Am 02. Oktober 2012 wurden Dmytro Pawlitschenko und sein Sohn Serhij wegen Mordes an dem Kiewer Richter Serhij Subkow zu einer lebenslangen bzw. 13-jährigen Haftstrafe verurteilt. Die Ermittlungen und das darauf folgende Urteil wurden landesweit als unrechtmäßig kritisiert, öffentlicher Protest gegen den Prozess sowie gegen Justizwillkür waren die Folge. In einer Chronik (unten) werden die Ereignisse zusammengefasst, danach finden sich Pressestimmen zum Fall.
22.03.2011 | Sergej Subkow, Richter am Kiewer Amtsgericht der Schewtschenko-Region, wird ermordet aufgefunden. |
24.03.2011 | Dmytro Pawlitschenko wird als Hauptverdächtiger festgenommen. Als Motiv für die Tat wird Rache genannt. Der Richter hatte zuvor in einem Urteil verfügt, dass die Familie Pawlitschenko ihre Wohnung in einem historischen Gebäude der Stadt aufgeben müsse. Pawlitschenko hatte seine Wut über diese Entscheidung mehrfach im Internet kundgetan. |
29.03.2011 | Serhij Pawlitschenko, Sohn des Hauptverdächtigen, wird wegen des Verdachts auf Mittäterschaft festgenommen. |
10.06.2011 | In elf Städten (darunter Kiew, Lwiw und Sewastopol) protestieren Fußballfans unter dem Motto "Freiheit den Gerechten" gegen die Verlängerung der Untersuchungshaft der Pawlitschenkos. Sohn Serhij ist Mitglied der Ultras des Klubs Dynamo Kiew. |
09.11.2011 | Die Staatsanwaltschaft schließt die Ermittlungen und leitet einen Gerichtsprozess gegen Vater und Sohn ein. |
02.10.2012 | Das zuständige Amtsgericht folgt den Empfehlungen der Staatsanwaltschaft und verurteilt Dmytro Pawlitschenko zu lebenslanger Haft. Serhij erhält eine Haftstrafe von 13 Jahren. Die Verurteilten wollen in Berufung gehen. |
25.10.2012 | Bei einem Champions-League-Spiel des FC Porto gegen Dynamo Kiew solidarisieren sich die portugiesischen Fans mit den Verurteilten. In der Folge protestieren Fans vieler europäischer Klubs gegen das Urteil. |
25.11.2012 | Am Lukjanowsker Gefängnis in Kiew protestieren etwa 3000 Menschen gegen das Urteil. Fußballfans und NGOs werfen den Strafverfolgungsbehörden vor, nicht alle Beweismittel ausgewertet und das Verfahren zugunsten einer schnellen Abwicklung schlampig durchgeführt zu haben. Auf der Demonstration erklingen auch abstraktere Forderungen nach einer gerechteren Justiz. |
12.12.2012 | Es taucht ein Video auf, in dem Serhij Pawlitschenko ein Geständnis ablegt und den Ablauf der Tat beschreibt. |
13.12.–31.12.2012 | In der gesamten Ukraine finden Demonstrationen zur Unterstützung der Familie Pawlitschenko statt: in Charkiw (1500 Menschen), Lwiw (1000), Schytomir (200), Tscherkasy (200), Ternopil (150). Organisatoren der Aktionen sind oft nationalistische Gruppen. |
14.01.2013 | Am Kiewer Berufungsgericht findet die erste Anhörung statt. Vor dem Gebäude protestieren einige hundert Menschen. Zuvor waren in Lwiw, Dnipropetrowsk, Odessa, Charkiw und Moskau Menschen auf die Straße gegangen, in Dnipropetrowsk waren es ca. 1000. In Charkiw kam es zu Festnahmen. |
26.01.2013 | Unterstützer der Familie Pawlitschenko reichen im Weißen Haus eine Petition an US-Präsident Barack Obama ein. In der Petition fordern sie den Präsidenten auf, die so genannte Magnitsky-Liste auf ukrainische Beamte auszudehnen. Auf der Liste stehen zurzeit ca. 60 russische Beamte, denen so die Einreisein die USA verweigert wird. Die Aktivisten fordern solche Sanktionen u. a. gegen den ehemaligen Innenminister Anatolij Mohyljow und den Vorsitzenden der höchsten Ermittlungskommission des Innenministeriums Vasilij Farinnik. Unter ihrer Aufsicht hatten Ermittlung und Verurteilung stattgefunden. |
31.01.2013 | Serhij Pawlitschenko erklärt, dass er sein Geständnis unter Erpressung und Androhung von Folter abgelegt habe. Die Staatsanwaltschaft bestreitet die Vorwürfe. Die Fortsetzung der Befragung Serhij Pawlitschenkos wird auf den 6. Februar verschoben. |
05.02.2013 | In Iwano-Frankiwsk nehmen etwa 300 Menschen an einer Unterstützungsdemonstration teil. |
10.02.2013 | Der lokale Oppositionspolitiker Ewhenij Kaplin von der Partei"Ukraine-Vorwärts!" ruft für den 12.03. zu einem Generalstreik zur Unterstützung der Pawlitschenkos auf. |
Der Fall Pawlitschenko
Gastbeitrag des Vorsitzenden der Ukrainischen Juristischen Vereinigung, Oleh Beresjuk, Ukrainskaja Prawda, 29.01.2013 Aufgrund der Tatsache, dass der Fall von Vater und Sohn Pawlitschenko erhebliche öffentliche Aufmerksamkeit erhalten hat, muss die Staatsanwaltschaft die Schuld der Pawlitschenkos nun nicht mehr nur vor Gericht beweisen. Angesichts des geringen Maßes an Vertrauen in die Justiz- und Strafverfolgungsbehörden, wird jede in nichtöffentlicher Sitzung getroffene Entscheidung und Aussage zu weiteren Vertrauensverlusten in der Gesellschaft führen. Ein Ausweg aus dieser Situation kann nur die vollständige Umsetzung des Artikels 27 der Strafprozessordnung zur Transparenz der Strafjustiz sein, um das Vertrauen in die Rechtmäßigkeit und Fairness des Urteils zu fördern. Eine öffentliche Bearbeitung dieses Falles würde die Rechtmäßigkeit des Urteils stärken und das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung fördern. (…) Der Prozess gegen Pawlitschenko sollte offen sein, mit einer Live-Übertragung im ersten Kanal des staatlichen Fernsehens. So könnte jeder Richter sein und seine eigenen Schlüsse über die Schuld oder Unschuld der Pawlitschenkos ziehen.
Quelle: http://www.pravda.com.ua/rus/columns/2013/01/29/6982436/
Ukrainer glauben, dass Polizei und Gerichte die Mächtigen vor dem Volk schützen
Vlasti.net (Russland), 16.01.2013 Die Bürger glauben, dass Polizei und Gerichte nur die Mächtigen vor den normalen ukrainischen Bürgern schützen. Aus diesem Grund wird die Proteststimmung gegen die Richter und Vollzugsbeamten weiter anwachsen. Diese Meinung vertrat Irina Bekeschkina, die Geschäftsführerin der Stiftung "Demokratische Initiative" in einer Ausgabe [des Onlinemagazins] tyzhden.ua. (…). "Die Menschen vertrauen der Rechtsprechung überhaupt nicht. Der überwiegende Teil der Bevölkerung hält Selbstjustiz für die einzige Möglichkeit, um Gerechtigkeit wiederherzustellen. Und sie haben viele Beispiele hierfür. (…) Jeden Tag lesen die Menschen Beispiele im Internet, was sich dann schnell verbreitet. Manchmal sehen sie es auch im Fernsehen: Das Gesetz gilt nicht für alle. Daher hat sich die Einschätzung durchgesetzt, dass man das Gesetz selbst in die Hand nehmen muss." (…) Sie hat beobachtet, dass der grausame Mord an dem Charkiwer Richter keine Missbilligung und kein Bedauern hervorgerufen habe. "Einige schrieben sogar, als bekannt wurde, dass er mutmaßlich umgebracht wurde – gut, dass er umgebracht wurde, er hat es verdient", bemerkte die Soziologin.
Quelle: http://vlasti.net/news/158252 Ausgewählt und übersetzt von Eva Wachter und Jan Matti Dollbaum