Mehr als ein Vierteljahrhundert nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes stehen die Beziehungen zwischen Russland und den USA im Zeichen anhaltender Großmachtkonkurrenz. Insbesondere seit dem
Konträre Deutungen
In den USA und in Russland dominieren Interpretationen des wechselseitigen Verhältnisses, die aus der Schule des Neo-Realismus kommen. Der offensiven Lesart des Neo-Realismus zufolge strebt Russland nach Machtausdehnung, nach Ausweitung seiner Einflusssphären, der Wiederherstellung vergangener Größe, es folgt einem imperialen Selbstbild und ist von daher auf Revision des postsowjetischen Machtverlustes aus. Dieser Sicht zufolge wird Russlands Politik durch seine imperiale Geschichte, die Geographie (größter Staat der Welt), seinen Status als Atommacht und als ständiges Mitglieder des UN-Sicherheitsrates bestimmt. Durch seine Militärmacht, seine natürlichen Ressourcen und seine Präsenz als Nachfolgestaat der Sowjetunion nimmt Russland demnach eine vorherrschende Stellung im postsowjetischen Raum ein.
Folgt man dem offensiven Neo-Realismus, dann ist das militärische Verhalten Russlands in der Ukraine (seit 2014) und in Syrien (seit 2015) die Kulmination einer Rivalität, die sich aus dem wachsenden Widerstand gegen ein von den USA dominiertes System, aus der Integrationskonkurrenz zwischen der EU und Russland und aus dem Ende von Rüstungskontrolle aufbaute. Einig sind sich die offensiven Deutungen darin, dass Russland keine Status quo-Macht ist, sondern expansionistisch und nicht an möglichen Kooperationsgewinnen interessiert ist. Das politische Regime in Russland nutzt demnach das Fehlen einer schlagkräftigen EU-Außen- und Sicherheitspolitik, die Spaltungen zwischen der EU und den USA und die mangelnde Bereitschaft der NATO aus, Sicherheitszusagen jenseits eigener Mitglieder zu machen. Das Regime unter Präsident Putin betreibe imperiale Politik, um die ehemalige Sowjetunion politisch, wirtschaftlich und militärisch zu beherrschen. Russlands Außenpolitik steht demnach in einer expansiven zaristischen bzw. sowjetischen Tradition.
Defensive Interpretation
Folgt man der defensiven Interpretation dann reagiert Russland auf eine vorgängige Expansion des Westens, d.h. die Erweiterung der NATO, der EU, auf die Nichtakzeptanz von russischen Sicherheitsinteressen und Einflusssphären und die mangelnde Bereitschaft der EU, ihre Assoziierungspolitik mit Russland abzustimmen. Präsident Putin imitiere nur das Beispiel westlicher Missachtung des Völkerrechtes beim Sturz unliebsamer Amtsinhaber. Der Ukrainekonflikt ist demnach Ausdruck einer geopolitischen Auseinandersetzung, die vom Westen initiiert und infolge des "unipolaren Momentes" nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation forciert wurde. Putin wäre kaum eine andere Wahl geblieben, als auf westliche Missachtung zu antworten. Der Grundfehler wurde demnach vom Westen begangen, weil er Russland nur als Objekt seiner "Geopolitik" betrachtete.
Der defensiven Sicht zufolge hätte Russlands Wende zu einem aggressiven Außenverhalten verhindert werden können. Hätte der Westen nicht die NATO erweitert, nicht die Kriege im Kosovo, im Irak, in Libyen geführt, nicht die Opposition in Syrien unterstützt und stattdessen Russlands "legitime Interessensphären" geachtet, so die Unterstellung, dann wäre die Konfrontation vermeidbar gewesen. Der Westen trägt demnach die Schuld an Russlands Abkehr von der Kooperation. Die defensive Sicht deckt sich weitgehend mit dem von Russlands außenpolitischen Eliten verbreiteten Bild. Die USA setzten demnach als Gewinner des Kalten Krieges das Völkerrecht und die "checks and balances" der internationalen Ordnung außer Kraft, sie hätten in Afghanistan, im Irak, in Libyen und in Syrien interveniert, um einen militärischen Regimewechsel zu erreichen, als Ergebnis aber Staatszerfall und internationalen Terrorismus erhalten. Entgegen dem frühen Bekenntnis Putins zu einer Kooperation mit den USA – auch gegen interne Widersacher – hätten einseitige Entscheidungen der USA eine kumulative Enttäuschung in Russland bewirkt. So zieht sich in dieser Sicht eine Linie von der Aufkündigung des
Historischer Rückblick
Die Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion waren seit der Oktoberrevolution durch Gegnerschaft geprägt, da die USA ab 1918 an der allierten Intervention gegen das bolschewistische Russland teilnahmen. Die Gegnerschaft wurde nur unterbrochen durch die Anti-Hitler-Koalition, die jedoch schon wenige Jahre nach dem 2. Weltkrieg durch den sogenannten Kalten Krieg abgelöst wurde.
Die Rüstungskonkurrenz und die Wahrscheinlichkeit eines militärischen Zusammenstoßes zwischen den USA und der Sowjetunion wurde in den
Unter US-Präsident Clinton (1993-2001) und dem russischen Präsidenten Jelzin näherten sich die Beziehungen an, die USA unterstützten den Übergang zur Marktwirtschaft. Die Beziehungen litten jedoch bald unter der Vorbereitung (ab 1994) der ersten NATO-Erweiterung, aufgrund des Krieges der russischen Regierung gegen die Teilrepublik Tschetschenien (1994-1996) und dem Kosovokrieg von 1999, den die USA ohne Mandat des UN-Sicherheitsrates führten. Zwischen Präsident Putin (ab 2000) und US-Präsident George W. Bush (2000-2009) verschlechterten sich die Beziehungen zusehends, da die russische Führung eine US-Politik zugunsten von Regimewechseln im postsowjetischen Raum beargwöhnte (Rosen-Revolution 2003 in Georgien, Orange Revolution 2004 in der Ukraine, Tulpen-Revolution 2005 in Kirgisistan). Während Präsident Putin den USA Unterstützung im Kampf gegen den internationalen Terrorismus nach den Anschlägen vom 11. September 2001 zusagte, verschlechterten sich die Beziehungen insbesondere infolge des völkerrechtswidrigen Krieges der von den USA geführten Koalition gegen den Irak (2003).
Im Jahre 2002 annoncierten die USA Pläne, Raketen in Polen und eine Radarstation in Tschechien zu stationieren. Im Jahre 2008 wurde entschieden, in Polen ein amerikanisches Raketenabwehrsystem zu installieren. Diese Pläne wurden verworfen. Nach dem NATO-Gipfel in Lissabon 2010 wurde beschlossen im polnischen Redzikowo (soll 2020 in Betrieb genommen werden) und dem rumänischen Deveselu (wurde 2016 in Betrieb genommen) Raketenabwehrsysteme zu installieren. Von Russland wird die Stationierung von Raketen in mittelosteuropäischen Staaten nicht als Abwehr möglicher Angriffe aus Nordkorea oder dem Iran, sondern als Bedrohung der eigenen Zweitschlagskapazität angesehen, d.h. der Fähigkeit, auf einen atomaren Angriff mit einem Zweitschlag reagieren zu können.
Hochrüstung und Regionalkonflikte
Ein dauerhafter Konflikt zwischen Russland und den USA entwickelte sich vor dem Hintergrund der Beziehungen zu Iran, da Russland die Entwicklung dortiger Atomkraftwerke förderte, während die USA und Israel den Bau einer iranischen Atomwaffe fürchteten. Vor dem Hintergrund einer möglichen Nato-Mitgliedschaft der Ukraine erklärte der russische Präsident im Jahre 2008, dass Russland seine Raketen gegen die Ukraine richten könne. Der russische Präsident Medvedev (2008-2012) kündigte zudem im November 2008 an, Iskander-Kurzstreckenraketen im Gebiet Kaliningrad, direkt an der polnischen Grenze, stationieren zu wollen.
Nachdem der Georgienkrieg (August 2008) einen Tiefpunkt markierte, erklärten Präsident Obama und Präsident Medvedev einen Neuanfang ab 2009. Beide Seiten appellierten an den Iran, kein Atomwaffenprogramm zu verfolgen. Im April 2010 einigten sich die USA unter Präsident Obama und Russland unter Präsident Medvedev, ihre atomaren Langstreckenraketen auf jewiels 1.500 zu verringern. Vor dem Hintergrund der Demonstrationen und Proteste im Umfeld der Dumawahl 2011 und der Präsidentschaftswahl 2012 beschuldigte Premierminister Putin, der erneut als Präsidentschaftskandidat antrat, die USA dann allerdings der Einmischung.
Dramatische Verschlechterung ab 2012
Ab der Wiederwahl Präsident Putins zu seiner dritten Amtszeit (2012-2018) verschlechterten sich die Beziehungen zusehends, da Russland sich das Recht auf einen Erstschlag gegen Raketenstellungen in Mittelosteuropa vorbehielt, mit strategischen Bombern in US-Luftraum eindrang, laut US-Vorwürfen den Vertrag über Mittelstreckenwaffen von 1987 verletzte und Interkontinentalraketen entwickelte, die sich der US-Raketenabwehr entziehen konnten. Im Jahr 2013 gewährte Russland dem US-amerikanischen "whistleblower" Edward Snowden Asyl. Die wachsenden Spannungen im russisch-amerikanischen Verhältnis kulminierten während des Ukrainekonfliktes, als Russland die Krim annektierte und die USA daraufhin den Ausschluss Russlands aus dem G-8 Forum erwirkten sowie Sanktionen gegen Russland verhängten. Ab September 2015 intervenierte Russland zusätzlich zugunsten des syrischen Präsidenten Assad und gegen Rebellengruppen, die von den USA unterstützt wurden. Russland und die USA begannen damit, eine Art Stellvertreterkrieg auf syrischem Territorium zu führen. Mit schweren Luftangriffen auf Städte wie Aleppo verstieß Russland gegen das Kriegsvölkerrecht, was scharfe Kritik seitens der USA im UN-Sicherheitsrat nach sich zog.
Medialer Krieg und Cyberattacken
Während des US-Präsidentschaftswahlkampfes im Jahr 2016 warfen US-Sicherheitsdienste der russischen Regierung vor, mit Cyber-Attacken und dem gezielten Durchstechen von Informationen Einfluss zugunsten von Donald Trump zu nehmen. Obschon Donald Trump ungebührliche Kontakte bestritt, untersuchten US-Sicherheitsbehörden die Verbindungen zwischen Trumps Wahlkampfteam und russischen Politikern. Insbesondere die CIA hielt es für höchstwahrscheinlich, dass Russland sich in den amerikanischen Wahlkampf eingemischt habe. Auf die Ausweisung von russischen Diplomaten während der ausgehenden Obama-Administration reagierte Russland mit der Ausweisung von mehreren hundert US-Diplomaten. Wechselseitige Hoffnungen auf eine Normalisierung der Beziehungen unter Präsident Trump wichen bald der Ernüchterung. Im März 2017 verhängten die USA Sanktionen gegen russische Firmen, da sie angeblich die Weiterverbreitung von Kenntnissen zum Bau von Atomwaffen begünstigten.
Vor dem Hintergrund der US-Sanktionen aufgrund des Ukrainekonfliktes und der unmittelbaren Gegnerschaft der Kriegsparteien in Syrien befanden sich die Beziehungen ab 2017 auf einem Tiefpunkt, der an extrem angespannte Zeiten während des Kalten Krieges gemahnte. Im Februar 2018 attackierten die USA mit Luftangriffen pro-Regierungskräfte im Osten Syriens, wobei auch mehrere Dutzend russische Staatsbürger, die für eine russische Militärfirma arbeiteten, getötet worden sein sollen. In Reaktion auf den Giftanschlag auf den früheren russischen Agenten Skripal im März 2018 in Großbritannien ordnete Präsident Trump die Ausweisung von 60 russischen Diplomaten und der Konsularbeamten in Seattle an.
Beide Länder versuchen durch staatlich geförderte Medien auf die Öffentlichkeit Einfluss zu nehmen – Russland durch Sender wie RT (früher Russia Today) und Sputnik News, die USA durch Radio Liberty / Radio Free Europe. Das Bild von den USA in Russland ist überwiegend negativ, im Januar 2015 führte das unabhängige Meinungsforschungsinstitut Levada-Zentrum eine Umfrage durch, wonach 81 Prozent der Russen ein negatives Bild von den USA hatten (zum Vergleich:1990 hatten nur 7 Prozent der befragten Sowjetbürger eine negative Einstellung zu den USA geäußert). Im Jahre 2015 hielten auch 49 Prozent der befragten Amerikaner Russland für eine militärische Gefahr. Allerdings sind die wechselseitigen Einschätzungen stark von aktuellen Entwicklungen geprägt, denn eine Umfrage von 2017 (Pew Research Centre) zeigte, dass 41 Prozent der Russen durchaus ein positives Bild der USA hatten und 53 Prozent der Russen Vertrauen in Präsident Trump setzen.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Beziehungen zwischen Russland und den USA maßgeblich durch fünf Bestimmungsfaktoren geprägt sind: die nie vollständig überwundene Erbschaft des Kalten Krieges, die militärische Großmachtkonkurrenz, den Wettbewerb um regionale Einflusssphären, konträre politische Leitbilder (Systemkonkurrenz) und eine sich wechselseitig verstärkende Missachtung des Völkerrechts.
Literatur:
Robert H. Donaldson; Joseph L. Nogee; Vidya Nadkarni: The Foreign Policy of Russia. Changing Systems, Enduring Interests, Armonk, London 2014.
Jeffrey Mankoff: Russian Foreign Policy: The Return of Great Power Politics, Lanham: Rowman & Littlefield 2011.