Seit der Gründung der Islamischen Republik 1979 steht die Region des Nahen und Mittleren Ostens im Fokus iranischer Außenpolitik. Hier hat das Land seit der US-amerikanischen Intervention im Nachbarstaat Irak 2003 einen rasanten geopolitischen Aufstieg vollzogen. Durch den Sturz Saddam Husseins wurde nicht nur ein politischer Gegner abgesetzt, der mehr als acht Jahre lang einen verheerenden Krieg gegen Iran geführt hatte. Erstmals wurde auch der Zugang zur Levante frei, den Ländern entlang der Ostküste des Mittelmeeres. Teheran hat aber vor allem vom so genannten Arabischen Frühling 2010/2011 profitiert. Mit ihm zerfiel eine regionale Ordnung, die Iran lange Zeit eingehegt hatte. Doch während die Islamische Republik geopolitisch aufstieg, blieben ihre Bedrohungswahrnehmungen unverändert. Noch immer sieht sich Iran als ein Staat im Belagerungszustand, der nicht nur von regionalen Rivalen umgeben, sondern auch von permanenten Umsturzversuchen durch externe Akteure bedroht ist.
Regionalpolitische Interessen
Irans Regionalpolitik wird von ideologischen, geopolitischen und sicherheitspolitischen Interessen geleitet. Der ideologische Charakter dieser Politik kommt auf vielfältige Weise zum Ausdruck. Zum einen versteht sich die Islamische Republik als Schutzmacht unterdrückter Muslime und hierbei keineswegs nur der Schiiten. Zum anderen sieht sie sich als revolutionäre Widerstandsmacht, die gegen Hegemonialismus, Kolonialismus und Besatzung aufbegehre. Widerstand gilt dabei vor allem US-amerikanischen Truppen in der Region sowie dem israelischen Staat. Die Nichtanerkennung Israels stellt eine Konstante in der Regionalpolitik der Islamischen Republik dar, die sich als dezidiert anti-zionistisch begreift.
Geopolitisch zielt Iran darauf, seinen Handlungsspielraum gegenüber Rivalen wie Saudi-Arabien auszuweiten. Mit Riad konkurriert Teheran nicht nur um eine Vormachtstellung am Persischen Golf, sondern auch um die Führungsrolle in der islamischen Welt. Die Rivalität schlägt sich auch auf regionale Konfliktherde nieder, so in Syrien oder im Jemen. Dies erschwert die Beilegung von Konflikten, die entlang konfessioneller Trennlinien zusätzlich verschärft werden. Dagegen sind die Beziehungen zur Regionalmacht Türkei von Pragmatismus geprägt. Ankara und Teheran unterhalten nicht nur gute Wirtschaftsbeziehungen, sie teilen auch die Sorge vor kurdischen Sezessionsbestrebungen im jeweils eigenen Land und kooperieren in Syrien im Rahmen des sogenannten Astana-Formats, dem auch Russland angehört. Zugleich versucht Teheran zu verhindern, dass die Türkei militärisch und politisch in Irans unmittelbarer Nachbarschaft an Einfluss gewinnt, beispielsweise im Irak. Vor allem setzt Iran aber darauf, die Rolle der USA und Israels in der Region einzuschränken. Das Ende einer militärischen Präsenz der USA im Nahen und Mittleren Osten gehört zu den langfristigen Zielen der iranischen Regionalpolitik.
Diese ist aber auch in erheblichem Maße Resultat sicherheitspolitischer Erwägungen. Im Falle einer direkten militärischen Auseinandersetzung wäre Iran anderen Regionalakteuren deutlich unterlegen. Die iranische Luftwaffe, aber auch Kampffahrzeuge und Waffensysteme sind zum großen Teil veraltet. Zudem kann die Islamische Republik im Gegensatz zu ihren Nachbarn am Persischen Golf keine Sicherheitsgarantien durch externe Akteure vorweisen. Zwar unterhält Teheran mit Moskau eine taktische Allianz, die sich im Militärbündnis in Syrien widerspiegelt. Dennoch wird Iran damit kein russischer Beistand im Kriegsfall zuteil. Dieser würde Moskaus gute Beziehungen zu anderen wesentlichen Regionalmächten wie Saudi-Arabien oder Israel untergraben. Teheran ist daher von dem Motiv geleitet, dass das Land seine sicherheitspolitischen Interessen vornehmlich selbst und überdies außerhalb seiner Grenzen verteidigen müsse. Das Konzept einer abschreckungsbasierten, "vorwärtsgewandten Verteidigung" ist wesentlicher Bestandteil der iranischen Sicherheitsdoktrin. Dass das Engagement in der Region dennoch vielfach über Maßnahmen hinausreicht, die sich als präventiv deuten ließen, ist Ausdruck der ideologischen und geopolitischen Interessen, die nach wie vor einen festen Platz in Irans Regionalpolitik einnehmen.
Teherans kosteneffizienter Ansatz asymmetrischer Kriegsführung
Iran hat seine begrenzten konventionellen Kapazitäten auf vielfältige Weise kompensiert. Teheran hat unter anderem sein Raketenprogramm vorangetrieben und verfügt heute nach einigen Schätzungen über den größten Bestand an ballistischen Raketen in der gesamten Region. Darüber hinaus ist es Iran gelungen, seine Cyberkapazitäten erheblich auszubauen und ein wirkungsmächtiges Netzwerk nicht-staatlicher Akteure zu errichten. Teherans regionalpolitischen Entscheidungen werden dabei formal im Obersten Nationalen Sicherheitsrat des Landes gefällt. Diesem gehören unter anderem der Präsident, Vertreter des Revolutionsführers, und die Kommandeure aller Streitkräfte an. Das operative Geschäft übernehmen die Quds(=Jerusalem)-Brigaden. Diese Sondereinheiten, die den paramilitärischen Revolutionsgarden (Pasdaran) angehören, sind für geheimdienstliche und militärische Einsätze außerhalb des iranischen Territoriums zuständig. Sie sind zum einen selbst in Kampfhandlungen eingebunden, beispielsweise in Syrien. Zum anderen leisten sie finanzielle und logistische Unterstützung für ihre Verbündeten, rekrutieren Kämpfer und liefern Waffen.
Im Irak unterstützt Teheran schiitische Milizen unter dem Dach der sogenannten Volksmobilisierungseinheiten, darunter die Kata'ib Hisbollah und die Badr-Organisation, eine der einflussreichsten politischen Akteure im Land. Damit sichert sich Iran weitreichenden militärischen und politischen Einfluss, der verhindern soll, dass der Nachbarstaat je wieder zu einer militärischen Bedrohung für das eigene Land werden könnte. Zugleich trägt Teheran durch die Schaffung von eigenen Strukturen im Nachbarland unweigerlich dazu bei, eine Stabilisierung des Iraks zu behindern.
In den besetzten Palästinensischen Gebieten leistet Iran unter anderem Unterstützung für die Hamas im Gazastreifen. Darüber hinaus unterstützt Teheran auch den Palästinensischen Islamischen Jihad (PIJ), dessen Hauptquartier sich in Damaskus befindet. Hamas und PIJ werden von der EU als terroristische Organisationen eingestuft. Dagegen betrachtet Teheran sie als legitime "Widerstandskämpfer". Sie stellen den sunnitischen Teil einer vornehmlich schiitisch geprägten, iranischen "Achse des Widerstands" dar, die sich in erster Linie als anti-westliche und anti-israelische Front in der Region begreift. Ihr werden auch schiitische Milizen aus Irak, die syrische Regierung und die libanesische Hisbollah zugerechnet.
Die Hisbollah im Libanon ist Irans wichtigster Verbündeter auf nicht-staatlicher Ebene. Dabei stellt die Hisbollah nicht nur mittels ihres militärischen Arms einen einflussreichen Akteur im Libanon dar. Sie ist gemeinsam mit verbündeten Parteien derzeit auch die stärkste politische Kraft im libanesischen Parlament. Irans Einfluss auf die libanesische Politik ist jedoch äußerst begrenzt. Der Libanon dient Iran in erster Linie als wesentliche militärische Front gegenüber Israel.
In Syrien setzt Teheran auf den Erhalt des Assad-Regimes, Irans einzigem strategischen Partner auf staatlicher Ebene. Ohne diesen wäre Teherans direkter Zugang zur Hisbollah gefährdet. Aus Sicht des iranischen Sicherheitsapparates ist das Engagement in Syrien daher sicherheitspolitisch existenziell. Der militärische Einsatz hat Teheran darüber hinaus neue Optionen eröffnet, darunter der Aufbau eines Transitkorridors, der vom Irak bis zum Mittelmeer reicht, und die Etablierung einer weiteren Front gegenüber Israel.
Anders stellt sich Irans Verhältnis zu den Houthis im Jemen dar, auf die Teheran nur eingeschränkten Einfluss hat. Die Unterstützung der Rebellen, die ideologisch und religiös nur wenig mit der Islamischen Republik gemein haben, ist in erster Linie Teherans Rivalität mit Saudi-Arabien geschuldet. Die Houthis bieten Iran die Möglichkeit, mit geringem Einsatz erhebliche Kosten für das saudische Königreich zu erzeugen, das seit seiner Militärintervention von 2015 im Jemen aktiv ist.
Irans Ansatz asymmetrischer Kampfhandlungen fußt nicht nur auf jahrzehntelangen Erfahrungen, sondern ist überdies kosteneffizient. Dem Land stehen weitaus weniger finanzielle Ressourcen zur Verfügung als beispielsweise Saudi-Arabien, dessen jährliche Militärausgaben schätzungsweise fünfmal so hoch sind. Dennoch ist es Teheran gelungen, seinen regionalpolitischen Handlungsspielraum deutlich auszuweiten. Nach Schätzungen des US-amerikanischen Außenministeriums hat Iran zwischen 2012 und 2018 seine nicht-staatlichen Verbündeten in der Region mit insgesamt 16 Milliarden US-Dollar unterstützt. Dies entspricht etwa zwei bis drei Milliarden US-Dollar pro Jahr. Damit ist Teheran in der Lage, unter Einsatz vergleichsweise geringer Ressourcen hohe politische, wirtschaftliche und militärische Kosten für andere Staaten zu produzieren.
Ausblick
Die Islamische Republik stellt heute eine wesentliche Regionalmacht im Nahen und Mittleren Osten dar. Doch in zahlreichen Staaten wird Iran zugleich als Besatzungsmacht wahrgenommen, die konfessionelle Differenzen schüren und die Region weiter destabilisieren würde. Auch im eigenen Land steht die iranische Regionalpolitik in der Kritik, obgleich sie für viele Iranerinnen und Iraner im Vergleich zu innenpolitischen Anliegen eine untergeordnete Rolle spielt. Dennoch ist sie zu einem festen Bestandteil systemkritischer Parolen geworden, mit denen die iranische Führung aufgefordert wird, die finanzielle Unterstützung für regionale Akteure einzustellen und stattdessen der eigenen Bevölkerung zukommen zu lassen.
Aus Sicht des iranischen Sicherheitsapparats ist das regionalpolitische Engagement dagegen unentbehrlich. Teherans Wahrnehmung einer existenziellen Bedrohungslage hat sich zudem deutlich verstärkt, seit die USA im Mai 2018 ankündigten, sich nicht mehr an die Atomvereinbarung mit Iran halten zu wollen. Der US-amerikanischen "Politik des maximalen Drucks" setzt Teheran seit Mai 2019 eigene Eskalationsschritte am Persischen Golf entgegen. Hier zeigt sich die Zweckdienlichkeit, Konflikte über nicht-staatliche Verbündete austragen zu können. Denn Anschläge lassen sich nur mittelbar auf Iran zurückführen. Teheran wird auf absehbare Zeit auch weiterhin auf sein regionales Netzwerk zurückgreifen.
Die Tötung des Kommandeurs der Jerusalem-Brigaden, Qassem Soleimani, der im Januar 2020 bei einem gezielten US-amerikanischen Angriff ums Leben kam, läutet hier keine fundamentale Neuausrichtung iranischer Regionalpolitik ein. Zum einen basieren Teherans Verbindungen zu nicht-staatlichen Akteuren keineswegs auf Einzelpersonen. Viele Kontakte reichen bereits in die 1980er Jahre zurück und sind durch enge wirtschaftliche, politische, militärische und vielfach auch familiäre Verflechtungen gekennzeichnet. Zum anderen wird Teheran gerade angesichts des gestiegenen Risikos für eine kriegerische Auseinandersetzung mit den USA nicht auf seine wirkungsmächtigsten sicherheitspolitischen Instrumente verzichten. Damit bleibt die Gefahr einer militärischen Eskalation auf absehbare Zeit hoch. Diese könnte aufgrund der iranischen Kapazität, durch Verbündete aktiv zu werden, weite Teile der Region erfassen. Der Konflikt zwischen Teheran und Washington bereitet daher auch Irans Nachbarn Sorge. Doch die angespannte Lage bietet auch Chancen, denn sie hat die Dringlichkeit für Deeskalationsschritte erhöht. Im besten Fall könnte dies erstmals seit Jahren den Weg für einen überfälligen regionalen Sicherheitsdialog ebnen, der die sicherheitspolitischen Interessen aller Regionalakteure in den Fokus nimmt.