Israelische Filme haben in Deutschland derzeit Konjunktur. Schon in den neunziger Jahren fand ab und an einer von ihnen einen deutschen Verleih. Die Filme der "Palestinian Wave" - politisch engagierte Arbeiten, die in den achtziger Jahren erstmals den israelisch-palästinensischen Konflikt explizit zum Thema machten – konnte man zumindest auf Festivals sehen. Manch Westdeutscher wird sich vielleicht noch an die Filme der Eis am Stiel–Serie aus den Siebzigern erinnern. Viel mehr jedoch ist hierzulande über das israelische Kino nicht bekannt. So ist der 60. Jahrestag des Staates Israel ein willkommener Anlass, etwas weiter und damit auf die wenig bekannten Filme der Anfangszeit zurückzublicken.
Der vor einigen Jahren verstorbene israelische Fotograf und Kameramann Rolf Kneller, als junger Mann 1939 auf der Flucht vor den Nazis nach Palästina gekommen, erinnerte sich später seiner ersten Begegnung mit Nathan Axelrod, einem der Pioniere des israelischen Kinos. Kneller, vor seiner Emigration Assistent bei der Ufa, traf Axelrod auf der Suche nach Arbeit. Als er das Haus des berühmten Produzenten zahlloser Wochenschauen erreichte, war dieser gerade damit beschäftigt, frisch entwickelten Film auf einer Wäscheleine zum Trocknen aufzuhängen – inmitten von Bussen, Pferdewagen und jeder Menge Sand. Der Jecke Kneller machte auf dem Absatz kehrt – mit dieser Art von Filmproduktion wollte er nichts zu tun haben.
Andere Filmemacher waren weniger heikel. Dank ihres Eifers war das israelische Kino 1948, im Jahr der Staatsgründung, schon 30 Jahre alt – und steckte doch noch in den Kinderschuhen. Die kleine Filmszene im Yishuv, dem vorstaatlichen jüdischen Gemeinwesen in Palästina, war zunächst getragen von enthusiastischen Autodidakten und hatte mit einer Industrie nicht viel gemein. Unter schwierigsten Produktionsbedingungen entstanden Filme, deren Ziel und Auftrag es vor allem war, eine Gemeinschaft im In- und Ausland auf das zionistische Projekt einzuschwören, Spenden zu akquirieren und für die Einwanderung nach Palästina zu werben. Gelegentlich abfällig als Nationalfonds-Filme bezeichnet, wurden sie meist im Auftrag zionistischer Organisationen produziert. Der Großteil von ihnen waren nichtfiktionale oder semidokumentarische Arbeiten. Spielfilme blieben vorerst die Ausnahme. In Reisefilmen wie Eretz Israel Mit'oreret (Eretz Israel Awakening, Yaakov Ben-Dov, 1923) oder Oded HaNoded (Oded the Wanderer, Chaim Halachmi, 1932) lieferte eine dünne narrative Basis oft nur den Anlass, um von den landschaftlichen Schönheiten Palästinas und dem voranschreitenden Aufbau des Yishuv zu berichten. Allen Filmen gemeinsam war der Held, den sie ins Zentrum stellten: der neue Hebräer, der nicht nur das Kino jener Zeit dominierte, sondern auch Literatur und bildende Kunst. Mit dem Bild eines physisch starken, selbstbewussten und aktiven Juden, der sein Schicksal in die Hand nahm, der das Land formte und von ihm geformt wurde, der statt Jiddisch, der Sprache des Schtetls das wiederbelebte Hebräisch sprach, arbeiteten alle Kultursparten gleichermaßen an der Etablierung eines Mythos, der dem Klischee des Diasporajuden diametral entgegenstand.
Dieser neue Hebräer war es dann auch, der 1948 im Unabhängigkeitskrieg gegen eine riesige Übermacht das Überleben des Staates sicherte. Sein Heldenmut wurde bald in Filmen nachgezeichnet – zunächst freilich nur selten, denn Filmemachen blieb in Israel auch nach dem Krieg ein mühsames Geschäft. Der junge Staat hatte andere Probleme als den Aufbau einer Filmindustrie. Unter den wenigen Spielfilmen der fünfziger Jahre ragt einer heraus, der für das deutsche Publikum die erste Begegnung mit israelischem Kino wurde: Thorold Dickinsons Episodenfilm Hill 24 Doesn't Answer (1954), dessen Rahmenhandlung in den letzten Stunden des Unabhängigkeitskrieges spielt, fasst die wichtigsten Argumente zionistischer Agitation geschickt zusammen und verdeutlicht die Alternativlosigkeit jüdischer Existenz in Israel nach der Shoa.
Zionistische Auftragskunst in der Tradition des Yishuv blieb für das israelische Kino ästhetisch wie thematisch zunächst bestimmend. Erst in den sechziger Jahren änderte sich das Bild. Die durch massive Zuwanderung sprunghaft gestiegenen Bevölkerungs- und damit auch Zuschauerzahlen einerseits und 1960 eingeführte steuerliche Begünstigungen der Filmproduktion andererseits machten erstmals ein profitables Arbeiten möglich und ließen die Produktionszahlen sprunghaft ansteigen. Zuerst kam ein populäres Unterhaltungskino in Schwung, das mit Namen wie dem des in Ost- wie Westdeutschland gleichermaßen populären Satirikers Ephraim Kishon oder dem Menahem Golans verbunden ist. Dessen selbstbewusstem Statement "I am the industry." wird nicht jeder beipflichten, aber daran, dass Golan die israelische Filmlandschaft als Regisseur wie als Produzent nachhaltig beeinflusst hat, besteht kein Zweifel. Unbestritten gilt er als Vater der sogenannten Bourekas. Ursprünglich die Bezeichnung für ein billiges, im Orient verbreitetes Kleingebäck, wurde das Wort zum Synonym für populäre Genrefilme, Ethnokomödien, die den real vorhandenen Konflikt zwischen Ashkenasim und Sephardim zur Grundlage nahmen und in sozialromantischer Manier einer utopischen Lösung zuführten. Damit passten sie gut in den 'Schmelztiegel der Kulturen', als den Israel sich gerne sah. Stereotypisch für das Lösungsmuster, das die Bourekas boten, ist das erste israelische Filmmusical, Kazablan (Menahem Golan, 1973): der am Anfang verkannte Titelheld, dessen Spitznamen auf seinen Geburtsort Casablanca verweist, bekommt am Ende die schöne Tochter seiner ashkenasischen Nachbarn und steigt vom gefürchteten Anführer einer Gang von Rowdies zum ehrbaren und geachteten Bürger auf.
Obwohl von der Kritik geschmäht, waren die Bourekas-Filme ein wichtiger Meilenstein. Endlich hielt das Alltagsleben Einzug ins Kino: mit Familie und jüdisch-traditioneller Lebensweise, mit kleinen Streitereien und großer Liebe, mit Feiertagen, Geburten, Hochzeit und Tod. Auch die Filme des Satirikers Kishon werden, nicht unbedingt zu Recht, gelegentlich dieser Gattung zugeschlagen. Tatsächlich spielen auch bei ihm die Differenzen zwischen Einwanderergruppen eine zentrale Rolle. Während sich aber in den Bourekas stets die Orientalen nach dem Aufstieg in ashkenasische Kreise sehnen, sind die Verhältnisse bei Kishon ausgewogener. Unvergessen ist sein plump durch das Bild stapfender Sallah Shabbati (1964): scheinbar ist er ein Volltrottel, doch bald wird klar, dass man den Neueinwanderer leicht unterschätzt. Schnell begreift er die Regeln, nach denen man in der neuen Heimat nie erhält, was man verlangt. Wenn er am Ende mit einer lautstarken Demonstration GEGEN die Umsiedlung aus den Baracken des Auffanglagers die Bürokratie herausfordert und so endlich bekommt, was man ihm stets verwehrt hatte – die 'Zwangsumsiedlung' in eine menschenwürdige Behausung –, macht er damit das gesamte ashkenasische Establishment zum Gespött.
Während Kishon gekonnt auf der Klaviatur des Genrefilms spielte, trat zeitgleich eine Garde junger Filmemacher an, das israelische Kino zu erneuern. Dabei gingen sie ganz andere Wege: Am Straßenrand ein Mann im dunklen Anzug, unter gleißender Sonne, mitten in der Wüste. Neben sich einen Schaukelstuhl, ein Goldfischglas, einen Papageienkäfig – und in der Ferne entschwindet der Autobus. Nicht unbedingt ein vielversprechender Start für den Neueinwanderer Tzelnick – aber ein grandioser Auftakt für das neue israelische Kino, das Uri Zohar mit Hor BeLevanah (Hole in the Moon, 1965) einläutete. Schon in den Eingangssequenzen nimmt er den zionistischen Realismus mit seinem Pathos aufs Korn, reibt sich an dessen Mythen und unterläuft dabei alle Erwartungen an eine klassische Narrative. Es war das erste Mal, dass ein Filmemacher in Israel die Sprache des Kinos ins Zentrum seiner Arbeit stellte. Damit wurde Zohar zum Vorreiter einer neuen Generation junger Filmemacher.
Die Arbeit von Regisseuren wie Igal Bursztyn, Avraham Heffner, Judd Ne'eman, David Perlov oder Dan Wolman kreiste um die Suche nach neuen filmischen Ausdrucksformen. Viele von ihnen hatten im Ausland studiert und brannten nun darauf, Einflüsse des Neorealismus, der Nouvelle Vague und anderer kinematographischer Erneuerungsbewegungen in den lokalen Kontext einzubringen. Das dominierende Thesen- und Themenkino interessierte sie nicht. Während Zohar sich zumindest in seinem ersten Film noch an den geltenden Konventionen abgearbeitet hatte, war ihnen Film zunächst und in erster Linie persönliches Ausdrucksmittel. Mit sehr geringen Budgets wollten sie kleine, individuelle Geschichten erzählen. Oft in Schwarz-Weiß, oft mit Laiendarstellern und an Originalschauplätzen gedreht, wurden ihre Filme von der Kritik mit Lob bedacht, erreichten seinerzeit jedoch nur ein extrem kleines Publikum. Dabei waren sie am Puls der Zeit und bewiesen teilweise prophetische Weitsicht. Während das Mainstreamkino zum Beispiel die kollektive Euphorie nach dem triumphalen Sieg im Sechs-Tage-Krieg von 1967 noch weiter anheizte, reflektierte ein Film wie Matzor (Siege, Gilberto Tofano) bereits 1969 über die mentalen Schäden, die Israel in diesem Krieg davongetragen hatte.
Im selben Jahr, in dem Menahem Golans Kazablan das Publikum begeisterte, zeichnete Nissim Dayan mit Or Min HaHefker (Light Out of Nowhere, 1973) ein völlig anderes Bild der interethnischen Verhältnisse. Mit den Mitteln des Neorealismus erzählt der Film von der bedrückenden Perspektivlosigkeit junger Orientaler in einem Tel Aviver Elendsquartier. In Momenten wie jenem, in dem die aufgebrachten Anwohner ein Auto der Stadtverwaltung in Flammen aufgehen lassen, offenbart sich der soziale Sprengstoff, der sich in der auseinanderdriftenden israelischen Gesellschaft der siebziger Jahre angehäuft hatte. Avram Heffners Le'an Ne'elam Daniel Wax (But Where Is Daniel Wax, 1972) schließlich nahm schon 1972 die Desillusionierung vorweg, die auf den Yom-Kippur-Krieg 1973 folgen sollte. Das Roadmovie über die Suche zweier Männer nach der verlorenen Jugend lässt sich als Metapher auf die in die Jahre gekommene israelische Gesellschaft lesen, der die Einigkeit und Sicherheit erzeugenden Ideale der Aufbaujahre allmählich abhanden kamen.
In Israel, wo das Fernsehen erst Ende der sechziger Jahre eingeführt wurde, blieb das Kino länger als anderswo das zentrale Bildmedium. Gerade in den bewegten siebziger Jahren, die für den Staat in vielerlei Hinsicht Schlüssel- und Umbruchsjahre waren, war der Film ein Seismograph gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen. Seither hat sich das israelische Kino immer wieder transformiert, und obwohl schon mehrfach totgesagt, vermittelt es auch heute noch ein Bild von Israel, das mit seinem Facettenreichtum weit über die immerwiederkehrenden Szenarien der aktuellen Berichterstattung in den Massenmedien hinausreicht.