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Interview: LGBT und die ukrainische Politik, mit Andrij Majmulachin und Aleksandr Zintschenkow von der LGBT-Organisation Nash Mir, Kiew | Ukraine-Analysen | bpb.de

Ukraine Arbeitsmarktintegration ukrainischer Geflüchteter / Ukrainische Community in Deutschland / Deutsch-ukrainische kommunale Partnerschaften (29.04.2024) Analyse: Arbeitsmarktintegration der ukrainischen Geflüchteten in Deutschland Statistik: Integration in den Arbeitsmarkt Analyse: Die ukrainische Community in Deutschland Analyse: (Un)genutzte Potenziale in den deutsch-ukrainischen Kommunal- und Regionalpartnerschaften Dokumentation: Übersicht deutsch-ukrainischer Partnerschaften Chronik: 11. bis 31. März 2024 10 Jahre Krim-Annexion / Donbas nach der Annexion 2022 (21.03.2024) Analyse: Zehn Jahre russische Annexion: Die aktuelle Lage auf der Krim Dokumentation: Reporters Without Borders: Ten years of Russian occupation in Crimea: a decade of repression of local independent journalism Dokumentation: Europarat: Crimean Tatars’ struggle for human rights Statistik: Repressive Gerichtsverfahren auf der Krim und in Sewastopol Analyse: Die Lage im annektierten Donbas zwei Jahre nach dem 24. Februar 2022 Umfragen: Öffentliche Meinung zur Krim und zum Donbas Chronik: 22. Februar bis 10. März 2024 Wirtschaft / Rohstoffe / Kriegsschäden und Wiederaufbau Analyse: Wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit in einer schwierigen Gesamtlage Analyse: Die Rohstoffe der Ukraine und ihre strategische Bedeutung Analyse: Schäden und Wiederaufbau der ukrainischen Infrastruktur Chronik: 11. Januar bis 21. Februar 2024 Zwei Jahre Angriffskrieg: Rückblick, aktuelle Lage und Ausblick (23.02.2024) Analyse: Zwei Jahre russischer Angriffskrieg. Welche politischen, militärischen und strategischen Erkenntnisse lassen sich ziehen? Kommentar: Die aktuelle Lage an der Front Kommentar: Wie sich der russisch-ukrainische Krieg 2024 entwickeln könnte Kommentar: Die Ukraine wird sich nicht durchsetzen, wenn der Westen seine eigene Handlungsfähigkeit verleugnet Kommentar: Wie funktioniert das ukrainische Parlament in Kriegszeiten? Kommentar: Wie die Wahrnehmung des Staates sich durch den Krieg gewandelt hat Umfragen: Stimmung in der Bevölkerung Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Statistik: Russische Raketen- und Drohnenangriffe, Verbrauch von Artilleriegranaten, Materialverluste im Kampf um Awdijiwka Folgen des russischen Angriffskriegs für die ukrainische Landwirtschaft (09.02.2024) Analyse: Zwischenbilanz zum Krieg: Schäden und Verluste der ukrainischen Landwirtschaft Analyse: Satellitendaten zeigen hohen Verlust an ukrainischen Anbauflächen als Folge der russischen Invasion Statistik: Getreideexporte Chronik: 17. Dezember 2023 bis 10. Januar 2024 Kunst, Musik und Krieg (18.01.2024) Analyse: Ukrainische Künstler:innen im Widerstand gegen die großangelegte Invasion: Dekolonialisierung in der Kunst nach dem 24. Februar 2022 Analyse: Musik und Krieg Dokumentation: Ukrainische Musiker:innen, die durch die russische Invasion umgekommen sind Statistik: "De-Russifizierung" der ukrainischen Youtube-Musik-Charts Umfragen: Änderung des Hörverhaltens seit der großangelegten Invasion Chronik: 21. November bis 16. Dezember 2023 Eintritt in eine neue Kriegsphase? / Selenskyjs Appelle an Russland (19.12.2023) Interview: "Dieser Krieg bleibt in erster Linie ein Artilleriekrieg, der die Munitionslieferungen zu einem sehr wichtigen Faktor macht" Statistik: Geländegewinne seit Beginn der Großinvasion Kommentar: Deutschland: Ein Schlüsselakteur in der neuen Kriegsphase? Statistik: Internationale Hilfen für die Ukraine Analyse: Selenskyjs Appelle an russische Staatsbürger:innen im ersten Jahr des russischen Aggressionskriegs gegen die Ukraine Dokumentation: Ansprache des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj an das russische Volk am Vorabend der großangelegten Invasion Chronik: 28. Oktober bis 20. November 2023 Der Globale Süden und der Krieg (24.11.2023) Analyse: Der Blick aus dem Süden: Lateinamerikanische Perspektiven auf Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Krieg gegen die Ukraine und Afrika: Warum die Afrikanische Union zwar ambitioniert, aber gespalten ist Analyse: Eine Kritik der zivilisatorischen Kriegsdiplomatie der Ukraine im Globalen Süden Umfragen: Umfragedaten: Der Globale Süden und Russlands Krieg gegen die Ukraine Dokumentation: Abstimmungen in der Generalversammlung der Vereinten Nationen Chronik: 16. bis 27. Oktober 2023 Zwischen Resilienz und Trauma: Mentale Gesundheit (02.11.2023) Analyse: Mentale Gesundheit in Zeiten des Krieges Karte: Angriffe auf die Gesundheitsinfrastruktur der Ukraine Analyse: Den Herausforderungen für die psychische Gesundheit ukrainischer Veteran:innen begegnen Umfragen: Umfragen zur mentalen Gesundheit Statistik: Mentale Gesundheit: Die Ukraine im internationalen Vergleich Chronik: 1. bis 15. Oktober 2023 Ukraine-Krieg in deutschen Medien (05.10.2023) Kommentar: Der Kampf um die Deutungshoheit. Deutsche Medien zu Ukraine, Krim-Annexion und Russlands Rolle im Jahr 2014 Analyse: Die Qualität der Medienberichterstattung über Russlands Krieg gegen die Ukraine Analyse: Russlands Aggression gegenüber der Ukraine in den deutschen Talkshows 2013–2023. Eine empirische Analyse der Studiogäste Chronik: 1. bis 30. September 2023 Ökologische Kriegsfolgen / Kachowka-Staudamm (19.09.2023) Analyse: Die ökologischen Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine Analyse: Ökozid: Die katastrophalen Folgen der Zerstörung des Kachowka-Staudamms Dokumentation: Auswahl kriegsbedingter Umweltschäden seit Beginn der großangelegten russischen Invasion bis zur Zerstörung des Kachowka-Staudamms Statistik: Statistiken zu Umweltschäden Zivilgesellschaft / Lokale Selbstverwaltung und Resilienz (14.07.2023) Von der Redaktion: Sommerpause – und eine Ankündigung Analyse: Die neuen Facetten der ukrainischen Zivilgesellschaft Statistik: Entwicklung der ukrainischen Zivilgesellschaft Analyse: Der Beitrag lokaler Selbstverwaltungsbehörden zur demokratischen Resilienz der Ukraine Wissenschaft im Krieg (27.06.2023) Kommentar: Zum Zustand der ukrainischen Wissenschaft in Zeiten des Krieges Kommentar: Ein Brief aus Charkiw: Ein ukrainisches Wissenschaftszentrum in Kriegszeiten Kommentar: Warum die "Russian Studies" im Westen versagt haben, Aufschluss über Russland und die Ukraine zu liefern Kommentar: Mehr Öffentlichkeit wagen. Ein Erfahrungsbericht Statistik: Auswirkungen des Krieges auf Forschung und Wissenschaft der Ukraine Innenpolitik / Eliten (26.05.2023) Analyse: Zwischen Kriegsrecht und Reformen. Die innenpolitische Entwicklung der Ukraine Analyse: Die politischen Eliten der Ukraine im Wandel Statistik: Wandel der politischen Elite in der Ukraine im Vergleich Chronik: 5. April bis 3. Mai 2023 Sprache in Zeiten des Krieges (10.05.2023) Analyse: Die Ukrainer sprechen jetzt hauptsächlich Ukrainisch – sagen sie Analyse: Was motiviert Ukrainer:innen, vermehrt Ukrainisch zu sprechen? Analyse: Surschyk in der Ukraine: zwischen Sprachideologie und Usus Chronik: 08. März bis 4. April 2023 Sozialpolitik (27.04.2023) Analyse: Das Sozialsystem in der Ukraine: Was ist nötig, damit es unter der schweren Last des Krieges besteht? Analyse: Die hohen Kosten des Krieges: Wie Russlands Krieg gegen die Ukraine die Armut verschärft Chronik: 22. Februar bis 7. März 2023 Besatzungsregime / Wiedereingliederung des Donbas (27.03.2023) Analyse: Etablierungsformen russischer Herrschaft in den besetzten Gebieten der Ukraine: Wege und Gesichter der Okkupation Karte: Besetzte Gebiete Dokumentation: Human Rights Watch: Torture, Disappearances in Occupied South. Apparent War Crimes by Russian Forces in Kherson, Zaporizhzhia Regions (Ausschnitt) Dokumentation: War and Annexation. The "People’s Republics" of eastern Ukraine in 2022. Annual Report (Ausschnitt) Dokumentation: Terror, disappearances and mass deportation Dokumentation: Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC) gegen Wladimir Putin wegen der Verschleppung von Kindern aus besetzten ukrainischen Gebieten nach Russland Analyse: Die Wiedereingliederung des Donbas nach dem Krieg: eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung Chronik 11. bis 21. Februar 2023 Internationaler Frauentag, Feminismus und Krieg (13.03.2023) Analyse: 8. März, Feminismus und Krieg in der Ukraine: Neue Herausforderungen, neue Möglichkeiten Umfragen: Umfragen zum Internationalen Frauentag Interview: "Der Wiederaufbau braucht einen geschlechtersensiblen Ansatz" Statistik: Kennzahlen und Indizes geschlechterspezifischer Ungleichheit Korruptionsbekämpfung (08.03.2023) Analyse: Der innere Kampf: Korruption und Korruptionsbekämpfung als Hürde und Gradmesser für den EU-Beitritt der Ukraine Dokumentation: Statistiken und Umfragen zu Korruption Analyse: Reformen, Korruption und gesellschaftliches Engagement Chronik: 1. bis 10. Februar 2023 Kriegsentwicklung / Jahrestag der Invasion (23.02.2023) Analyse: Unerwartete Kriegsverläufe Analyse: Die Invasion der Ukraine nach einem Jahr – Ein militärischer Rück- und Ausblick Kommentar: Die Unterstützung der NATO-Alliierten für die Ukraine: Ursachen und Folgen Kommentar: Der Krieg hat die Profile der EU und der USA in der Ukraine gefestigt Kommentar: Wie der Krieg die ukrainische Gesellschaft stabilisiert hat Kommentar: Die existenzielle Frage "Sein oder Nichtsein?" hat die Ukraine klar beantwortet Kommentar: Wie und warum die Ukraine neu aufgebaut werden sollte Kommentar: Der Krieg und die Kirchen Karte: Kriegsgeschehen in der Ukraine (Stand: 18. Februar 2023) Statistik: Verluste an Militärmaterial der russischen und ukrainischen Armee Chronik: 17. bis 31. Januar 2023 Meinungsumfragen im Krieg (15.02.2023) Kommentar: Stimmen die Ergebnisse von Umfragen, die während des Krieges durchgeführt werden? Kommentar: Vier Fragen zu Umfragen während eines umfassenden Krieges am Beispiel von Russlands Krieg gegen die Ukraine Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine zu Kriegszeiten: Zeigen sie uns das ganze Bild? Kommentar: Meinungsforschung während des Krieges: anstrengend, schwierig, gefährlich, aber interessant Kommentar: Quantitative Meinungsforschung in der Ukraine zu Kriegszeiten: Erfahrungen von Info Sapiens 2022 Kommentar: Meinungsumfragen in der Ukraine unter Kriegsbedingungen Kommentar: Politisches Vertrauen als Faktor des Zusammenhalts im Krieg Kommentar: Welche Argumente überzeugen Deutsche und Dänen, die Ukraine weiterhin zu unterstützen? Dokumentation: Umfragen zum Krieg (Auswahl) Chronik: Chronik 9. bis 16. Januar 2023 Ländliche Gemeinden / Landnutzungsänderung (19.01.2023) Analyse: Ländliche Gemeinden und europäische Integration der Ukraine: Entwicklungspolitische Aspekte Analyse: Monitoring der Landnutzungsänderung in der Ukraine am Beispiel der Region Schytomyr Chronik: 26. September bis 8. Januar 2023 Weitere Angebote der bpb Redaktion

Interview: LGBT und die ukrainische Politik, mit Andrij Majmulachin und Aleksandr Zintschenkow von der LGBT-Organisation Nash Mir, Kiew

Jan Matti Dollbaum

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Auf einer Gay-Pride-Parade in der ukrainischen Hauptstadt Kiew demonstrieren am 25. März 2013 Vertreter der LGBT-Bewegung sowie deren Unterstützer gegen Homophobie und für mehr Rechte. (© picture-alliance/dpa)

Welche Entwicklung hat die Situation für LGBT in den letzten 20 Jahren in der Ukraine genommen?

Andrij Majmulachin: Zur Zeit der Sowjetunion gab es kaum Informationen zu diesem Thema, es war beinah ein Tabu. Sie wissen sicher, dass in der Sowjetunion Homosexualität unter Strafe stand – bis zu einem Jahr Freiheitsentzug. Mit der Perestroika begannen sich die Dinge natürlich zu ändern: die Ukraine war die erste der ehemaligen Sowjetrepubliken, die nach der Unabhängigkeit diesen Paragraphen abschafften. Das ging ohne besondere öffentliche Aufmerksamkeit vonstatten, einfach weil unsere Politiker begriffen hatten, dass mit einem solchen Strafrecht die Entwicklung demokratischer Werte und die weitere Annäherung an westliche Staaten unmöglich wäre. Zur gesellschaftlichen Einstellung führt unsere Organisation schon seit 2003 Untersuchungen im Fünfjahresabstand durch, sodass wir in der Lage sind, eine Dynamik zu erkennen. Die Ergebnisse der Umfrage zeigen, dass die Homophobie in der Gesellschaft während der letzten zehn Jahre leider gestiegen ist (s. Umfragen auf S. 7–8, d. Red.). In der ersten Umfrage war erkennbar, dass ein Großteil der Menschen keine Vorstellung von Homosexuellen hatte, sie wussten nicht wer diese Menschen sind und was es bedeutet, homosexuell zu sein. Bedauerlicherweise haben sich diese Unentschiedenen mit der Zeit dem homophoben Teil zugeordnet. Es gibt mittlerweile erheblich mehr Informationen zu diesem Thema, und auch die Politik hat sich in letzter Zeit dazu geäußert – vor allem negativ. Unsere Gesellschaft ist nicht aggressiv homophob, Homophobie ist meist nur latent vorhanden. Das heißt, dass die meisten Menschen wahrscheinlich ungern mit Gay-Paraden oder Homosexualität in den Medien konfrontiert werden, gleichzeitig aber jedem das Recht zugestehen, sein Leben nach eigenen Vorstellungen zu führen. Das hängt jedoch ab von der jeweiligen Position der Politiker und der Kirchen. Die Politik hat sich in letzter Zeit ziemlich homophob positioniert.

Aleksandr Zintschenkow: Vor zehn Jahren waren Kenntnisse über LGBT bereits weit verbreitet, viele hatten sich aber noch nicht für eine positive oder negative Haltung entschieden. Im Jahr 2006 jedoch begann eine ziemlich breit angelegte und strukturierte Gegenbewegung. Die ging vor allem von der Kirche und einigen Organisationen aus, die sich auf Homophobie "spezialisierten". Leider funktioniert Politik in der Ukraine so, dass Politiker dem Elektorat nach dem Mund reden und alles tun, um es zu befriedigen. In den letzten sechs, sieben Jahren haben die Kirche und diese Organisationen ziemlich erfolgreich in der Gesellschaft Homophobie gesät. Das zeigen auch die Umfragen – ein Teil der Gesellschaft hat sich radikalisiert. Auch physische Übergriffe auf LGBT, wie beim Gay-Pride vor einem Jahr, sind Realität geworden. Nutzt Ihrer Ansicht nach die Politik latent vorhandene Einstellungen in der Gesellschaft oder sucht sie diese durch Beeinflussung zu erzeugen? Aleksandr Zintschenkow: Es ist eine Art Teufelskreis. Sie haben, vor allem mithilfe der Kirche, in den letzten zehn Jahren die Homophobie in der Gesellschaft gestärkt, und behaupten jetzt, die Gesellschaft sei homophob und man müsse die traditionellen Werte schützen. Kann man hier von einer aktiven Kooperation von Kirche und Politik sprechen?

Aleksandr Zintschenkow: Auf jeden Fall. Das ist übrigens nicht nur auf dem Gebiet der Homophobie der Fall. In der letzten Zeit hat die Kirche – nach russischem Beispiel – einen immer größeren Einfluss auf die Politik gewonnen. In Russland ist das für jeden offensichtlich, aber auch hier gibt es diese Tendenz.

Andrij Majmulachin: Wie in Russland auch wird das Thema hier genutzt, um auf möglichst einfache Art und Weise Wähler zu gewinnen und sich gegen Europa zu wenden. Die Schwachen zu schlagen, ist immer die einfachste Art, Stärke zu zeigen. Und hier wird das Thema genutzt, um zu demonstrieren, dass Europa uns etwas aufzwingen will.

Denken Sie, dass die Unterzeichnung des Assoziationsabkommens für LGBT etwas ändern wird?

Aleksandr Zintschenkow: Das ist ein langwieriger Prozess. Zunächst wird sich das Land, wird sich die Gesellschaft ändern müssen, bevor sich das auf die Situation von LGBT auswirken kann. Man kann nicht sagen, dass das Assoziationsabkommen unterzeichnet wird und dadurch ab 2014 sich alles zum Positiven ändern wird.

Andrij Majmulachin: Trotzdem ist der Prozess der Europäischen Integration, der dadurch in Gang gesetzt wird, für uns enorm wichtig. Russland ist die Meinung Europas völlig gleichgültig. Das hat die Verabschiedung des letzten homophoben Gesetzes gezeigt. Hier hingegen wird das Thema zum politischen Handel eingesetzt.

Aleksandr Zintschenkow: Das Antidiskriminierungsgesetz, das vom Ministerkabinett eingebracht wurde, um die Diskriminierung auch nach sexueller Orientierung unter anderem am Arbeitsplatz zu unterbinden, wird von nach Russland orientierten Politikern genutzt, um gegen die Annäherung an Europa Stimmung zu machen. Es wird gesagt, dass dieses Gesetz uns gleichgeschlechtliche Ehen aufzwinge, obwohl es auf den Schutz vor Diskriminierung am Arbeitsplatz abzielt. Dies geschieht vor allem von Seiten der Kommunisten – sie hätten jedoch nicht eine solche Reichweite, wenn sie dabei nicht von der Partei der Regionen unterstützt würden. Dieses Tandem wirkt vor allem auf die Wählerschaft im dicht besiedelten Osten und Süden des Landes ein.

Andrij Majmulachin: Die LGBT-Karte wird immer öfter ausgespielt. Erst gestern hat die Kommunistische Partei ihre antieuropäischen Werbeclips vorgestellt. In einem der Clips kommt ein Junge – die Ukraine – zu einem Mädchen und bittet um Einlass ins europäische Haus. Das Mädchen beginnt, ihm die Lippen anzumalen und ihm Bänder ins Haar zu flechten. Der Junge lehnt daraufhin ab und sagt, so wolle er nicht werden. Hier sieht man deutlich, wie sich das Thema für gewöhnliche Wähler darstellt. Beim Thema Europäische Integration sollte man auch über die Partei Swoboda ("Freiheit") sprechen. Diese Partei sucht – zumindest rhetorisch – aktiv den Anschluss an Europa, ist gleichzeitig jedoch eine der sozial konservativsten Kräfte, vor allem in Bezug auf LGBT.

Liegt ihrer Ansicht nach eine Gefahr darin, dass der Preis für einen effektiven Kampf für mehr Europäische Integration eine Zusammenarbeit mit Swoboda sein könnte, und dass diesen Preis möglicherweise LGBT bezahlen?

Aleksandr Zintschenkow: Ja. Die Partei ist am anderen Ende des Spektrums und gleichzeitig genauso homophob wie die Kommunistische Partei. Sie hat im Osten keine Unterstützer und orientiert sich in Richtung Europa, obwohl ich keine Europäischen Werte in ihrem Programm erkennen kann. Das ist eine nationalistische, um nicht zu sagen ultrarechte Partei, die in Westeuropa ihre Entsprechungen hat, an denen sie sich orientiert. Leider hat Swoboda während der letzten Parlamentswahlen (im Oktober 2012, d. Red.) unerwartet viele Stimmen erhalten. Jetzt versucht sie, sich an die Macht anzunähern und ihren Einfluss im Parlament zu stärken. Andere Entwicklungsmöglichkeiten als die Orientierung nach Westen hat sie nicht: Im Osten ist sie völlig abgeschlagen. Eventuell gibt es hier die Möglichkeit, auf sie einzuwirken, und über die Europäische Integration auch in dieser Partei demokratische Werte und Respekt vor dem Individuum zu etablieren. Versuchen kann man es, doch in der Parteiführung sitzen ultrarechte Personen, mit denen der Dialog äußerst schwierig ist. Swoboda ist Initiator auch physischer Angriffe auf LGBT, sodass wir sie bisher nicht als möglichen Partner sehen, sondern, im Gegenteil, als Kraft, die gegen uns steht.

Andrij Majmulachin: Im Gegensatz zur Partei der Regionen, die sich auf Ebene des Parteiprogramms mit LGBT-Feindlichkeit zurückhält, hat Swoboda übrigens als einzige außer den Kommunisten Homophobie in ihrem Programm festgeschrieben.

Gibt es in der politischen Landschaft eine Kraft, in der Sie einen Partner sehen?

Aleksandr Zintschenkow: Das können nur Einzelpersonen sein. Die toleranteste Einstellung zu LGBT-Fragen hat wohl die Partei UDAR. In dieser Partei gibt es eine Abgeordnete, Irina Geraschtschenko, sie ist stellvertretende Vorsitzende des Komitees für Europäische Integration. In einem Interview hat sie heute darauf hingewiesen, dass ohne das Antidiskriminierungsgesetz kein Fortschritt in der Visaliberalisierung erreicht wird, und dass wir nicht zurückschauen sondern uns an demokratischen Maßstäben orientieren sollten. Doch das sind nur Einzelerscheinungen. Sogar Klitschko hat sich nie direkt zu LGBT geäußert sondern auf Nachfragen von Journalisten bloß allgemein seine Unterstützung europäischer Werte kundgetan. Weder er noch seine Partei sind also besonders aktiv in der Unterstützung.

Andrij Majmulachin: Hier muss man sehen, dass eine aktive Fürsprache in LGBT-Fragen heute dem politischen Tod gleichkommt. Klitschko hat offenbar vor, sich um das Präsidentenamt zu bewerben, und ist wahrscheinlich einfach vorsichtig. Im Moment ist diese Thematik offensichtlich vor allem eine Machtfrage.

Wie schätzen Sie die Zukunft und die Perspektive einer langsamen Werteliberalisierung im Zuge der Globalisierung ein?

Andrij Majmulachin: Die prinzipielle Frage ist: Wird sich die Ukraine tatsächlich nach Westen orientieren? In diesem Falle bestehen gute Chancen, dass auch dieses Thema mit der Zeit normaler aufgefasst und diskutiert wird, ausgehend von der jungen Generation und denen, die Zeit im Ausland verbracht haben. Wenn die Ukraine sich jedoch zurück in die Arme Russlands begibt, wäre das natürlich eine Sackgasse für die LGBT-Bewegung...

Aleksandr Zintschenkow: …doch sogar in Russland sind Veränderungen und kleine Unterstützungen für LGBT zu beobachten. Aleksej Nawalnyj, Kandidat für das Bürgermeisteramt in Moskau, hat mehrfach auf die Einhaltung von Menschenrechten und explizit die Rechte von LGBT gedrungen. Und sogar dann, wenn die Ukraine in die Zollunion eintritt, wird es gewisse Einflüsse der westlichen Welt geben, die hier einen positiven Einfluss haben können. Umso mehr, als in der Ukraine in der Zeit der Unabhängigkeit stärkere demokratische Werte wachsen konnten als in derselben Periode in Russland.

Andrij Majmulachin: Unser Parlament jedoch versucht bis heute, das Antidiskriminierungsgesetz mit Händen und Füßen abzuwehren. Im Moment werden alle proeuropäischen Gesetze angenommen, wahrscheinlich werden sie sogar Julija Tymoschenko freilassen. Doch eine Gruppe Parlamentarier ist vor kurzem nach Brüssel gefahren, um darum zu bitten, dieses eine Gesetz von der Agenda zu nehmen. Das liegt daran, dass kein Parlamentarier vor den anderen als Unterstützer dastehen will, und fürchtet, das könnte gegen ihn verwendet werden. Ein Teufelskreis. Es gibt aber andererseits erste Anzeichen für die Möglichkeit einer positiven Veränderung. Bei einer Rede hat der Präsident Wiktor Janukowytsch unter anderem die LBGT-Bewegung als besonders progressiv und erfolgreich gewürdigt. Das heißt, kleine Bewegungen gibt es doch.

Interview und Übersetzung aus dem Russischen: Jan Matti Dollbaum

Fussnoten