen mäßigenden Einfluss auf die TTP ausüben zu können, hat sich als trügerisch herausgestellt. Die Beziehungen zwischen Afghanistan und Pakistan befinden sich zurzeit auf einem Tiefpunkt. In der sicherheitspolitisch instabilen Region lieferten sich in der ersten Jahreshälfte 2024 pakistanische Grenzposten und afghanische Sicherheitskräfte mehrfach bewaffnete Auseinandersetzungen. Nach pakistanischen Angaben finden Kämpfer der TTP Rückzugsräume auf der afghanischen Seite der Grenze, um von dort aus Angriffe in Pakistan vorzubereiten (vgl. z. B. International Crisis Group 2024).

Auch in der dünn besiedelten, aber flächenmäßig größten Provinz Belutschistan im Südwesten Pakistans (auch in Afghanistan und Iran gibt es Belutschen) kommt es regelmäßig zu separatistisch motivierten Attentaten und Aufständen. Am 26. August 2024 haben Kämpfer der Baloch Liberation Army (BLA) bei koordinierten Aktionen mehrere Polizeistationen überfallen, ein Waffendepot der Grenztruppen geplündert und eine wichtige Eisenbahnbrücke gesprengt. Dutzende Soldaten und Polizisten wurden getötet. Die Terroristen erschossen ebenfalls mindestens 23 Truckfahrer, die aus anderen Regionen stammten, und steckten die Fahrzeuge in Brand.

Ursachen und Hintergründe der Konflikte

Die Konflikte und die anhaltende politische Instabilität Pakistans hängen eng mit dem bis heute nicht vollendeten Prozess der Nations- und Identitätsbildung zusammen. Die Probleme werden dadurch verschärft, dass eine kleine herrschende Elite ihre eigenen Interessen über die Entwicklung des Landes stellt, dem es bis heute u.a. an einem effizienten staatlichen Gesundheits- und Bildungssystem mangelt. Zudem dominieren seit der Staatsgründung 1947 Militär und Geheimdienste den Staat. Der Auf- und Ausbau militärischer Macht – gerechtfertigt durch die Erzfeindschaft zu Indien und in jüngerer Zeit auch zu Afghanistan – hatte stets Vorrang vor der Überwindung der sozialen und politischen Missstände. Das Militär ist mit eigenen Unternehmen ein wichtiger Faktor in der Wirtschaft.

In Pakistan und seinem regionalen Umfeld bestimmen zwei zentrale Konfliktlinien die religiösen, ethnischen und soziopolitischen Auseinandersetzungen:

(1) Antagonismen zwischen islamistischen Kräften, zivil-demokratischen Eliten und dem militärischen Establishment: Hier treffen drei unvereinbare Orientierungen aufeinander: zum einen die weitere Islamisierung der Gesellschaft mit dem Ziel der Schaffung einer Theokratie, zum anderen die Beibehaltung und Stärkung einer säkular-demokratisch ausgerichteten Ordnung und schließlich der Anspruch des allmächtigen Militärs, die Geschicke des Landes zu kontrollieren. Die Islamisierung Pakistans schreitet schnell voran. Vielerorts werden Religionsschulen (madaris) gebaut, und islamistische Botschaften treffen in der mehrheitlich konservativen und zu großen Teilen notleidenden Bevölkerung auf fruchtbaren Nährboden. Dem stellen sich vor allem die im Westen ausgebildete und säkular eingestellte Eliten entgegen, welche zumeist in den Großstädten zuhause sind. Nach der Unabhängigkeit und Staatsgründung im Jahr 1947 herrschte in Pakistan mehr als 30 Jahre lang das Militär, das zum Staat im Staate avanciert ist. Zivile Regierungen haben der Macht des Militärs nur wenig entgegenzusetzen. Sie hängen von seinem Wohlwollen ab, wie der Ausgang der Wahlen Anfang 2024 wiederum gezeigt hat (vgl. Muneer/ Aryal 2024).

(2) Auseinandersetzungen zwischen religiösen und ethnischen Gemeinschaften und dem pakistanischen Staat: Die Vielzahl ethnischer, religiöser und tribaler Bindungen und Identitäten sowie das Fehlen einer genuin pakistanischen Identität führen zu zahlreichen Konflikten, in denen der pakistanische Staat verschiedenen islamischen Strömungen sowie ethnisch motivierten separatistischen Bewegungen gegenübersteht. In den politischen und wirtschaftlichen Eliten und der Verwaltung Pakistans sind vor allem Punjabis stark vertreten, die mehr als 50 % der Bevölkerung ausmachen. Dadurch haben politische und sozio-ökonomische Auseinandersetzungen meist auch eine ethnische Dimension; andere Volksgruppen fühlen sich benachteiligt.

Besonders im entlegenen Nordwesten der Provinz Khyber-Pakhtunkhwa kommt es immer wieder zu ethnisch und religiös motivierten Aufständen und Anschlägen. Die ehemaligen Stammesgebiete (FATA) mit ihrer unzugänglichen Topographie und tribalen Gesellschaftsordnung waren nach der pakistanischen Staatsgründung 1947 lange autonom, weshalb ihre Regierbarkeit eingeschränkt war. Das traditionelle paschtunische Siedlungsgebiet, das weit nach Afghanistan hineinreicht, wird durch die noch von Großbritannien gezogene afghanisch-pakistanische Grenze, die „Durand-Linie“, geteilt. Unzufriedenheit bei der lokalen Bevölkerung herrscht auf beiden Seiten der Grenze, durch die Familien- und Stammesgemeinschaften getrennt werden. Separatistische Forderungen nach einem unabhängigen „Paschtunistan“ haben zudem durch den Sieg der Taliban in Afghanistan neue Nahrung erhalten, die die „Durand-Linie“ nicht anerkennen.

Im südwestlich gelegenen Belutschistan hat die Regierung die Forderungen der Separatisten nach größerer wirtschaftlicher Teilhabe und mehr Selbstbestimmung von der Zentralregierung in Islamabad bislang weitgehend ignoriert. Der Region kommt mit ihren Rohstoffvorkommen und dem Hafen in Gwadar am Indischen Ozean eine Schlüsselstellung im Rahmen des chinesisch-pakistanischen Infrastrukturprojektes „Neue Seidenstraße“ zu. In der lokalen Bevölkerung gibt es große Widerstände gegen das Projekt, weil man befürchtet, dass es kaum Nutzen für die Menschen vor Ort abwerfen und traditionelle Wirtschafts- und Lebensformen verdrängen wird. Terroranschlägen der Belutschischen Befreiungsarmee (BLA) fallen vor allem Angehörige pakistanischer Sicherheitsbehörden und zuletzt auch chinesische Staatsbürger zum Opfer.

Die Konflikte werden durch die Auswirkungen der globalen Klimakrise massiv verstärkt. Laut Weltklimarat zählt Pakistan zu den zehn Staaten, die am meisten von Klimafolgen bedroht sind, wobei das Land selbst weniger als ein Prozent des weltweiten CO2 emittiert. Zudem ist Pakistan besonders von Naturkatastrophen, wie Überschwemmungen und Dürren, bedroht. Bei der jüngsten Flutkatastrophe im Jahr 2022, die über Monate andauerte, verloren über 1.700 Menschen, insbesondere in den südlichen Provinzen Sindh und Belutschistan, ihr Leben. Über eine Million wurden zu Binnenvertriebenen. Extremtemperaturen mit über 50 Grad Celsius führen dazu, dass ganze Landstriche im südlichen Pakistan unbewohnbar werden. Landflucht, noch größere Armut und Migration sind die Folge.

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Transformationsstrategien pakistanischer Regierungen zur Konfliktbewältigung oszillieren meist zwischen sporadischen Friedensgesprächen mit militanten Gruppierungen und mit großer Härte durchgeführten Militäroperationen. Beide Strategien haben sich bislang als wenig wirkungsvoll erwiesen. Im Herbst 2021 scheiterte der Versuch, einen Waffenstillstand mit den TTP auszuhandeln. Im Frühjahr 2022 wurde unter Vermittlung der afghanischen De-facto-Regierung (De facto Authorities – DFA) ein neuer Anlauf unternommen, doch es gibt nur wenig Anlass zu Optimismus. Entsprechende pakistanische Appelle an die DFA verhallten auch 2024 ungehört.

Die Lösung der innerstaatlichen Konflikte in Pakistan wird besonders durch die einflussreiche Stellung des Militärs erschwert. Um das Machtgleichgewicht mit dem Erzrivalen Indien und nun auch mit Afghanistan auszubalancieren und eigene wirtschaftliche sowie geostrategische Interessen zu abzusichern, kooperieren die pakistanischen Streitkräfte und ihr Geheimdienst Inter Services Intelligence (ISI) – so wird berichtet – immer wieder mit islamistischen Gruppierungen. Angesichts der Fokussierung auf Sicherheitsfragen wird die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung vernachlässigt. Im Jahr 2024 musste Pakistan zum 23. Mal einen Kredit vom Internationalen Währungsfonds (IWF) aufnehmen. Alternative Wirtschaftskonzepte und regionale Infrastrukturprojekte wurden zwar wiederholt angekündigt, dann aber nicht umgesetzt.

Darüber hinaus hat sich auch in Pakistan in den vergangenen Jahren – auch unter der wachsenden Bedeutung des Internets – die Polarisierung in Medien und Politik entlang ethnischer, religiöser und parteipolitischer Grenzen weiter verstärkt. Demokratische Entscheidungs- und Inklusionsprozesse sind unter diesen Bedingungen nur eingeschränkt möglich. Die tumultartige Ablösung Imran Khans, die das Land an den Rand einer Verfassungskrise führte, und ihre Folgen wirken wie ein Brandbeschleuniger für eine extreme parteipolitische Polarisierung.

Geschichte des Konflikts

Pakistan, das „Land der Reinen“, wurde gegründet, um den Millionen Musliminnen und Muslimen des indischen Subkontinents eine Heimat zu geben. Die britische Kolonialverwaltung legte mit der unterschiedlichen Behandlung der Bevölkerungsgruppen und ihren Teilungsplänen den Grundstein für die Konflikte. Während die gut ausgebildeten Hindus überproportional stark in der Regierung, Verwaltung und im Militär vertreten waren, blieb der muslimischen Bevölkerung der Zugang zu Bildung und Entwicklung vielfach verwehrt. Um der drohenden Dominanz der Hindus zu entfliehen, trieben muslimische Intellektuelle die Gründung eines eigenständigen Staates voran. Grundlage war die sogenannte Zwei-Nationen-Theorie, die bis heute ein zentrales identitätsstiftendes Element darstellt.

Unter dem Druck der Modernisierung sind die patriarchalen und quasi-feudalen Strukturen zum Hindernis für den Aufbau eines modernen und demokratischen Staates geworden. Aufgrund der allgegenwärtigen Armut folgen viele, vor allem junge Menschen, den Heilsversprechen der religiösen Parteien und Organisationen. Denn Organisationen, wie Jamaat-i Ulema i Pakistan (JUI) oder Jamaat-i Islami (JI), sind keineswegs nur für Spiritualität zuständig. Mit ihrem Netz an Versorgungseinrichtungen, Moscheen und Schulen haben sie spätestens seit den 1980er Jahren unter der Militärherrschaft General Zia-ul Haqs (1977-88) ein Parallelsystem zum pakistanischen Staat geschaffen.

Die zivilen Regierungen der 1990er Jahre unter den Ministerpräsidenten Benazir Bhutto und Nawaz Sharif konnten aufgrund interner Machtkämpfe und externer Probleme den Trend zur Islamisierung nicht aufhalten. Um das von Zerfall bedrohte Land zu stabilisieren, hat das Militär unter den Generälen Ayub Khan (1958), Zia-ul Haq (1977) und Pervez Musharraf (1999) bereits dreimal die Macht für mehrere Jahre an sich gerissen. Das jahrzehntelange Kriegsrecht hat die demokratische Kultur nachhaltig beschädigt. Doch aufgrund dauerhafter negativer Erfahrungen mit der korrupten politischen Elite wird das Militär bis heute als zuverlässiger Stabilisator der in ihrem Zusammenhalt bedrohten Nation gesehen. Es ist jederzeit in der Lage, sich wieder an die Macht zu putschen.

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Dr. Almut Wieland-Karimi ist Senior Politikberaterin, Beiratsmitglied der Stiftung Mercator und der Advisory Group des UN-Generalsekretärs für Peacebuilding und ehemalige Geschäftsführerin des Zentrums für Internationale Friedenseinsätze (ZIF).