Bambule und Randale
Gewalt im Fußball: Im Abseits?
Andreas Zick
/ 22 Minuten zu lesen
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Gewalt in der Gesellschaft ist nicht auf den Fußball begrenzt, aber sie erscheint hier wie unter einem Brennglas. Wie belastbar sind die vorliegenden Zahlen? Welche Formen werden unterschieden und welche Ursachen können zu Gewalt führen? Welche Strategien sind in der Prävention geeignet?
Im Mai 2012 wurden acht Werder-Bremen-Fans von elf Bielefelder Fans verfolgt, beraubt und verletzt. Ein Werder-Fan ging nach einem Angriff zu Boden. Ein Bielefeld-Fan nahm Anlauf und trat ihn mit gezielten und immens wuchtigen Tritten auf den Kopf. Der Werder-Fan wurde lebensgefährlich verletzt. Der Täter versuchte, auch einen anderen Werder-Fan durch gezielte Tritte auf den Kopf zu verletzen, trat aber daneben. Neun Bielefelder Fans sahen zu und griffen nicht ein. Die Polizei hatte alles gefilmt. Die entscheidende Sequenz ist 20 Sekunden lang. Der Haupttäter wurde wegen versuchten Mordes aus niedrigen Beweggründen verurteilt. Vor Gericht gab er an, er habe das Opfer nicht als Menschen wahrgenommen und sei wegen eines Stadionverbotes frustriert gewesen. Ein paar Fans sahen die Täter als Helden.
Das Ausmaß der Gewalt beschäftigt bis heute die Arminia in Bielefeld, das Fanprojekt, die Polizei und viele andere, die sich um ein sicheres Stadionerlebnis kümmern. Solche besonders starken Gewaltereignisse können Spuren in der Geschichte von Vereinen hinterlassen, die sich nicht austreten. Die Geschichte des britischen Hooliganismus hat zur Etikettierung vieler Gewalttaten im Fußball als "Englische Krankheit" geführt. Solche Bilder zementieren die Auffassung von einer natürlichen Gewaltneigung von Fußballfans. Im schlimmsten Fall hinterlassen Gewalttaten in lokalen Fußballkulturen jedoch gar keine Spuren, weil die Gewalt als "normal" beurteilt wird, oder scheinbar zur Kultur gehört. Im besten Falle hinterlassen Gewalttaten Spuren, die Fans und Vereine dazu motivieren, Gewalt stärker zu ächten, ihr zu begegnen, vorzubeugen und die Selbstkontrolle zu erhöhen.
Der Bielefelder Vorfall war kein singuläres Ereignis. Er war nicht einmal typisch für die Bielefelder Fankultur, die über Jahre eine positive Fanarbeit entwickelt hat. Im Frühjahr und Sommer 2012 motivierten eine Reihe von mehr oder minder gut nachgewiesenen Gewalttaten die Innenminister der Bundesländer, sich zu einem Gipfel zu finden und die Fußballverbände und Vereine unter Druck zu setzen, den scheinbaren "Kuschelkurs" zu beenden. Die öffentliche Debatte über die Fans war vom Sommermärchen zur Horrorstory gekippt. Viele Fangruppen der Ultras gerieten unter Generalverdacht der Gewaltanfälligkeit. Der Trend hält an und die Debatte ist nicht nur auf die Gewalt von Fans gegen Fans begrenzt. Auch die Polizei gerät in den Verdacht, übermäßige Gewalt auszuüben, nachdem sich Ministerien und Vereine auf eine härtere Gangart eingestimmt haben.
Stimmt also die These, dass der Fußball gewaltaffin ist und mehr als andere Sportarten und Freizeitaktivitäten Gewalt hervorruft? Medial findet die These viel Unterstützung, aber vielleicht liegt dies an der Möglichkeit, Bilder und Stereotype zu verkaufen. Stimmt vielleicht doch eher die Gegenthese, dass die Gefahr überschätzt wird? Schließlich ist die Gewalt gegen Personen angesichts von Millionen von Fans eher unwahrscheinlich. Zahlen verweisen auf einen aktuellen Rückgang und viele Formen der Gewalt von Fans gegen Fans sind subkulturell geprägt und nicht als Gewalt zu verstehen.
Es wäre nur vermeintlich hilfreich, wenn eine kurze Antwort zur Gewaltnähe des Fußballs gegeben wird. Nur scheinbar könnten dann die einen entspannen, oder die anderen Repressionen und Strafen anziehen, um Kontrolle zu gewinnen. Eine gute Antwort, die auch die Prävention und Intervention umfasst, verlangt präzise Fragen nach den Formen der Gewalt, belastbaren Fakten und den Ursachen der Gewalt im Fußball. Gute Antworten müssen auch offen sein für Kritik, gerade weil die Gewaltformen, ihre Ausmaße und Ursachen unterschiedlich interpretiert werden können. Was gestern noch als Jugendrauferei beurteilt wurde, mag heute als Gewalt verstanden werden, und was heute als Fangewalt beurteilt wird, mag aus der Sicht der Akteure Kultur sein.
Es gibt gute Möglichkeiten für eine effektive Arbeit gegen die Gewalt im Fußball, wenn auch noch mehr Anstrengungen notwendig sind, weil die Gewalt in der Gesellschaft nicht auf den Fußball begrenzt ist.
Übersicht
Im Folgenden wird eine Annäherung an das Phänomen der Gewalt im Fußball auf der Grundlage von wissenschaftlichen Kriterien versucht.
Dazu muss die Bandbreite des Gewaltphänomens kurz benannt werden.
Im Anschluss sollen einige wenige Zahlen zur Gewaltbelastung genannt werden, bevor der Blick auf die Hintergründe und Folgen gerichtet wird.
Von hier aus kann dann die Perspektive auf die Prävention und Intervention bei Gewalt gewendet werden.
Gewalt als Phänomen
Gesellschaften haben trotz aller gesetzlichen Regelungen keine starren Gewaltbegriffe und -klassifikationen. Der "Gesellschaftsbereich Fußball", der aus vielen heterogenen Gruppen besteht, hat keinen absoluten Begriff, der Gewalt definiert und maßregelt. Das Strafrecht ist zwar eindeutig und bietet eine Orientierung, aber auch dieses Recht ändert sich und unterliegt einer Interpretation durch die Rechtsprechung. Das ist offensichtlich, wenn Gewalt vor Gericht verhandelt wird. Die Interpretation, was Gewalt ist, verändert sich historisch und wird von Gesellschaften, sowie aus Sicht der Gruppen, die im Konflikt zueinanderstehen, unterschiedlich beurteilt. Beispielsweise wurde der Rassismus im Fußball in den Nachkriegsjahren harmloser beurteilt als heute. In vielen Stadien in Osteuropa werden derzeit Handlungen nicht als Gewalt beurteilt und verfolgt, die in Deutschland eindeutig sanktioniert sind. Aber auch in Deutschland macht z.B. die Debatte über den Einsatz von Pyrotechnik in Stadien oder die Interpretation von Platzstürmen die Komplexität und Relativität des Gewaltverständnisses deutlich.
Auch wissenschaftlich gibt es keine überall geteilte und trennscharfe Gewaltdefinition. Über Gewalt verhandeln Gesellschaften und die Wissenschaft legt dazu konträre Sichtweisen vor. Während Betroffene und Öffentlichkeiten eher nach dem "richtigen" Verständnis der Gewalt suchen, versucht die Gewaltforschung, eine möglichst präzise und beobachtbare Beschreibung, die sich nicht an einer Legitimierung oder Delegitimierung von Gewalt orientiert. Die Gefahr ist groß, beim Thema Gewalt schnell in eine Diskussion über Normen und Kontrollen zu geraten und der Reflex ist schnell, bei Gewalt nach einer Beurteilung der Schwere zu suchen. Dabei wird bisweilen übersehen, dass bestimmte Handlungen von Fans gegen andere, von den Konfliktgegnern gar nicht als Gewalt erlebt und beurteilt werden.
Gewalt als Schädigung
Wenn von der Gewalt im Fußball die Rede ist, dann ist in der Öffentlichkeit und Wissenschaft zumindest eine Meinung weit geteilt. Mit Gewalt werden vor allem die verschiedenen Formen der absichtsvollen oder erfolgten physischen Verletzung, also der körperlichen Schädigung einer Person durch eine andere Person, definiert. Der öffentliche wie wissenschaftliche Blick richtet sich primär auf die Gewalt von Fans gegen andere Fans, oder gegen die Polizei und Ordnungskräfte.
Aus einer kriminologischen und strafrechtlichen Perspektive zählt zu den "typischen" Gewalthandlungen im Fußball die Körperverletzung, der Widerstand gegen die Polizei und der Landfriedensbruch. Jene Gewalt ist als Delikt im Strafgesetzbuch erfasst und geregelt und wird von den zuständigen Behörden (Polizei und Justiz) verfolgt. Neben der physischen und psychischen Gewalt, die vor allem verbal geäußert wird, ist dabei auch die Beschädigung von Symbolen und Sachen relevant, oder auch Verstöße gegen das Sprengstoffgesetz, wie z.B. durch den Einsatz von Pyrotechnik.
Weniger klar wird die physische Gewaltbilligung, -bereitschaft und -handlung gegen eigene Fans, Spieler, Vereinsfunktionäre und andere Personen oder Gruppen, die nicht zu den häufigen Konfliktgegnern gehören, beachtet. Ebenso werden weniger Formen psychischer und symbolischer Gewalt, wie z.B. Beleidigungen oder Beschimpfungen, als Gewalt diskutiert. Auch rassistische Äußerungen gegen Personen können eine Form der Gewalt darstellen, weil sie andere schädigen.
Ebenso kann rechtsextreme Propaganda und Agitation (politische Hetze) im Stadion Personen schädigen und oftmals geht diese ideologisierte Form der Gewalt mit einer klaren Schädigungsabsicht einher.
Exakte Zahlen zur schädigenden Form der Gewalt im Fußball liegen kaum vor. Die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS)erstellt eine jährliche Dokumentation von Fällen, an der sich Behörden, die Verantwortlichen für den Spielbetrieb und Medien orientieren. Die Daten werden von den Polizeibehörden der Länder ermittelt. Dabei werden auch Verlaufsberichte von Polizeieinsätzen ausgewertet. Das Augenmerk richtet sich auf Gewalttaten in der 1. und 2. Bundesliga sowie Spielen beim DFB-Pokal, dem Europapokal, der Nationalmannschaft, der 3. Liga sowie einigen Spielen der Regionalliga. In der aktuellen Statistik weist die ZIS für die Saison 2011/12 in den Profiligen 1.142 verletzte Personen auf (846 in der Saison 10/11). Unter den Verletzten führt die ZIS 235 PolizeibeamtInnen auf (243 Vorsaison), 393 "Unbeteiligte" (Vorsaison 344) und 514 Fußballfans (Vorsaison 259).
Täterklassifikation der ZIS
Die ZIS teilt die Fans in drei Kategorien ein: "Friedlicher Fan", "bei Gelegenheit gewaltgeneigt" und "gewaltsuchend/zur Gewalt entschlossen". Laut ZIS stieg die Zahl der Personen in den letzten beiden Kategorien von 9.685 in der Saison 2010/11 auf 11.373 Personen in der Saison 2011/12. Insgesamt stellt die ZIS in ihrem Jahresbericht der Saison 2011/12 ein stabil hohes Gewaltniveau fest. Das macht sie auch an den geleisteten Überstunden der Polizei, 70 eingeleiteten Strafverfahren, und eine im Vergleich zu den zwölf Jahren zuvor um 120% erhöhte Durchschnittszahl an Verletzten fest.
Trotz der umfassenden Datenquelle, die die ZIS erarbeitet, wird an den Daten und den Erhebungsmethoden Kritik geäußert. Das wurde besonders in der Gewaltdebatte des Jahres 2012 offenbar. Das Externer Link: Bündnis aktiver Fußballfans (B.A.F.F.) bezog umfassend Stellung gegen die ZIS-Statistik. Es verwies darauf, wie die Statistik als "Waffe" gegen Ultras gerichtet wird. Insbesondere mahnen B.A.F.F. und viele andere Gruppen, in der Statistik werde überhaupt nicht dokumentiert, wer die Verletzungen verursacht hat und wie sie zustande kommen.
Die Statistik enthält Messfehler, weil sie nicht distanziert und wissenschaftlich unabhängig die Daten erfasst und auswertet. So zählte z.B. die ZIS (wie oben bereits erwähnt) in der Saison 2011/12 1.142 Verletzte, bei 846 in der Vorsaison. Darunter waren 235 PolizeibeamtInnen (243 zuvor), 393 Unbeteiligte (344) und 514 Fans (259). Die Zahl der verletzten Fans ist also um 50% gestiegen, ohne dass dokumentiert ist, wer die Täter waren. Es ist ebenso nicht dokumentiert, ob gegen diese Täter Verfahren eingeleitet wurden. Gewalt gegen Fans, die nicht von Fans selbst stammt, ist nicht genau ausgewiesen. Auch die Zahl der eingestellten Verfahren ist nicht dokumentiert. Vergleiche hierzu auch die Expertise von Prof. Thomas Feltes, 2013, für den Landtag in NRW.
Die ZIS berichtet, dass Ultras die Gruppendynamik unter Fans sowie die Anonymität der Massenveranstaltung ausnutzten, um Gewalt auszuhandeln. Leider legt die ZIS dazu aber keine genauen Zahlen vor und es entsteht der Eindruck, als ob sich die Szene radikalisierte, was aber die Daten gar nicht zeigen. Die Datenlage bietet auch keine Möglichkeit, Prävention und Intervention genau abzuleiten, weil Abläufe nur beschrieben, nicht aber systematisch dokumentiert werden. Letztendlich bietet aber die Statistik eine erste Orientierung zur Sicherheitslage, die von den Sicherheitsbehörden als Grundlage ihrer Interpretation herangezogen wird. Sie ist solange ernst zu nehmen, bis eine alternative zuverlässige Gewaltstatistik vorliegt.
Zur Einschätzung der Gewalt im Fußball sollten aber nicht nur die Spiele beobachtet werden, bei denen der Einsatz von Sicherheitsbehörden angeordnet und mehr oder minder geregelt ist. Nur von einzelnen Studien sowie journalistischen Berichten dokumentiert ist das Ausmaß an physisch und psychisch schädigender Gewalt im Amateurbereich, also unterhalb der 3. Liga. Der nicht-professionelle und -kommerzielle Fußball fällt immer wieder durch Berichte massiver Gewalt auf. Mit Mitarbeitern des Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung haben wir in einer Studie zu allen Sportgerichtsurteilen des Hessischen Fußballverbandes festgestellt, dass das höchste Ausmaß an Gewalt, das sportgerichtlich verfolgt wird, sich hauptsächlich gegen Schiedsrichter gerichtet hat. Ähnliche Ergebnisse berichtet Thaya Vester von der Universität Tübingen, die im Jahr 2011 2.602 Schiedsrichter in Baden-Württemberg interviewte. Fast 55% berichteten verbale Beleidigungen, 17,3% berichteten von physischen Angriffen..
Viele aktuelle Beispiele weisen auch darauf hin, dass nicht selten Gewalt auch gegen Mitglieder der eigenen Referenzgruppe (Ingroup), also den eigenen Verein, Spieler und Zuschauer ausgeübt wird. Solche Ereignisse kommen national wie international nicht selten vor. Immer wieder wird berichtet, wie insbesondere nach verlorenen Spielen, Anhänger einer Mannschaft erst gegen Andere (Polizei, andere Fans etc.) und dann gegen den eigenen Verein und Spieler vorgehen. Berühmt geworden sind die Angriffe auf den Kölner Spieler Pezzoni, dem mehrfach im Internet und zu Hause von Fans der eigenen Mannschaft gedroht wurde. Ein weiteres, in der Öffentlichkeit wahrgenommenes Beispiel, war die vermutlich von Dresdener Fans durchgeführte Aushebung von elf grabähnlichen Löchern mit Holzkreuzen auf dem Trainingsgelände von Dynamo Dresden im November 2008. Eine offizielle Statistik und Analyse dieser Formen der Gewalt gegen die Mitglieder der Ingroup – also die Bezugsgruppe für Fans – liegen nicht vor.
Es ist auch fraglich, ob die Täterklassifikation der ZIS das Gewaltverständnis erhöht. Mit einem engen Blick auf die Fußballfans hat Leistner eine alternative Typologie der Gewaltformen im Fußball präsentiert. In Fallstudien konnte Leistner diese verschiedenen Ausdrucksformen der Gewalt beobachten.
Typologie der Gewaltformen im Fußball
Typologie der Fußballfan-Gewalt
intervenierend
kompetitiv
Gewaltform
Platzsturm
Ganggewalt
Überfall
situativer Kontext
spieltagsbezogen
rivalitätsbezogen
rivalitätsbezogen
rivalitätsbezogen
Reaktion auf Benachteiligung
Erstürmung des gegnerischen Fanblocks
geplante/zufällige Aufeinandertreffen
(einseitige) geplante Auseinandersetzungen
räumlicher Kontext
Stadion als Aufführungsort des Fanobjektes
Stadion als Aufführungsort der Fans
Innenstadt, einzelne Stadtviertel
Zug mit Auswärtsfahrern: private Rückzugsräume
nach Intensität
Aggro-Inszenierungen
Aggro-Inszenierungen
direkte Konfrontation
direkte Konfrontation
Fanszenen- und spielverlaufsabhängig
Einsatz von Schlag- und Schusswaffen
Quelle: Leistner (2008, S. 129)
Erstens ist im Fußball die kompetitive Gewalt zu beobachten. Sie richtet sich von Fans gegen Fans. Hierbei gehe es um Abgrenzung und Identitätskonstruktion.
QuellentextKompetitive Gewalt
Es entstand parallel zum Spiel ein von den Fans selbst auf den Rängen ausgetragener Wettkampf um Wucht und Originalität der Stimmungserzeugung, der für viele Fans den Ausgang gewaltsamer Aufeinandertreffen traditionell und ausdrücklich einschließt und Gewalt für einige zum Kern von Fan- und Gruppenidentität werden lässt. Dieser Konkurrenzlogik folgend wird Gewalt zu einer subkulturell legitimen Handlungsressource.
Quelle: Alexander Leistner, 2008
Zweitens sei eine intervenierende Gewalt zu beobachten – eine Gewalt, die in das Geschehen eingreife. Sie werde gegen das Fanobjekt (z.B. Spieler) und das Akteursfeld, also z.B. Security, Schiedsrichter, Konkurrenten, Veranstalter usw. gerichtet, um steuernd in das Geschehen einzugreifen. Sie setze in der Regel das Vorhandensein von Begrenzungen (Polizeiketten, Zäune etc.) voraus, die mit simulierten und inszenierten Gewaltankündigungen attackiert werden. Da andere Fans auf die Gewalt reagieren, komme sie selten vor.
QuellentextIntervenierende Gewalt
Im Gegensatz zur passiven Bewunderung oder kreativ-instrumentellen Aneignung des Fanobjektes steht intervenierende Gewalt dafür aktiv in das Geschehen einzugreifen. (...) Die offenkundige und massive Delegitimierung derartiger Interventionen Einzelner durch die übrige Fanszene und die damit einhergehende Verwunderung über deren feindselige Reaktionen, erklärt einerseits die Seltenheit der Übergriffe und lässt andererseits nach den psychischen Antrieben fragen.
Quelle: Alexander Leistner, 2008
Die aufgeführten Formen kollektiver Aktionen, die mit Gewalt einhergehen können, werden in keiner Statistik erfasst. Für die Gewalteinschätzung ist zu bedenken, dass die Dunkelziffer der versuchten und erfolgten Gewalthandlungen viel höher einzuschätzen ist. Letztendlich ist Gewalt grenzenlos, wenn sie sich ihre Durchsetzung zum Ziel setzt. Die Gewalt im Fußball kann sich von jedem beteiligten Akteur gegen alle anderen Akteure richten, aber sie kann auch "überspringen". Immer wieder kommt es vor, dass am Fußball weder interessierte noch beteiligte Personen Opfer von Gewalt werden, die aus Fußballspielen resultiert; das ist z.B. auf An- und Abreisewegen zu Spielen oft der Fall.
Auffällig ist zudem, dass es zwar viele Einzeltäter gibt, die Gewalt ausüben und im besten Falle entdeckt werden, allerdings die Gewalt in der Regel in Gruppen entsteht, oder ausgeübt wird. Der eingangs erwähnte Bielefelder Fall illustriert das. Es ist davon auszugehen, dass es auch unter organisierten Fans radikale Milieus gibt, die gewaltorientiert und -handelnd sind. Mit radikalen Milieus sind Verbände gemeint, die Ziele teilen, bestimmte Formen der Gewalt befürworten, indem sie interagieren und auf logistische wie moralische Unterstützung durch das Umfeld angewiesen sind. Gegenwärtig finden sich in deutschen Stadien solche radikalen Fußballfan-Milieus, die gewaltaffin sind. Allerdings sind diese noch nicht systematisch untersucht oder erfasst worden.
Die Gewalt hat im Fußball aber auch eine ganz andere Facette, die jenseits eines Gewaltverständnisses im Sinne einer Schädigung liegt. Leistner (2008) führt als dritte Form die gesellige Gewalt auf. Gemeint ist die Präsentation und das Spielen von Gewalt unter Gleichgesinnten. Schädigende Elemente der Gewalt werden gemeinsam abgesprochen und toleriert. Leistner nennt ein mit Flaschen, Dosen und Mülltonnen ausgetragenen Hügelsturm, gemeinsames Rempeln, Springen und Schlagen, die subkulturell akzeptiert und selbstverständlich seien. Auch eine Gewalt, die ungerichtet sei und keinen Gegner habe, gehöre dazu. Dazu gehörten Präsentationen von Aggression, Wut und Gewalt in Schaukämpfen. Es gehe um das Aushandeln von Überlegenheit und Unterlegenheit der Gruppen durch eine Gewalt, die strafrechtlich für die Akteure unerheblich sei. Sie stifte Identität und böte ein rauschhaftes Erleben (s.o.).
QuellentextGesellige Gewalt
Im Unterschied zur „gemeinsamen Gewalt“ einer Gruppe gegen Außenstehende, die ja ebenfalls gemeinschaftsbildend und –verstärkend wirkt, ist gesellige Gewalt ungerichtet. Sie hat keine definierten Gegner als Gegenüber, sondern vollzieht sich mitten im subkulturell gerahmten Strudelgeschehen der gleichgesinnten Interaktionspartner. Gemeinschaft stiftet nicht die erkämpfte Überlegenheit oder die kollektiv erlittene Niederlage, sondern das gelungene gewalthaltige (Rausch-) Erlebnis.
Quelle: Alexander Leistner, 2008
Die Formen geselliger Gewalt können von Außenstehenden fehlinterpretiert werden. Das Fußballspiel kann für Außenstehende äußerst aggressiv erscheinen, wie auch das Verhalten von Fans, die sich gewaltaffiner Symbole und Handlungen bedienen. Im Fußball gibt es relativ viele Handlungen und Meinungen, die als Gewalt erscheinen, aber nicht schädigend gegen andere sind. Gewalt und Aggression können auf einer (sub-)kulturellen Ebene in Symbolen und Ritualen, die verbal und nonverbal zum Ausdruck kommen, zur Identität dazugehören. Der Übergang von subkultureller Gewaltpräsentation und manifester Gewalt kann fließend sein, muss es aber nicht. Die subkulturelle Gewalt kann als Teil des organisierten und kontrollierten Gruppenerlebnisses und der Symbole verhaftet bleiben und schädigt nicht Außenstehende.
Der Hooliganismus bzw. die Identität und der Habitus der Mitglieder der Hooligan-Kultur haben zu vielen Kontroversen über die Bedeutung der Gewalt geführt. Einerseits hat diese Kultur eine hohe Affinität zur Gewalt gegen Andere, anderseits zelebriert sie Gewalt ohne andere zu schädigen. In Brufords bekanntem Buch "Geil auf Gewalt" (1992) wird sehr anschaulich beschrieben, wie sich die Gewalt von Hooligans gegen Hooligans im Sinne einer kriegerischen Auseinandersetzung einer Normierung und Verfolgung entzieht. Gulianotti (2001) stellt Hooligan-Gewalt fest, wenn das Verhalten von sozial organisierten und institutionalisierten Fans (Hooligans) gemeint ist, die in wettbewerbsförmiger Gewalt agieren und dies mehr oder minder grundsätzlich mit anderen Hooligan-Gruppen tun. Dunning et al. (2002) zeigen in ihrer Übersicht des Hooliganism, dass es ein weltweites Phänomen ist und keineswegs eine "Englische Krankheit". Sie kommen aus der Sicht sehr unterschiedlicher soziologischer Perspektiven zu dem Schluss, der gewaltsuchende Hooliganismus sei geprägt von einer aggressiven Maskulinität bzw. Männlichkeitsvorstellung und einer Suche nach Erregung (excitment) und Sensation. Ein Teil der Fans lässt sich der Gruppe der erlebniszentrierten Fans zuordnen, die Heitmeyer & Peter empirisch von fußball- und konsumzentrierten Fans unterschieden haben, bzw. von medienbezogenen Fans, wie Schwind & Baumann (1990) ergänzen.
Die Gewalt von Hooligans, die sich als solche identifizieren, ist aber kein Problem von frustrierten oder sozial prekär und devianten (abweichenden) jungen Männern und sie ist nicht in jeder Gruppe zu finden. Gewalt wird zumindest teilweise als kulturelles wie auch rauschhaftes Erlebnis zelebriert, stilisiert und ritualisiert und nicht expressiv gegen Außenstehende gerichtet. Bliesener (2009) verweist in seiner Übersicht darauf, dass der Hooliganism regional sehr unterschiedlich verbreitet ist. Auch seine Analyse legt es nahe, den Hooliganism von Formen kollektiver Gewalt zu unterscheiden, die ideologisch motiviert sind.
Formen ritualisierter Gewalt, die auf der Ebene der Selbstdarstellung und Präsentation von Symbolen der Gewalt ohne Schädigungsabsicht zu beobachten sind, gehören auch zum modernen Ultra-Milieu. Ultras und ihre Unterstützer sind durch eine bedingungslose Unterstützung der Vereinsmannschaft und inszenierte Rituale dieser Unterstützung gekennzeichnet. Ultras kreieren Gesänge, choreografierte und inszenierte Aktionen im und außerhalb des Stadions. Sie setzen gewissermaßen ihre Identitätsmarker in den Stadien, und sie steuern in vielen Stadien vollständig die Kurven. Die Inszenierungen erscheinen bisweilen aggressiv und gewaltorientiert, insbesondere dann, wenn Ultragruppen versuchen, Pyrotechnik in Stadien abzubrennen.
Politisch motivierte Gewalt
Die "Aachen Ultras 1999" (ACU) protestierten gegen neonazistische Strukturen und deren Toleranz im Stadionumfeld.
Die hoch problematische Gewalt einiger rechtsextremer Hooligans hat deutliche Züge einer gezielten politisch motivierten Gewalt, wie sie auch außerhalb des Fußballs in rechtsextremen Milieus eine Rolle spielt; dort finden sich auch Überlappungen zwischen Hooliganism und Ultra-Identitäten. Ultragruppen werden allerdings oft fälschlich als Nachfolger der Hooligans gehandelt. Sicherlich gibt es hoch gewaltbereite und mit Gewalt agierende einzelne Ultragruppen, deren Mitglieder auch aus der Hooligan-Szene kommen. Zudem gibt es Ultragruppen, die politisch motiviert Gewalt suchen und ausüben; darunter sind vor allem rechtsextreme Ultragruppen oder Sub-Gruppen.
Bekannt geworden sind z.B. Mitglieder der Aachener Karlsbande, die Mitglieder der Aachener Ultragruppe "Aachen Ultras" dermaßen verfolgt haben, dass sie sich in Folge dessen im Januar 2013 auflösten. Ähnliche Beispiele rechtsextremer Gewalt gegen Andere finden sich auffallend in Braunschweig, Dortmund und Düsseldorf. Mehrheitlich bleiben in den meisten Ultragruppen eher Symbole der Gewalt, des Hasses und der Androhung von Gewalt gegen "Feinde" auf der subkulturellen Ebene und führen nicht zu einer expressiven Gewalt.
Ursachen der Gewalt
In der öffentlichen Diskussion über die Gewalt wird nicht nur primär der Blick auf die Fans gerichtet, sondern auch auf die Frage: Was tun? Dabei wird vielfach nicht bedacht, dass eine zuverlässige Intervention und Prävention am besten die Ursachen der Gewalt erreicht. Das drängt eher zur Frage: Warum? Um das zu beantworten, bedarf es einer kritischen Forschung, die von einfachen Ursache-Wirkungs-Annahmen absieht.
Leider liegen meines Erachtens für die meisten Gewaltvorfälle im Fußball keine hinreichenden empirischen Studien vor, die eine einfache Einschätzung ermöglichen. Es fehlen auch Forschungssynthesen und Meta-Analysen von veröffentlichten Daten. Zudem konzentrieren sich viele der zugänglichen Studien auf bestimmte Ursachen und sie fokussieren die Gewalt von Fans gegen Fans oder Sicherheitskräfte. Viele Übersichtsarbeiten zur Gewalt im Fußball sind zudem einzelne Fallanalysen oder qualitative Dokumentationen der Geschichte und Lage gewaltbereiter Milieus im Fußball. Es wundert daher kaum, dass oft journalistische Diskussionen der Gewalt im Fußball als Forschung zitiert werden.
Gewalt ist auf zahlreiche Ursachen zurückzuführen
Eine genaue Analyse muss schwerfallen, weil die Gewalt nicht nur facettenreich ist, sondern auch auf zahlreiche Ursachen zurückzuführen ist. Mit dem Blick auf eine Person, die im Fußballumfeld gewalttätig ist, kann eine Handlung von der Persönlichkeitsstruktur und Sozialisation der Täter, der Einbettung in Gruppen und einen bestimmten sozialen Kontext, aber auch von situativen Umständen oder gesellschaftlichen Faktoren abhängen. Befunde zu den Ursachen werden im Folgenden zusammengefasst.
Die psychologische Aggressionsforschung legt es nahe, nach den individuellen Ursachen der Gewalt zu suchen. Alle vorliegenden Studien weisen darauf hin, dass es keine einheitlichen Persönlichkeitseigenschaften gibt, die die Gewalt erklären können. Lösel & Bliesener (2003) verweisen darauf, dass einzelne Täter ein hohes Aggressionspotenzial aufweisen, auf Stress in großen Mengen oder auch durch übermäßigen Alkoholgenuss leichter mit Aggression reagieren. Auch spezifische Sozialisationsbedingungen sind schwer auszumachen.
Lösel et al. (2001) berichten aus einer Studie mit 33 Hooligans, dass nur ca. 50% unter problematischen familiären Bedingungen aufgewachsen sind. Allerdings weist die Mehrheit der Täter schon eine Gewaltkarriere außerhalb des Fußballs auf, d.h. sie sind mit einer signifikanten Gewaltneigung in die Fangruppen gekommen. Die Mehrheit der gewaltaffinen Personen beschreibt die Gewalt als "Kick" und berichtet von ‚Spaß an der Gewalt‘. Eine erhöhte Aggressivität, Erregbarkeit, emotionale Labilität, Impulsivität und Suche nach Anregung machten Personen gewaltanfällig. Das kann aber nicht vollständig die Gewalt erklären. Ebenso viele Fans üben Gewalt aus, die keine dieser Merkmale aufweisen.
Gewalt resultiert aus Gruppenkonflikten
Wesentlich ist, dass Fans – auch jene mit einer stärkeren Gewaltdisposition – ihre Aggression in den Gruppenkontext des Fußballs einbetten. Die Gruppenrivalitäten und -konflikte, aber auch Gewalt zwischen Ultras, Fans und anderen, resultieren aus Gruppenkonflikten. Dunning (2000) beschreibt die Gewalt von Fans als Etablierten-Außenseiter-Beziehung. Er erklärt damit insbesondere, warum der gewaltaffine Hooliganism in Arbeiterschichten attraktiv ist. Die Gewalt erscheint als Form von Grenzziehungen zwischen ‚dem Proletariat‘, das täglich um das Überleben kämpft, und den Anderen.
Dieser Ansatz beschreibt Gewaltbeziehungen, nicht die Übernahme von Gewaltvorstellungen und -absichten, sowie die Entwicklung von Gewalttaten. Hierzu eignet sich meines Erachtens auf der Ebene der Analyse von Gruppenrivalitäten der Ansatz zur Sozialen Identität. Nach diesem Ansatz kann Gewalt die Folge einer starken Identifikation unter Fans sein. Diese beinhaltet auch, dass die Schädigung von Anderen, einen Teil des Selbstwertes ausmacht, der mit dieser Identität verbunden ist. Die Gewalt von Fans gegen Andere ist dann wahrscheinlich, wenn:
Gewalt als Teil der Identität definiert wird,
und/oder der wahrgenommenen Status der Gruppe innerhalb der Fußballkultur als bedroht wahrgenommen wird,
und/oder die Gewalt scheinbar die Gruppengrenzen markiert,
und/oder sich die Ideologie radikalisiert und verfestigt, dass die Gewalt legitim zur Durchsetzung von Interessen ist.
Gewalt entwickelt sich auch dann, wenn Gruppen meinen, wichtige und typische Mitglieder ihrer Gruppe sowie identitätsstiftende Symbole und andere Elemente der kollektiven Identität würden angegriffen. Die Forschung zu Aufständen in Stadtteilen zeigt, wie eine Gewaltdynamik dann einsetzt, wenn Gruppen, die als Außenstehende oder Eindringlinge wahrgenommen werden (Polizei, Sicherheitskräfte, Immobilienbesitzer, die nicht im Stadtteil wohnen etc.), wichtige Aspekte der Gruppenidentität einer Gruppe angreifen. Das kann z.B. passieren, wenn ein typisches und wichtiges Mitglied der Gruppe von der Polizei angegriffen wird. Ein "kleines signifikantes Ereignis" radikalisiert den Konflikt.
Stott et al. (2001) haben die Gewalt von englischen und schottischen Fans bei der WM 1998 in Frankreich analysiert. Sie zeigen, wie englische und schottische Fans, die zuvor nie durch Gewalt auffielen, während kollektiver Fan-Aktionen eine Gewaltbereitschaft entwickelten, indem sie die Ideologie der Gewalt – durch ihre Identifikation – als legitimes Mittel übernahmen. Durch die kollektive Aktion in einem fremden Kontext (Frankreich) hätten sich zuvor marginalisierte gewaltbereite Fans als Prototypen der Fans stilisiert. Unter dem Druck von Polizeieinsätzen und Kontrollen hätten andere Fans diese als solche anerkannt und sich von ihnen "verleiten" lassen. Ähnliche Muster haben sich im eingangs genannten Fall in Bielefeld gezeigt.
Die situativen Umstände wie der kollektive Druck und Stress in einer Gruppe, der aufgrund von Aktionen der Polizei etc. aufgebaut wird, die Anonymität in der Gruppe oder ein plötzliches Gewaltereignis erzeugen den erlebten Druck, Gruppen zu schließen und gemeinsam vorzugehen. Die Polizei kennt diese Dynamik, ist teilweise aber überfordert, weil sie selbst in die Dynamik eingebunden wird und ähnliche Prozesse in ihren eigenen Reihen nicht ausgeschlossen werden können. Die Gewalt ist also ein kollektives Phänomen der Gruppendynamik und genau das macht sie schwer kalkulierbar und kontrollierbar.
Mit Blick auf die gesellschaftlichen und kulturellen Umstände stellt sich die Frage, welche Lebensumstände und Umgebungsfaktoren Gewalttaten befördern. Heitmeyer & Peter (1988) sowie Pilz (1996) verwiesen schon recht früh darauf, wie prekäre Lebenslagen insbesondere von Jugendlichen ihre Gewaltbereitschaft erhöhen kann. Sie würden durch gesellschaftliche Modernisierungsprozesse, die Kommerzialisierung und die Professionalisierung des Fußballs erzeugt. Pilz (1996) zeigt in Einzelfallstudien, wie sehr sich Hooligans als ‚Avantgarde‘ mit einer neuen eben unmodernen, unkommerziellen und gegen-professsionellen Identität verstünden. Viele Ultragruppen proklamieren heute eine Gegenöffentlichkeit im Stadion, die den Fußball (vermeintlich) vor der Kommerzialisierung und Entrechtung der Fans schütze.
Nach vorliegenden Studien, in denen junge Fußballfans interviewt wurden, zeigt sich oft, wie die Jugendlichen aufgrund prekärer Lebenslagen und einem ansteigenden Leistungsdruck, dem sie nicht standhalten können, in einem permanenten Stresszustand stehen. Die Fangruppe und das Stadionerlebnis bieten eine alternative, wenn nicht parallele Gesellschaft. Die Fangruppe bietet einen Boden für eine kollektive Selbst-Bestätigung, die auch Gewalt umfassen kann. Die unabhängigen Fanprojekte der deutschen Ligen haben nicht von ungefähr massive sozialarbeiterische und sozialpädagogische Anforderungen zu erfüllen, wenn sie mit Fans arbeiten.
Verhinderung und Minderung der Gewalt
Trotz der vielen Facetten der Gewalt im Fußball und der Komplexität der Ursachen kann Gewalt im Fußball erfolgreich reduziert werden. Die Arbeit gegen Gewalt und Rassismus im Sport, die Projekte mit SpielerInnen, SchiedsrichterInnen sowie den verantwortlichen Sicherheitskräften (Polizei, Ordner, Sicherheitskräfte etc.) und anderen Akteuren in den Vereinen zeugen von positiven Entwicklungen. Bestimmte Formen der physischen und psychischen Schädigung im Fußball kommen heute weniger vor als früher, trotz der massiv gestiegenen Bedeutung insbesondere des kommerziellen Fußballs.
Die Sicherheit wäre nicht angestiegen, wenn nicht eine Reihe von Maßnahmen gegen Aggressionen und Gewalt eingeführt worden wären und sie wird nicht steigen, wenn nicht noch mehr investiert wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Konzentration auf die Gewalt von vorab etikettierten Fans, die angeblich oder nachweislich zur Gewalt neigen ("Problemfans"), andere Gewaltformen übersehen lässt. Die Gewalttaten vor, während und nach Fußballspielen veranlassen eher, den Blick breit auf alle Formen der Gewalt gerichtet zu lassen.
Vier Paradigmen und ihre Aushandlung können die Gewalt aller Akteure präventiv niedrig halten oder sogar reduzieren:
Erstens können Kontrolle und Repression von außen, also Sicherheitskonzepte der Kontrollkräfte, helfen. Einlasskontrollen, ein Ticketing, Deeskalationsstrategien der Polizei, Videoaufzeichnungen etc. können die Sicherheit erhöhen, wenn die Strategien für alle Beteiligten nachvollziehbar und Kontrollstrategien abgestimmt sind. Auf den Regionalkonferenzen, die die DFL zum Dialog aller Akteursgruppen (Polizei, Vereine, Fans etc.) eingeführt hat, wird Folgendes immer wieder klar: Kontrollstrategien, die den lokalen Gegebenheiten angepasst sind und vor, während und nach Fußballspielen reflektiert werden, sind als besonders effektiv einzuschätzen. Alle Kontrollen, die den Stress bei gewaltbereiten Fans oder Gruppen erhöhen – z.B. bei Anreisen zum Stadion, bei Einlass etc. – steigern das Gewaltrisiko.
Es geht also bei der Kontrolle um die Situationskontrolle und nicht die Kontrolle über Machtverhältnisse zwischen Gruppen, wie z.B. Polizei und Ultragruppen. Dazu gehört auch, dass die Sicherheitskräfte gut ausgebildet werden. Spaaij (2005) zeigt am Beispiel eines Ländervergleichs der Polizeistrategien, wie ein "intelligenzbasiertes Policing" funktionieren kann. In den Ländern, in denen Polizeibeamte in der Beobachtung, Datendokumentation und -auswertung geschult werden, ist die Gewaltprävention effektiver.
Zweitens ist die unabhängige Fanarbeit der wohl beste und effektivste Schlüssel zur Prävention und Intervention bei Gewalt. Die Externer Link: Bundesarbeitsgemeinschaft der Fanprojekte (BAG) ist ein fachlicher Zusammenschluss von Fußballfanprojekten in Deutschland, die präventive, aufsuchende und sozialpädagogische Arbeit mit jugendlichen und heranwachsenden Fußballfans leisten. Alle Daten weisen darauf hin, dass dort, wo mit professioneller pädagogischer, psychologischer und sozialarbeiterischer Kompetenz Fanprojekte eingerichtet und gefördert werden, Gewalt besser vorgebeugt wird und sie auch, wenn sie denn passiert, besser nachbereitet werden kann. Die Externer Link: Koordinierungsstelle Fanprojekte (KOS) berichtet jährlich über diese Fanarbeit, die meines Erachtens unabkömmlich ist.
Die Fanarbeit ist wahrscheinlich auch deshalb effektiv gegen Gewalt, weil sie, drittens, die Selbst-Kontrolle bei Fans erhöht. Die meisten Opfer von Gewalt im Fußball sind Fans, Schiedsrichter und Spieler. Die Stärkung von Projekten, in denen Gruppen und Personen im Fußball eine höhere Selbstwirksamkeit darin erfahren, gegen Gewalt vorzugehen, ist ein zuverlässiger Ansatz. Auch die Kooperation mit den "Einpeitschern" von Ultragruppen – unglücklich als Kapos bezeichnet – kann Gewalt reduzieren, weil sie das Modell-Lernen begünstigen. Ein gutes Beispiel ist auch die gezielte Stärkung von Gruppen. So hat z.B. das Externer Link: Fanprojekt Dresden Ultras gestärkt, die gegen rechtsextreme Gruppen im Stadion vorgehen. Auch wenn Dresdener Fans in der aktuellen und vergangenen Saison aufgefallen sind, ist die Repression des Rechtsextremismus ohne die Fans nicht vorstellbar.
Viertens müssen sich Prävention und Intervention zunehmend um die Gewalt gegen SpielerInnen und Schiedsrichter kümmern. Schiedsrichter werden massiv angegriffen und müssen besser geschützt werden (s.o.). Fußballverbände haben eine Reihe von Maßnahmen zur Reduktion der Gewalt von Spielern gegen SpielerInnen und SchiedsrichterInnen eingeführt, wie z.B. die Kennzeichnungspflicht von Ordnern, die Einrichtung einer technischen Zone, die genaue Dokumentation von Gewalthandlungen, Handschläge vor dem Spiel etc.. Solche Maßnahmen können Generalisierungseffekte auf andere Formen der Gewalt haben.
Konflikte und Gewalt im Fußball und das Know-how der Prävention und Intervention sollten von einer unabhängigen Einrichtung dokumentiert werden
Kriterium aller Projekte sollte dabei sein, dort anzusetzen, wo Gewalt mit hoher Wahrscheinlichkeit auftreten kann. Die beste Maßnahme weiß, wer, mit welchen Mitteln, wo, gegen wen, wann, welche Form der Gewalt ausübt oder auszuüben beabsichtigt. Um Gewalt zu verhindern, bedarf es eines intelligenten Kontextwissens. Wenn vom Kontext die Rede ist, dann ist aber nicht nur das Fußballstadion gemeint. Die Gewalt ist weit außerhalb der Stadien angelegt. Auch die Prävention und Intervention von Gewalt und Aggression im Internet gehört zu einer umfassenden Strategie. Das Online-Projekt Externer Link: "fußball-gegen-nazis.de" zeigt, wie durch effektive Dokumentation und Handlungsvorschläge bei ideologisierten Gewaltkampagnen des Rechtsextremismus, eine Grauzone der Gewalt in das Hellfeld (bezeichnet das gesamte Kriminalitätsgeschehen, welches offiziell bekannt und registriert ist) gerückt werden kann.
Man könnte den Ansatz zur Prävention und Intervention bei Gewalt unter ein Motto stellen. Der Fußball muss intelligenter werden, nicht nur das Spiel. Es kann nicht der Polizei überlassen werden, die Gewalt zu verhindern, zu bearbeiten und zugleich zu dokumentieren und auszuwerten, ebenso wie es den Fanprojekten nicht überlassen werden kann, sie zu beheben. In Deutschland sollten Fälle von Konflikten und Gewalt im Fußball und das Know-how der Prävention und Intervention von einer unabhängigen Einrichtung dokumentiert und diskutiert werden. Angesichts der enormen gesellschaftlichen Bedeutung und Präsenz des Fußballs ist es gewissermaßen mutig, einzelnen Gruppen diese Aufgabe aufzubürden und es drauf ankommen zu lassen.
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Der Fußball vereinte Fans aus allen Gesellschaftsschichten und deutschsprachige Juden bauten als Spieler, Trainer und Besitzer einige seiner wichtigsten Institutionen auf.
Andreas Zick
Prof. Dr. Andreas Zick ist Leiter des Instituts für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld und Professor für Sozialisation und Konfliktforschung an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Bielefeld. Andreas Zick ist verantwortlich für diverse Drittmittelprojekte der Konflikt‐ und Gewaltforschung. Er ist Mitglied verschiedener Kollegien und Beiräte, u.a. ist Prof. Zick Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Fußball‐Liga (Konflikte und Gewalt im Fußball).
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