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Analyse: Die neue polnische Migration nach Deutschland aus lokaler Perspektive | Polen-Analysen | bpb.de

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Analyse: Die neue polnische Migration nach Deutschland aus lokaler Perspektive

Dr. Agnieszka Łada, Justyna Segeš Frelak

/ 13 Minuten zu lesen

Der Landkreis Uecker-Randow an der polnisch-deutschen Grenze in Mecklenburg-Vorpommern ist Migrationsziel vieler Polen. Sie bremsen den Prozess der Entvölkerung und fördern die Schaffung neuer Arbeitsplätze in der Region.

Die Gemeinde Löcknitz im Landkreis Uecker-Randow ist ein beliebter Zielort für polnische Staatsbürger. Etwa 10 Prozent der Gesamtbevölkerung sind polnischer Herkunft. Grund für den Zuzug sind v.a. die niedrigen Immobilienpreise. (© Maja Kaeding)

Am 1. Mai 2011 wurden die Zugangsbeschränkungen für Polen zum deutschen Arbeitsmarkt vollständig aufgehoben. Trotz der Barrieren bei der Aufnahme einer Arbeit und obwohl die Migration nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union im Jahr 2004 in verschiedene Richtungen ging, blieb Deutschland ein wichtiges Zielland für die Polen. Nach Angaben des Statistischen Hauptamts (Główny Urząd Statystyczny – GUS) in Warschau hielten sich in den EU-Ländern Ende 2010 am meisten Polen in Großbritannien (560.000), Deutschland (455.000), Irland (125.000), den Niederlanden (108.000) und in Italien (92.000) auf. Noch vor dem Jahr 2011 führte Deutschland schrittweise eine Reihe von Erleichterungen für den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt ein. Beispielsweise wurden in Anbetracht des Fachkräftemangels in manchen Branchen im Jahr 2007 Erleichterungen auf dem Arbeitsmarkt für Ingenieure mit bestimmten Spezialisierungen und für Absolventen deutscher Hochschulen eingeführt. 2008 konnten Hochschulabsolventen (nicht nur deutscher Hochschulen) aus den neuen EU-Mitgliedsländern eine Arbeit, die ihren Studienfächern entspricht, in Deutschland aufnehmen. Viele Polen sind außerdem auf dem deutschen Arbeitsmarkt anwesend, weil sie ein eigenes Unternehmen leiten. Nach Angaben der Bundeshandwerkskammer waren mit Stand vom 31. Dezember 2010 27.484 polnische Firmen im deutschen Handwerksregister als selbständige Wirtschaftssubjekte registriert; davon waren 94 Prozent der Firmen in den westlichen Bundesländern und in Berlin tätig. Interessanterweise fällt die Zahl der Registrierungen in der Hauptstadt, während gleichzeitig eine steigende Tendenz in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg zu beobachten ist, was mit dem Fehlen einer Reihe von Dienstleistungen in Ostdeutschland und dem aktiven Eintritt polnischer Firmen in die sich ergebenden Nischen zu tun hat. Im Ergebnis, so die Angaben des Statistischen Bundesamtes, lebten im Jahr 2011 468.481 Polen in Deutschland, das sind fast 7 Prozent aller Ausländer in Deutschland und gleichzeitig die drittgrößte Gruppe nach den Türken (23 Prozent) und den Italienern (8 Prozent). Die Hälfte der Polen konzentriert sich in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Bayern und Hessen. Im Gegensatz beispielsweise zu den Türken hat sich die Anzahl der Polen in Deutschland in den letzten Jahren nicht verringert, sondern ist gestiegen (im Jahr 2010 betrug die Anzahl der Polen in Deutschland 419.435). Eine der Regionen, in der in den letzten Jahren ein Zuwachs notiert wurde, ist die Grenzregion in Nordostdeutschland, insbesondere das Gebiet des ehemaligen Landkreises Uecker-Randow in Mecklenburg-Vorpommern.

Migration im Grenzraum


Es handelt sich hier um eine periphäre Region Deutschlands mit einer im Landesvergleich sehr hohen Arbeitslosigkeit (16,5 Prozent), wo die negativen demographischen Trends seit 30 Jahren den Rest Deutschlands überholen. Seit Anfang 1991 hat sich die Bevölkerung dieser Region um ein Viertel verringert. Dies ist kein besonderes Phänomen – in den Jahren 1990 bis 2002 verließen eine Million Menschen Ostdeutschland. Die Mehrheit der Deutschen, die wegzogen, waren junge Menschen, gut ausgebildet, häufig Frauen. Sie hinterließen leere Häuser und Wohnungen, ältere Menschen, die ärztlicher Hilfe bedürfen, und Kindergärten, in denen die Anzahl der Kinder systematisch abnimmt. Im Ergebnis kann ein Teil der Stellen, die aufgrund von Verrentungen frei werden, nicht besetzt werden, insbesondere in Branchen, die eine hohe Qualifizierung erfordern. Die Unternehmer klagen über den Mangel an jungen Menschen, die in den Betrieben und Berufsschulen eine Ausbildung aufnehmen.

Eine Rettung für die – wie ihre Einwohner sie nennen – vergessenen östlichen Randgebiete waren allerdings weniger die Hilfsprogramme für die Gebiete der ehemaligen DDR als die Neuankömmlinge aus Polen. Der Anteil der Ausländer an der Bevölkerung Mecklenburg-Vorpommerns ist sehr niedrig im Vergleich zum Bundesdurchschnitt. 2011 betrug er 1,9 Prozent, das waren 31.465 Personen (ganz Deutschland 8,5 Prozent). Dabei waren die Polen mit 14, 3 Prozent, gefolgt von den Russen (9,7 Prozent) und den Ukrainern (7,3 Prozent) am stärksten vertreten. Der Landkreis Uecker-Randow wurde in den letzten Jahren der beliebteste Zielort für polnische Staatsbürger. Ende 2010 waren hier 1.667 Ausländer registriert, davon 1.258 (76 Prozent) polnische Staatsangehörige. Besondere Aufmerksamkeit zog in den letzten Jahren Löcknitz-Penkun als Zentrum der polnischen Migration auf sich. In Löcknitz selbst sind zirka 10 Prozent der Gesamtbevölkerung polnischer Herkunft.

Attraktive Wohnungsangebote


Die Polen emigrieren allerdings nicht der Arbeit wegen, um die es dort schlecht bestellt ist. Vor allem werden sie von attraktiven Wohnungsangeboten angezogen – die Preise für Immobilien sind hier niedriger als in Polen und es gibt ein großes Angebot. »Plötzlich zeigte sich, dass wir uns ein Häuschen auf dem Land leisten können!«, begründen die Polen vor Ort ihren Schritt. Sie tauschen ihre Zweizimmerwohnungen in Stettin (Szczecin) gegen Vierzimmerwohnungen auf der westlichen Seite der Oder. Nicht ohne Bedeutung ist die Nähe zur Grenze. Der Ort Löcknitz liegt zum Beispiel nur 25 Kilometer von Stettin entfernt. »Meine Verwandtschaft ist in Polen, und ich brauche nur eine Stunde Fahrt und schon bin ich dort«, unterstreichen die Polen, die sich ständig zwischen beiden Ländern bewegen und angeben, in Deutschland zu schlafen und in Polen einzukaufen. Das lokale Monatsblatt »Pasewalker Nachrichten« zitiert zur Beschreibung des Phänomens die Aussage von Polen »ich habe immer zwei Währungen im Portemonnaie«.

Wie bereits erwähnt, kam es nach der Wiedervereinigung Deutschlands aufgrund der starken Abwanderung in die westlichen Bundesländer in vielen ostdeutschen Städten zu Leerstand. In manchen Städten entschied man sich sogar, die Wohnblocks abzureißen. In großem Maß fand dies zum Beispiel in Eggesin, einem früher wichtigen Standort der NVA, statt. In Löcknitz betrug der Leerstand damals 12 Prozent und betraf vor allem die Plattenbauten. Nach der EU-Erweiterung ließ sich dagegen ein Zuzug von Bürgern aus Polen feststellen, so dass die Entscheidung fiel, den Abriss zugunsten der Immigration von Polen einzustellen. In Löcknitz wurde im Jahr 2006 der erste Anstieg polnischer Mieter festgestellt – seitdem geht der Leerstand deutlich zurück, was ohne den Anteil von Migranten aus Polen nicht möglich wäre (so nach Daten der Wohnungsbaugesellschaft Löcknitz und der Löcknitzer Wohnungsverwaltung).

Zwischen zwei Welten


Viele Polen, die im Landkreis Uecker-Randow leben, arbeiten täglich in Stettin, der größten Stadt in dieser deutsch-polnischen Grenzregion. Es sind dies vor allem Familien und gut ausgebildete junge Ehepaare, die gern ein Haus kaufen, durchaus auch in ländlichen Gegenden. Oft schicken sie ihre Kinder in die örtlichen Kindergärten und Schulen. Dazu die Einschätzung eines polnischen Einwohners: »Hier lassen sich Vertreter der polnischen Intelligenz und der Mittelklasse nieder und kaufen Häuser, denn in Stettin ist der Wohnungsmarkt bereits gesättigt. Das sind kreative Menschen, die sich durch ihre Tätigkeiten von anderen abheben.«

Es gibt aber auch gegenteilige Beispiele – Polen, die in Deutschland arbeiten, aber in Polen wohnen. In Anbetracht der Spezifik des lokalen Arbeitsmarktes handelt es sich hierbei vor allem um Spezialisten mit guten Deutschkenntnissen, die in deutschen Institutionen angestellt sind, sowie um Personen, die ein eigenes Unternehmen betreiben. Zu dieser Gruppe gehören polnische Ärzte und Krankenschwestern, ohne die nach Einschätzung der ansässigen Deutschen »manche Fachgebiete nicht besetzt wären. Zum Beispiel haben wir in der ganzen Region keinen [deutschen] Hals-Nasen-Ohren-Arzt mehr, das sind nur Polen.« Andere fügen hinzu: »Im Krankenhaus sind ein Drittel der Ärzte aus Polen; wir müssten es wahrscheinlich schließen, wenn wir sie nicht hätten.«

Ein anderer Teil der Polen tut beides, er wohnt und arbeitet auf der deutschen Seite. Zu dieser Gruppe gehören zum Beispiel Reemigranten – Polen, die nach Jahren der Emigration in Westdeutschland nach Ostdeutschland ziehen, wo sie es näher zur Heimat und zur Verwandtschaft in Polen haben. Dies sind vor allem voll ausgebildete Menschen oder Rentner, weshalb die Frage nach einer Anstellung für sie kein wesentliches Problem dastellt.

Herausforderungen


Neben den positiven Beispielen fehlen aber auch die schwarzen Schafe nicht. Manche Polen haben die Möglichkeit, in Deutschland zu wohnen, als Chance gesehen, ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Vor allem am Anfang nutzten sie die attraktiven Mietangebote, insbesondere in Verbindung mit der Möglichkeit, Mietzuschüsse und Sozialhilfe zu beziehen. Diese Praktiken erregten bei vielen deutschen Einwohnern Abneigungen gegen die Polen; häufig wurden die polnischen Nachbarn als diejenigen wahrgenommen, die die Wohltaten des deutschen Wohlfahrtsstaates missbrauchen. Ein Teil von ihnen kehrte aber nach Polen zurück, denn die Unterhaltskosten in Deutschland überstiegen ihre Möglichkeiten und die potentiellen Profite aus der Sozialhilfe erwiesen sich als weniger attraktiv, als sie erwartet hatten. Die Polen, die gegenwärtig in diesen Gebieten leben, nehmen auch die ihnen zustehenden Privilegien wahr, aber es sind dies nicht die einzigen Gründe, warum sie sich auf der deutschen Seite der Oder niedergelassen haben.

Die Aktivitäten der lokalen Verwaltungen


Für die Niederlassung der Polen ist auch die aktive Politik der lokalen Verwaltungen von Bedeutung, die in der Migration eine Entwicklungschance für die Region sehen und den Zuzug von Polen unterstützen. Im Jahr 2009 ging aus der Initiative »Euroregion Pomerania« die Einrichtung einer Kontakt- und Beratungsstelle hervor, die unter anderen polnische Immigranten berät. Manche Behörden haben begonnen, Personal mit Polnischkenntnissen einzustellen. In den Schulen wird zusätzlicher Deutschunterricht angeboten und ein Teil der Kindergärten und Schulen arbeitet zweisprachig. Auch die Wohnungsbaugesellschaften, die Wohnungen vermieten, bieten Unterstützung an, indem sie zum Beispiel bei Kontakten mit den Behörden helfen. »Der Verwalter der Wohungsbaugesellschaft sagte, dass er auf die Kaution verzichten würde. Dann sagte er: ›Ich gebe euch Farbe‹, denn da war eine Renovierung nötig. Danach hat er uns noch einen Elektroherd besorgt und die ganzen Armaturen ausgetauscht sowie das Waschbecken und die Badewanne«, erzählt einer der befragten Polen, die hierher gezogen sind. Die angewendete Marketingstrategie erwies sich als wirkungsvoll. Heute stehen nur zirka 3 Prozent der Wohnungen in Löcknitz leer. Daher bezeichnen auch die Bürgermeister dieser Region, wenn sie sich in den lokalen Zeitungen äußern, die Situation, die sich aus dem Zuzug von Polen in diese Region und aus der Nähe zu Polen und vor allem zu Stettin ergibt, als Chance für die Region. Die deutschen lokalen Behörden sprechen von einer Agglomeration mit deutschen Kleinstädten als wesentlichen Partnern, die die Gewinner der Situation sind. Die deutschen Gemeinden im Grenzgebiet schauen lieber nach Polen als in Richtung ihrer Landes- oder Bundeshauptstadt. Gleichzeitig fühlen sie sich an den Rand der Landes- und Bundespolitik gedrängt, für die sie weit entfernte Randgebiete sind.

Polnische Arbeitgeber


Die Polen, die in Nordostdeutschland leben, suchen dort häufig keine Arbeit, sondern sie schaffen des Öfteren selbst neue Arbeitsplätze. Allein im Landkreis Uecker-Randow sind zurzeit 200 Betriebe mit polnischem Kapital, polnischen Teilhabern oder Direktoren registriert, die vor allem im Dienstleistungsbereich und Handel tätig sind. Die Mehrheit der polnischen Firmen sind kleine Familienbetriebe, zum Beispiel Schneidereien, Lebensmittelgeschäfte, Restaurants und kleine Lokale, aber es gibt auch größere Unternehmen.

Die Gründe für polnische Firmengründungen in Deutschland sind sehr pragmatisch. Die Polen reagieren vor allem aktiv auf die Nischen des Arbeitsmarktes, die sich daraus ergeben, dass eine Reihe von Dienstleistungen in Ostdeutschland nicht angeboten wird. Animiert werden sie auch von den geringeren bürokratischen Hindernissen im Vergleich zu Polen. Darüber hinaus verkaufen sich die Produkte, die in Deutschland hergestellt und mit der Aufschrift »Made in Germany« versehen werden, besser als die, auf denen »Made in Poland« steht. Gleichzeitig können sie zu einem höheren Preis verkauft werden, zum Teil bis zu 20 Prozent.

Die Teilnahme am lokalen Leben


Obgleich sich für viele Polen alle Aktivitäten abgesehen vom Wohnen auf der polnischen Seite konzentrieren, engagiert sich ein Teil von ihnen auf lokaler Ebene. Beispielsweise organisierte die Gesellschaft »Pomeraniak«, der Polen angehören, die sich im Landkreis Uecker-Randow niedergelassen haben, Sportveranstaltungen und Verkostungen der polnischen Küche. Im Jahr 2009 kandidierten drei Polen für die Kommunalwahlen im Landkreis Uecker-Randow. Für Sitze im Gemeinderat in Löcknitz bewarben sich eine Kandidatin aus der Gesellschaft »Pomeraniak« sowie eine polnische Kandidatin, die auf der Liste der CDU stand. Um einen Sitz im Landrat sowie im Rat der Stadt Pasewalk bemühte sich ebenfalls ein polnischer Unternehmer, der der Gesellschaft »Wir in Pasewalk« angehört. Über die Niederlage der polnischen Kandidaten entschied vor allem die niedrige Wahlbeteiligung der Polen an den Kommunalwahlen. Die polnischen Kandidaten gaben als eine der Ursachen für ihre Wahlniederlage auch die antipolnische Stimmung vor der Wahl an, die die Stimmabgabe verleidete. Ein Teil der Polen wusste nichts von den Wahlen, was unter anderem auf das geringe Interesse an lokalen Angelegenheiten und die geringen Deutschkenntnisse zurückzuführen ist.

Voranschreitende Integration


Die Polen sind nach eigener sowie nach deutscher Einschätzung eine gut integrierte Gruppe, die sich häufig nicht von der einheimischen Bevölkerung unterscheidet. Nicht verwunderlich ist, dass sich die Kinder am schnellsten integrieren, die in die deutschen Schulen gehen. »Sie sind die Zukunft unserer Region«, stellen Polen und Deutsche übereinstimmend fest. »Die Jugendlichen und die Kinder organisieren oft selbst etwas und das führt zu einem engeren Austausch. Wir sehen das bei unserem Sohn. Er ist in der vierten Klasse, wo fünf oder sechs polnische Kinder sind, und sie kommen ganz normal zurecht. Unser Sohn spielt mit den Kindern der polnischen Nachbarn. Wenn er älter wird, wird das für ihn nichts Besonderes sein, dass er mit jemandem aus einem anderen Land zu tun hat«, erzählen Deutsche.

Am leichtesten integrieren sich außerdem gut ausgebildete Menschen, die Deutsch sprechen und sich bewusst um einen guten Kontakt zu den neuen Nachbarn bemühen. Die Offenheit der Polen scheint die zunächst misstrauischen Deutschen zu besänftigen. »Am Anfang, als wir hierher gezogen waren, waren die Gardinen bei den Nachbarn zugezogen. Aber wir haben jeden gegrüßt und sind stehen geblieben, um uns zu unterhalten. Einmal haben wir einen Grillabend für die Nachbarschaft gemacht. Als wir am nächsten Tag am Nachbarhaus vorbeigingen, wurden die Gardinen aufgezogen – ›Hallo!‹, sagten sie«, erzählte einer der polnischen Befragten. Auch polnischer Fleiß und Tüchtigkeit imponiert den deutschen Nachbarn. Aber es treten auch Missverständnisse auf. Nicht sortierter Müll und Lärm am Abend sind Kratzer auf der gut voranschreitenden Verbrüderung von Polen und Deutschen. Ein solches nicht soziales Verhalten zeigt sich am häufigsten bei polnischen Zugezogenen, die kein Deutsch können und auch die Spezifik der deutschen Kultur nicht kennen. Gerade das Problem nicht ausreichender sprachlicher Kompetenz wird am häufigsten als Grund für Probleme bei der Integration genannt. Die Meinung der Einwohner weicht hier nicht vom deutschen Durchschnittswert ab – nach einer Untersuchung des German Marshall Fund ist für 44 Prozent der Deutschen die Beherrschung der deutschen Sprache das wichtigste Element der Integration (der europäische Durchschnitt liegt bei 22 Prozent).

Polnische Kinder in deutschen Schulen


Im Jahr 2010 besuchten nach Angaben des Statistischen Amtes Mecklenburg-Vorpommern 355 polnische Schüler (2004: 235) deutsche Schulen, vor allem Gymnasien. Infolge der steigenden Zahl polnischer Schüler bieten die lokalen Schulen immer häufiger Polnisch in ihrem Lehrprogramm an. Im Schuljahr 1991/92 wurde das Gymnasium Löcknitz gegründet, das im Januar 1995 auf der Grundlage eines Verwaltungsabkommens von Mecklenburg-Vorpommern, dem Landkreis Uecker-Randow und der Woiwodschaft Stettin in ein Deutsch-Polnisches Gymnasium umgewandelt wurde. Es arbeitet mit der Partnerschule in Police zusammen, die polnische Schüler nach Löcknitz schickt. Von der siebten Klasse an werden polnische und deutsche Schüler gemeinsam auf das Abitur vorbereitet. Unterrichtssprache ist Deutsch, Polnisch ist ein fakultatives Unterrichtsfach.

Ein anderes Beispiel für die deutsch-polnische Zusammenarbeit in diesem Bereich ist der Erhalt von Geldern der Europäischen Union für den Bau eines neuen deutsch-polnischen Kindergartens mit Kinderkrippe in Löcknitz. Infolge des Zuzugs polnischer Staatsbürger in das deutsche Grenzgebiet, insbesondere nach Löcknitz, stieg die Zahl der polnischen Kinder stark an und wurden die Möglichkeiten der Gemeinde Löcknitz, organisierte Betreuung zu gewährleisten, knapp. Mit Interreg-Mitteln wurde ebenfalls der Umbau und die Modernisierung der deutsch-polnischen Schule in Löcknitz gefördert.

Die Aktivitäten der extremen Rechten


Der Zuzug der Polen, der so positiv von den lokalen Behörden und der Mehrheit der Einwohner gesehen wird, rief auch negative Reaktionen desjenigen Teils der lokalen Gesellschaft hervor, der – ohne Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt – anfällig für die Propaganda der rechtsextremen NPD ist. Die extreme Rechte beschuldigt die Polen, Diebstähle zu begehen, Arbeitsplätze wegzunehmen und allgemein der Region zu schaden. Ihr gutes Ergebnis bei den lokalen Wahlen im Jahr 2011 zeigt möglicherweise, dass antipolnische Slogans nicht ihre Popularität verlieren. Dies ist allerdings nicht die ganze Wahrheit. Im Gegenteil – die lokale deutsche Initiative »Perspektive« organisierte sogar eine Aktion, deren Ziel es war, die Parolen der NPD gegen die polnischen Nachbarn zu widerlegen. Die Deutschen, die mit den Neonazis sympathisieren, sind gewöhnlich Menschen mit einem niedrigen Ausbildungsniveau, denen die Polen gar nichts anhaben, denn diese füllen die Lücken auf höheren Positionen. Die niedergelassenen Polen stechen ihnen jedoch ins Auge, denn sie leben häufig in einer viel besseren materiellen Situation als sie selbst.

Nicht nur Polen und Deutschland


Die Entwicklungen, die an der deutsch-polnischen Grenze zu beobachten sind, sind im europäischen Vergleich nichts Außergewöhnliches. Mit ähnlichen Prozessen haben wir es in anderen Ländern der Europäischen Union zu tun. Beispielsweise kaufen die Einwohner von Bratislava (Pressburg) Häuser und Wohnungen in den österreichischen und ungarischen Dörfern unweit der slowakischen Hauptstadt. Zwar sind die Immobilienpreise in Österreich generell viel höher, aber in der schwach entwickelten Grenzregion ist dies genau umgekehrt. Andere Beispiele sind Oradea und Arad in Rumänien; von dort ziehen viele nach Ungarn, während viele Ungarn täglich auf der rumänischen Seite arbeiten. Diese Situation war bis vor Kurzem nicht vorstellbar in Ländern, in denen nicht nur die physischen Grenzen, sondern auch die mentalen jahrzehntelang eine große Bedeutung hatten.

Der 1. Mai 2011 war kein Umbruch


»Die Polen gründen Unternehmen, schaffen Arbeitsplätze, schützen Häuser und Wohnungen vor dem Ruin und Leerstand«, zitierte die regionale Tageszeitung »Nordkurier« einen der lokalen Bürgermeister im Jahr 2009. Diesen positiven Einfluss haben die polnischen Migranten nicht erst seit dem Datum der vollständigen Öffnung des deutschen Arbeitsmarktes für Polen im Jahr 2011, sondern seit dem Beitritt Polens zur Europäischen Union und stärker noch seit 2007, als Polen der Schengenzone beitrat und die Grenzen vollständig geöffnet wurden. Die Liberalisierung des Arbeitsmarktes kam, darin sind sich die polnischen und deutschen Einwohner der Region einig, viel zu spät. Aber sie kamen auch ohne sie zurecht.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Hinweis zur Studie


Die im Text vorgestellten Untersuchungsergebnisse basieren auf einem Projekt des Instituts für Öffentliche Angelegenheiten (Instytut Spraw Publicznych – ISP) und der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit in Warschau. Die Untersuchung wurde auf dem Gebiet des ehemaligen Landkreises Uecker-Randow und des Gemeindezusammenschlusses Löcknitz-Penkun durchgeführt, die im östlichen Mecklenburg-Vorpommern an der Grenze zur Woiwodschaft Westpommern (województwo zachodniopomorskie) liegen. Die Mehrheit der Befragungen (jeweils 20 Interviews mit Deutschen und mit Polen) wurde in den Städten Pasewalk, Penkun, der Ortschaft Löcknitz und in nahegelegenen Dörfern im Herbst 2011 geführt. Mehr dazu im Buch: A. Łada, J. Segeš Frelak (Hrsg.) Eine Grenze verschwindet. Die neue polnische Migration nach Deutschland aus lokaler Perspektive Institut für Öffentliche Angelegenheiten, Warschau 2012 [pl, de]

Fussnoten

Die Autorinnen sind Wissenschaftlerinnen des Instituts für Öffentliche Angelegenheiten (Instytut Spraw Publicznych – ISP) in Warschau. Dr. Agnieszka Łada leitet das Europäische Programm, Justyna Segeš Frelak ist Leiterin des Programms für Migrationspolitik.