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Geschichte von 1918 bis 1945 | Polen | bpb.de

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Geschichte von 1918 bis 1945

Dieter Bingen

/ 7 Minuten zu lesen

Nach Erlangen der Selbständigkeit 1918 stand das Land vor der Aufgabe, drei unterschiedliche Verwaltungs-, Rechts-, Verkehrs- und Bildungssysteme zusammenzuführen, die wirtschaftlichen und sozialen Unausgewogenheiten zu beseitigen und die ethnischen Minderheiten zu integrieren.

Josef Pilsudski bei einer Militärparade im November 1927. Mit seiner Offensive löste er im April 1920 den Polnisch-Sowjetischen Krieg aus. (© AP)

Wiedererstehung zwischen den Weltkriegen

Polen war nun (1918) selbstständig, aber weder Staatsform noch Grenzen waren festgelegt. Nach Kongresspolen und Westgalizien besetzten polnische Militärverbände im Januar 1919 den Großteil der Provinz Posen sowie im Frühjahr auch Ostgalizien und die nordöstlichen Distrikte bis Wilna. Im Versailler Vertrag wurden Polen fast ganz Posen und weite Teile Westpreußens (Pommerellen) links der Weichsel zugesprochen. In strittigen Gebieten um Allenstein, Marienwerder und in Oberschlesien sollten Volksabstimmungen abgehalten werden.

Auch der letzte der drei polnischen Aufstände (August 1919, August 1920, Mai 1921) gegen die deutschen Behörden konnte die Aufteilung Oberschlesiens durch den Völkerbundrat nicht verhindern, die von Deutschen und Polen gleichermaßen als ungerecht verurteilt wurde. Polen erhielt schließlich fast ganz Posen und 70 Prozent Westpreußens (den sogenannten Korridor) sowie den Ostteil Oberschlesiens mit Kattowitz und Königshütte, obwohl in ganz Oberschlesien 1921 60 Prozent der Bevölkerung für den Verbleib bei Deutschland gestimmt hatten. Südliche Teile Ostpreußens und westpreußische Plebiszitgebiete blieben bei Deutschland. Dort hatten 1920 nur 2,2 bzw. 7,6 Prozent der Stimmberechtigten für Polen votiert. Die Erklärung Danzigs zur "Freien Stadt" unter dem Protektorat des Völkerbundes trug weiter zur Belastung des deutsch-polnischen Verhältnisses bei. Im Streit mit der Tschechoslowakei wurde das Teschener Gebiet entlang der Olsa geteilt.

Josef Pilsudski versuchte angesichts der militärischen Schwäche Sowjetrusslands an der Ostgrenze vollendete Tatsachen zu schaffen und löste mit einer Offensive im April 1920 den Polnisch-Sowjetischen Krieg aus. Er lehnte die so genannte Curzon-Linie (von dem britischen Außenminister Lord George Curzon im Juli 1920 vorgeschlagene polnisch-sowjetische Demarkationslinie), die ungefähre Grenze geschlossener polnischer Siedlung am Bug, als polnische Ostgrenze ab. Im Frieden von Riga (März 1921) wurde die polnisch-sowjetrussische Grenze rund 150 Kilometer östlich der Curzon-Linie festgelegt. Das Wilnaer Gebiet kam mit einer Militäraktion (1920) gegen das ebenfalls unabhängig gewordene Litauen unter polnische Hoheit. Polen umfasste nunmehr ein Gebiet von rund 388.000 Quadratkilometern mit über 27 Millionen Einwohnern, darunter jedoch nur 19 Millionen polnischer Volkszugehörigkeit.

Die häufig wechselnden Regierungen Polens standen vor der Aufgabe, drei unterschiedliche Verwaltungs-, Rechts-, Verkehrs- und Bildungssysteme zusammenzuführen, die wirtschaftlichen und sozialen Unausgewogenheiten zu beseitigen und die ethnischen Minderheiten zu integrieren. Die am 17. März 1921 verabschiedete Verfassung sah ein nach dem Verhältniswahlrecht gewähltes Zweikammerparlament, den Sejm (444 Mitglieder) und den Senat (111 Mitglieder), vor. [...]

Vor dem Hintergrund wachsender Korruption und Ämterstreitigkeiten unter den häufig wechselnden, instabilen Regierungen, vor allem aber angesichts einer seit 1925 bedrohlicher werdenden Wirtschaftskrise mit steigender Arbeitslosigkeit und staatlicher Finanznot, führte Pilsudski am 12. Mai 1926 einen Staatsstreich durch. Gestützt auf seine außerordentlich große Autorität bei der Bevölkerung und auf die Loyalität der Streitkräfte, begann er unter formaler Beibehaltung der Verfassung eine "moralische Diktatur", die zu einer "Gesundung" (sanacja) des politischen Lebens nach dem anscheinenden Versagen des von Pilsudski verachteten parlamentarischen Systems führen sollte. [...]

Polen war infolge der umstrittenen Grenzziehung mit allen Nachbarn mit Ausnahme Rumäniens und Lettlands verfeindet. [...] Die UdSSR und das nationalsozialistische Deutschland nutzten die Nichtangriffsverträge mit Polen (25. Juli 1932 bzw. 26. Januar 1934) nur als Atempause auf dem Weg zur Revision der Versailler Friedensordnung. Mit der ultimativen Nötigung Litauens, die bestehende litauisch-polnische Grenze und damit den Verlust Wilnas anzuerkennen, und der Beteiligung an der Amputation der Tschechoslowakei nach dem Münchner Abkommen durch die Annexion des Olsa-Gebiets im Oktober 1938 hatte Polen die Beziehungen zu zwei Nachbarn weiter vergiftet und seine moralische Position als östlicher Eckpfeiler des Westens zwischen den beiden totalitären Diktaturen Deutschland und Sowjetunion stark geschwächt.

Gleichzeitig drängte der deutsche Diktator Adolf Hitler nach dem "Anschluss" Österreichs und der Zerstückelung der Tschechoslowakei nunmehr auf eine Regelung der Danzig- und Korridorfrage zugunsten Deutschlands als Ausgangspunkt für eine Politik, die Polen zu einem Vasallenstaat des Dritten Reichs degradieren sollte. Die Zurückweisung einer so genannten Globallösung (Danzig deutsch, exterritoriale Eisen- und Autobahn durch den Korridor zwischen Ostpreußen und dem übrigen Reichsgebiet, Beitritt Polens zum Antikominternpakt) und die britische Garantieerklärung für die "nationale Integrität" Polens am 31. März 1939 nahm Hitler zum Anlass, im April den Befehl zur Vorbereitung eines Angriffskrieges zu geben und am 28. April den Nichtangriffspakt aufzukündigen. Ein am 23. August unterzeichneter deutsch-sowjetischer Nichtangriffsvertrag ("Hitler-Stalin-Pakt") sah in einem geheimen Zusatzprotokoll die Aufteilung Polens zwischen dem Dritten Reich und der Sowjetunion vor. Mit dem Überfall auf Polen am 1. September 1939 löste Hitler den Zweiten Weltkrieg aus.

Zweiter Weltkrieg

Nach dem schnellen Vorstoß der deutschen Truppen und dem Einfall der Roten Armee in Ostpolen am 17. September kapitulierten die letzten polnischen Verbände am 5. Oktober 1939. Deutsch-sowjetische Verhandlungen führten am 28. September zu einem Grenz- und Freundschaftsvertrag, der die Demarkationslinie der Invasoren entlang dem Bug festlegte. In den polnischen Ostgebieten, die der Weißrussischen und der Ukrainischen Sowjetrepublik eingegliedert wurden, lebten unter den 13 Millionen Einwohnern – zumeist Weißrussen, Ukrainer und starke jüdische Minderheiten – über fünf Millionen Menschen mit polnischer Muttersprache, die sogleich Terrormaßnahmen zum Opfer fielen. Die Deportationen von April bis Juni 1940 erfassten vor allem die staatlichen, religiösen und kulturellen Repräsentanten des Polentums. Von den rund 300.000 Kriegsgefangenen überlebten nur 82.000. Vor allem die Leugnung der Ermordung von über 12.000 Offizieren in sowjetischen Lagern (Katyn, Kozielsk, Starobielsk) hat das polnisch-sowjetische Verhältnis über Jahrzehnte belastet.

Der Westen Polens war seit September 1939 ganz in deutscher Hand. Hitler begann hier ohne Rücksichten mit der Umsetzung der nationalsozialistischen Lebensraum-Politik. Der Westen des von deutschen Truppen besetzten Teils des polnischen Staatsgebietes wurde unter der Bezeichnung "Eingegliederte Ostgebiete" unmittelbar mit dem Reich vereinigt, während der östliche Teil, das heißt die Mitte Polens, als "Generalgouvernement" ein "Nebenland" des Deutschen Reiches wurde. Die Eingegliederten Ostgebiete umfassten 95.000 Quadratkilometer mit 9,9 Millionen Einwohnern (87 Prozent Polen, 6,5 Prozent Deutsche, 6,4 Prozent Juden); das Generalgouvernement zählte 94.000 Quadratkilometer mit 12,1 Millionen Einwohnern.

Eingegliederte Ostgebiete

Die NS-Politik hatte sich zum Ziel gesetzt, die Eingegliederten Ostgebiete innerhalb eines Jahrzehnts in völlig deutsch besiedeltes Land zu verwandeln. [...] Erste Todesopfer deutscher Volkstumspolitik waren noch im Herbst 1939 zehn- bis 20.000 Polen, die zur Führungsschicht gezählt werden konnten, darunter zahlreiche katholische Geistliche. Himmlers Behörde, das Reichssicherheitshauptamt, begann sofort damit, Polen in das Generalgouvernement abzuschieben und an ihrer Stelle die 1939/40 aus den baltischen Ländern, dem sowjetischen Ostpolen, dem Generalgouvernement und Rumänien (Bessarabien, Bukowina) umgesiedelten Volksdeutschen anzusiedeln.

Bis zum deutschen Angriff auf die Sowjetunion (22. Juni 1941) wurden 365.000 Polen aus den Eingegliederten Ostgebieten deportiert. Danach endeten wegen Mangels an Transportmitteln und der unentbehrlichen Arbeitskraft der Polen die Deportationen. Wenn aus diesem Grunde auch die große Mehrheit der Polen in den Eingegliederten Ostgebieten verblieb, so wurden sie doch völlig entrechtet. [...]

Hunderttausende Polen mussten zur Zwangsarbeit in das Altreich gehen, aus dem Wartheland allein bis 1943 mehr als 400.000. Eine "Deutsche Volksliste" definierte nach willkürlich gewählten Kriterien abgesehen von der in Polen lebenden deutschen Minderheit (Gruppe I und II) in den Gruppen III und IV "eindeutschungsfähige" polonisierte Deutsche und Polen. [...]

Generalgouvernement

Das Generalgouvernement (Generalgou-verneur mit Sitz in Krakau: Hans Frank) sollte als Nebenland des Reiches eine Art deutscher Kolonie sein, in der die Polen ohne politisches und kulturelles Eigenleben für das nationalsozialistische Deutschland zu arbeiten hatten. Himmlers Deutsche Polizei versuchte, durch Terror und willkürliche Massenverhaftungen die Bevölkerung in Furcht zu halten. Die Produktion des Generalgouvernements wurde ganz in den Dienst der deutschen Kriegswirtschaft gestellt. [...]

Judenverfolgung

Die Juden in den Eingegliederten Ostgebieten und im Generalgouvernement wurden sofort völlig entrechtet und in zahlreichen Ghettos zusammengepfercht. Die Zahl der jüdischen Bevölkerung im Generalgouvernement erhöhte sich fortlaufend nicht nur durch die aus den Eingegliederten Ostgebieten Deportierten, sondern auch durch die Deportationen aus dem Altreich. Im Warschauer Ghetto vegetierten unter furchtbaren Bedingungen auf engstem Raum zeitweise 400.000 Menschen dahin, bevor sie zur Ermordung in die Konzentrationslager verschickt wurden.

Die von den Nationalsozialisten geplante vollständige Vernichtung der jüdischen Bevölkerung in Europa wurde durch das System der Konzentrations- und Vernichtungslager, die vor allem im besetzten Polen eingerichtet wurden, nahezu erreicht. Nachdem die Juden 1941 in Ostpolen bereits zu Hunderttausenden von Einsatzgruppen der SS umgebracht worden waren, entstanden 1941/42 in den Eingegliederten Ostgebieten (Chelmno, Auschwitz-Birkenau) sowie im Generalgouvernement (Belzec, Majdanek, Sobibór, Treblinka) Konzentrations- und Vernichtungslager. Allein in ihnen wurden nach neueren Untersuchungen circa 4,5 Millionen Juden aus dem deutschen Machtbereich ermordet.

Widerstand

Gestützt auf eine Exilarmee bildete sich, zunächst in Paris, dann in London, eine Exilregierung unter Präsident Wladyslaw Raczkiewicz (1885–1947), der mehrfach Innenminister gewesen war, und Ministerpräsident Wladyslaw Sikorski (1888–1943), der bereits 1922/23 kurzzeitig als Regierungschef amtiert hatte. [...]

Die brutale deutsche Besatzungspolitik löste eine immer weitere Bevölkerungskreise erfassende Bereitschaft zum Widerstand im Untergrundkampf aus. Dessen bewaffneter Arm, die "Heimatarmee" (Armia Krajowa), wuchs bis Ende 1943 auf 350.000 Mann. Die militärische Bedeutung der kommunistischen "Volksgarde" (Gwardia Ludowa) blieb gering. Im April 1943 schlug die deutsche Besatzungsmacht den verzweifelten Aufstand im Warschauer Ghetto, der den Abtransport der letzten 60.000 Juden aus Warschau in die Vernichtungslager aufhalten sollte, blutig nieder.

Am 22. Juli 1944 (Nationalfeiertag bis 1989) bildete sich, nachdem die Rote Armee den Grenzfluss Bug überschritten hatte, ein von moskautreuen Kräften gebildetes "Polnisches Komitee der Nationalen Befreiung" (Polski Komitet Wyzwolenia Narodowego, PKWN), das drei Tage später nach Lublin ("Lubliner Komitee") umsiedelte und mit dem Aufbau einer kommunistisch orientierten Verwaltung begann. Daraufhin löste die Heimatarmee am 1. August 1944 einen Aufstand in Warschau aus, um die sowjetischen Truppen als legitime polnische Macht empfangen zu können. Der Aufstand wurde bis zum 2. Oktober von der deutschen Besatzungsmacht niedergeschlagen, Warschau in Schutt und Asche gelegt. Damit war der letzte militärische Versuch gescheitert, eine von der Sowjetunion unabhängige Regierung und demokratische Staatsform nach der absehbaren Befreiung von der deutschen Herrschaft zu etablieren.

Fussnoten

Weitere Inhalte

ist Direktor des Deutschen Polen Instituts. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören: Polnische Zeitgeschichte und Politik, Politisches System Polens, Politische Systeme und Systemtransformation in Ostmittel- und Südosteuropa, Deutsch-polnische Beziehungen sowie Integrationspolitik in Europa.