Das Gesetz zur Trennung von Kirche und Staat wurde 1905 vom französischen Parlament verabschiedet. Es genießt Umfragen zufolge noch immer hohe Akzeptanz in der französischen Bevölkerung (La Croix, 2008, 71 Prozent der Befragten). Zwei seiner Regelungen bilden bis heute den Kern des sogenannten Laizität-Prinzips: Zum einen Artikel 1, der jedem Bürger die ungehinderte Ausübung seiner Religion im Rahmen der öffentlichen Ordnung garantiert. Zum anderen Artikel 2, der vorschreibt, dass der französische Staat Religionsgemeinschaften weder anerkennt, finanziert noch subventioniert. Mit anderen Worten: Die französische Republik, die sich in ihrer Verfassung als "laizistische Republik" definiert (Artikel 1), garantiert dem Einzelnen zwar Religionsfreiheit, beschränkt diese jedoch durch das Gebot der privatrechtlichen Organisation von Religionsgemeinschaften auf den Bereich des Privaten. So werden nicht nur Staat und Kirche strikt voneinander getrennt, also politische und religiöse Machtansprüche, sondern auch Religion und Zivilgesellschaft.
Der historische Versuch, den Einfluss der Kirche einzudämmen
Die Entscheidung für dieses Modell war 1905 nicht unumstritten. Oberstes Ziel der Befürworter war es, den historisch gewachsenen Einfluss der Kirche vor allem im
Die Anhänger der III. Republik (1871-1940) gingen letztlich siegreich aus diesem sogenannten "Konflikt der beiden Teile Frankreichs" hervor. Ihnen war es gelungen, einen Kompromiss auszuarbeiten, der sowohl bei Klerikalen als auch bei Anti-Klerikalen mehrheitlich Akzeptanz fand und den gesellschaftspolitischen Konflikt löste. So wohnt dem Gesetz von 1905 bis heute etwas Besonderes inne, nämlich die Kraft friedensstiftend zu wirken.
Neutralität des öffentlichen Raumes, Religion als Privatsache
Für den Bereich des Politischen hat die strikte Trennung zur unmittelbaren Folge, dass Religionsgemeinschaften in Frankreich keinen Anspruch auf politische Mitgestaltung erheben können. Im Umkehrschluss kann aber auch der französische Staat keinen Einfluss auf inhaltliche oder personelle Entscheidungen der Religionsgemeinschaften nehmen. Religionsgemeinschaften übernehmen in Frankreich weder bestimmte Aufgaben bei der Koordination eines staatlichen Religionsunterrichts, noch sind sie im Rundfunkrat vertreten, wie beispielsweise in Deutschland. In Frankreich wäre es auch undenkbar, dass der Staat den Religionsgemeinschaften seine Verwaltungsstrukturen zur Erhebung von Mitgliedsbeiträgen in Form von Kirchensteuern zur Verfügung stellt. Denn das Verständnis vom Wesensprinzip der Laizität bedeutet nicht nur die strikte organisatorische Trennung von Staat und Kirche, sondern auch die unbedingte Neutralität des Staates in puncto Religion.
Dem französischen Verständnis nach bedeutet Neutralität zunächst einmal das Fernhalten von religiösen Bezügen aus dem öffentlichen Raum – zum Beispiel aus dem öffentlichen Raum der staatlichen Schule. Entsprechend gibt es in Frankreich keinen Religionsunterricht. Das Tragen von religiösen Symbolen wie Kreuz, Kippa oder Kopftuch ist Schülern auf dem Schulgelände seit 2004 per Gesetz untersagt. Dem französischen Denken nach soll so die Gleichheit aller Staatsbürger umgesetzt und die Unteilbarkeit des Staatskörpers garantiert werden. Der neutrale öffentliche Raum soll verhindern, dass persönliche Vorlieben zu Bevorzugung oder Benachteiligungen führen. Und garantieren, dass sich niemand durch die religiöse Bekundung Dritter gestört fühlt.
In diesem Sinn ist Religion in Frankreich reine Privatsache und als solche im Gesetz von 1905 festgeschrieben. Nicht zuletzt reiht sich auch das 2010 verabschiedete Verbot der Verschleierung des Gesichts im öffentlichen Raum (umgangssprachlich "Burkaverbot") in diese Tradition ein. Betrachtet man das Prinzip der Laïcité unter dem Aspekt der Garantie von Religionsfreiheit, so gehen Theorie und Praxis bis heute also Hand in Hand. Darüber hinaus wird die Neutralität des öffentlichen Raumes auch dadurch gewährleistet, dass sich französische Religionsgemeinschaften in Form privatrechtlicher Vereine organisieren müssen und gegenüber dem Staat keinerlei Ansprüche geltend machen können.
Striktes Prinzip, flexible Anwendung
Blickt man allerdings hinter die "strikten" Kulissen des französischen Wesensprinzips der Laizität, so zeigen sich bei genauerem Hinsehen einige Ausnahmen – und diese sind interessanterweise keineswegs neu, sondern bestanden bereits 1905. Rechtliche Ausnahmen im französischen Trennungssystem gibt es zum Beispiel in den französischen Überseegebieten oder in den linksrheinischen Departements, die einst unter deutscher Verwaltung standen: Hier gelten noch immer die Konkordate und Ordonanzen, die lange vor Verabschiedung des Trennungsgesetzes in Kraft traten.
Außerdem bestehen bis heute gültige institutionalisierte Verflechtungen, die die Grenzen einer strikten Trennung von Kirche und Staat verschwimmen lassen. So nimmt beispielsweise das beim französischen Innenministerium angesiedelte Bureau central des cultes (Zentrale Kultusbüro) eindeutig religionspolitische Aufgaben wahr, wenn es Priester oder Seelsorger für Armee oder Justizvollzug ernennt. Ebenso verfügt es über steuer- und verwaltungsrechtliche Entscheidungsbefugnisse zum Beispiel bei der Genehmigung von Steuererleichterungen für Religionsgemeinschaften oder bei der Abwicklung von Spenden und Schenkungen. Ferner unterstützt der französische Staat auch weiterhin die Errichtung religiöser Bauten, trotz des offiziellen Verbots durch das Gesetz von 1905 (Artikel 2). Allerdings nur indirekt, etwa mit Hilfe von Erbpachtverträgen oder Quersubventionierungen wie der Finanzierung von angegliederten Kulturzentren.
Laizität und Islam: die Debatte wird wieder eröffnet
Das Prinzip der Laizität hat also mehrere Facetten und wird seit jeher in der Praxis weniger strikt ausgelegt, als sein theoretisches Konzept es auf den ersten Blick gebietet. Jahrzehntelang war diese doppelte Ausrichtung kein Problem. Eigentlich auch hinsichtlich des Islam nicht, wie die staatlich initiierte Gründung des französischen Muslimrates, des Conseil français du culte musulman (CFCM), im Jahr 2003 oder die indirekte finanzielle Unterstützung des Baus der Moschee von Créteil oder des Centre des cultures de l’islam (ICI) durch die Stadt Paris unterstreichen.
Seit "der" Islam jedoch an gesellschaftspolitischer Präsenz gewinnt (Stichworte: Moscheebau, konfessionelle Privatschulen, Feiertage, Bestattungsfragen, Speisevorschriften), wird das Prinzip der Laizität erneut diskutiert. Im Vordergrund dieser teilweise hitzig geführten nationalen Debatte steht aber interessanterweise nicht die Frage, wie Islam und Laizität künftig in Einklang gebracht werden könnten. Vielmehr appelliert die Mehrheit der Politiker an die Angst der Bevölkerung vor einem Verfall nationaler Werte und des gesellschaftlichen Zusammenhalts, wie Kopftuch- und Burkadebatte deutlich zeigen, und begründet so die neuerliche Betonung der strikten Trennung von Religion und Zivilgesellschaft. Mit Erfolg, denn die Verfechter einer flexiblen Interpretation des Laizitätsprinzips finden nur wenig Gehör. Bislang plädieren sie ohne nennenswerte Resonanz dafür, die friedenstiftende Wirkung des 1905 erzielten historischen Kompromisses stärker zu betonen und die bereits seit langem praktizierte doppelte Ausrichtung der Religionspolitik des französischen Staates endlich auch offiziell anzuerkennen.