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Politische Geschichte Mexikos Das Ende der sanften Transition

Marianne Braig

/ 11 Minuten zu lesen

Das politische System Mexikos hat sich erheblich verändert. Mehr Parteien, mehr Pluralismus, aber auch mehr Armut prägen dieses Land, das weit davon entfernt ist, als rechtsstaatliche Demokratie zu funktionieren.

Der mexikanische Präsident Felipe Calderon und US-Präsident Georg W. Bush auf einer Pressekonferenz in Merida, Mexiko, März 2007. (© AP)

Mit den Wahlen am 2. Juli 2006 scheint die "sanfte Transition" in der Krise, die im Jahre 2000 die jahrzehntelange Vorherrschaft einer Partei und des aus ihren Reihen stets hervorgegangenen Präsidenten beendet hatte. Die Polarisierung im Wahlkampf sowie der hauchdünne Vorsprung des konservativen Kandidaten Felipe Calderón ließen viele Mexikaner an der Richtigkeit des knappen Wahlergebnisses wieder einmal zweifeln. Nicht wenige sahen sich an die massiven Wahlfälschungen im Jahre 1988 erinnert, die den Sieg des Oppositionskandidaten Cuauthemoc Cárdenas verhinderten.

Der ehemalige mexikanische Präsident Vincente Fox und seine Frau Martha Sahagun im Gespräch mit Journalisten. (© AP)

Die Transition war langsam verlaufen und hatte verschiedene Anläufe genommen. Geprägt war sie einerseits durch eine steigende Unzufriedenheit mit der Symbiose zwischen dem alle sechs Jahre wechselnden Präsidenten und der 71 Jahre lang regierenden Partei der institutionalisierten Revolution, der PRI (Partido Revolucionario Institucional). Andererseits bestimmten geschickte Aushandlungsprozesse, Kooptation großer Teile der Gesellschaft, verbunden mit repressiven Aktionen gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen (Studenten, Journalisten, Arbeiter) und die Manipulation der Wahlen das politische Geschehen. Der Wahlbetrug von 1988 bildete den politischen Wendepunkt und der Sieg von Vicente Fox im Jahre 2000 das Ende für ein Regime, welches immer weniger in der Lage gewesen war, mit der Entwicklung einer komplexen modernen Gesellschaft mitzuhalten. Viele Jahrzehnte lang war es dem Regime gelungen, immer wieder seine Legitimation aus dem Mythos der mexikanischen Revolution (1910-1917) zu ziehen, sich als Garant ihrer Errungenschaften bzw. Versprechungen und der aus ihr hervorgegangenen Verfassung darzustellen.

Das politische System der postrevolutionären politischen Bündnisse

Aus der Revolution war ein Staat hervorgegangen, der sich in Bezug auf die ihn kennzeichnende politische Stabilität von den meisten anderen lateinamerikanischen Ländern unterschied. Die in den postrevolutionären Jahrzehnten geschaffene Grundstruktur zwischen lokalen Bossen und zentralstaatlichen Institutionen wurde in den 1940er-Jahren mit der Etablierung der PRI in eine weitgehend bis vor kurzem gültige Struktur gebracht. Mit der PRI und ihrer tragenden Rolle im politischen System war ein politisches Gebilde geschaffen worden, welches lange Zeit große Teile der mexikanischen Bevölkerung, formell beschäftigte Arbeitnehmer über Gewerkschaften, Bauern über Bauernorganisationen, und Beschäftigte des informellen städtischen Sektors über entsprechende Organisationen, in eine kooptierende Verhandlungsstruktur einband. In dieser wurde die Bereitstellung bestimmter sozialer Leistungen von oben durch die Bekundung politischer Loyalität von unten "bezahlt". Die PRI fungierte dabei zugleich als "korporatistische Integrationsmaschine" sozialer Interessen und als Bindeglied zwischen den unterschiedlichen regionalen Machtblöcken des mexikanischen "Interessennetzwerkes". Lange Zeit wurde in ihren Reihen und in Symbiose mit dem jeweiligen Präsidenten die Machtbalance zwischen einer das Land modernisierenden metropolitanen Koalition (Unternehmer, städtische Arbeitnehmer und technokratische Politiker) und peripheren Machtcliquen (Caudillos und Caciquen) erfolgreich ausgehandelt.

Die metropolitane Modernisierungskoalition aus städtischer Elite, urbanen Mittelschichten und arbeitenden Klassen formierte sich seit den 1930er-Jahren und wirkte noch weit in die 1970er-Jahre hinein, um schließlich mit der Verschuldungskrise 1982 und dem in diesem Rahmen vorgenommenen Wechsel des ökonomischen Entwicklungsmodells langsam unterzugehen. Das politische Projekt der PRI basierte auf ihren gesellschaftlichen Säulen, den parteigebundenen Gewerkschaften, Bauernverbänden und Organisationen des informellen Sektors; es war verbunden mit einer industriellen Unternehmerschicht, die von der jahrzehntelang vorherrschenden Entwicklungsstrategie, im Kern eine binnenmarktorientierte importsubstituierende Industrialisierung, profitierte und eng mit der Wirtschafts- und Sozialpolitik des Entwicklungsstaates verbunden war.

Da jedoch die politischen Vertreter der städtischen Modernisierungskoalition in einer Gesellschaft mit einem hohen Anteil ländlicher Bevölkerung in weiten Teilen des Landes oftmals nicht präsent sein konnten, waren sie auf Bündnisse mit lokalen Bossen angewiesen. Über diese gewannen sie eine nationale Verankerung, und es gelang ihnen Wahlen zu gewinnen, selbst wenn diese oft manipuliert waren. Die Allianz mit teilweise stark divergierenden lokalen Machtcliquen erlaubte der PRI und dem Präsident, als nationale Kraft zu fungieren. Über sie konnte die Zentralmacht sich auf das gesamte Territorium ausdehnen und eine gewisse Machtbalance zwischen Regionen und Zentrum aufrechterhalten. Die sich hieraus bildende "nationale Koalition" war durch eine Form der Arbeitsteilung gekennzeichnet, in welcher die in der Hauptstadt verortete metropolitane Modernisierungskoalition in erster Linie die Formulierung von Entwicklungsstrategien und diese unterstützenden Politiken übernahm und die von lokalen Machteliten geführten peripheren Koalitionen für die notwendigen Wahlerfolge in den bevölkerungsreichen, ländlich-peripheren Regionen sorgte.

Mexikanisches Wunder und erste Brüche

An der Spitze eines jahrzehntelang erfolgreich intervenierenden Entwicklungsstaates stand ein während seiner sechsjährigen Regierungszeit übermächtiger Präsident. Dieser kann zwar aufgrund der Verfassung von 1917 nicht wiedergewählt werden. Seine Machtbefugnisse gingen aber soweit, dass er per Fingerzeig (dedazo) seinen Nachfolger bestimmen konnte, der dann in aufwändigen Präsidentschaftskampagnen, auch stets in allgemeinen Wahlen bestätigt wurde. Eine auf den Binnenmarkt orientierte Wirtschafts- und Sozialpolitik ermöglichte in der Zeit von 1940 bis 1982 eine prosperierende Phase wirtschaftlicher Entwicklung, die in den 1950er- und 1960er-Jahren zu einem regelrechten milagro mexicano führte. Aufbauend auf einer importsubstituierenden Industrialisierung, der Einführung moderner Sozialstaatselemente (wie Renten- und Krankenversicherung), einer Agrarreform und Modernisierung der Landwirtschaft im Rahmen eines geschützten Agrarmarktes, und eines großen so genannten "Dritten Sektors" aus Kooperativen, Ejidos und Gemeindebesitz, erreichte das mexikanische Entwicklungsmodell, vor allem während der Phase des desarrollo estabilizador (1958 - 1970), einen ökonomischen Wachstumsprozess, der bei (für lateinamerikanische Verhältnisse) geringer Inflation ein jährliches Wirtschaftswachstum von 6,5 Prozent erreichte. Zwar kam es in dieser Zeit zur Formierung einer relativ wohlhabenden urbanen Mittelschicht, die allgemeine soziale und ökonomische Ungleichheit in Mexiko (vor allem auf dem Land) verschärfte sich jedoch in diesen Jahren. Die hieraus folgende Unzufriedenheit bei Teilen der Bevölkerung, mehr jedoch noch die Kritik aus den Reihen der neuen städtischen Mittelschichten, die sich nicht mehr einfach in die autoritären, kooptativen Institutionen des Systems einbinden ließen, spitzten sich während der Präsidentschaft von Gustavo Díaz Ordaz zu (1964 – 1970). Ihren sichtbarsten Ausdruck fanden die Krisensymptome in der mexikanischen Studentenbewegung und in deren Unterdrückung auf dem "Platz der drei Kulturen" in Mexiko Stadt, wo mehrere hundert Studenten und Studentinnen von Sicherheitskräften getötet wurden. Das offen repressive Vorgehen der Regierung kurz vor den Olympischen Spielen im Jahre 1968 provozierte nicht allein weitere oppositionelle Aktivitäten, sondern führte zu einer Distanzierung von Teilen der intellektuellen Mittelschichten und leitete die langsame Delegitimierung des Regimes ein.

Neben der Ausweitung der Universitäten und der damit verbundenen Integrationsangebote an die Jugend setzten die politischen Repräsentanten in den 1970er-Jahren auf eine "politische Öffnung", welche vor allem eine Veränderung des Wahlgesetzes mit sich brachte und kleinere Parteien privilegierte. Die Entdeckung neuer Erdölvorkommen und die hieraus erwachsende Möglichkeit, internationale Kredite aufnehmen zu können, eröffneten Mitte der 1970er-Jahre kurzfristig einen größeren sozialpolitischen Handlungsspielraum. Dieser endete aber mit dem allgemeinen Verfall der Ölpreise zu Beginn der 1980er-Jahre, einem Anstieg der Zinsraten für die mexikanischen Kredite und wachsenden Inflationsraten, was im Februar 1982 zu einer Abwertung des Peso um 65 Prozent führte. Die hierauf folgende Kapitalflucht (bis zu 100 Millionen US-Dollar täglich) verursachte schließlich den De-facto-Staatsbankrott. Die von viel patriotischer Rhetorik begleitete Nationalisierung der Banken am 1.9.1982 wurde 1994 wieder aufgehoben und blieb ohne große Bedeutung. Dagegen sollte die Vereinbarung über ein Strukturanpassungsprogramm mit dem IWF vom 10.11.1982 die Entwicklungsrichtung Mexikos grundlegend verändern helfen.

Radikale Liberalisierung und soziale Verwerfungen

Das Austeritätsprogramm des IWF traf in Mexiko auf eine institutionelle Landschaft, in der seit den späten 1970er-Jahren neoliberale Technokraten die wichtigsten administrativen Apparate erobert hatten, und leitete damit unter der Regierung von Miguel de la Madrid (1982 – 1988) eine neoliberale Wende ein, die sich in der Privatisierung der parastaatlichen Unternehmen, der Deregulierung des Marktes und einer Liberalisierung der Außenhandelsbeziehungen (1986 tritt Mexiko dem GATT bei) manifestierten. In wenigen Jahren wurde das Entwicklungsmodell umgedreht. Statt einem für Entwicklung, Industrialisierung und Sozialpolitik verantwortlichen Staat galt ein schlanker Staat als zukunftsweisend. Im Rahmen einer im Vergleich sehr radikalen "Liberalisierungsstrategie" wurden staatliche Monopole durch private (wie etwa bei der Telekommunikation) ersetzt, öffentliche Ausgaben massiv reduziert, Außenhandelsbeschränkungen weitgehend abgeschafft, und die Exportorientierung von Landwirtschaft, Industrie und Dienstleistung gefördert. Im Gegensatz zur Binnenmarktorientierung priorisierten die Präsidenten der PRI seit 1982 und insbesondere Salinas de Gortari (1988-1994) eine rasche und intensive Integration in den Weltmarkt. Konkret jedoch war und ist diese einseitig auf die USA ausgerichtet. Die Abhängigkeit vertiefte sich durch das Freihandelsabkommen (NAFTA) von 1994 noch, wird doch seitdem die Wirtschaftspolitik wesentlich durch dieses bestimmt. Zugleich verdrängten die Auswirkungen von NAFTA die nationale industrielle Produktion und untergruben weite Teile der Agrar- und Lebensmittelproduktion. Dabei sind hier noch weitere Verwerfungen zu erwarten, wird doch erst 2008 die völlige Liberalisierung des Handels bei den Grundnahrungsmitteln wie Bohnen und Mais erreicht sein.

Grundlegend verändern sich in diesem Zusammenhang der Arbeitsmarkt und die Qualität der Arbeitsplätze. Das Wachstum des Exportsektors, basierend auf niedrigen Löhnen und besonders erfolgreich in Zeiten eines unterbewerteten Pesos, verläuft abgekoppelt von der nationalen Industrie und kann die Arbeitsplatz- und Einkommensverluste nicht ausgleichen. In den 1980ern gehen vor allem sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze von Männern in der klassischen Industrie verloren. Dagegen wächst die weibliche Erwerbsarbeit nicht allein in der exportorientierten Industrie (maquiladora) in den Grenzstädten, sondern vor allem im informellen Sektor, im Straßenhandel, in der Heimarbeit etc. Zugleich verlieren die Löhne der formellen beschäftigten Arbeitnehmer an Bedeutung. Seit 1982, spätestens aber seit 1988, als die Löhne von sozialversicherten Arbeitern und Angestellten auf die reale Kaufkraft von 1960 zurückfielen, haben die mexikanischen Löhne sowohl ihren moralischen als auch ihren ökonomischen Wert eingebüßt und stellen selbst makroökonomisch eine beschränkte Nachfragegröße dar. Das neue Modell schafft in Mexiko weit weniger sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze und weniger Lohneinkommen als notwendig wären, um die erwerbsfähige Bevölkerung aufzunehmen. Diese stieg zwischen 1991 und 2004 um 1.1. Millionen an, die formellen Arbeitslätze jedoch nur um 336.875; d.h. lediglich 30,2 Prozent der "neuen" Arbeitsplätze sind sozialversicherungspflichtig. Diejenigen, die hier nicht unterkommen, weichen in den informellen Sektor aus oder migrieren ganz oder zeitweise. Doch selbst von den formell Beschäftigten sind immer mehr gezwungen, ihre niedrigen Einkommen auf der Straße als Taxifahrer oder Kleinhändler aufzubessern oder abzuwandern. Allein während der Krisenjahre 1992-1997 migrierten offiziell zwei Millionen Mexikaner in die USA. Die Ausblendung der Migration aus dem Freihandelsabkommen zwingen die wachsende Schar mexikanischer Migranten jedoch in die Illegalität, so dass die realen Zahlen bedeutend höher sind. Zugleich sind deren Gastarbeiterüberweisungen zu den zweitwichtigsten Deviseneinnahmen geworden. Globalisierung bedeutet für Mexiko daher eine immer stärkere Konzentration auf seinen nördlichen Nachbarn, nicht allein im Bereich Handel und Finanzen, sondern auch durch die wachsende transnationale Migration. Verbunden damit ist ebenfalls seit der Präsidentschaft von Salinas de Gortari eine stärkere Orientierung an der Außenpolitik der USA und eine Distanz zu Lateinamerika.

Politische Konsequenzen der Aufkündigung des Sozialpaktes

Mexikanische Bauern aus Veracruz demonstrieren 2005 gegen eine Landreform der PRI, die in den Jahren 1992-1998 das Land der Bauern beschlagnahmt hatte. (Bild: ap)

Die sozialen Konsequenzen dieser Veränderungen sind gravierend. Eine der ohnehin ungleichsten Einkommensverteilungen weltweit hat zwischen 1984 und 2000 eine weitere Polarisierung erfahren. Die soziale Abkopplung eines wachsenden Teils der Bevölkerung unterminierte in den letzten Jahrzehnten wesentliche Momente der materiellen und ideologischen Integrationsfähigkeit des postrevolutionären mexikanischen Regimes und führte nicht nur zu einer sinkenden Wahlbeteiligung, sondern auch zu größeren oppositionellen politischen Aktivitäten jenseits der PRI. So verzeichnete beispielsweise die PAN (Partido Acción Nacional) in den 1980er-Jahren erste Achtungserfolge bei Gouverneurs- und Kommunalwahlen in Nordmexiko, und die linke COCEI (Coalición Obrero Campesino Estudiantil del Istmo de Tehuantepec) gewann die Gemeindewahlen in Juchitan, Oaxaca. Verstärkt durch das Erdbeben von 1985 in Mexiko Stadt und die hier im Zentrum der Macht sichtbar gewordene Unfähigkeit des mexikanischen Staates, der Not leidenden Bevölkerung effektive Hilfe bereitzustellen, führte diese Entwicklung zu einer Verstärkung der Kritik am Regime. Schließlich trat eine Gruppe um Cuauthemoc Cárdenas, die Corriente Crítica aus der PRI aus und gründete zunächst vermittelt über Wahlbündnisse 1989 die PRD (Partido de la Revolución Democrática). Mit dem Ausscheiden des Sohn des legendären Präsidenten Lázaro Cárdenas (1934-1940) erfuhren die legitimatorischen Grundlagen des Systems, symbolisiert in der Agrarreform und der 1938 durchgeführten Nationalisierung des Erdöls, eine weitere Schwächung. In den Präsidentschaftswahlen von 1988 kam die Unzufriedenheit großer Teile der Bevölkerung mit der liberalen Wirtschaftspolitik einerseits und dem autoritären politischen System andererseits deutlich zum Ausdruck. Ein bedeutender Teil der Wähler entschied sich für Cárdenas und gegen den Kandidaten des Regimes. Dieser, Salinas de Gortari, konnte sich des Wahlsieges erst sicher sein, nachdem der zentrale Wahlcomputer ausgefallen war.

Die Präsidentschaft von Salinas (1988–1994) war auf die Forcierung der ökonomischen Liberalisierung und auf die Wiederherstellung der verloren gegangenen politischen Legitimität bedacht, was aufgrund einer verbesserten ökonomischen Ausgangslage, Sonderbedingungen bei den Zinszahlungen, Überbewertung des Pesos und des populistischen "nationalen Solidaritätsprogramms" (PRONASOL) auch kurzfristig gelang. Dies zeigte sich nicht nur an der persönlichen Popularität des Präsidenten, sondern auch am Erfolg der PRI bei den Parlamentswahlen 1991, wo sie fast wieder die alten Werte, nämlich 61,4 Prozent der Stimmen erhielt. Die Peso-Krise von 1994 und der Aufstand von Chiapas im Kontext des Inkrafttretens des NAFTA-Abkommens am 1.1.1994 sowie politische Morde im gleichen Jahr verschärften jedoch die nur temporär überdeckte Legitimationskrise des Regimes. Die Ereignisse kulminierten schließlich 2000 in der Abwahl der PRI durch die Wahl von Vincente Fox (PAN) zum ersten mexikanischen Präsidenten aus der Opposition.

Angesichts der Fortsetzung der "Liberalisierungsstrategie" auch nach dem Ende der PRI-Herrschaft und der Stagnation notwendiger Reformen, beispielsweise Steuern, während der Präsidentschaft von Fox folgten auf die ersten euphorischen Momente eine tiefe Enttäuschung der Bevölkerung mit dem demokratisch gewählten Präsidenten. In Anbetracht der Unfähigkeit der ersten Regierung nach der PRI-Herrschaft, den Chiapas-Konflikt wie versprochen (rasch) lösen zu können, des Fortbestehens von Menschenrechtsverletzungen, der Zunahme von Gewalt, nicht zuletzt im Kontext der wachsenden Drogenkriminalität, fand eine Vertiefung der Fragmentierung zwischen den politischen Lagern und vor allem eine Polarisierung zwischen PAN und PRD im Rahmen des Wahlkampfes im Jahre 2006 statt. Die jahrzehntelang übermächtige PRI ist nur noch eine unter drei großen Parteien; sie fungiert jedoch als Mehrheitsbeschaffer für die Regierung. Der seit dem 1.12. 2006 amtierende Präsident Felipe Calderón verfügt mit seine Partei, der PAN, zwar über die stärkste Fraktion im Parlament, ist jedoch auf Unterstützung durch die PRI angewiesen.

Neben den sozialen Verwerfungen erwachsen die größten Probleme derzeit und in absehbarer Zukunft aus der Transformation Mexikos von einem Land, in welchem Drogen vor allem in die USA durchgeschleust werden, zu einem Land, in welchem immer mehr Drogen angebaut und konsumiert werden (Verlinkung Hoffmann - Drogenhandel). Die damit verbundenen Gewaltphänomene prägen nicht nur die Grenzregion zu den USA und einzelne Bundesstaaten, wie Nuevo Leon, Michoacan und Guerrero, sondern auch die Südgrenze und die Großstädte. Nicht zuletzt aufgrund des Drucks der USA kam es in den letzten Monaten zu harten Interventionen von Militär und Spezialeinheiten, was wiederum ein Weiterdrehen der Gewaltspirale bewirkte.

Auf den weiteren Demokratisierungsprozess und vor allem die Herausbildung eines Rechtsstaates wirken diese Zuspitzungen, die oftmals mit dem Ruf nach einem starken Mann und einem autoritären Staat verbunden sind, verhängnisvoll. Die Transition zu einer rechtsstaatlichen Demokratie steht Mexiko erst noch bevor; sie ist auch nach der Zurückdrängung der PRI-Vorherrschaft nicht einfacher geworden.

Literatur

Bertelsmann Transformation Index 2008, Länderstudie Mexiko.

Braig, Marianne (2004): Frauen in Lateinamerika – ein ungenutztes Potential? In: Nohlen Dieter, Hartmut Sangmeister (Hg.). Macht, Markt, Meinungen. Demokratie, Wirtschaft und Gesellschaft in Lateinamerika. Wiesbaden 2004.

Braig, Marianne (2004): Fragmentierte Gesellschaft und Grenzen sozialer Politik. In: Bernecker, Walter L., Braig, Marianne, Hölz, Klaus, Zimmermann, Klaus (Hg.): Mexiko heute. Politik, Wirtschaft und Kultur. Frankfurt a.M.

Dussel Peters, Enrique; Maihold Günter (2007): Die Rolle Mexikos in der globalen Strukturpolitik. Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, Discussion Paper 15.

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Maihold, Günther (2005): Die neue (Ohn-)Macht der Grenze: Mexiko – USA, In: Braig, Marianne; Ottmar Ette, Dieter Ingeschay, Günther Maihold (Hg.): Grenzend der Macht – Macht der Grenzen. Lateinamerika im globalen Kontext. Frankfurt/M.

Pries, Ludger (2000): Transnationalisierung der Migrationsforschung und Entnationalisierung der Migrationspolitik. Das Entstehen transnationaler Sozialräume am Beispiel Mexiko-USA. In: IMIS-Schriftenreihe Beiträge Nr. 15.

Schütze, Stephanie (2005): Die andere Seite der Demokratisierung. Die Veränderungen politischer Kultur aus der Perspektive der sozialen Bewegung der Siedlerinnen von Santo Domingo, Mexiko-Stadt. Berlin.

Weitere Inhalte

Marianne Braig ist Professorin für Politikwissenschaft mit Schwerpunkt Lateinamerika am Lateinamerika- Institut der Freien Universität Berlin. Sie forscht seit vielen Jahren über Mexiko, insbesondere über die Veränderung der Arbeitsbeziehungen, Familienstrukturen und der Sozialpolitik.