Was passiert nach einem Ja für den Austritt?
Wenn sich die britische Bevölkerung am 23. Juni für einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der
QuellentextVertrag über die Europäische Union, Artikel 50
(1) Jeder Mitgliedstaat kann im Einklang mit seinen verfassungsrechtlichen Vorschriften beschließen, aus der Union auszutreten.
(2) Ein Mitgliedstaat, der auszutreten beschließt, teilt dem Europäischen Rat seine Absicht mit. Auf der Grundlage der Leitlinien des Europäischen Rates handelt die Union mit diesem Staat ein Abkommen über die Einzelheiten des Austritts aus und schließt das Abkommen, wobei der Rahmen für die künftigen Beziehungen dieses Staates zur Union berücksichtigt wird. Das Abkommen wird nach Artikel 218 Absatz 3 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union ausgehandelt. Es wird vom Rat im Namen der Union geschlossen; der Rat beschließt mit qualifizierter Mehrheit nach Zustimmung des Europäischen Parlaments.
(3) Die Verträge finden auf den betroffenen Staat ab dem Tag des Inkrafttretens des Austrittsabkommens oder andernfalls zwei Jahre nach der in Absatz 2 genannten Mitteilung keine Anwendung mehr, es sei denn, der Europäische Rat beschließt im Einvernehmen mit dem betroffenen Mitgliedstaat einstimmig, diese Frist zu verlängern.
(4) Für die Zwecke der Absätze 2 und 3 nimmt das Mitglied des Europäischen Rates und des Rates, das den austretenden Mitgliedstaat vertritt, weder an den diesen Mitgliedstaat betreffenden Beratungen noch an der entsprechenden Beschlussfassung des Europäischen Rates oder des Rates teil. Die qualifizierte Mehrheit bestimmt sich nach Artikel 238 Absatz 3 Buchstabe b des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.
(5) Ein Staat, der aus der Union ausgetreten ist und erneut Mitglied werden möchte, muss dies nach dem Verfahren des Artikels 49 beantragen.
Quelle: Amtsblatt der Europäischen Union. C 326/1. 26.10.2012. (abgerufen am 7.06.2016 von http://eur-lex.europa.eu)
Wenn es zu keinem Abschluss kommt, erlischt die EU-Mitgliedschaft ohne besondere Regelung. Die EU-Verträge gelten dann nicht mehr für Großbritannien. Die Frist kann verlängert werden, wenn der Europäische Rat dies einstimmig im Einvernehmen mit dem Vereinigten Königreich beschließt. Inwiefern bei den Austrittsgesprächen auch schon die zukünftige Beziehung des Königreichs zur EU geregelt wird, ist eine offene Frage. Sollte das Abkommen auch Punkte umfassen, die in der Kompetenz der Mitgliedstaaten liegen, so würde es sich um ein "gemischtes Abkommen" handeln. Dann wäre zusätzlich eine Ratifizierung der einzelnen Mitgliedstaaten nötig. Dabei kann es beispielsweise um Aspekte wie den Transport oder Dienstleistungen gehen. Auch bei dem Abkommen, das am Ende der Aushandlung des neuen Verhältnisses zwischen Großbritannien und dem Rest der EU steht, würde es sich um ein gemischtes Abkommen handeln.
Das Auflösen einer mehr als 40-jährigen Mitgliedschaft, die so gut wie jeden Lebensbereich der britischen Bevölkerung mitgeprägt hat, ist naturgemäß komplex. Die unmittelbarsten Fragen sind: Wie stellt sich das Vereinigte Königreich die zukünftige Beziehung zur EU vor? Wie würde die Reaktion der EU und der einzelnen Mitgliedstaaten darauf lauten? Wie schnell könnte eine Einigung erzielt werden? London müsste aber nicht nur die Beziehung mit dem wichtigsten Handelspartner, der EU, neu regeln, sondern auch die Handelsbeziehungen mit dem Rest der Welt. Als EU-Mitglied übt das Vereinigte Königreich keine völlig eigenständige Außenhandelspolitik aus: Es teilt die Zolltarifstruktur der EU. Handelsabkommen mit Nicht-EU-Ländern handelt die EU für ihre Mitgliedstaaten aus.
Es müssten eine Reihe von neuen Freihandelsverträgen ausverhandelt werden. Dies wäre aber aller Voraussicht nach erst realistisch, wenn die britischen Beziehungen zur EU geregelt sind. Zudem wäre das Parlament in Westminster für lange Zeit damit beschäftigt, Gesetze, die auf EU-Recht basieren, zu "renationalisieren".
Die britische Regierung hätte die Möglichkeit, zunächst informelle Gespräche mit der EU zu beginnen, ohne unmittelbar den Artikel 50 geltend zu machen. Damit könnte London Zeit gewinnen, wenn dies von den restlichen EU-Mitgliedsländern toleriert wird.
Um den Prozess zu beschleunigen, muss es aber im Vereinigten Königreich einen Konsens geben, wie die zukünftigen Beziehungen zur EU aussehen würden. Es steht eine Vielzahl an bestehenden Modellen zur Auswahl. Im Vereinigten Königreich wird jedoch betont, im Falle des Falles ein eigenständiges "britisches Modell" wählen zu wollen. Prinzipiell lautet die Frage, wie unbeschränkt der Zugang zum Binnenmarkt sein soll und inwieweit das Vereinigte Königreich bereit ist, im Austausch dafür die vier Grundprinzipien des freien Personen-, Dienstleistungs-, Kapital- und Warenverkehrs zu akzeptieren.
Mögliche Optionen für Großbritannien
Norwegisches Modell
Norwegen ist Mitglied der
Norwegen hat jedoch nur ein geringes Mitspracherecht bei der Erstellung der Regeln für den Binnenmarkt. Staaten des EWR nehmen nicht an der gemeinsamen Agrar- und Fischereipolitik teil. Wenn sich Großbritannien dem EWR anschließen würde, könnte es eigene Freihandelsabkommen abschließen, aber nicht mehr von den Abkommen der EU profitieren. Norwegen ist verpflichtet, den freien Personenverkehr innerhalb des EWR zu akzeptieren. Das skandinavische Land hat sich dazu entschlossen, dem
Schweizer Modell
Switzerland Grunge Flag (© Nicolas Raymond / Externer Link: Flickr)
Switzerland Grunge Flag (© Nicolas Raymond / Externer Link: Flickr)
Das EFTA-Mitglied Schweiz ist nicht dem EWR beigetreten, sondern regelt den Zugang zum EU-Binnenmarkt über bilaterale Verträge. Diese decken jedoch nicht alle Wirtschaftsbereiche ab. Die Schweiz hat beispielsweise keinen generellen Zugang zu den EU-Märkten im Bereich für Finanzdienstleistungen; ein sowohl für die Schweiz als auch für das Vereinigte Königreich wichtiger Wirtschaftszweig. Wie Norwegen tätigt auch die Schweiz Zahlungen in den EU-Haushalt. Die Schweiz ist Schengen-Mitglied und gewährt bisher die freie Personenfreizügigkeit gegenüber der EU. Mit der Annahme der Volksinitiative "Gegen Masseneinwanderung" am 9. Februar 2014 hat die Schweizer Regierung vom Volk den Auftrag erhalten, die Personenfreizügigkeit zu begrenzen. Die Schweiz strebt eine einvernehmliche Einigung mit der EU an. Wenn eine solche nicht zustande kommt, sieht die Schweizer Regierung eine sogenannte einseitige Schutzklausel vor. Dabei würden jährliche Höchstzahlen für die Bewilligung von Personen aus den EU- und EFTA-Staaten festgelegt werden, wenn ein bestimmter Schwellenwert bei der Zuwanderung überschritten wird.
Dies könnte aber dazu führen, dass die EU das Freizügigkeitsabkommen mit der Schweiz kündigt. Es ist eines von sieben Abkommen, die die Schweiz 1999 mit der EU im Rahmen des "Bilaterale-I-Paket" geschlossen hat. Die einzelnen Abkommen sind durch die Guillotine-Klausel miteinander verknüpft. Das hieße, bei der Kündigung eines Abkommens, würden auch die übrigen außer Kraft gesetzt werden.
Türkisches Modell
Turkey Grunge Flag (Nicolas Raymond / Externer Link: Flickr) Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de
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Eine weitere Alternative ist eine Zollunion, wie sie die Türkei mit der EU bildet. Interne Zolltarife werden dabei aufgehoben. Die Zollunion mit der Türkei umfasst Industriegüter und verarbeitete landwirtschaftliche Waren. Bereiche wie Dienstleistungen, unverarbeitete Agrargüter und das öffentliche Auftragswesen fallen nicht darunter. Zudem muss die Türkei die Zolltarife der EU für Drittländer übernehmen. Ankara hat aber kein Mitspracherecht bei der Festlegung der EU-Außenhandelspolitik. Die Türkei kann zwar im Prinzip eigene Handelsabkommen vereinbaren, sie ist aber an die Außenzölle der EU gebunden. Zudem muss die Türkei die Freihandelsabkommen der EU, wie beispielsweise mit Südkorea, akzeptieren, ohne dass der Drittstaat der Türkei aber den Zugang zu gleichen Bedingungen gewähren muss. Auch wenn die Beitrittsverhandlungen der Türkei zur EU schleppend verlaufen, gilt eine Zollunion als Vorläufer einer vollen Mitgliedschaft.
Kanadisches Modell
Canada Grunge Flag (Nicolas Raymond / Externer Link: Flickr) Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de
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Der Vertrag mit Kanada gilt als das umfassendste
Die administrativen Kosten für Exporteure würden steigen. Weil es keine Zollunion wäre, müssten beispielsweise Güter gemäß dem Ursprungslandprinzip zertifiziert werden. Das Vereinigte Königreich ist eine größere Volkswirtschaft als Kanada und könnte günstigere Bedingungen verhandeln. Für London wäre es besonders wichtig, ein Abkommen zu erzielen, das den Dienstleistungssektor umfasst. Im Lager der Brexit-Befürworter tauchte auch die Idee auf, dass die Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, wie sie die EU beispielsweise mit der Ukraine, Serbien oder Albanien hat, ein gangbarer Weg wären. Diese Abkommen gelten jedoch als Vorstufe zur Mitgliedschaft und müssen auch von allen EU-Mitgliedstaaten ratifiziert werden.
Die WTO-Option
WTO Logo (Wikimedia / www.wto.org) Lizenz: cc by-nc-nd/2.0/de
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Wenn alle Stricke reißen oder kein Modell als adäquat erscheint, würde der Handel zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU immer noch im Rahmen der Regeln der
Das norwegische, Schweizer und türkische Modell erscheinen aus der Sicht von Euroskeptikern als wenig attraktiv. Diesen Optionen ist gemeinsam, dass mehr oder weniger das EU-Regelwerk übernommen werden muss, ohne dass die Regeln beeinflusst werden können. Deshalb erscheint im Falle eines Austritts ein maßgeschneidertes Freihandelsabkommen als wahrscheinlichste Option, die verfolgt werden würde. Neben den Handelsbeziehungen müsste das Vereinigte Königreich im Fall eines EU-Austritts auch die Immigrationspolitik neu ordnen sowie nach Möglichkeiten zur Deregulierung suchen.