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Gewaltsame Konflikte und Kriege – aktuelle Situation und Trends | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Gewaltsame Konflikte und Kriege – aktuelle Situation und Trends

Lutz Schrader

/ 9 Minuten zu lesen

2021 ist die Zahl gewaltsamer Konflikte im Vergleich zum Vorjahr konstant geblieben. Zugleich ist eine Verhärtung der Auseinandersetzungen zu beobachten. Eine zentrale Ursache dafür ist die Zuspitzung des globalen Ordnungskonflikts zwischen liberalen Demokratien und autokratischen Regimen, der auch in den verschiedenen Konfliktregionen ausgetragen wird.

Bundeswehrsoldat der European Union Training Mission Mali (EUTM) in Bamako in Mali, April 2022. (© picture-alliance/dpa)

Nach dem Global Peace Index ist 2021 ist das Durchschnittsniveau der globalen Friedlichkeit um 0,07 % gesunken. Das war die neunte Verschlechterung in den letzten dreizehn Jahren. Auch das globale Konfliktbarometer des Heidelberger Instituts für internationale Konfliktforschung (HIIK) weist mit 40 begrenzten und vollentfalteten Kriegen eine anhaltend hohe Zahl gewaltsamer Konflikte aus.

Hinzu kommt eine große Zahl gewaltsamer innerstaatlicher Krisen. Trotz eines leichten Rückgangs von 180 auf 164 im Vergleich zum Vorjahr bildeten sie weiterhin die häufigste Konfliktart und prägten maßgeblich die globale Konfliktlandschaft. Ein Beispiel ist die fortgesetzte Repression der Proteste gegen den Wahlbetrug des Lukaschenko-Regimes in Belarus (August 2020) mit Unterstützung Russlands. Ein weiteres Beispiel sind die Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Banden in El Salvador. Gewaltsame Krisen können jederzeit in bewaffnete Konflikte oder Kriege umschlagen.

Die meisten Konflikte finden weiterhin in Subsahara-Afrika statt

Auch im Jahr 2021 blieb Subsahara-Afrika die Region mit der höchsten Anzahl von Kriegen. Elf Kriege wurden fortgesetzt, und fünf begrenzte Kriege eskalierten zu voll entfalteten Kriegen. Die Zahl der Kriege in der Region Westasien, Nordafrika und Afghanistan (WANA) ging von sieben auf drei zurück. In Nord- und Südamerika und Europa haben 2021 keine Kriege stattgefunden (HIIK 2022: 15).

In Asien und Ozeanien beobachtete das HIIK den ersten Krieg seit 2017. In Myanmar eskalierte die Auseinandersetzungen zwischen der Opposition und der Militärjunta von einer gewaltsamen Krise in einen Krieg. In dem Konflikt stehen sich auf der einen Seite die Militärjunta unter Führung von Generaloberst Min Aung Hlaing und die myanmarische Armee (Tatmadaw) und auf der anderen Seite die Nationale Liga der Demokratie (NLD), die Übergangsregierung der Nationalen Einheit (NUG) und die Volksverteidigungskräfte (PDF) gegenüber.

Die Zahl der Opfer und Flüchtlinge nimmt stark zu

Der zwischen 2014 und 2019 zu beobachtende rückläufige Trend bei Todesfällen durch organisierte Gewalt weltweit kehrte sich 2021 mit einem deutlichen Anstieg der Todesopfer erstmals wieder um. Das Uppsala Conflict Data Project UCDP verzeichnete im Jahr 2021 mehr als 119.100 Todesfälle durch organisierte Gewalt. Das war eine Steigerung von 46% gegenüber dem Vorjahr. Maßgeblich für den Anstieg waren die eskalierten Konflikte in Afghanistan, Äthiopien und im Jemen (Davies/Petterson/Öberg 2022).

Infolge des nach wie vor hohen Gewalt- und Konfliktniveaus hat sich das Flüchtlingsproblem weiter verschärft. Die Zahl der Menschen, die vor Krieg, Konflikten und Verfolgung fliehen, war noch nie so hoch. Ende 2021 waren laut "Global Trends Report" des UNHCR Ende 2021 89,3 Millionen Menschen auf der Flucht. Das ist im Vergleich zum Vorjahr eine Steigerung um 8%. Mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine im Februar 2022 ist die Zahl inzwischen auf über 100 Mio. Menschen angestiegen. Das bedeutet, dass sich mehr als ein Prozent der Weltbevölkerung auf der Flucht befindet.

Im Fokus: 43 innerstaatliche Konflikte und Kriege

Im Kapitel "Konfliktporträts" des Online-Dossiers werden 43 innerstaatliche Konflikte und Kriege vorgestellt. Die Mehrzahl der Konflikte wurde auch 2021 auf einem hohen Gewaltniveau ausgetragen, sie stehen deshalb weiterhin im Fokus der internationalen Öffentlichkeit, der Politik und Forschung. Die Auswahl erlaubt einen repräsentativen Überblick über das Konfliktgeschehen in allen fünf Weltregionen.

Subsahara-Afrika ist mit 13, der Nahe Osten und Nordafrika (MENA) mit 10 und Asien ebenfalls mit 10 Konflikten vertreten. Aus Europa und Lateinamerika werden jeweils 5 Konflikte vorgestellt. Von den bewaffneten innerstaatlichen Konflikten und Kriegen, die das Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung (HIIK) im Jahr 2021 gezählt hat , fehlen nur einer im Online-Dossier: der begrenzte Krieg zwischen Drogen-Milizen und der Regierung in Brasilien. Die Konflikte in Kolumbien, Mosambik und Südafrika werden in Kapitel 4 (Friedensprozesse) behandelt.

Sechs neue Interner Link: Konfliktporträts wurden in das Dossier aufgenommen. Das sind der Krieg in Interner Link: Kamerun und der begrenzte Krieg in Interner Link: Burkina Faso sowie die gewaltsamen Krisen in Interner Link: Algerien und in drei mittelamerikanischen Staaten (Interner Link: Haiti, Interner Link: Honduras und Interner Link: El Salvador). Angesichts der Stabilisierung der Situation in Kenia und des weitgehend friedlichen Machtwechsels im Ergebnis der Präsidentschaftswahlen am 9. September 2022 wurde das Konfliktporträt "Kenia" nicht noch einmal aktualisiert und aus dem Dossier entfernt.

Globaler Ordnungskonflikt zwischen liberalen Demokratien und Autokratien

Der Sturm eines gewaltbereiten Mobs auf das Kapitol am 6. Januar 2021, der vom abgewählten US-Präsidenten Trump bewusst angestachelt wurde, bildete den Auftakt für ein krisen- und konfliktträchtiges Jahr. Ein weiteres für die Konfliktentwicklung des Jahres charakteristisches Schlüsselereignis war die Niederlage der afghanischen Regierungstruppen gegen die Taliban und der überstürzte Abzug der US-Truppen und ihrer NATO-Partner aus dem zentralasiatischen Land im Spätsommer.

Beide Ereignisse stehen paradigmatisch für die zentrale Auseinandersetzung, die das internationale Konfliktgeschehen seit Anfang der 2010er Jahre prägt. Gemeint ist der globale Ordnungskonflikt, in dem sich proautokratische Regime, Parteien und Bewegungen auf der einen Seite und demokratische und prowestliche Regierungen und Organisationen auf der anderen Seite gegenüberstehen. Der Konflikt, der die westliche Führungsmacht selbst spaltet, hat weltweit ganz unterschiedliche regionale Schauplätze und Ausprägungsformen.

Europa

Der regionale Konfliktbrennpunkt auf dem europäischen Kontinent ist der postsowjetische Raum. Von Belarus über die Ukraine und Moldau bis Georgien, Armenien und Aserbaidschan ist eine signifikante Zunahme der Intensität der inner- und zwischenstaatlichen Konflikte und Kriege zu beobachten. Bis zum Beginn des Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar 2022 waren die Konflikte ganz überwiegend Ausdruck des politischen und wirtschaftlichen Einflusses und der militärischen Stärke Russlands in der Region. Moskau unterstützte Lukaschenko bei der Niederschlagung der Proteste gegen den Wahlbetrug und sicherte die Existenz der separatistischen Gebiete in der Ostukraine, in Transnistrien, Abchasien und Südossetien.

Doch seit dem Scheitern der Blitzkriegsphantasien Putins in der Ukraine scheint sich das Blatt zu wenden. Die brutale Aggression und Menschenrechtsverletzungen, die strategischen Fehler, die eklatanten Defizite und die hohen Verluste der russischen Armee haben zu einem dramatischen Rückgang der Autorität und des Drohpotenzials Russlands geführt und damit die Zweifel an seiner Fähigkeit wachsen lassen, die beanspruchte Einflusszone jenseits seiner rd. 20.000 Kilometer langen Landgrenze wirksam zu kontrollieren. Im September 2022 nutzte Aserbaidschan die Schwäche Russlands, um Stellungen auf armenischem Territorium anzugreifen. Das Militärbündnis OVKS , das von Armenien um Beistand ersucht wurden, erwies sich als nicht handlungsfähig.

Asien

Auch in Asien springt die Häufung innerstaatlicher Konflikte an der Peripherie der beiden globalen autokratischen Führungsmächte, Russland und China, ins Auge. Die drei konfliktträchtigsten Regionen sind Zentralasien mit den ehemaligen Sowjetrepubliken und der chinesischen Provinz Xinjiang, der Konfliktkomplex Afghanistan mit den Nachbarstaaten Iran, Pakistan, Indien und China sowie die innerstaatlichen Konflikte in Myanmar, die insbesondere auf die Nachbarstaaten Bangladesch und China ausstrahlen.

Moskaus und Peking verfolgen abgestimmte geostrategische Ziele. In der Region geht es ihnen vor allem darum, demokratische Bewegungen ("Farbrevolutionen" ) und das Überschwappen dschihadistischer Aktivitäten aus dem Nahen Osten, Afghanistan und Pakistan zu unterbinden. Gleichzeitig sind beide Mächte auf der Suche nach Verbündeten, die bereit sind, sich der angestrebten antiwestlichen Achse anzuschließen. Mit diesem Ziel werden insbesondere politisch instabile Konfliktstaaten, wie Afghanistan, Pakistan, Myanmar und Sri Lanka, umworben. China lockt zudem mit wirtschaftlichen Investitionen im Rahmen der "neuen Seidenstraße".

Bislang ist keine Befriedung der Konflikte in Sicht. In Zentralasien lässt der schwindende russische Einfluss alte Grenzstreitigkeiten zwischen Kirgisien und Tadschikistan wieder aufbrechen. In Interner Link: Afghanistan nehmen Anschläge des IS zu , und Interner Link: Pakistan droht die "Talibanisierung". In Myanmar unterstützen Moskau und Peking offen die Militärjunta und nehmen damit billigend die Verschärfung der Konflikte mit der Opposition und ethnopolitischen Milizen in Kauf. In Sri Lanka hat der Anstieg der Erdöl- und Weizenpreise infolge des russischen Krieges gegen die Ukraine den Kollaps der Regierung Rajapaksa beschleunigt.

Subsahara-Afrika

In Afrika südlich der Sahara sind die VR China und Russland in allen Konfliktländern präsent. Peking und Moskau nutzen gezielt Räume, die sich infolge des Ansehensverlusts westlicher Staaten bieten. Die zunehmenden antiwestlichen Ressentiments in der Region erklären sich u.a. aus dem Scheitern der von westlichen Staaten, der UNO und regionalen Organisationen unterstützten Bemühungen zur Beilegung der zahlreichen gewaltsamen Konflikte. Anstatt die strukturellen Konfliktursachen anzugehen, setzt der Westen einseitig auf Stabilität und alimentiert korrupte Strukturen. Dabei blieben die Bedürfnisse der breiten Bevölkerung auf der Strecke.

Anders als in Asien bestehen signifikante Unterschiede zwischen dem Vorgehen der VR China und Russlands. Während Peking seinen Einfluss hauptsächlich durch den Export seines Entwicklungsmodells und umfangreiche Investitionen in Infrastruktur, Rohstoffförderung und die Konsumgüterbranche zu erweitern trachtet (van Staden 2020), ist Moskau fast ausschließlich im sicherheitspolitischen Bereich aktiv. Sein Geschäftsmodell ist einfach: Rüstungsgüter und Beratung gegen Rohstoffe. Um seine Interessen abzusichern, bedient sich Russland der hybriden Kriegführung, die die Verbreitung von Falschmeldungen und die Aufstandsbekämpfung durch russische Söldner kombiniert.

In seinem Meinungskrieg gegen westliche Staaten, aber auch gegen die UN-Präsenz vor Ort nutzt Moskau das ganze Spektrum, das von Beiträgen von Russia Today (RT) über russische Trollfabriken und lokale Influencer bis hin zu über afrikanische Nachrichtenagenturen, Radiostationen und Zeitungen lancierte Meinungsstücke reicht. Die Stimmungsmache gegen die alten Kolonialmächte und für das "seit jeher mit Afrika solidarische Russland" soll den Boden für die Waffenlieferungen und Beratungsdienste Russlands bereiten. Es scheint, dass afrikanische Machthaber und Militärs immer bereitwilliger auf russisches Know-how der Aufstandsbekämpfung und Machtsicherung zurückgreifen.

Russische Söldner der "Gruppe Wagner" waren bzw. sind bislang in acht afrikanischen Staaten aktiv. Bezogen auf den Militärputsch in Burkina Faso am 30. September 2022 sehen Beobachter eine neue Qualität. "Dieses Mal unterstützt Russland den Putsch viel proaktiver, und das hat zu Spekulationen geführt, dass Russland eine koordinierende Rolle gespielt hat", erklärte Samuel Ramani vom Royal United Services Institute (RUSI), einer Denkfabrik für Verteidigung und Sicherheit und Autor von "Russland in Afrika". In den Straßen von der Hauptstadt Ouagadougou schwenkten Soldaten und Demonstranten russische Fahnen. Der Gründer der Gruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin. gratulierte dem Junta-Chef Ibrahim Traoré.

Auch in Afrika trägt die russische Politik eher zur Verschärfung der Konflikte und zur Zunahme der Gewalt gegen die Zivilbevölkerung bei. Berichte von Human Rights Watch (HRW) dokumentieren in Zentralafrikanischen Republik (ZAR) und in Mali brutale Einschüchterungs- und Strafaktionen russischer Söldner gegen die Zivilbevölkerung, bei denen mehrere Hundert Menschen ums Leben gekommen sind (HRW 2022a und b). Gleichzeitig ist die Bilanz der "Aufstandsbekämpfung" eindeutig negativ. Aus Mosambik hat sich die Gruppe Wagner nach massiven Verlusten im November 2019 zurückgezogen. In der ZAR gelingt gerademal die Absicherung der Hauptstadt Bangui. In Mali wurden 2022 bislang die meisten Todesopfer durch Attacken von Aufständischen gezählt.

Wenige positive Entwicklungen

Dem negativen globalen Gesamttrend stehen wenige positive Entwicklungen gegenüber. Auffällig ist, dass sich positive Tendenzen in Lateinamerika konzentrieren. Der Historiker der Universität Leiden, Patricio Silva, spricht nach den Wahlerfolgen linker Parteien u.a. in Honduras, Chile, Kolumbien und Brasilien von einem "Momentum der Linken" (Silva 2022). Friedenspolitisch am folgenreichsten sind wohl vor allem die Siege des ehemaligen Guerilla-Kämpfers, Gustavo Petro, und des ehemaligen linken Präsidenten, Luiz Inácio Lula da Silva, bei den Präsidentschaftswahlen in Kolumbien (Juni 2022) bzw. Brasilien (Oktober 2022).

Petros "Entwicklungsplan für Kolumbien 2022–2026" und seine Friedensagenda zeitigen bereits erste Resultate. Mit dem Nachbarland Venezuela wurde die Normalisierung der Beziehungen vereinbart. Sowohl die Guerillabewegung ENL als auch das Drogenkartell Clan del Golfo haben Gesprächsbereitschaft signalisiert. Die strukturellen Voraussetzungen für eine nachhaltige Befriedung der innerstaatlichen Konflikte sollen insbesondere durch eine grundlegende Neuausrichtung der Anti-Drogenpolitik, eine Landreform, eine stärkere Besteuerung von Spitzenverdienern und Großunternehmen sowie eine grüne Wende in der Rohstoffförderung geschaffen werden.

Weitere Inhalte

Dr. Lutz Schrader (Jg. 1953) ist freiberuflicher Dozent, Berater und Trainer mit dem Schwerpunkt Friedens- und Konfliktforschung sowie Konfliktberatung. Arbeits- und Forschungsthemen sind die Konflikte im westlichen Balkan, Handlungsmöglichkeiten zivilgesellschaftlicher Akteure in bewaffneten Konflikten und Post-Konfliktgesellschaften, Verfahren der Konflikttransformation sowie Friedens- und Konflikttheorien.