Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Die 1950er Jahre und der Suezkrieg | Israel | bpb.de

Israel Von der Idee zum Staat Was ist Zionismus? Politischer und Kulturzionismus Zionismus nach Herzl Theodor Herzl Berühmte Zionisten Briten im Heiligen Land Arabische Frage Shoah und Einwanderung Gesellschaft Palästinas Staatsgründung Gründung des Staates Israel Interview Benny Morris Interview Sari Nusseibeh Deutschland - Israel Die israelische Perspektive DDR - Israel Der Staat Israel Das politische System Parteien Zahal - die Armee Außenpolitik Nahostkonflikt Suezkrieg Sechs-Tage-Krieg Jom-Kippur- bis Libanon-Krieg Intifada und Oslo Zweite Intifada Von Gaza zum Libanon nach Oslo Gesellschaft und Wirtschaft Gesellschaft Wirtschaft Staat und Religion Bedeutung der Shoah Russische Juden Kibbutzim Film Zukunft Israels Interviews Gila Lustiger Ella Milch-Sheriff Etgar Keret Sami Berdugo Nava Semel Iftach Shevach Judith Mortkovitch Ilana Tsur Yariv Mozer Israel aktuell 2010: Ein Jahr Regierung Netanjahu Parlamentswahl 2013 Karten Glossar Quellen Literatur Links zu Israel Impressum

Die 1950er Jahre und der Suezkrieg

Noah Flug Martin Schäuble

/ 8 Minuten zu lesen

Nach der Staatsgründung stand Israel vor gewaltigen Aufgaben: Die jüdischen Flüchtlinge mussten integriert, ein ganzes Land aufgebaut werden. Hinzu kam Mitte der 1950er Jahre der Konflikt mit dem Nachbarland Ägypten.

Viele der Einwanderer im neugegründeten Staat Israel lebten zunächst in Übergangslagern, sogenannten "Ma'abarot". (© AP)

Die jüdischen Einwanderer hatten einen schweren Anfang im neu gegründeten Staat Israel. Auf die massenhafte Einwanderung konnten die Gründungsväter so schnell nicht reagieren. Die Staatskassen waren leer – der Arabisch-Israelische Krieg machte deutlich, dass beim Verteidigungshaushalt nicht gespart werden durfte. Die Folgen der schlechten wirtschaftlichen Situation betrafen fast jeden. Es fehlte an Arbeitsplätzen, an Wohnungen und an gut ausgebauten Straßen.

Israel war in den 1950er Jahren auf Hilfe aus dem Ausland angewiesen. Die 1949 gegründete Bundesrepublik Deutschland sicherte der israelischen Regierung Geld und Waren zu. Damit sollte den nach Israel geflüchteten Juden geholfen werden. Das vom deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer mit unterzeichnete Abkommen zur Wiedergutmachung löste in Israel heftige Proteste aus. Die Kritiker lehnten Verträge mit dem Land ab, das den Massenmord an sechs Millionen Juden zu verantworten hatte.

Bei wirtschaftlicher Unterstützung konnte sich Israel auf westliche Länder wie Deutschland und die USA verlassen. Bei politischen Fragen gibt es indessen bis heute Meinungsverschiedenheiten. Ein umstrittenes Thema ist die Frage nach der Hauptstadt des israelischen Staates, den David Ben Gurion 1948 in Tel Aviv ausgerufen hatte. 1953 zog das israelische Parlament nach Jerusalem um. "Jerusalem war, ist und bleibt Israels Hauptstadt", beschlossen die Abgeordneten und bezogen sich damit auf die biblischen Zeiten.

Die Verstaatlichung des Suez-Kanals durch Ägypten provozierte Israel, Frankreich und Großbritannien. (© AP)

Rund dreißig Jahre später sollte Israel auch das palästinensische Ost-Jerusalem für sich beanspruchen. Die Vereinten Nationen schritten ein und forderten aus Protest einen Abzug der Botschaften aus Jerusalem. Fast alle Ländervertretungen befinden sich daher heute in Tel Aviv, nicht in Jerusalem. Ost-Jerusalem war nach dem ersten Arabisch-Israelischen Krieg von 1948/1949 an Transjordanien gefallen. Jordanische Sicherheitskräfte kontrollierten seither die östlichen Stadtteile sowie das gesamte Westjordanland, wo die meisten Palästinenser leben. Die Bewohner erhielten einen jordanischen Ausweis, den viele bis heute haben. Der Palästinenser Saman Choury konnte das nicht verstehen.

"Meine Familie lebt seit über 150 Jahren in Jerusalem. Meine Eltern sind Palästinenser, meine Großeltern sind Palästinenser, deren Eltern ebenso. Und ich bin laut Pass ein Jordanier. Meine Geburtsurkunde war daher für mich immer etwas Besonderes. Sie wurde während der britischen Besatzung ausgestellt. Aber hier ist das Wort Palästina zu finden. Ich gebe das Dokument nicht aus den Händen. Obwohl es nicht wirklich etwas bedeutet, aber es beweist zumindest, dass ich existiere." Abdul-Karim Lafi beschreibt die Auswirkungen der unterschiedlichen Ausweise und Regelungen anhand seiner Familie. "Mein Bruder hat den jordanischen Pass, seine Frau den israelischen. Wenn sie nach Jordanien reisen, dann nimmt seine Frau die Scheich-Hussein-Brücke, mein Bruder die Allenby-Brücke. Sie gehen nicht zusammen." Beide Grenzübergänge sind etwa zwei Stunden Fahrtzeit voneinander entfernt.

Im von Jordanien beherrschten Ost-Jerusalem kam es immer wieder zu öffentlichen Kundgebungen. Die Protestrufe richteten sich gegen die jüdischen Nachbarn. Politische Aktivitäten waren den Palästinensern immer dann untersagt, wenn das Thema die jordanische Besatzung war. Das Motto des jordanischen Königshauses: Gegen Israel durfte demonstriert werden, für einen eigenen palästinensischen Staat dagegen nicht. Doch viele Palästinenser konnten unter den jordanischen Besatzern ihr Leben normal weiterführen, die Einschränkungen im alltäglichen Leben hielten sich in Grenzen.

Zwischen Jordanien und Israel waren die Fronten geklärt. Der jordanische König hatte seinen Herrschaftsbereich ausbauen können. Doch immer häufiger kam es zu Angriffen von Palästinensern. Sie schlichen sich über die Grenze, attackierten jüdische Siedlungen oder machten die Straßen für israelische Transporte unsicher. Bald war die Rede von "denen, die sich selbst aufopfern", Fedayin auf Arabisch. Für Palästinenser waren diese Menschen Widerstandskämpfer, für Israelis Terroristen.

Israelische Truppen in Gaza im November 1956. (© AP)

Die größten Sorgen bereitete Israel Mitte der 50er Jahre ein anderes Nachbarland: Ägypten. Die Grenze verlief am südlichen Ende der Negev-Wüste. Das Gebiet liegt an der ägyptischen Sinai-Halbinsel. Die Gegend ist weitestgehend unbewohnt und unwirtlich, mit extremer Hitze im Sommer. Die Überwachung dieses Gebietes war für die israelische Armee sehr aufwendig. Dazu kam eine weitere schwer kontrollierbare Grenze: Die ägyptische Armee hatte nach dem Krieg 1948/1949 den palästinensischen Gazastreifen eingenommen. Dort genossen die Ägypter kein schlechtes Ansehen bei den Palästinensern. Anwar Arafat aus Gaza-Stadt denkt gerne an die Zeit zurück. "Der Gesundheitssektor, die Bildung, Soziales – alles war in ägyptischer Hand. Die Ägypter verwalteten alles, aber sie respektierten uns. Sie investierten in unser Land und viele reisten nach Gaza, um bei uns einzukaufen. Ich stellte arabische Süßigkeiten her, und die Ägypter kamen auch in mein Geschäft. Die Elite der Palästinenser ging nach Ägypten zum Studium, dort machten sie keine Unterschiede zwischen Ägyptern und uns. Viele der Leute, die hier heute als Ingenieure oder Ärzte arbeiten, wurden in Kairo ausgebildet." Doch die Zustände in den palästinensischen Flüchtlingslagern im Gazastreifen waren katastrophal. An freiwilligen Fedayin mangelte es nicht. Bereitwillige Kämpfer gab es auch in den von Jordanien besetzten Gebieten, dem Westjordanland und Ost-Jerusalem. Dabei gab es einen entscheidenden Unterschied: Im Gegensatz zur jordanischen Regierung unterstützte die ägyptische Führung die Fedayin massiv. Ägypten rüstete die Kämpfer mit Waffen aus und trainierte sie.

Der Konflikt mit dem ägyptischen Nachbarn sollte sich schon bald zum Krieg entwickeln. Das Verhalten des ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser, aber auch der westlichen Staaten, trug dazu bei. Nasser hatte die westlichen Regierungen gebeten, bei der Finanzierung eines Staudammes in Ägypten zu helfen. Die Bevölkerung in seinem Land wuchs schnell. Mit dem neuen Projekt sollten von der Dürre gezeichnete Gebiete bewässert werden, um Boden für die Landwirtschaft fruchtbar zu machen. Doch im finanzstarken Ausland fanden sich für dieses Projekt keine Unterstützer. Nasser suchte nach einer neuen Einnahmequelle für den Staudamm und verkündete im Juli 1956 die Verstaatlichung des Suezkanals. Die Suezkanal-Gesellschaft war bisher eine internationale Aktiengesellschaft – zu den Großaktionären gehörten Großbritannien und Frankreich.

Der Suezkanal macht es selbst großen Transportschiffen möglich, vom Mittelmeer durch Ägypten ins Rote Meer zu gelangen. Die Schifffahrtsstraße verkürzt die Transportwege zu den arabischen Staaten, Indien oder ferneren Zielen erheblich. Die Alternative zum Suezkanal ist gefährlicher, Tausende Kilometer länger und somit weitaus kostspieliger. Das Kap der Guten Hoffnung an der Südspitze Afrikas müsste umschifft werden. Mit einer Verstaatlichung des Suezkanals flossen alle Kanalgebühren an Ägypten, die einstigen Aktionäre gingen leer aus. Im Vorgehen des ägyptischen Präsidenten sahen viele westeuropäische Politiker eine Provokation. Ein internationaler Vertrag -sicherte bisher die freie Fahrt für Transport- und Kriegsschiffe ab – egal welcher Nation. Nach Nassers Erklärung ging die Angst um, Ägypten könnte den Kanal als politisches Druckmittel nutzen und ihn sperren. Die wirtschaftlichen Folgen wären für die westlichen Länder enorm gewesen. Tanker transportierten Jahr für Jahr Dutzende Millionen Tonnen Öl auf diesem Kanal.

Der Regierung in Paris war Ägyptens Staatschef bereits vor der Suezkrise ein Dorn im Auge. Nasser hatte radikalen Gruppen im muslimischen Algerien Waffen geliefert. Immer mehr Algerier forderten die Unabhängigkeit von den Franzosen, die das Gebiet in Nordafrika als französischen Verwaltungsbezirk beherrschten. Seit Ende 1954 griffen die Aufständischen zur Waffe, die Revolte entwickelte sich zum Algerienkrieg. 1962 sollte der lange Kampf die Unabhängigkeit Algeriens zur Folge haben. Frankreich versuchte ab 1954 mit bis zu einer halben Million Soldaten und Polizisten die Proteste der Algerier gewaltsam zu unterdrücken.

Die Verstaatlichung des Suezkanals provozierte Frankreich und Großbritannien. Ein anderes Vorgehen Nassers betraf die israelische Regierung. Ägyptisches Militär blockierte die Straße von Tiran für israelische Schiffe. Der Seeweg führt vom Roten Meer zum Golf von Aqaba nach Israel. Die israelische Hafenstadt Eilat am Roten Meer konnte nicht mehr angesteuert werden. Französische, englische und israelische Regierungsvertreter trafen sich daraufhin zu geheimen Verhandlungen. Die drei Staaten fühlten sich von Nassers Aktionen am meisten provoziert. Ebenso kam es auf arabischer Seite zu verschiedenen Gesprächen. Ägypten und Syrien schlossen ein Verteidigungsabkommen und gründeten ein gemeinsames Oberkommando der Armee.

Das war das Zeichen für Frankreich, England und Israel, nicht länger zu warten, sondern die von Anfang bis Ende komplett durchgeplante "Operation Musketier" einzuleiten. Ende Oktober 1956 flog die israelische Luftwaffe einen Überraschungsangriff über dem ägyptischen Sinai. Bodentruppen eroberten den Gazastreifen und den größten Teil der Sinai-Halbinsel. Frankreich und Großbritannien stellten Ägypten und Israel ein Ultimatum, die kriegerischen Handlungen einzustellen. Das war eine Falle der Briten und Franzosen, denn sie spekulierten darauf, dass Nasser ablehnen würde. Daraufhin würden sie mit der Erklärung, den wichtigen Seeweg schützen zu wollen, Ägypten angreifen.

Nasser reagierte wie erwartet: Er setzte den Krieg fort. Britische sowie französische Kampfflugzeuge bombardierten kurz darauf Militärflughäfen und weitere Armeestützpunkte in Ägypten. Innerhalb von 48 Stunden war fast die komplette ägyptische Luftwaffe ausgeschaltet. Israelische Soldaten kämpften indessen am Boden gegen ägyptische Truppen im Sinai und im Gazastreifen. Bald landeten die ersten Fallschirmjäger in der ägyptischen Hafenstadt Port Said am Eingang des Suezkanals.

Die UN-Vollversammlung forderte ein Ende der Kampfhandlungen. Israel zog sich nach zähen Verhandlungen im Frühjahr 1957 aus den eroberten Gebieten wieder zurück. UN-Friedenstruppen sicherten von nun an die Grenzen zwischen Israel, dem Gazastreifen und Ägypten. Die von Ägypten unterstützten Fedayin konnten ihre Angriffe auf Israel vorerst kaum fortsetzen.

Doch der Schein vom Frieden trog. Hinter den Kulissen rüsteten alle Seiten auf. Bereits vor dem Suezkrieg verkaufte die Sowjetunion den Ägyptern Panzer, Artilleriegeschütze, Raketenwerfer, Bomber und Jagdflugzeuge. Israels Waffenlieferant Nummer eins war Frankreich. Ein Teil der Lieferung war – wie Militärexperten überall auf der Welt glauben – die französische Atomtechnologie.

Die Suezkrise hatte weitreichende Folgen: Die Sowjetunion konnte ihren Einfluss im Nahen Osten weiter ausbauen. Zugleich sank nach ihrem Militäreinsatz im Schulterschluss mit Israel das Ansehen der westlichen Staaten in der arabischen Welt. Der ägyptische Präsident Nasser entwickelte sich zu einem Mythos, nicht nur in Ägypten. Er hatte es mit den Großmächten Frankreich und Großbritannien aufgenommen, kämpfte zugleich gegen den bei vielen Arabern unbeliebten israelischen Nachbarn.

Nasser nutzte die Gunst der Stunde. Er wollte nicht nur Ägypten führen, sondern trat für einen arabischen Nationalismus ein. In der Praxis bedeutete das einen gemeinsamen Staat, der aus Ägypten, Syrien und Palästina bestünde. Es gab keine Frage, wer diese neue Großmacht anführen sollte. Der sogenannte Nasserismus war für Israel nicht nur eine Bedrohung, sondern eine Kriegserklärung. Denn auf Nassers Karte des Nahen Ostens gab es kein Land, das Israel hieß.

Martin Schäuble, Noah Flug: Die Geschichte der Israelis und Palästinenser © Carl Hanser Verlag, München, Wien 2007

Fussnoten

Weitere Inhalte