Der zentrale Unterschied zwischen dem US-amerikanischen "checks and balances"-System und parlamentarischen Regierungssystemen liegt in der unterschiedlichen Beziehung zwischen der Legislative und der Exekutive begründet. Anders als der US-Präsident, der durch einen Wahlakt eigene Legitimation durch den Wähler beanspruchen kann, wird zum Beispiel die deutsche Kanzlerin mittelbar von der Mehrheit im Parlament gewählt.
Auch in der politischen Auseinandersetzung muss der Kopf der Exekutive darauf vertrauen können, dass seine Politikinitiativen von seiner Fraktion bzw. Koalition im Bundestag mitgetragen werden. Diese "Gewaltenverschränkung" charakterisiert parlamentarische Regierungssysteme, zumal die Stabilität sowohl der Regierung/der Exekutive als auch jene der Parlamentsmehrheit von einer engen und vertrauensvollen Kommunikationsbeziehung zwischen beiden abhängen.
Machtkontrolle: Checks and Balances
Im politischen System der USA sind Legislative und Exekutive nicht nur durch verschiedene Wahlakte stärker voneinander getrennt. Das System der checks and balances ist darüber hinaus gekennzeichnet durch konkurrierende, sich gegenseitig kontrollierende politische Gewalten. Der amerikanische Kongress übernimmt nicht automatisch die politische Agenda der Exekutive/des Präsidenten, selbst wenn im Fall des united government das Weiße Haus und Capitol Hill von der gleichen Partei "regiert" werden, insbesondere dann nicht, wenn Präsident und Kongress von unterschiedlichen Parteien "kontrolliert" werden, also in Zeiten des so genannten divided government – ein "Regimetyp" der mit den Zwischenwahlen 2006 reetabliert wurde.
Politische Einzelunternehmer
Während im US-System die Legislative (das heißt die zwei Kammern im Kongress: Abgeordnetenhaus und Senat) als Ganzes mit der Exekutive um Machtbefugnisse konkurriert, ist "Opposition" im parlamentarischen System auf die Minderheit im Parlament beschränkt, die nicht die Regierung trägt. Für die Regierungspartei/-koalition sind Partei- und Fraktions- bzw. Koalitionsdisziplin grundlegend erforderlich, um die Funktionsfähigkeit der eigenen Regierung, ja des parlamentarischen Regierungssystems zu gewährleisten. Da Exekutive und Parlamentsmehrheit in einer politischen Schicksalsgemeinschaft verbunden sind, haben einzelne Abgeordnete ohnehin ein Eigeninteresse, bei wichtigen Abstimmungen nicht von der Parteilinie abzuweichen und sich der Fraktionsdisziplin zu fügen. Wahlverfahren, Parteienfinanzierung, Kandidatenrekrutierung und die hohe Arbeitsteilung im Parlament geben weitere Anreize für parteidiszipliniertes Verhalten.
Hingegen ist in den USA die politische Zukunft einzelner Abgeordneter und Senatoren weitgehend unabhängig von der des Präsidenten; ihre Wahlchancen sind im eigenen Wahlkreis bzw. Einzelstaat zu suchen. Aufgrund des Wahlsystems und der Politikfinanzierung sind "politische Einzelunternehmer" in den USA primär selbst für ihre Wiederwahl verantwortlich und haften gegebenenfalls auch persönlich für ihr bisheriges Abstimmungsverhalten im Kongress, weil sie sich gegenüber Interessengruppen und Wählern nicht hinter einer Parteidisziplin verstecken können. In der legislativen Auseinandersetzung fehlen US-Parteien Ressourcen und Sanktionsmechanismen, um den Gesetzgebungsprozess zu gestalten.
Schwache Parteien, starke Interessengruppen
Parteien spielen in den USA – mit Ausnahme ihrer Funktion bei den Wahlen – eine untergeordnete Rolle. Das Unvermögen der Parteien, Politik zu gestalten und auch für personellen Nachschub zu sorgen, eröffnet sowohl Think-Tanks als auch Interessengruppen größere Aufgabengebiete und Einwirkungsmöglichkeiten. So genannte advokatische Think-Tanks, die oftmals auch den entsprechenden rechtlichen Status erwerben, um Graswurzel-Lobbying betreiben zu können, arbeiten strategisch mit politisch gleichgesinnten Gruppen von Abgeordneten und Senatoren zusammen, um ihre Politikvorstellungen in die Tat umzusetzen.
Ein besonders wirksames Mittel für Interessengruppen, um Einfluss auf den Gesetzgebungsprozess und die Wiederwahl zu nehmen, sind "Wählerprüfsteine" ("scorecards" oder "voter guides"). Interessengruppen der christlichen Rechten machen zum Beispiel kritische Abstimmungen publik, damit Abgeordnete und Senatoren wissen, dass ihre Bevölkerung im Wahlkreis genau erfahren wird, wie sie abgestimmt haben.
Dieser externe Einfluss einer Vielzahl unterschiedlicher und oft widerstreitender Interessen ist als erheblich einzuschätzen, vor allem auch bei den Kongresswahlen. Da US-Abgeordnete und Senatoren keiner Parteidisziplin unterworfen sind, können sie sich auch nicht hinter ihr verstecken. Einzelne Politiker laufen ständig Gefahr, im Rahmen einflussreicher Kampagnen an den Pranger gestellt und gegebenenfalls bei der Kandidatur um eine Wiederwahl persönlich zur Rechenschaft gezogen zu werden. Sie wägen deshalb bei jeder einzelnen Abstimmung gründlich ab, wie sie sich bei den nächsten Wahlen für sie persönlich auswirken könnte.
Ad-hoc-Koalitionen
Der US-Präsident ist demnach laufend gefordert, im Kongress für die Zustimmung seiner Politik zu werben, das heißt je nach Politikinitiative unterschiedliche und zumeist parteiübergreifende Ad-hoc-Koalitionen zu schmieden.
Die Handelspolitik ist ein Beispiel par excellence: Wichtiger als die Haltung des nächsten Präsidenten wird in diesem Politikfeld die Zusammensetzung des Kongresses sein. Internationale Handelsabkommen müssen vom Kongress ratifiziert werden. Der künftige Präsident wird aufgrund der kritischen wirtschaftlichen Situation in den USA große Schwierigkeiten haben, Freihandelspolitik durchzusetzen, sollte er es überhaupt wollen oder versuchen. Er wird es sehr schwer haben, vom Kongress die früher so genannte "Fast Track" oder heute als "Trade Promotion Authority (TPA)" bezeichnete Handelsautorität zu erhalten, um auf der internationalen Bühne überhaupt ernst genommen, das heißt als verhandlungsfähig wahrgenommen zu werden.
Der Präsident muss in diesem und vielen anderen Politikfeldern politisches Kapital investieren und dafür sorgen, dass die (qualifizierte oder Zwei-Drittel-) Mehrheit der Abgeordneten und Senatoren seiner Politik folgen, die ihrerseits eine institutionelle Identität als Mitglieder des Kongresses haben und sich der "anderen Staatsgewalt" (the other branch of government) zugehörig fühlen.
Dominanz des Oberbefehlshabers
Die Sorge um die institutionelle Machtbalance tritt jedoch in den Hintergrund wenn – wie mit den Anschlägen vom 11. September 2001 deutlich wurde – Gefahr in Verzug ist und nicht zuletzt auch die Bevölkerung vom Präsidenten politische Führung erwartet, um das Land zu schützen. In Zeiten existenzieller Bedrohung kommt dem Präsidenten die Rolle des Schutzpatrons der Nation zu. Als Oberbefehlshaber der Streitkräfte steht er im Mittelpunkt der (Medien-) Aufmerksamkeit. Der patriotische Sammlungsaffekt des rally around the flag bedeutet einen immensen Vertrauensvorsprung und Machtgewinn für den Präsidenten und die Exekutive. Demgegenüber hat der Kongress eine vergleichsweise schwache Position. In Krisenzeiten kann der Kongress nur eine beratende und unterstützende Rolle spielen.
Defizite der Vorbild-Demokratie USA
In der amerikanischen Geschichte gab es immer wieder Phasen äußerer Bedrohung, in denen sich die Machtbalance zu Gunsten der Exekutivgewalt verschoben hat. Auch im Zuge des "Globalen Krieges gegen den Terror" hat Präsident George W. Bush als Oberster Befehlshaber vor allem auch bei der inneren Sicherheit seine Handlungsmacht auf Kosten der Legislative und Judikative ausgeweitet. Zudem verdeutlichen die Einschränkungen persönlicher Freiheitsrechte, insbesondere der Habeas-Corpus-Rechte mutmaßlicher Terroristen, partielle und vermutlich temporäre Defizite der einstigen Vorbild-Demokratie USA. Diese Entwicklung ist um so prekärer, als der Zustand der amerikanischen, freiheitlich verfassten offenen Gesellschaft aufgrund ihres Vorbildcharakters die weltweite Perzeption demokratischer Rechtsstaatlichkeit und internationale Rechts- und Ordnungsvorstellungen beeinflusst.