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Baskenland | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Baskenland

Ingo Niebel

/ 8 Minuten zu lesen

Im Baskenland hat die Zivilgesellschaft seit 2011 die Grundlagen geschaffen, damit die Untergrundorganisation ETA sich 2018 selbst auflösen konnte. Der Konflikt mit den Regierungen in Madrid und Paris über den politischen Status der Region und die baskische Sprache besteht jedoch fort.

Menschen mit Flaggen und Bannern verfolgen die Entwaffnung der ETA am 08.04.2017 in Bayonne/Frankreich. (© picture-alliance, AA | Javi Julio)

Der Weg zum Frieden

Der Grundkonflikt zwischen dem Baskenland, Spanien und Frankreich umfasst drei Punkte: Erstens definieren sich Basken primär über ihre Sprache. Deshalb fordern sie, dass Madrid und Paris das Euskara – Europas älteste noch lebende Sprache – als gleichberechtigte Amtssprache anerkennen. Zweitens streben sie die territoriale Einheit ihrer sieben Provinzen an, von denen vier im Königreich Spanien und drei in der Französischen Republik liegen. Drittens, schließlich, möchten sie über die politische Zukunft ihres Gemeinwesens selbst bestimmen können. Die drei Forderungen kollidieren mit dem in Spanien und Frankreich vorherrschenden Zentralstaatsverständnis.

Während des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) erhielten die Basken von der Zentralregierung Kompetenzen, um sich selbst zu regieren. Diese Autonomie endete 1937, als die rechten Putschisten unter General Francisco Franco das Baskenland eroberten. Der Diktator verwaltete das Baskenland wieder zentral, verbot das Baskische, ließ Gegner verfolgen und exekutieren. In diesem Kontext entstand 1958 die Untergrundorganisation Euskadi Ta Askatasuna (ETA, Baskenland und Freiheit). Ab 1968 kämpfte sie gewaltsam gegen die Franco-Diktatur (1936/39-1975/78). Auch das neue Autonomiestatut (1979) lehnte sie ab. Ihr Ziel war eine unabhängige, baskische Republik. Dafür verübte sie bis 2011 Attentate auf Vertreter von Staat, Politik und Industrie. Das französische Baskenland diente ihr dabei als Rückzugsraum. In den 1990er Jahren weitete sich der Konflikt aus, als linke Jugendliche ihren "Straßenkampf" (baskisch: kale borroka) begannen. Sie wollten mit Brandanschlägen, z.B. gegen öffentliche Verkehrsmittel und Bankautomaten, die Ziele der ETA unterstützen. Die Attentate und die Reaktionen des spanischen Staates betrafen die gesamte Gesellschaft, ohne dass eine Konfliktpartei klar siegte.

Karte der ETA-Aktionen im Baskenland 1961-2010
Interner Link: Hier finden Sie die Karte als hochauflösende pdf-Datei. (mr-kartographie) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Nachdem 2007 die Gespräche zwischen der spanischen Regierung, der verbotenen baskischen Linkspartei Batasuna und der ETA um eine politische Lösung des Konflikts gescheitert waren, sah es zunächst so aus, als würde erneut eine Dekade der Gewalt folgen. Doch 2010 entschieden sich weite Teile der ebenfalls verbotenen linken Unabhängigkeitsbewegung, künftig nur noch mit politischen Mitteln und gewaltfrei für das gemeinsame Ziel – die Bildung eines baskischen (sozialistischen) Staates – zu kämpfen. Die ETA akzeptierte diesen Paradigmenwechsel, mit dem sich im linken Lager das Primat der Politik durchsetzte. In der Folge entwickelte sich eine Dynamik, die mehrere linksnationale Kräfte veranlasste, sich in der Parteienkoalition "Euskal Herria Bildu" – kurz: EH Bildu – (deutsch: das Baskenland versammeln) zusammenzuschließen.

Auf der internationalen Ebene unterstützten Experten für Konfliktlösung die Entwicklung. Sie gewannen u.a. fünf Friedensnobelpreisträger dafür, den Prozess mitzutragen. Die angestrebte Lösung orientierte sich am Beispiel und den Erfahrungen in Interner Link: Südafrika und Interner Link: Nordirland. Im Oktober 2011 fand unter Leitung des ehemaligen UN-Generalsekretärs Kofi Annan eine Konferenz im baskischen Aiete statt, auf der die internationalen Unterstützer die ETA aufriefen, den bewaffneten Kampf einzustellen. Die Regierungen in Madrid und Paris sollten ihrerseits darauf mit einer konstruktiven Geste reagieren. Am 21. Oktober 2011 verkündete die ETA das Ende "aller bewaffneten Aktivitäten". Am 8. April 2017 erfolgte über Vermittler und mithilfe gesellschaftlicher Gruppen die Übergabe ihres Waffenarsenals an die Behörden. Die ETA löste sich am 3. Mai 2018 selbst auf.

Erfolge und Stagnation

Seitdem hat sich das Leben im Baskenland normalisiert. Politiker der pro-spanischen Parteien, Angehörige der Sicherheitsbehörden und Unternehmer müssen nicht mehr fürchten, Ziele von Anschlägen zu werden. Auch das Kollektiv der Politischen Baskischen Gefangenen (EPPK) hat den spanischen Rechtsrahmen anerkannt. Die Parteien der linken Unabhängigkeitsbewegung akzeptierten ihrerseits das restriktive Parteiengesetz als Basis des politisch-demokratischen Wettbewerbs. Zu ihrem neuen Stil gehört, mit gesamtspanischen Parteien sozialdemokratischer und linksrepublikanischer Prägung konstruktiv zusammenzuarbeiten. Das geschah 2015-2019 in der "Foralen Gemeinschaft Navarra" (baskisch: Nafarroa) und seit 2019 in Madrid, wo die Abgeordneten von EH Bildu und der konservativen Baskischen Nationalpartei (PNV) punktuell die Minderheitskoalition des sozialdemokratischen Premier Pedro Sánchez (PSOE) und seines linksrepublikanischen Vizepremiers Pablo Iglesias (UP) unterstützen.

In der baskischen Gesellschaft gibt es verschiedene Initiativen und Ansätze, den gewaltsamen Konflikt aufzuarbeiten, der ca. 1.300 Todesopfer auf beiden Seiten gefordert hat. Dazu kommen noch etliche tausend Opfer polizeilicher Willkür und Folter. Die Gesprächsforen sind aber noch weit davon entfernt, den Charakter von "Wahrheitskommissionen" anzunehmen. Bisher bestreitet der spanische Staat, dass staatliche Gewalt unter der Franco-Diktatur eine zentrale Konfliktursache gewesen ist. Auch lehnen die gesamtspanischen Verbände von ETA-Opfern den Dialog immer noch grundsätzlich ab.

Doch insgesamt stagniert der politische Lösungsprozess, da die seit 2019 amtierende Minderheitsregierung in Madrid unter Premier Sánchez keine neuen Akzente zu setzen vermag, um den politischen Konflikt mit dem Baskenland nachhaltig zu lösen. Alle polizeilichen Verfolgungsmaßnahmen gegen die ETA dauern an; die spanische Justiz setzt ihre Ermittlungen und Verfahren gegen die ehemalige Organisation und ihr "Umfeld" fort. Ziel ist, bisher ungeklärte ETA-Attentate zu sühnen. Eine stark politisierte Justiz zwingt manche Betroffene, in letzter Instanz ihr Recht vor EU-Gerichten zu erstreiten. Zugleich bleiben die teilweise gesetzwidrigen Sondermaßnahmen der spanischen Justiz gegen Häftlinge mit ETA-Hintergrund bestehen. Eine Amnestie der ca. 236 Gefangenen (Stand März 2020) ist unwahrscheinlich. Selbst die gesetzeskonforme Verlegung von ETA-Häftlingen in Gefängnisse, die im Baskenland oder in dessen Nähe liegen, lehnen die rechten Parteien und Opferverbände weiterhin ab.

Probleme und Defizite

Der Friedensprozess stagniert aus zwei Gründen: seiner Einseitigkeit wegen und aufgrund der politischen Krise in Spanien, die durch die Corona-Pandemie zusätzlich verschärft wurde. Da Madrid und Paris internationale Mediatoren und auch die vorgeschlagenen Lösungsmodelle ablehnten, bestehen die Eckpfeiler des Konflikts fort. Daher lag es an der baskischen Unabhängigkeitsbewegung und Teilen der baskischen Gesellschaft, die Lage zu befrieden. Sie veranlassten die ETA, sich ohne Gegenleistung seitens Frankreichs und Spaniens aufzulösen.

Karte der separatistischen Bewegungen in Westeuropa
Interner Link: Hier finden Sie die Karte als hochauflösende pdf-Datei. (mr-kartographie) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Paris betrachtet den Konflikt weiterhin als ein innerspanisches Problem. Die französische Polizei und Justiz setzen die Verfolgung von (ehemaligen) ETA-Mitgliedern fort. Die französische Regierung ist nicht bereit, der baskischen Minderheit sprachliche und kulturelle Rechte zu gewähren, weshalb sie auch nicht die EU-Charta der Minderheitensprachen ratifiziert hat.

Die gesamtspanischen Parteien lehnen es ab, das von Basken und Katalanen geforderte Selbstbestimmungsrecht in der Verfassung zu verankern. Selbst die Spielräume, die die aktuelle Verfassung von 1978 bietet, werden nicht ausgeschöpft. Die Autonome Baskische Gemeinschaft wartet weiterhin darauf, dass ihr Madrid die noch ausstehenden Kompetenzen endlich überträgt. Seit Jahrzehnten gehören diese zu der Verhandlungsmasse, mit der bisher jede Zentralregierung versucht hat, sich die Unterstützung der autonomen baskischen Regierung zu sichern. Doch bis heute blieb es bei Absichtserklärungen.

Die Baskische Nationalpartei (PNV) plädiert als stärkste politische Kraft bewusst vage für einen "neuen politischen Status". Damit könnte sowohl ein erweitertes Autonomiestatut im bisherigen Verfassungsrahmen als auch die Umwandlung des Baskenlandes in einen "Freistaat" nach dem Vorbild Bayerns gemeint sein. Angesichts der Unabhängigkeitsbestrebung in Katalonien hatte die PNV angeboten, zwischen Madrid und Barcelona zu vermitteln.

Die linke Unabhängigkeitsbewegung im Baskenland verfolgt eine andere Strategie. Ihr kurzfristiges Ziel ist der Zusammenschluss der Autonomen Baskischen Gemeinschaft mit der Foralen Gemeinschaft Navarra. Das würde sogar die spanische Verfassung gestatten. Der Weg zur Unabhängigkeit soll über einen gesellschaftlichen Diskussions- und Entscheidungsprozess erfolgen. Diese Methode haben bereits die Unabhängigkeitsbefürworter in Katalonien erfolgreich angewandt. Dort ist es gelungen, dass ein wesentlicher Teil der Zivilgesellschaft den Unabhängigkeitsgedanken mitträgt. Auch im Baskenland haben vergleichbare Massenaktionen unter der Losung "Gure esku dago" (baskisch: "Es ist unser Recht") parteiübergreifend jeweils über hunderttausend Menschen auf die Straße gebracht. Da die ETA sich vollständig aufgelöst hat, ohne dass sich ein Flügel abspaltete, besteht derzeit keine Gefahr, dass von dieser Seite her die politische Gewalt zurückkehren könnte.

Risiken für den angestoßenen Friedensprozess gehen vielmehr von der politischen Instabilität in Madrid aus. Das Finanzgebaren von Mitgliedern der königlichen Familie hat zu einer Diskussion über den Fortbestand der parlamentarischen Monarchie geführt. Die Rolle des Königs als Integrationsfigur, die bisher die gegensätzlichen politischen, gesellschaftlichen und institutionellen Kräfte zusammenhalten konnte, steht auf dem Spiel.

Die Covid19-Pandemie hat den spanischen Staat in einer politisch fragilen Lage getroffen und die Spaltung zwischen dem linken und rechten Lager weiter vertieft. Spaniens konservative Volkspartei (PP) hat den Machtverlust durch ein konstruktives Misstrauensvotum 2018 nicht verwunden. Die Sozialistische Spanische Arbeiterpartei (PSOE) von Premier Sánchez tat sich schwer, 2019 eine Minderheitsregierung mit der linksrepublikanischen Unidas Podemos (UP) von Pablo Iglesias zu bilden. Ihre Zukunft hängt auch vom Stimmverhalten der baskischen Parteien PNV und EH Bildu ab. Diesen Umstand macht ihr die rechte Opposition zum Vorwurf: Sie bezeichnet die Regierung als Erfüllungsgehilfin der ETA und EH Bildu als deren Nachfolgepartei.

Die konservative Volkspartei (PP) versucht, die Weichen für die Rückkehr an die Regierung zu stellen. Nach Koalitionen auf lokaler und regionaler Ebene strebt sie gemeinsam mit der rechtsliberalen Ciudadanos und der rechtsradikalen Vox nach der Regierungsmacht in Madrid. Sie nutzen die Coronakrise, um die Regierung zu destabilisieren. Vox regte sogar einen Staatsstreich unter Führung von König Felipe VI. an. Die drei Parteien wollen die Autonomierechte der regionalen Gemeinschaften drastisch beschneiden und Parteien verbieten lassen, die für die Unabhängigkeit des Baskenlandes oder Kataloniens eintreten.

Die Pandemie hat gezeigt, wie fragil die Entwicklung des spanischen Staates hin zu mehr Autonomierechten der regionalen Gemeinschaften ist. Als die Regierung Sánchez den Alarmzustand ausrief, weckte das Vorgehen die Sorge, dass dieses Instrument zukünftig auch eingesetzt werden könnte, um die Selbstregierung des Baskenlandes und Kataloniens nachhaltig zu beschneiden. Da die Zentralregierung versuchte, die Covid-19-Krise weitgehend im Alleingang zu managen, stärkte sie indirekt die Idee eines dirigistischen Einheitsstaates. Die Schwächen des spanischen Modells gegenüber einem föderalen Staatsverständnis, wie in Deutschland, das den Dialog zwischen Bundesregierung und Ländern erfordert, traten deutlich zutage. Zugleich ließen die Defizite bei der Krisenbewältigung seitens der Zentralregierung in Madrid sowie die hohe Zahl an Infizierten und Toten im Baskenland und in Katalonien den Ruf nach Unabhängigkeit lauter werden.

Ob sich der baskische Friedensprozess auf dem jetzigen Niveau stabilisieren lässt, hängt hauptsächlich von der politischen Entwicklung in Madrid ab. Gegen Ende der ersten Pandemiewelle hat die Regierung Sánchez Entgegenkommen signalisiert, indem sie fünf chronisch kranke ETA-Häftlinge gesetzeskonform in Gefängnisse nahe dem Baskenland verlegen ließ. Angesichts der bisherigen Verweigerungshaltung gilt das als ein Fortschritt. Die beiden baskischen Mehrheitsparteien PNV und EH Bildu wissen, dass sie nur mit einer von PSOE und UP geführten Regierung etwas erreichen können. Ein Regierungswechsel nach rechts könnte all das bisher Erreichte in Frage stellen und den Konflikt zwischen dem Baskenland und dem Zentralstaat erneut eskalieren.

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Ingo Niebel (Köln, 1965) ist Historiker und Journalist. An der Universität zu Köln schloss er 1994 sein Studium in Mittlerer und Neuerer Geschichte, Romanistik (Spanisch) und Politischer Wissenschaft als Magister Artium (M.A.) ab. Niebel kennt das Baskenland seit seiner Jugend. Über die baskische Geschichte und Gegenwart hat er mehrere Bücher verfasst.