Seit 1999 hat die Türkei offiziell den Status eines Beitrittskandidaten der Europäischen Union. Die damit verbundene Hoffnung auf eine Verbesserung der Lage der Pressefreiheit in der Türkei hat sich jedoch bis heute nicht erfüllt.
Staaten, die der Europäischen Union (EU) beitreten wollen, müssen ihre Rechtsordnung an den Standards der EU ausrichten. Dies gilt in besonderem Maße für die Ausgestaltung des Grundrechtschutzes und speziell der Pressefreiheit. Die Türkei ist bereits seit über 15 Jahren offiziell ein Kandidat für den Beitritt zur EU - die Pressefreiheit im Land ist jedoch bis heute eklatant gefährdet. Eine Harmonisierung der Medienordnung in der Türkei mit den Anforderungen der EU ist also trotz des Annäherungsprozesses bislang nicht ausreichend gelungen. Dies liegt vor allem an den verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Rahmenbedingungen der Pressefreiheit in der Türkei, der teilweise mangelnden Unabhängigkeit der Medien und schließlich an den für die Pressefreiheit besonders abträglichen Repressionen gegenüber Journalisten in der Türkei.
Die Pressefreiheit in der Türkei und ihre Rechtsgrundlagen
Die Pressefreiheit ist in der Türkei – ebenso wie die Meinungsfreiheit – verfassungsrechtlich gewährleistet. In Abschnitt X der türkischen Verfassung ist in Artikel 28 die Pressefreiheit wie folgt geregelt: "Die Presse ist frei, Zensur findet nicht statt. (...) Der Staat trifft die Maßnahmen zur Gewährleistung der Presse- und Informationsfreiheit." Im gleichen Artikel werden aber auch Nachrichten oder Schriften nach Maßgabe der Strafgesetzgebung unter Strafe gestellt, wenn sie die innere und äußere Sicherheit des Staates, die unteilbare Einheit von Staatsgebiet und Staatsvolk bedrohen; wenn sie zur Begehung einer Straftat oder zu Aufstand oder Aufruhr ermuntern oder im Zusammenhang mit geheimen Informationen des Staates stehen. Auch Verfahren, mit denen der Vertrieb von Presseangeboten verboten werden kann, werden in diesem Artikel geregelt. Weitere Regelungen dienen dem Schutz des guten Rufs oder der Rechte des Privat- oder Familienlebens anderer und der Verhinderung von Straftaten bzw. der Bestrafung von Straftätern.
Zusätzliche Einschränkungen enthält das Strafgesetz, speziell in Artikel 301, der bis zu seiner Änderung im Jahr 2008 die Beleidigung des Türkentums, der Republik und bestimmter staatlicher Institutionen unter Strafe stellte. Prominente Opfer dieser Vorschrift wurden u. a. der türkische Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk und der türkische Zeitungsverleger armenischer Abstammung Hrant Dink, der im Jahre 2007 ermordet wurde. Beide hatten über den Genozid an den Armeniern in den Jahren 1915 und 1916 geschrieben und sich damit der Beleidigung des Türkentums strafbar gemacht. Die Verurteilungen bezeichnete der Interner Link: Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als einen Verstoß gegen das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung und verurteilte den türkischen Staat darüber hinaus wegen Mitverantwortung am Tod von Hrant Dink. Diesem Verfahren wird eine Schlüsselrolle für die anschließenden Bemühungen der Türkei zugesprochen, ihre Gesetzgebung an den EU-Standards für den Schutz der Presse- und Meinungsäußerung auszurichten. Im Jahre 2008 wurden die Strafvorschriften leicht geändert: Die Begriffe "Türkentum" und "Republik" wurden juristisch in "Türkische Nation" und "Republik Türkei" präzisiert, entsprechende Verfahren dürfen nur noch mit Erlaubnis des Justizministers eingeleitet werden und die Höchststrafe wurde von drei auf zwei Jahre herabgesetzt. Auch eine ausgesprochene Freiheitsstrafe kann daher nach Ermessen des Gerichts aufgeschoben werden. Nach Aussage des Rechtsanwalts Fikret Ilkiz - der u.a. den 2011 verhafteten Journalisten Ahmet Şik vertrat - ist die Zahl der Strafverfahren, die unter Berufung auf Art. 301 eröffnet wurden, seitdem zurückgegangen. Es gilt zwar nach wie vor, dass Meinungsäußerungen, die "mit der Absicht der Kritik erfolgten", keine Straftat darstellen, die "Herabsetzung" der Nation, der Regierung oder auch der Streitkräfte ist aber weiterhin strafbar.
Wichtige Regelungen enthält das Pressegesetz aus dem Jahre 2004. Es löste das alte Pressegesetz aus dem Jahre 1950 ab, das wegen seiner Beschränkungen der Pressefreiheit kritisiert und als Hindernis für einen EU-Beitritt der Türkei angesehen wurde. Es regelt u. a. den Informantenschutz, das Gegendarstellungsrecht, erschwert das Beschlagnahmen von Zeitschriften und reduzierte das Strafmaß für verschiedene Strafen. Zudem wurde die staatliche Aufsicht über die Presse abgeschafft und stattdessen der türkische Presserat als freiwillige Selbstkontrolleinrichtung eingeführt.
Die türkische Presselandschaft
Der türkische Markt für Printmedien ist mit 55 nationalen, 23 regionalen und 2.381 lokalen Tageszeitungen und einer Gesamtzahl von über 5.000 Titeln durch eine große Angebotsvielfalt geprägt. Die auflagenstärksten und einflussreichsten Tageszeitungen wie z. B. Zaman, Posta, Hürriyet, Sabah und Milliyet gehören Konzernen wie Doğan, Merkez, Çukurova Ihlas Dogus oder der Feza Group. Begonnen hat diese Entwicklung in den 1970er-Jahren, als sich große Wirtschaftsunternehmen in den Zeitungssektor und in den 1990er-Jahren auch in den Rundfunksektor einkauften. Die Einbindung dieser Zeitungen in große Konzerne, die neben dem Mediengeschäft auch auf anderen Wirtschaftssektoren engagiert sind, birgt Gefahren für die Pressefreiheit: Für diese Unternehmen ist es aus vielerlei Gründen wichtig, gute Beziehungen zu Regierungsstellen zu pflegen, etwa wenn es um Regierungsaufträge oder regulatorische Fragen geht. Das erschwert eine kritische journalistische Berichterstattung in den konzerneigenen Medien, die diese Beziehungen stören könnte. Für die Journalisten kann das bedeuten, dass sie aus Gründen der Konzernraison auf eine kritische Berichterstattung verzichten, um ihre Anstellung nicht zu gefährden. Hierzu genügt oftmals sanfter Druck "von oben". Berichtet wird darüber hinaus von Entlassungen regierungskritischer Journalisten, die auf Interventionen aus Regierungskreisen zurückzuführen sind.
In den letzten Jahren war zu beobachten, dass Medienkonzerne in das Eigentum großer Unternehmensgruppen übergegangen sind, die der seit 2002 regierenden Interner Link: AKP nahe stehen. Ein prominenter Fall vermeintlich staatlicher Repression gegen regierungskritische Medienkonzerne ist jener der Doğan Media Group, gegen die türkische Behörden 2011 wegen angeblicher Steuerhinterziehung eine Strafe von knapp 2,2 Milliarden Euro verhängten. Die Mediengruppe wurde dadurch u.a. gezwungen, die auflagenstarken Zeitungen Milliyet und Vatan und den Fernsehsender Star TV zu verkaufen, um die nötigen liquiden Mittel aufzubringen. Damit wurde zugleich der publizistische Einfluss der Gruppe geschmälert und die Pressefreiheit über das Steuerrecht ausgehebelt und verletzt. Über die abschreckende und disziplinierende Wirkung dieses statuierten Exempels auf die konzerngeprägte Presselandschaft erlangte der Fall eine Breitenwirkung, die der Pressefreiheit in der Türkei insgesamt einen bleibenden Schaden zufügte.
Repressionen gegen Journalisten
Eine manifeste Gefahr für die Pressefreiheit in der Türkei geht von dem Anti-Terror-Gesetz und dessen Anwendung durch die Gerichte auf Journalisten aus. Ihm sind eine Vielzahl von Journalisten zum Opfer gefallen, die teils über längere Zeiträume ohne ordentliches Gerichtsverfahren inhaftiert wurden oder die zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden sind. In Art. 6 und 7 des Anti-Terror-Gesetzes werden das Drucken oder Ansagen von Propaganda im Namen einer terroristischen Organisation zum Verbrechen erklärt. In der Anwendung durch die Gerichte hat das zur Folge, dass z. B. schon die neutrale Berichterstattung über einen Terroranschlag den Tatbestand des Gesetzes erfüllen und zu einer Bestrafung führen kann. Das Gesetz gibt die Grenzen der Strafbarkeit nicht präzise vor und lässt den rechtsanwendenden Instanzen sehr viel Beurteilungsspielraum. Dieser wird oftmals von Richtern, die häufig aus der Ministerialverwaltung rekrutiert werden, zu Lasten der Journalisten genutzt. Aufgrund ihrer beruflichen Sozialisation neigen sie nicht dazu, die Gesetze grundrechtskonform und unter Berücksichtigung der Pressefreiheit auszulegen. Sie tendieren eher dazu, Vorgaben aus dem politischen Raum – sei es von der Regierung, sei es von der regierenden Interner Link: AKP – umzusetzen. Dabei spielt auch die oft sehr kritische Haltung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan gegenüber Medien eine große Rolle.
Die zahlreichen Inhaftierungen und Verurteilungen von Journalisten führten in der Folge zu einer Vielzahl von Gerichtsverfahren, in denen die Türkei vor dem EGMR wegen Verletzung der Pressefreiheit angeklagt und verurteilt worden ist. Auch die Fortschrittsberichte der EU, in denen die Europäische Kommission periodisch die Übereinstimmung der Rechtsordnung der Beitrittskandidaten mit den in der EU geltenden Standards überprüft und dabei auch den Schutz der Menschenrechte und insbesondere der Pressefreiheit thematisiert, haben im Falle der Türkei stets zu Beanstandungen dieser Entwicklung geführt. Schließlich haben auch Aktivitäten international tätiger Organisationen wie des International Press Institute (IPI) in Wien oder des Committee to Protect Journalists (CPJ) immer wieder auf diese Missstände hingewiesen. Auch unter diesem Druck kam eine Novellierung des Anti-Terror-Gesetzes in mehreren Reformpaketen zustande, die aber bis heute noch nicht dem Schutz der Pressefreiheit nach dem Standard europäischer Rechtsordnung Rechnung trägt. Erst jüngst hat deshalb der Stellvertretende Ministerpräsident Bülent Arınç eine erneute Änderung des Anti-Terror-Gesetzes angekündigt, bei der insbesondere der Begriff der Propaganda präzisiert werden soll. In der Rangliste der Pressefreiheit für das Jahr 2014 der Organisation Externer Link: Reporter ohne Grenzen wird die Türkei auf Platz 154 von 180 untersuchten Staaten geführt.
In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die Novellierungen des Anti-Terror-Gesetzes immer hinter den Anforderungen zurückblieben und letztlich nicht verhindert haben, dass die Türkei immer noch zu den Ländern mit der höchsten Zahl inhaftierter Journalisten zählt. Es ist nicht die vage Gesetzgebung allein, es ist vor allem die Auslegung und Anwendung des Gesetzestextes, bei der die Richter den Stellenwert der Pressefreiheit berücksichtigen müssten, was sie jedoch häufig nicht tun. Ein Beleg hierfür ist der Ergenekon-Prozess,
der durch die Verhaftung der Journalisten Ahmet Şik und Nedim Şener am 5. März 2011 traurige Berühmtheit erlangte. Unter den 254 Angeklagten, die ein Gericht in Istanbul am 5. August 2013 zu Haftstrafen verurteilt hatte, befanden sich auch fast zwei Dutzend Journalisten. Lediglich einer der 24 angeklagten Journalisten wurde freigesprochen, gegen die restlichen 23 Journalisten wurden langjährige Haftstrafen verhängt, die von 5 Jahren und 4 Monaten bis lebenslänglich reichen. Es ist zu befürchten, dass die Signalwirkung dieses Urteils dazu führt, dass Journalisten weiterhin eingeschüchtert und von einer kritischen Berichterstattung abgehalten werden, weil ihnen sonst Strafverfolgung und Verurteilung drohen. Ändern wird sich dieser Zustand erst, wenn – abgesehen von erforderlichen Änderungen der Gesetzgebung – die Richterschaft bei ihren Urteilen die Presse- und Meinungsfreiheit respektiert. Ob die Justiz zu einem solchen Bewusstseinswandel fähig ist, wird sich zeigen, wenn über die eingelegten Rechtsmittel in der nächsten gerichtlichen Instanz entschieden wird.
Ergebnis der zuvor dargestellten Aktivitäten ist allerdings auch, dass sich die Zahl der inhaftierten Journalisten verringert hat. Wurden Ende 2012 noch 76 inhaftierte Journalisten gezählt, so hat sich diese Zahl inzwischen deutlich reduziert. Zu beachten ist allerdings, dass eine Reihe von Journalisten nur vorläufig auf freien Fuß gesetzt und ihr Verfahren noch nicht zu einem endgültigen Abschluss gebracht wurde. Das bedeutet, dass sie immer noch unter dem Damoklesschwert einer drohenden Verurteilung stehen. Dass sie unter diesen Voraussetzungen in ihrer Arbeit nicht frei sind sondern im Wege der Selbstzensur
bemüht sein werden, keine Veranlassung zu weiterem gerichtlichen Vorgehen gegen sie zu geben, liegt auf der Hand. Auch eine solchermaßen vergiftete Pressearbeit gehört zu den Rahmendingungen, unter denen Journalisten in der Türkei ihre Arbeit verrichten müssen.
Fazit
Als Ergebnis bleibt festzuhalten, dass die Pressefreiheit in der Türkei immer noch starken Einschränkungen unterliegt. Zwar sind Bemühungen der Regierung anzuerkennen, bestehende Defizite in der Gesetzgebung und im Justizwesen zu beseitigen. Nach wie vor müssen jedoch Journalisten Übergriffe der Justiz fürchten, die unscharfe Straftatbestände vor allem im Anti-Terror-Gesetz dazu nutzt, Journalisten ins Gefängnis zu werfen und zu z.T. mehrjährigen Freiheitsstrafen zu verurteilen. Weitere Gefahren gehen von pressefeindlichen Äußerungen aus Regierungskreisen aus, die von der Justiz als Ermunterung zu schärferem Vorgehen gegen Journalisten verstanden werden und in Medienkonzernen zu Formen vorbeugender Selbstzensur bis hin zur Entlassung nicht willfähriger, kritischer Journalisten führen. Es wird deshalb noch vieler Anstrengungen bedürfen, bis der Schutz der Pressefreiheit in der Türkei den EU-Anforderungen entspricht.
Prof. Dr. Carl-Eugen Eberle hat nach dem Ablegen des 1. und 2. Juristischen Staatsexamens in München an der Universität Regensburg promoviert. Nach der Habilitation im Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Konstanz erfolgte 1994 die Berufung auf eine Professur für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaft an der Universität Hamburg. Von 1990 bis zu seinem altersbedingten Ausscheiden im Jahre 2011 war er als Justitiar des Zweiten Deutschen Fernsehens ZDF tätig. Als Member of the Executive Board wirkt er seitdem noch im International Press Institute IPI in Wien und leitet das Deutsche IPI Nationalkomitee als Vorsitzender.
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