Aktuelle Konfliktsituation
Die aktiven Kämpfe im ersten Halbjahr 2024 fanden hauptsächlich in den peripheren Regionen des Nordwestens, Nordostens und Südostens statt. Die Rebellengruppen und Milizen spalten sich immer weiter in verschiedene Formationen auf und bekämpfen sich gegenseitig. Teilweise, wie vor der Wahl 2020, schließen sie sich aber auch zu unerwarteten Bündnissen zusammen, um gemeinsam gegen die Regierung und ihre russischen Verbündeten zu kämpfen. Bei den Kämpfen geht es vornehmlich um die Kontrolle von Rohstoffen (Diamanten, Uran, Gold) und Transportkorridoren (Vieh und Waren). Infolge des einseitig militärischen Ansatzes der Regierung und ihrer russischen Verbündeten eskaliert die Situation an vielen Orten erneut. Regelmäßig werden UN-Einsatzgruppe, internationalen Hilfsorganisationen und Journalistinnen und Journalisten gezielt von bewaffneten Gruppierungen angegriffen.
Seit dem Beginn des Bürgerkrieges kamen bei Angriffen, Überfällen und Racheakten von Rebellengruppen und kriminellen bewaffneten Gruppen tausende Menschen ums Leben. Beide Konfliktparteien begingen grausame Menschenrechtsverbrechen. Bei einer Bevölkerung von knapp sechs Millionen gelten über 500.000 Menschen als Binnenflüchtlinge. 2022 gab es bei diesen Zahlen einen deutlichen Rückgang von über 700.000 Binnenflüchtlingen, aber seit 2024 nimmt die Zahl langsam wieder zu. Bei den über 700.000 Flüchtlingen außerhalb des Landes, verzeichnet das UNHCR seit Jahren stagnierende oder gar leicht wachsende Zahlen.
Ursachen und Hintergründe
Seit etwa 2012 hatten Aufständische die Regierung unter Druck gesetzt, die nördlichen Regionen stärker an den nationalen Ressourcen zu beteiligen. Weil sich die Regierung nicht an die Absprachen hielt, ging die Rebellenallianz Séléka („Koalition“) 2013 zu bewaffneten Aktionen über, eroberte die Hauptstadt Bangui und stürzte im März 2013 Präsident Bozizé. Dem brutal herrschenden Rebellenregime stellten sich die Kämpfer der Anti-Balaka („Gegen die Macheten“) entgegen. Der lose Verbund aus Milizen war aus dörflichen Selbstverteidigungsgruppen und ehemaligen Soldaten aus den südlichen Landesteilen hervorgegangen.
Die rohstoffreiche ZAR gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Im Human Development Index der UNO von 2019 rangierte es an drittletzter Stelle von 190 Staaten. Die Provinzen im Nordosten sind nur schwer erreichbar und werden von der Regierung völlig vernachlässigt. Straßen, Krankenhäuser oder Schulen sind hier nicht zu finden – dafür aber Erdöl, Uran und Diamanten. Traditionell leben in der Provinz Vakaga muslimische Bevölkerungsgruppen. Viele sind Viehnomaden oder Händler.
Der Konflikt zwischen den südlichen und westlichen Bevölkerungsgruppen, die sich als ‚einheimisch‘ bezeichnen und überwiegend christlich geprägt sind, und den „fremden“ Bevölkerungsgruppen muslimischen Glaubens und arabischer Abstammung im Norden reicht weit in die Geschichte zurück: Auf dem Gebiet der heutigen ZAR fanden schon in vorkolonialer Zeit Sklavenraubzüge arabisch-muslimischer Gruppen aus dem Norden statt. Das ist tief im Gedächtnis der Bevölkerung verankert. Muslime werden noch in zweiter oder dritter Generation als Zuwanderer und Fremde angesehen und von der politischen Macht ausgeschlossen. Der Konflikt wird durch die Interessenunterschiede und Spannungen zwischen sesshaften Bauern und arabischstämmigen nomadisierenden Viehhirten zusätzlich verschärft. Zudem fühlt sich die Mehrheit der von der Subsistenzwirtschaft lebenden Bevölkerung des Südens gegenüber den wohlhabenderen Muslimen benachteiligt, die den größten Teil des Kleinhandels kontrollieren.
Die ehemalige Kolonialmacht Frankreich und der benachbarte Tschad tragen eine Mitverantwortung für den Konflikt. Beide Länder agierten häufig als Königsmacher in der ZAR. Die Abhängigkeit der politischen Elite von Frankreich ermöglichte französischen Unternehmen die Ausbeutung der Rohstoffe und dem französischen Militär bis 1998 die Nutzung der Militärbasen im Land. Als Bozizé sich von seinen ehemaligen Schutzmächten zu lösen versuchte und sich anderen internationalen Partnern zuwandte, nämlich China und Südafrika, ließen Paris und N‘Djamena ihn fallen.
Wegzölle ebenso wie der Handel mit Rohstoffen sind für Milizen und Rebellengruppen eine bedeutende Einnahmequelle. Daher flammt auch der Kampf um die Kontrolle der rohstoffreichen Gegenden und Diamantenminen immer wieder auf. Noch mehr als Frankreich profitieren inzwischen Russland und China von diesem Rohstoffhandel. Bei der Ausbeutung dieser Rohstoffe wird kaum Mehrwert für die nationale Wirtschaft generiert.
Bearbeitungs- und Lösungsansätze
Die Zentralafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (ECCAS) versuchte, sofort nach dem Ausbruch der Kämpfe 2013 eine politische Lösung zwischen den Konfliktparteien zu finden. Unter ihrer Ägide wurden mehrere Verträge abgeschlossen. Im Vertrag von Libreville (Gabun) vom Januar 2013 wurde ein Übergangsprozess vereinbart und in der Erklärung von N’Djamena vom 18. April 2013 erneut bekräftigt. Die Übergangsperiode unter einer Regierung der Nationalen Einheit endete vertragsgemäß mit den Wahlen von 2016. Damit galt der Bürgerkrieg als überwunden. Doch die Kämpfe zwischen den verschiedenen Fraktionen und ehemaligen Kombattanten der Ex-Séléka und Anti-Balaka brachen schnell wieder aus.
Der UN-Sicherheitsrat stimmte am 10. April 2014 für die Entsendung einer Blauhelm-Mission (Resolution 2149 (2014) und Resolution 2217 (2015)). Zu den Aufgaben der Integrierten multidimensionalen Mission für die Stabilisierung Zentralafrikas (MINUSCA) gehören u.a. der Schutz von Zivilisten, die Unterstützung bei der Organisation von Wahlen, einer Polizei- und Justizreform sowie der Entwaffnung, Demobilisierung, Wiedereingliederung und Repatriierung der Angehörigen der Milizen. Am 15. September 2015 löste die MINUSCA sowohl die französische Militärmission Sangaris als auch die Mission der Afrikanischen Union MISCA ab. Das Mandat der UN-Mission läuft aktuell bis zum 15. November 2024. Rwanda stellt, gefolgt von Bangladesch und Pakistan, den größten Teil des inzwischen rd. 16.400 Militärs und Polizisten sowie gut 1.200 ziviles Personal und Berater umfassenden Kontingents.
Christliche und muslimische Führer und Amtsträger arbeiten eng zusammen, um die Menschen vom friedlichen Miteinander zu überzeugen. Im November 2015 besuchte der Papst das Land und betete in einer Moschee im muslimischen Viertel PK5 von Bangui. Im Mai 2015 versuchte das „Forum von Bangui“ auf Initiative religiöser Führer, die Gewaltspirale zu stoppen. Ca. 600 Teilnehmer aller Konfliktparteien, der Regierung und der Zivilgesellschaft einigten sich auf die Entwaffnung und Demobilisierung aller Kämpfer und ihre Integration in die nationale Armee sowie den Ausschluss bewaffneter Gruppenführer von politischen Ämtern und ihre strafrechtliche Verfolgung. Wenig später gingen die Kämpfe allerdings weiter.
Die internationale Strafgerichtsbarkeit spielt eine ambivalente Rolle. Derzeit sind zwei Anti-Balaka und ein Ex-Séléka vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Gleichzeitig wurden ein Anti-Balaka Anführer sowie ein kongolesischer Milizenführer, der Anfang des Jahrtausends Verbrechen in der ZAR begangen hat, trotz klarer Indizien aus verfahrenstechnischen Gründen freigelassen. Der hybride Strafgerichtshof mit Sitz in Bangui behandelt hauptsächlich Fälle der mittleren Ebene. In der Konsequenz werden die entscheidenden Rebellen- und Milizenführer entweder politisch gedeckt oder entziehen sich der Festnahme. Dadurch entsteht der Eindruck, dass regimetreue Kriegsverbrecher geschützt und jene der Opposition ausgeschaltet werden. Das war z.B. 2021 der Fall, als der Minister und ehemaliger Rebellenführer, Hassan Bouba, erst auf Antrag des hybriden Gerichtshofs festgenommen und dann von staatlichen Sicherheitsbeamten befreit wurde.
Am 6. Februar 2019 unterzeichneten die Regierung und 14 Rebellengruppen den unter der Ägide der Afrikanischen Union und von Nachbarstaaten in Khartum ausgehandelten Friedensvertrag von Bangui. Neben Entwaffnung sieht er die Schaffung einer Sondereinheit aus Sicherheitskräften vor, die aus Milizen und staatlichen Sicherheitskräften zusammengesetzt sein soll. Zusätzlich wurde eine Vertretung der beteiligten bewaffneten Gruppen in einer „inklusiven Regierung“ vereinbart. Nach mehreren Neuverhandlungen platzte allerdings im April 2020 der Kompromiss. Mindestens sieben Gruppierungen, darunter die „Union pour la Paix en Centrafrique“ von Ali Darassa und die FPRC von Nourredine Adam kündigten den Friedensvertrag.