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Ursachen und Hintergründe der Krisen und Umbrüche in der arabischen Welt | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Ursachen und Hintergründe der Krisen und Umbrüche in der arabischen Welt

Kressen Thyen

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Die Wurzeln der gegenwärtigen Krisen in der arabischen Welt reichen bis weit vor den "Arabischen Frühling" zurück. Besonders die katastrophale Regierungsführung hat zu schwerwiegenden sozialen Verwerfungen geführt. Bis heute hindern autoritäre Machtstrukturen die Bevölkerungen daran, ihren politischen Forderungen Ausdruck zu verleihen.

Die enge Verbindung zu Militär und Sicherheitsapparaten sichert die Macht der autoritären Herrscher: Ägyptischer Soldat mit Plakat von General al Sisi am 13. Oktober 2013 in Kairo. (© picture-alliance/AP)

2011 hatte der "Arabische Frühling" große Hoffnungen auf eine "Vierte Welle der Demokratisierung" geweckt. In größtenteils friedlichen Protesten hatten Menschen unterschiedlichster sozialer und religiöser Herkunft gemeinsam für Freiheit und Menschenwürde demonstriert. An die Stelle der solidarischen Protest- und Reformbewegung sind heute politische Polarisierung und inter-konfessionelle Konflikte getreten. Angesichts sich ausweitender Bürgerkriege haben viele Regierungen die Kontrolle über mehr oder weniger große Teile ihres Staatsgebiets verloren. Bereits im Sommer 2014 waren 12 Millionen Syrer und 4 Millionen Iraker innerhalb und außerhalb ihrer Länder auf der Flucht.

Karte der Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga
Interner Link: Hier finden Sie die Karte als hochauflösende pdf-Datei. (mr-kartographie) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Um ihr Vorgehen gegen andere Bevölkerungsgruppen zu legitimieren, berufen sich in den Bürgerkriegsländern die meisten Konfliktparteien auf ihre konfessionelle und ethnische Identität. Diese exklusive Identitätspolitik untergräbt den Zusammenhalt der traditionell kulturell und religiös heterogenen Gesellschaften, in denen seit Jahrhunderten Religionen und Ethnien koexistieren. Dies hat verheerende Folgen für den gesellschaftlichen Frieden. Auch die Nachbarstaaten wie Libanon und Jordanien sind betroffen. Sie haben zahlenmäßig die meisten Flüchtlinge aufgenommen. Dort bildet sich eine neue "Unterschicht" von Flüchtlingen bei gleichzeitiger Verbreitung von Gewaltnarrativen.

Wie konnte es zu diesen Entwicklungen kommen? Vier eng miteinander verknüpfte Faktoren sind wesentlich, um die derzeitigen Krisen zu verstehen: (1) soziale Verwerfungen durch mangelnde Verteilungsgerechtigkeit und Chancenungleichheit; (2) autoritäre Machtstrukturen, welche eine zunehmende "Politik der Straße" begünstigen; (3) das Erstarken und die Radikalisierung verschiedener Formen des politisch motivierten Konfessionalismus sowie (4) die Untergrabung staatlicher Autorität infolge der extern befeuerten Bürgerkriege.

Mangelnde Verteilungsgerechtigkeit und Chancenungleichheit

Die arabischen Staaten sind keinesfalls die ärmsten der Welt: Die Wachstumsraten vieler arabischer Staaten entsprachen vor 2011 dem weltweiten Durchschnitt oder gingen sogar darüber hinaus. Relativ gesehen liegt die Region noch vor Südostasien und den Pazifikstaaten. Dennoch sind viele Länder mit unzureichender wirtschaftlicher Diversifizierung, zunehmenden sozialen Ungleichheiten, Armut und Ernährungsunsicherheiten konfrontiert. In Ägypten beispielsweise ist das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt seit 1990 stetig gestiegen. Gleichzeitig verschlechterten sich die relativen Lebensbedingungen der allgemeinen Bevölkerung, unter anderem bedingt durch wachsende Arbeitslosigkeit. Vor allem junge Menschen waren und sind aufgrund des Bevölkerungswachstums und der daraus resultierenden Verjüngung der Gesamtbevölkerung stark von Perspektivlosigkeit betroffen.

Verantwortlich für diese Schieflage ist vor allem die nur partiell umgesetzte Liberalisierung im Zuge von Strukturanpassung und wirtschaftlichen Reformen. So erfolgte die sukzessive Privatisierung staatlicher Unternehmen hauptsächlich zugunsten regierungsnaher Eliten. Dies führte zu einer patrimonialen, auf politische Renten bedachten Form des Kapitalismus, wie er in Tunesien unter Ben Ali und in den späten Jahren der Mubarak-Herrschaft in Ägypten existierte. Hinzu kommen ineffiziente Regierungsführung und Korruption. So investieren auch die weniger reichen Staaten der Levante und Nordafrikas erhebliche Beträge in Infrastruktur und Wohlfahrt; sie sind dabei aber ineffizienter als andere sich entwickelnde Länder.

Nach 2011 änderte sich an den sozialen und wirtschaftlichen Missständen wenig, was zu erneuten Protesten und schließlich zu einer Stärkung extremistischer Bewegungen führte. Viele arabische Regierungen – darunter Algerien, Ägypten, Tunesien, Libyen, Syrien, Jordanien, Marokko und Kuwait – reagierten auf die Proteste und Aufstände lediglich mit kurzfristigen Maßnahmen wie der Anhebung von Verbrauchersubventionen, sozialen Transferleistungen und Gehältern im öffentlichen Sektor. Als der Beschwichtigungskurs scheiterte, setzten sie zunehmend auf Repression. In einigen Fällen gelang es zwar, die Proteste einzudämmen, doch entfremdete dies die Bürger noch weiter von den politischen Eliten und Regierungen. In den extremsten Fällen, in Syrien und in geringerem Maße im Irak, begannen die Regierungen sogar, einen erbitterten Krieg gegen große Teile ihrer eigenen Bevölkerungen zu führen.

Wohlstand und Religionen in Nordafrika und im Nahen Osten 2015
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Autoritäre Machtstrukturen und eine "Politik der Straße"

Bereits vor 2011 war die arabische Welt von zahlreichen Protesten gekennzeichnet, die sich gegen die korrupten und repressiven Regierungen wandten. Repräsentative Meinungsumfragen in den arabischen Staaten zeigen seit Jahren, dass die überwältigende Mehrheit der Bevölkerungen Demokratie für die beste Staats- und Gesellschaftsordnung hält. Um ihre Legitimität gegenüber ihren Bevölkerungen und der internationalen Gemeinschaft zu erhöhen, versprachen die Machthaber in der Vergangenheit daher vermehrt demokratische Reformen. Zwar verfügen die meisten arabischen Staaten heute über demokratisch anmutende Institutionen wie Parlamente, Wahlen oder Verfassungen, doch wurden mit deren Einführung keine wirkliche Demokratisierung, sondern vielmehr eine Strategie der Modernisierung autoritärer Herrschaft verfolgt.

Diese Entwicklung führte dazu, dass sich den Bürgern wenig effektive Möglichkeiten boten, ihren politischen Forderungen innerhalb der bestehenden Institutionen Ausdruck zu verleihen. Lediglich die gesellschaftlichen Träger- und Klientelgruppen der herrschenden Regime wurden im Rahmen der bestehenden Institutionen in politische Prozesse einbezogen. Dieses Vorgehen beschädigte das Vertrauen breiter Teile der Bevölkerung in Wahlen und politische Parteien nachhaltig. Viele Bürgerinnen und Bürger griffen daher auf Proteste als Mittel der Meinungsäußerung zurück. Dies gilt insbesondere für Arbeiterproteste, die in vielen Ländern der Region eher die Regel, als die Ausnahme darstellten. Auch Jugendproteste existierten schon vor 2011. So formierte sich die ägyptische Kifaya-Bewegung, die die Massenproteste in Ägypten maßgeblich beförderte, bereits 2004.

Das Neue am "Arabische Frühling" waren also eigentlich nur das Ausmaß und die Radikalität der Proteste. Die "Politik der Straße" hat eine neue Qualität erlangt. In Ägypten z.B. fanden in den ersten zwei Jahren nach dem Sturz von Präsident Mubarak etwa 4.000 Proteste quer durch sämtliche gesellschaftliche Bereiche und Berufsgruppen statt – darunter von Fabrikarbeitern, Busfahrern, Lehrern und Juristen. Die Erfolge waren jedoch begrenzt. Die Machthaber hielten auch nach 2011 hartnäckig am Status quo fest und antworteten überwiegend mit repressiven Maßnahmen. Nach dem Militärputsch 2013 in Ägypten ist dort ein repressiveres Regime aufgebaut worden, als es unter Mubarak der Fall war. Es gründet sich auf eine enge Verbindung zu Militär und Sicherheitsapparaten, die als Gegenleistung für ihre Loyalität erhebliche Privilegien genießen. Einzig in Tunesien kam es 2011 zu einem wirklichen Wechsel. Hier wurden zahlreiche obere Chargen aus ihren Ämtern entfernt.

Politisch motivierter Konfessionalismus

Schon in der Vergangenheit nutzten die autoritären Machthaber die unterschiedlichen religiösen und ethnischen Identitäten ihrer Untergebenen, um sie bewusst gegeneinander auszuspielen. Sie versuchten z.B., Solidarisierungen zu unterlaufen, konkurrierende Machtpole zu verhindern und sich intern wie extern als alleinige Garanten für gesellschaftliche Stabilität und Prosperität darzustellen. So wurden in Syrien und dem Irak in den 1970er Jahren unter dem Deckmantel der "Arabisierung" Kurden, Assyrer und Jesiden aus strategisch wichtigen Gebieten vertrieben, insbesondere solchen mit Ölvorkommen und hohen landwirtschaftlichen Erträgen. Traditionelle Monarchien, wie in Saudi-Arabien, griffen bevorzugt auf Strategien der religiösen Legitimation zurück, um ihre Klientel und Trägergruppen enger an sich zu binden.

Nach 2011 setzten die herrschenden Eliten hauptsächlich auf eine religiöse und ethnisch geprägte Identitätspolitik. In Saudi-Arabien wurde das brutale Vorgehen gegen vereinzelte Demonstrationen als Kampf gegen schiitische Umsturzversuche gerechtfertigt. Ähnliches war auch in Bahrain zu beobachten, wo die Gewalt noch größere Ausmaße annahm. Hier stellen die Schiiten zwar die Bevölkerungsmehrheit, die wirtschaftliche und politische Elite ist jedoch – wie auch die Herrscherfamilie – sunnitisch. Die konfessionelle Deutung des Konflikts erlaubt es zudem, seine sozio-ökonomischen und politischen Ursachen zu kaschieren. In Ägypten wurde seit 2012 viel Zeit und Energie auf die Diskussion ideologischer und identitätspolitischer Fragen verwendet, während sozialpolitische Fortschritte weiterhin stagnieren.

In Syrien und dem Irak wurden die Grenzen der Strategie offenbar, Proteste als Manöver sunnitischer Extremisten zu diskreditieren. Die so gerechtfertigte Gewalt gegen die eigene Bevölkerung befeuerte die Konflikte eher, als sie einzudämmen. Im Irak trieb die Diskriminierungspolitik des langjährigen schiitischen Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki (2006-2014) gegen die sunnitische Minderheit viele Mitglieder sunnitischer Stämme in die Arme des "Islamischen Staats" (IS). Auch sind viele der IS-Kommandanten ehemalige Offiziere des Saddam-Regimes, die nach dessen Sturz 2003 aus den Streitkräften entfernt wurden.

Staatszerfall und Eskalation der Gewalt

Das reihenweise Zusammenbrechen politischer Institutionen und der Verlust der staatlichen Kontrolle über Teile des Staatsgebiets erleichterten vielerorts das Einsickern militanter Gruppen. Seit 2013 hat vor allem der IS von dem Machtvakuum profitiert und dazu genutzt, die Fundamente eines neuen Staatswesens in den von ihm eroberten Gebieten aufzubauen. Um sein Vorgehen zu rechtfertigen, schürt er den jahrhundertalten Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten.

Die militanten Gruppen profitieren zudem von der brodelnden Unzufriedenheit angesichts der katastrophalen Regierungsführung der letzten Jahrzehnte. Das harte Vorgehen der autoritären Regierungen gegen alle Formen von Protest und Widerstand, einschließlich willkürlicher Verhaftungen, Folter und Verschwinden-lassen, hat zu einer massiven Polarisierung zwischen autoritären Regimen und Opposition geführt. Dies ist derzeit u.a. in Ägypten, Syrien, Irak und manchen Golfstaaten zu beobachten. Tatsächlich ist es nicht Armut an und für sich, die insbesondere junge Menschen anfällig für radikale Ideologien macht, sondern vielmehr die wiederholten Erfahrungen mit Ungerechtigkeit und staatlicher Willkür.

Ungeachtet dessen setzen die arabischen Regime weiterhin primär auf repressive und militärische Lösung der politischen und gesellschaftlichen Probleme. Dabei versuchen sich besonders Ägypten, Saudi-Arabien, Iran und Katar, als regionale Ordnungsmächte zu profilieren. Sie sind heute in der einen oder anderen Art in einem oder mehreren der Bürgerkriegsländer wie Libyen, Jemen, Syrien oder dem Irak involviert. Die letzten Jahre haben deutlich gezeigt, dass ein militärisches Eingreifen langfristig kein wirksames Mittel darstellt, um die Ursachen des islamischen Extremismus nachhaltig zu bekämpfen.

Karte der Kriege und bewaffneten Konflikte in Nordafrika und im Nahen Osten 1947-2017
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geb. 1982, ist Gastwissenschaftlerin in der Abteilung "Demokratie und Demokratisierung" am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). Von 2012-2014 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Tübingen, wo sie unter anderem das internationale Forschungsprojekt "Arab Youth: From Engagement to Inclusion?" koordinierte. Ihre Forschung beschäftigt sich mit den Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft in der arabischen Welt, insbesondere in Marokko und Ägypten.