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Die Erste Intifada und das Friedensabkommen von Oslo | Israel | bpb.de

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Die Erste Intifada und das Friedensabkommen von Oslo

Martin Schäuble Noah Flug Noah Flug Martin Schäuble

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Nach Jahren der Gewalt schien mit dem Abkommen von Oslo eine Aussöhnung zwischen Israelis und Palästinensern zum Greifen nahe. Dann wurde der israelische Ministerpräsident Jitzchak Rabin ermordet.

Gewaltsame Proteste in Nablus, Januar 1988. (© AP)

Am 8. Dezember 1987 stieß ein israelischer Lastwagen im Gazastreifen mit zwei palästinensischen Fahrzeugen zusammen. Vier Palästinenser starben dabei. Die Lage war zu diesem Zeitpunkt in den Palästinensergebieten bereits mehr als angespannt. In den Tagen und Wochen zuvor war es schon zu Auseinandersetzungen im Gazastreifen gekommen, wobei mehrere Palästinenser und ein Israeli starben.

Das Ereignis vom Dezember löste die Erste Intifada aus (Intifada ist arabisch für Erhebung, Abschüttelung). Doch die Ursachen des Aufstandes der Palästinenser lagen tiefer: Seit dem Sechs-Tage-Krieg 1967 lebten sie unter israelischer Besatzung. Eigene politische Gruppen waren verboten, egal ob radikal oder gemäßigt. Ein eigener Staat rückte so immer weiter in die Ferne. Das schürte Verzweiflung und Wut.

Der Aufstand breitete sich wie ein Lauffeuer aus. Eines der erfolgreichsten Mittel beim Protest gegen die israelische Besatzung war der wirtschaftliche Boykott. Palästinenser sollten in den Geschäften keine israelischen Produkte mehr kaufen. Die palästinensischen Händler weigerten sich, die Steuern an die israelischen Behörden zu überweisen. Eine Gruppe mit dem Namen Vereinigte Nationale Führung organisierte die Aktionen.

Das israelische Militär schritt ein, versuchte Versammlungen aufzulösen und die Proteste zu stoppen. Junge Palästinenser, teilweise noch Kinder, warfen mit Steinen und Molotow-Cocktails nach den Soldaten. Das israelische Militär setzte Schlagstöcke, Tränengas und Munition ein. Auch die Palästinenser griffen zu den Waffen und die Gewalt eskalierte. Die israelischen Gefängnisse füllten sich schnell mit Aktivisten, Organisatoren und Unterstützern der Intifada.

Die Intifada der Palästinenser hatte 1988 erste politische Folgen. König Hussein von Jordanien übertrug das Westjordanland den Palästinensern. Das von Israel besetzte Gebiet lag von nun an in den Händen der PLO – rein theoretisch. Ein symbolischer Akt, denn die Israelis waren zu diesem Zeitpunkt nicht bereit, derartige Vorgänge zu akzeptieren. König Hussein dagegen hatte Angst vor einer Ausweitung der Intifada auf sein Königreich und trat daher das Gebiet westlich des Jordans an die Palästinenser ab.

Medien aus aller Welt berichteten über die Intifada, die immer größere Ausmaße annahm. Yassir Arafat wollte das internationale Interesse an dem Nahost-Konflikt nutzen. Das Parlament der PLO, der Palästinensische Nationalrat, traf sich im algerischen Exil zu einer Sitzung. Dort riefen die Mitglieder am 15. November 1988 den Staat Palästina aus. "Der Staat Palästina erklärt hiermit, dass er an die Beilegung internationaler und regionaler Konflikte durch friedliche Mittel in Übereinstimmung mit der UN-Charta und den UN-Resolutionen glaubt." Viele sehen in der Unabhängigkeitserklärung der Palästinenser die Bereitschaft der PLO, den Staat Israel anzuerkennen.

Dem neu ausgerufenen Staat Palästina blieb die internationale Anerkennung dagegen verwehrt. Nur vierzig vor allem muslimische und arabische Länder erkannten das Land an. Die meisten Staaten, darunter auch die USA und die Bundesrepublik Deutschland, empfanden dies jedoch als verfrüht. Die Schlagzeilen über die weltweiten Anschläge der radikalen Palästinenserorganisationen waren vielen westlichen Regierungen wohl noch zu frisch in Erinnerung. Der israelische Ministerpräsident Jitzchak Schamir lehnte ein Gespräch mit der PLO kategorisch ab. Der Politiker des rechten Likud-Blocks war weit davon entfernt, den Palästinensern einen eigenen Staat zuzugestehen.

Die Intifada breitete sich weiter aus. Viele Palästinenser trieb die Eskalation der Gewalt unterdessen in den wirtschaftlichen Ruin. Israelische Kunden blieben fern oder wollten keine Palästinenser mehr anstellen. Die Einnahmen im Tourismus blieben aus. Die Palästinensergebiete galten für Ausländer als nicht mehr sicher. Nicht nur die Proteste der Palästinenser, sondern auch die Einsätze der israelischen Soldaten schreckten Besucher ab.

Mitten in der Ersten Intifada versetzte ein weiterer Konflikt Israel in den Alarmzustand. Der Irak überfiel im August 1990 Kuwait. Die Vereinten Nationen versuchten vergeblich, den irakischen Diktator Saddam Hussein zu einem Rückzug zu bewegen. Internationale Truppen, angeführt von den USA, griffen daraufhin ein und starteten einen Militäreinsatz gegen den Irak. Sowjetische Scud-Raketen der irakischen Armee schlugen als Antwort darauf in Israel ein. Der irakische Angriff auf Israel betraf dort lebende Juden, Muslime und Christen gleichermaßen.

Palästinenserführer Yassir Arafat stellte sich auf die Seite von Saddam Hussein. Der irakische Diktator hatte zuvor erklärt, ein irakischer Abzug aus Kuwait käme nur in Frage, wenn sich Israel aus den Palästinensergebieten zurückzöge. Arafats Schulterschluss mit Saddam Hussein hatte vor allem für palästinensische Gastarbeiter in Kuwait verheerende Folgen. Etwa 300.000 Palästinenser mussten das Land verlassen. Was für die PLO aber noch viel schwerer wog: Die Golfstaaten stoppten aus Protest gegen die pro-irakische Einstellung der PLO die Zahlungen an die Palästinenserorganisation.

Ein weiteres Ereignis bestimmte im Oktober 1991 die Schlagzeilen: Nach knapp vier Jahren Intifada nahmen in Madrid Friedensgespräche ihren Anfang. US-Präsident George Bush Senior brachte die israelischen, palästinensischen und jordanischen Verhandlungspartner an einen Tisch. Im darauffolgenden Jahr wählten die Israelis Jitzchak Rabin zu ihrem neuen Ministerpräsidenten. Der erfahrene Politiker, der bereits in den 70er Jahren das Amt bekleidete, berief Schimon Peres als Außenminister in die Regierung.

Die neue Staatsführung verbot jeden weiteren Ausbau der jüdischen Siedlungen in den Palästinensergebieten. In Oslo trafen sich Regierungsmitarbeiter heimlich mit hochrangigen Vertretern der PLO. Nach zähen Verhandlungen kamen beide Seiten zu einem Kompromiss. Israel würde sich etappenweise aus den besetzten Gebieten der Palästinenser zurückziehen. Eine Palästinensische Autonomiebehörde würde im Gegenzug die Gebiete verwalten.

Im September 1993 unterzeichneten Jitzchak Rabin und Yassir Arafat ein Grundsatzabkommen in Washington, die Oslo-Verträge. Das Motto lautete "Land für Frieden", womit sich beide Seiten zu Zugeständnissen bereiterklärten. Das Bild des Händedrucks des israelischen Ministerpräsidenten Rabin mit dem PLO-Chef Arafat ging um die Welt. Mit ausgestreckten Armen, beide Politiker umfassend, war in der Mitte der neue US-Präsident Bill Clinton zu sehen. Arafat und Rabin erhielten später zusammen mit Schimon Peres den Friedensnobelpreis.

Doch das Abkommen von Oslo hatte einen Haken: Viele wichtige Fragen hatten die Verhandlungspartner ausgeklammert. So waren erst nach mehreren Jahren sogenannte Endstatus-Gespräche vorgesehen. Dort sollte bei den umstrittensten und zugleich wichtigsten Fragen eine Einigung erzielt werden. Sie betrafen die Zukunft der jüdischen Siedlungen und der palästinensischen Flüchtlinge sowie den Grenzverlauf zwischen den beiden Staaten und den Status Jerusalems. Gegner der Friedensverhandlungen gab es sowohl in Israel als auch in den Palästinensergebieten. Auf israelischer Seite protestierten Siedler und rechte Politiker. Sie konnten sich nicht vorstellen, Palästinensern einen eigenen Staat zuzusprechen. Auf palästinensischer Seite waren es oft religiös motivierte Bewegungen, die einen israelischen Staat nicht anerkennen wollten. Immer wieder brachten radikale Gruppen auf beiden Seiten ihren Protest in Form von brutalen Angriffen zum Ausdruck. Im Februar 1994 war es Baruch Goldstein, der für ein kurzes Aussetzen der Friedensgespräche sorgte. Der jüdische Siedler drang in die Abraham-Moschee in Hebron ein. Goldstein lebte in einer benachbarten Siedlung. Mit einem Schnellfeuergewehr schoss Goldstein in die betende Menge. 29 Moscheebesucher starben, über 100 Palästinenser wurden teils schwer verletzt.

Auf israelischer Seite rissen die Anschläge radikaler Palästinenser Dutzende in den Tod. Im April 1994 explodierte eine Autobombe in Afula, in Hadera sprengte sich ein Selbstmordattentäter in einem Bus in die Luft, im Oktober 1994 geschah das Gleiche in Tel Aviv. Im August 1995 zündete ein Selbstmordattentäter eine Bombe in einem Jerusalemer Bus. Vier Menschen starben und 103 kamen mit Verletzungen davon.

Das israelische Militär verhängte Ausgangssperren in den Palästinensergebieten, in manchen Städten durften die Palästinenser nur noch zu bestimmten Zeiten ihr Haus verlassen. Zugleich errichteten die Soldaten Straßensperren und Kontrollpunkte, wo sie Autofahrer und Fußgänger befragten und nach Waffen durchsuchten. Bereits 1993 hatte die israelische Regierung damit begonnen, die Palästinensergebiete abzuriegeln. Trotz der Anschläge bemühte sich der israelische Ministerpräsident Jitzchak Rabin von der Arbeiterpartei um ruhigere Töne. Seine politischen Konkurrenten, die sich selbst gerne an der Macht gesehen hätten, taten das Gegenteil, allen voran der Likud-Politiker Benjamin Netanjahu. Auf Demonstrationen gegen Rabins Politik hetzte Netanjahu gegen seinen Widersacher. Manche Demonstranten zeigten Plakate mit Fotomontagen, auf denen Rabin am Strick oder in deutscher Nazi-Uniform zu sehen war.

Rabin antwortete auf derartige Kritik auf seine eigene Weise. Am 4. November 1995 nahm er an einer von ihm initiierten Friedensdemonstration in Tel Aviv teil. Um die 200.000 Israelis folgten seinem Ruf und hörten seine Rede auf dem zentralen Platz der Könige Israels. Rabin erklärte: "27 Jahre lang war ich ein Mann der Armee; solange es keine Gelegenheit für den Frieden gab, habe ich gekämpft. Heute glaube ich, dass es eine Chance für den Frieden gibt, eine große Chance. Diese Chance müssen wir ergreifen, zum Segen jener, die hier stehen, und auch für all jene, die nicht hier stehen – und sie sind viele."

Rabin verließ gegen 21.45 Uhr die Bühne. Der ultra-rechte Israeli Jigal Amir feuerte drei Schüsse auf ihn ab. Rabin erlag seinen Verletzungen eine Stunde später im Krankenhaus. Über eine Million Menschen erwiesen ihm in den kommenden Tagen die letzte Ehre. Der Platz in Tel Aviv, auf dem er seine Friedensrede hielt, heißt heute nicht mehr Platz der Könige Israels, sondern Jitzchak-Rabin-Platz.

Ende Mai 1996, knapp fünf Monate nach Rabins Ermordung, gewann ein Politiker des rechten Likud-Blocks die Wahlen. Seine Parole "Frieden mit Sicherheit" kam nach einer Reihe von palästinensischen Selbstmordanschlägen bei den Israelis gut an. Der neue Ministerpräsident wandte sich gegen einen eigenen Staat der Palästinenser. Es war niemand anders als der Mann, der immer wieder gegen Rabins Friedenspolitik gehetzt hatte: Benjamin Netanjahu.

Der Ausbau der jüdischen Siedlungen in den Palästinensergebieten konnte nun offiziell weitergehen. Zuvor war es immer wieder zu nicht genehmigten, aber tolerierten Baumaßnahmen gekommen. Die Zahl der Siedler stieg in den sieben Jahren nach der Unterzeichnung der Oslo-Verträge 1993 von 100.000 auf 200.000 an. Ariel Scharon hatte wegen des Massakers in den palästinensischen Flüchtlingslagern während des Libanonkrieges 1982 das Amt des Verteidigungsministers verloren. Unter Netanjahu leitete Scharon ab 1996 das Ministerium für Nationale Infrastruktur. Zu seinem neuen Arbeitsbereich gehörte der Siedlungsbau.

Die Israelin Rachel Saperstein siedelte im Jahr des Regierungswechsels 1997 in den Siedlungsblock Gusch Katif (hebräisch für Ernteblock) im Gazastreifen über. Das war zwei Jahre, nachdem ihre Tochter den Selbstmordanschlag in Jerusalem überlebt hatte. "Es dauerte nicht lange, bis ich mich dazu entschlossen hatte, Jerusalem zu verlassen und in einer Siedlung zu leben. Es ist eine politische Erklärung. Es ist jüdisches Land, historisch gesehen ist es alles jüdisch. Jeder Ort wird in der Tora erwähnt. Es ist nicht das Land der Araber."

Das sehen Palästinenser anders. Ihre politischen Vertreter setzten sich erfolgreich für eine internationale Anerkennung der Palästinensergebiete ein. Die ersten Wahlen in der Palästinensischen Autonomiebehörde fanden im Januar 1996 statt. Über 85 Prozent der Wähler stimmten für Yassir Arafat als Präsident der Autonomiebehörde. Abgeordnete seiner Partei, der Fatah, erhielten im Palästinensischen Parlament die meisten Sitze.

Weder die neue israelische noch die erste palästinensische Regierung sahen sich imstande, die Gewalt zu stoppen. Der Slogan "Frieden durch Sicherheit" des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu entpuppte sich als Floskel. Die Versprechen des Palästinenserpräsidenten Yassir Arafat, den radikalen Palästinensergruppen Einhalt zu gebieten, ebenso. Lior Feller erlebte das am eigenen Leib am 4. September 1997 – ein Jahr nach den israelischen und palästinensischen Wahlen, vier Jahre nach der Unterzeichnung des Oslo-Friedensabkommens in Washington:

"Es gab drei verschiedene Terror-Angriffe im Zentrum von Jerusalem. Ich war dort in einem Café auf einer Geburtstagsparty. Nach den Explosionen suchte ich nach meinem Freund, der in der Nähe unterwegs war. Ich erreichte ihn nicht, das Telefonnetz war überlastet. Viele Soldaten kamen, die Straße war gefüllt mit Menschen, die Krankenwagen konnten nicht weiterfahren. Ich fuhr mit dem Taxi nach Hause. Ich rief die Eltern meines Freundes an, sie wussten nicht, wo er ist. Er rief mich später vom Krankenhaus an. Er war in Ordnung, half aber einer Verwundeten ins Krankenhaus."

Die palästinensischen Selbstmordattentate nahmen kein Ende. Ab September 2000 sollte deren Anzahl mit dem Ausbruch der Zweiten Intifada einen neuen Höhepunkt erreichen.

Martin Schäuble, Noah Flug: Die Geschichte der Israelis und Palästinenser
© Carl Hanser Verlag, München, Wien 2007

Fussnoten

Weitere Inhalte

Martin Schäuble ist Journalist und Buchautor. Er studierte Politik in Berlin, Israel und den Palästinensergebieten. Heute lebt er als freier Autor und Journalist in Berlin, bereist für seine Recherchen den Nahen und Mittleren Osten und arbeitet an seiner Promotion.

Noah Flug (geb. 1925 in Polen). Er überlebte das Konzentrationslager und wanderte 1958 nach Israel aus. Er ist Vorsitzender des Dachverbandes der Organisationen der Holocaust-Überlebenden in Israel und Präsident des Internationalen Auschwitz-Komitees. Er arbeitete am Konzept des Buches "Die Geschichte der Israelis und Palästinenser".