Für viele Russlanddeutsche bleibt bis heute im historischen Gedächtnis der Umstand maßgebend, dass ihre Vorfahren seit Katharina II. in das Russische Reich zur Kultivierung und Besiedlung der wenig erschlossenen Gegenden "berufen" wurden, um den Zaren bzw. dem Staat zu "dienen".
Auf der anderen Seite pochten die Einwanderer auf die Einhaltung der versprochenen "Vorteile" wie Selbstverwaltung, Glaubensfreiheit, Befreiung vom Militär- und Zivildienst sowie sprachlich-kulturelle Selbstbestimmung. Gleichzeitig nahm man für sich das Recht auf freie Auflösung des "Dienstverhältnisses" in Anspruch, wenn der Herrscher bzw. die Regierung seinen/ihren eigenen Zusagen nicht nachkam, die Vertragsbedingungen einseitig verletzte oder Gesetze missachtete. Das Letztere implizierte auch das Recht auf Abzug oder auf Auswanderung, und dieses Selbstverständnis wird in der Geschichte der Russlanddeutschen stets eine wichtige Rolle spielen. Somit entstand eine Art von Rechts- und Vertragsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit, was sich unter anderem an einer sehr geringen Beteiligung an staatsgefährdenden Aktivitäten ablesen lässt. Gleichzeitig sind zahlreiche Aufbegehren gegen lokale Behörden und Beamtenwillkür überliefert, was auf ein ausgeprägtes Rechtsbewusstsein der Siedler hindeutet.
Unterstellung unter eine Sonderbehörde
Im Einklang mit den Bestimmungen des Berufungsmanifestes der Kaiserin Katharina II. vom 22. Juli 1763 waren die angeworbenen Siedler in einem gesonderten Landesstand den russischen Kronbauern (Staatsbauern) gleichgestellt. Ein eigenständiger "Kolonistenstand" bedeutete eine gesonderte Gerichtsbarkeit, Unterstellung unter eine staatliche Sonderbehörde, Verwendung des Deutschen als Amtssprache auf allen Ebenen der inneren Verwaltung, Bildung katholischer und evangelischer Pfarrbezirke. Somit reduzierten sich Kontakte zu den Nachbarvölkern auf ein Minimum, wenngleich die vielfach erfolgte Ansiedlung in menschenarme Gegenden derartige Begegnungen ohnehin nahezu ausschloss. Das gemäß den vertraglich vereinbarten Bedingungen bei der Ansiedlung zugewiesene Land stand dem einzelnen Siedler zur "ewigen Erbnutzung" zur Verfügung, galt aber nicht als Privat-, sondern als Gemeindeeigentum. Deshalb durften einzelne Bauern ohne die Einwilligung der ganzen Gemeinde und der vorgesetzten Behörden ihr Land weder verkaufen noch verpfänden, sodass der Zugang in das deutsche Kolonistendorf für Ortsfremde auch aus diesem Grund praktisch versperrt war.
Die Behörden, die Gemeinde- und Kirchenleitung übten auf einzelne Mitglieder einen stark normierenden Druck aus, um sie zur Untertanentreue, Frömmigkeit, Sittlichkeit, Pflichterfüllung und nicht zuletzt zu einer produktiven Arbeitsbeschäftigung zu zwingen bzw. zu erziehen. Auffälliges oder delinquentes Verhalten, religiöse Ketzerei und insbesondere eine wirtschaftliche "Nutzlosigkeit" oder vermutete "Arbeitsunlust" wurden umgehend sanktioniert, vor allem durch den Ausschluss aus der Gemeinde. Bis 1871 wurden die angeworbenen ausländischen Kolonisten und ihre Nachkommen unter eigens zu diesem Zweck geschaffenen Vormundschaftskontoren bzw. Fürsorgekomitees verwaltet. Später wurde diese Sonderregelung aufgegeben und die allgemeine örtliche Verwaltung für zuständig erklärt. An die Stelle des gewünschten zentralen Verwaltungsorgans traten mehrere Gouvernements- und Bezirksbehörden.
Zwischen Emigration und politischer Beteiligung
Allerdings betrachtete ein Teil der deutschen Siedler die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht drei Jahre später, im Jahr 1874 als einen von der Regierung ausgehenden, einseitigen Bruch der gemeinsamen, vertraglich festgeschriebenen Rechtsverpflichtungen.
QuellentextSo heißt es in einem damals entstandenen Volkslied:
Katharina, als sie Kaiserin war,
Und ihren ersten Sohn gebar,
Denkt sie an den großen Eid:
Die Deutschen sollen sein befreit.
Herrscher in dem russ[']schen Reich,
Alexander und Monarch zugleich!
Brichst du deiner Mutter Wort,
So müssen deutsche Kinder fort.
Zum ersten Mal in ihrer mehr als hundertjährigen Geschichte entstand eine Emigrationsbewegung, die vor allem die pazifistischen Mennoniten, aber auch einen Teil der Wolgadeutschen erfasste: Zielländer für die ersteren waren Kanada und die USA, bei den letzteren waren es zunächst Argentinien und Brasilien, da sie den Einwanderern erlaubten, sich in geschlossenen Gemeinden anzusiedeln. Bis zum Ersten Weltkrieg lief die Emigrationsbewegung mit unterschiedlicher Intensität weiter, vornehmlich nach Nordamerika. Dabei waren nicht nur sozioökonomische Gründe wie Landknappheit, Bevölkerungsüberschuss oder bessere Verdienstmöglichkeiten ausschlaggebend. Der wachsende russische Nationalismus, hastige Russifizierungsmaßnahmen im sprachlich-kulturellen Bereich, gesetzliche Restriktionen beim Landerwerb, staatlicher Druck auf die sog. Stundisten (Anhänger eines protestantischen Erneuerungsbewegung, siehe Glossar Stundismus) u. ä. m. haben ebenfalls zur Auswanderung beigetragen. Zwischen 1870 und 1914 emigrierten allein in die USA etwa 120 000 Deutsche aus den Wolga- und Schwarzmeerkolonien.
Auf der anderen Seite versuchten die Siedler, ihre Interessen auf der lokalen Ebene, in den Selbstverwaltungsorganen (Semstwo) und verstärkt seit 1905, dem Jahr des Übergangs zu einer parlamentarischen Monarchie, in der Reichsduma zu vertreten. Dabei sind solche Abgeordnete wie der wolgadeutsche Rechtsanwalt Jakob Dietz in der I. Reichsduma (1906) und der aus einer Siedlerfamilie im Gouvernement Cherson stammende Jurist Ludwig-Gottlieb Lutz in den II-IV Reichduma (1907–1917), Absolvent der Odessaer Universität, hervorzuheben.
Während des ersten Weltkrieges erlebten deutsche Siedler – obwohl russische Staatsbürger – zahlreiche Rechtsverletzungen und Unterdrückungen. Vor allem die seit Februar 1915 beabsichtigte und bis Ende der Monarchie teilweise durchgeführte Enteignung ihres Landbesitzes hatte eine weitgehende Entfremdung von der russischen Gesellschaft und dem russischen Staat ausgelöst. Vor Hunderttausenden Betroffenen tat sich die Perspektive einer weitreichenden kulturellen und politischen Marginalisierung sowie einer wirtschaftlichen Verelendung auf. Das hat die gesetzestreuen und loyalen "russischen Deutschen" zutiefst erschüttert; in allen Siedlungsgebieten und schichtenübergreifend entstand ein allgemeines Nachdenken über ihre Existenzbedingungen und Zukunftsperspektiven im Russischen Reich.
Machtergreifung der Bolschewiki
Die Machtergreifung der Bolschewiki im November 1917 bedeutete für alle russischen Bürger den kompletten Zusammenbruch der alten Lebenswelt; das Land stürzte in den blutigen Bürgerkrieg, der im Wesentlichen bis 1920 andauerte. Die Mehrheit der Russlanddeutschen stand den politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zielen der neuen Machthaber skeptisch bis ablehnend gegenüber, umso mehr, als die rücksichtslosen Lebensmitteleintreibungen zu einer beispiellosen Hungerkatastrophe Anfang der zwanziger Jahre in ganz Sowjetrussland führten. Allein unter den Wolgadeutschen waren nicht weniger als 100.000 Hunger- und Seuchenopfer zu beklagen. In beinahe aussichtsloser Verzweiflung griffen die Siedler zum ersten Mal in ihrer Geschichte zu den Waffen, um ihr Recht auf Leben, auf Unversehrtheit der Person und auf den gesetzmäßigen und unter vielen Opfern erworbenen Privatbesitz zu verteidigen. Ähnlich wie bei anderen russländischen Völkern äußerte sich ihr antibolschewistischer Widerstand in zahlreichen Bauernaufständen und -unruhen.
Erzwungene Rückbesinnung auf die Urheimat
Bis zum Ersten Weltkrieg waren die Nachkommen der einstigen Kolonisten kein Thema in den bilateralen deutsch-russischen Beziehungen. In den Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk mit der selbständigen Ukrainischen Volksrepublik und mit Sowjetrussland wurden sie zum ersten Mal Gegenstand diplomatischer Bemühungen. Das lag vor allem an der Enteignungs- und Verfolgungspolitik der an die Macht gekommenen bzw. drängenden Bolschewiki, die viele verunsicherte und um ihr Leben bangende Russlanddeutsche zu einer Rückbesinnung auf ihre Urheimat bewog. Die verheerende Hungersnot der Jahre 1921-22 ließ erstmals auch eine breite reichsdeutsche Öffentlichkeit auf die wolga- und schwarzmeerdeutschen Siedler aufmerksam werden ("Brüder in Not"-Aktion). Seither blieben sie mit unterschiedlicher Intensität ein politischer und gesellschaftlicher Faktor in den (west)deutsch–sowjetischen/russischen Beziehungen.
Neben Hunderttausenden antibolschewistischen Flüchtlingen aus dem einstigen Zarenreich etablierte sich in Deutschland nach 1917 eine zahlenmäßig kleine, aber politisch durchaus aktive Gruppe russlanddeutscher Emigranten. Aufgrund der ungünstigen Tendenzen im Sowjetstaat propagierte sie die endgültige Rückkehr ihrer "wanderlustigen" Landsleute in die historische Heimat als die einzig mögliche Überlebensalternative. Aus vielerlei Gründen stand der Realisierung dieser Option zu dem damaligen Zeitpunkt vieles im Weg, nicht zuletzt der desolate wirtschaftliche Zustand der Weimarer Republik, der eine osteuropäische Zuwanderung höchst unerwünscht machte.
Modus Vivendi mit dem bolschewistischen Staat
Als eine demographisch unbedeutende Minderheit mussten sich die deutschen Siedler mit den neuen Machthabern in der Ukrainischen Volksrepublik, in den ebenfalls sich als staatlich unabhängig proklamierenden Republiken Georgien und Aserbeidschan und mit dem rumänischen Staat arrangieren, der sich 1918 Bessarabien einverleibt hatte. Auch mit dem bolschewistischen Staat musste ein Modus Vivendi gefunden werden, umso mehr, als die sowjetische Partei- und Staatsführung ihrerseits durch Förderung der mittellosen Bauern und Industriearbeiter, durch eine nationale Territorialautonomie, ein Netz nationaler Rayons und andere Maßnahmen neue Loyalitäten aufzubauen versuchte. Vor allem der kompakt lebenden deutschsprachigen Minderheit an der Wolga kam die Nationalitätenpolitik der Bolschewiki entgegen mit der Gründung des Autonomen Gebiets (Arbeitskommune) 1918, die Anfang 1924 zur Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen (ASSRdWD) aufgewertet wurde. Angesichts günstiger Rahmenbedingungen für die Titularnationalität im Bildungs- und Berufsbereich, der Erhebung des Deutschen zur Amtssprache und dank anderer kultur-politischer Maßnahmen stieß die sozialistische Gesellschaftsordnung insbesondere bei Vertretern der jüngeren Generation – sofern sie entsprechende Gesinnung und soziale Herkunft aufwiesen – auf wachsende Unterstützung.
"Kolonisten-Affäre"
Die gesellschaftliche Transformation seit Ende der 1920er Jahre wurde mit äußerster Gewalt vorangetrieben und bedeutete Zwangsenteignung der Bauern (Kollektivierung) und Überführung in eine Kolchose, Kirchenverfolgung, Repressalien gegen sog. Schädlinge, Saboteure und Volksfeinde verschiedener Art. Als Reaktion auf diese Politik versuchten noch im Herbst 1929 um die 13.000 verzweifelte Bauern, vornehmlich Mennoniten, die Auswanderung aus der UdSSR zu erzwingen. Angesichts des verhängten Emigrationsverbotes fand der mutige Versuch der deutschen Bauern – von ausländischen Beobachtern wurden sie weiterhin als Kolonisten benannt, daher die Bezeichnung "Kolonisten-Affäre" – eine breite internationale Resonanz und brachte der Sowjetführung einen enormen außen- und innenpolitischen Prestigeverlust.
Zwangskollektivierung und Hungersnot
Die Zwangskollektivierung und Deportation von Hunderttausenden sog. Kulaken (Großbauern) im Verbund mit der Zerstörung der leistungsfähigen Wirtschaften führte zu einer furchtbaren Hungersnot der Jahre 1932-33, infolge derer Millionen Menschen starben,
"(...) die Politik auf einen Genozid am ukrainischen Volk abzielte, wird außerhalb der Ukraine nur von wenigen Historikern angenommen. Dagegen spricht, dass neben der Ukraine auch mehrheitlich von Russen bewohnte Gebiete ähnlich stark betroffen waren. Dass die Ukraine und der Nordkaukasus so viele Tote zu verzeichnen hatten, lag daran, dass sie mit Abstand die wichtigsten Getreidelieferantender Sowjetunion waren und daher von dort besonders viel Getreide für den Export requiriert wurde. Zudem hatten sich die dortigen Bauern als besonders ablehnend gegen die Kolchosen erwiesen. In Kasachstan war die Hungersnot eine Folge der Sessmachung der Nomaden in Kombination mit den Getreiderequirierungen."
Aus: Dietmar Neutatz: Träume und Alpträume. Eine Geschichte Russlands im 20. Jahrhundert. München 2013, S. 234-235. "Im Zuge der Entkulakisierung wurden fünf bis sechs Millionen Menschen enteignet und von ihren Höfen vertrieben. Allen 1930/31 wurden mehr als 380.000 Familien oder ca. 1.8 Mio. Menschen in entlegene Regionen der UdSSR deportiert (S. 231)." Das ist nur eine Stimme von vielen, die dem Konzept des "Aushungers" relativ skeptisch gegenüber steht. Aber die wissenschaftlichen Kontroversen in diesem Punkt gehen weiter und sind bei weitem noch nicht endgültig geklärt. darunter auch Zehntausende deutsche Sowjetbürger. Ob es sich dabei um einen "Holodomor" gehandelt hat, wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Dabei geht es vor allem um die Frage, welche Motive und welche Ziele die damalige sowjetische Führung mit ihrer Politik in der Hungerkrise verfolgt habe und ob ein stalinistisches Verbrechen wie die Hungersnot 1932/33 als Genozid eingestuft werden kann oder nicht. "Während in der ukrainischen Forschung die Genozid-These – als Genozid am ukrainischen Volk – vorwiegend befürwortet wird, ist das Meinungsbild sowohl in der deutschen als auch in der internationalen Forschung uneinheitlich (Mark; Simon 2004: 5; 10; Simon 2008: 89; Barth 2006: 7; Jilge 2007: 24)."
Entrechtung und Instrumentalisierung nach 1941
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Mit der Liquidation der von der sowjetischen Verfassung geschützten und anerkannten Autonomen Republik und der Verbannung der deutschen Bevölkerung aus dem europäischen Teil des Landes begann die Sowjetführung 1941 einen gravierenden Rechtsbruch, der bis heute nachwirkt. Die Deutschen wurden zu Personen minderen Rechts erklärt, ihr Vermögen konfisziert, Objekte der geistigen und materiellen Kultur zerstört oder zweckentfremdet, ehemalige Wohnorte umbenannt, Jugendliche, Frauen und Männer zur Zwangsarbeit ausgehoben. Noch ein Jahrzehnt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges blieben ihnen als Sondersiedler unter Kommandanturaufsicht wichtige Rechte eines Sowjetbürgers verwehrt.
Dieser Rechtsbruch dehnte sich auch auf die Schwarzmeerdeutschen in den besetzten Gebieten aus: schon am 11. September 1941 verkündeten alle auflagestärksten Zeitungen im nationalsozialistischen Deutschland und in den okkupierten Territorien die Nachricht über die Verbannung der Wolgadeutschen. Später wurde in den Besatzungsmedien noch über die Deportationen von der Krim und der restlichen Ukraine berichtet. Neben vielen Entbehrungen, Unterdrückungen und Opfern aus der Zwischenkriegszeit hatte dieser endgültige Verrat des Sowjetstaates an den eigenen Bürgern deutscher Herkunft seinen Anteil an der Loyalitätsaufkündigung und darauffolgenden Instrumentalisierung durch den NS-Staat: Die meisten verbliebenen Schwarzmeerdeutschen sahen die Besatzer als Befreier, man ließ sich in die "Deutsche Volksliste Ukraine" eintragen und flüchtete aus Angst vor ähnlicher Kollektivverfolgungen 1943-44 mit den zurückgezogenen Wehrmachtstruppen, wo sie zunächst größtenteils im Warthegau angesiedelt wurden. Für die erwachsenen Männer bedeutete die Annahme der reichsdeutschen Staatsangehörigkeit, zum Kriegsdienst eingezogen zu werden.
Unter Zwang und falschen Versprechungen überführten die sowjetischen Behörden nach dem Kriegsende bis zu 220.000 dieser sogenannten Administrativumsiedler in nördliche und östliche Regionen der UdSSR. Dort mussten sie als Sondersiedler schwere körperliche Arbeit beim Holzfällen, in den Kohlegruben oder auf den Baumwollplantagen in Tadschikistan verrichten.
Verantwortung der Bundesrepublik für die Deutschen in der UdSSR
Der geringere Teil der Umsiedler konnte weiter nach Westdeutschland fliehen und dort untertauchen. Bei der zweiten deutschen Nachkriegszählung 1950 wurden in der Bundesrepublik Deutschland 51.200 Russlanddeutsche und in der DDR lediglich 11.000 registriert. Die Bundesregierung hat im Februar 1955 die Einbürgerungen aus der Kriegszeit anerkannt. Das war nur einer von vielen Schritten auf den Weg der Kriegsfolgenbewältigung, die sich auch auf das Schicksal der deutschen Minderheiten in Osteuropa erstreckte, deren Mitglieder das Recht bekamen, als Aussiedler bzw. seit 1993 als Spätaussiedler in der Bundesrepublik aufgenommen zu werden. Die "Aussiedlerfrage" ist aus der moralischen und politischen Verpflichtung Nachkriegsdeutschlands entstanden, das als Rechtsnachfolger des NS-Staates seinen Teil der Verantwortung für das schwere Kriegsfolgenschicksal, für die bedrängte Lage der deutschen Minderheiten in den osteuropäischen Staaten übernommen hat.
"Wir bekennen uns in Deutschland unmissverständlich auch zur Verantwortung für diejenigen, die als Deutsche in diesen Gebieten unter den Folgewirkungen des Zweiten Weltkrieges gelitten haben – unabhängig davon, ob diese Menschen in ihrer Heimat bleiben oder nach Deutschland kommen wollen." (S. 10.)
Minister Wolfgang Schäuble:"Die besondere Hilfsbereitschaft für die Deutschen in den Ländern Osteuropas war zwar grundgesetzlich geboten, sie blieb Teil der Aufarbeitung der Folgen des Zweiten Weltkrieges und damit auch eine moralische Verpflichtung… Ich habe immer darauf hingewiesen, dass es eine Frage nationaler Solidarität und Identität ist, sich der Verantwortung für diese Deutschen zu stellen, die unter den Folgen des deutschen Schicksals – des gemeinsamen deutschen Schicksals – mehr gelitten haben als andere." (S. 17-18)
Christoph Bergner, der damalige (2008) Beauftragter der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten:"2. Aussiedlerpolitik und historische Verantwortung Deutschlands
Die Aussiedlerpolitik beansprucht innerhalb der Zuwanderungspolitik eine Sonderstellung, denn sie ist Teil des Bemühens der Bundesregierung, sich der nationalen Verantwortung Deutschlands für die Bewältigung der Folgen des Zweiten Weltkrieges zu stellen. Bei dieser Kriegsfolgenbewältigung geht es einerseits um Versöhnung und Wiedergutmachung gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus und der Hitlerschen Aggressionskriege. Es geht aber auch um Solidarität mit den Deutschen, die von den Folgen von Krieg und Gewaltherrschaft besonders betroffen waren. Eine solche Solidaritätsverpflichtung besteht für die Deutschen in den Ländern Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion, die infolge des Krieges wegen ihrer Volkszugehörigkeit schwere Lasten zu tragen hatten. Sie gilt besonders für die Deutschen der Nachfolgestaaten der Sowjetunion, bei denen das Kriegsfolgenschicksal am längsten nachwirkte und die noch immer auf eine abschließende gesetzliche Rehabilitierung durch das russische Parlament warten. (…)Die deutsche Bundesregierung steht damit auch zukünftig in einer besonderen Verpflichtung gegenüber den deutschen Minderheiten in den Herkunftsgebieten der Aussiedler, die sie gemeinsam mit den Regierungen der Titularnationen wahrnehmen und gestalten soll." (S. 24-25) Aus: Christoph Bergner und Matthias Weber (Hg.):Externer Link: Aussiedler- und Minderheitenpolitik in Deutschland. Bilanz und Perspektiven.München 2009 (Schriften des Bundesinstituts Band 38).Im Grundgesetz ist dieses Recht in Form von Paragraph 116, Abs. 1, verankert. Das Bundesvertriebenen- und Flüchtlingsgesetz aus dem Jahr 1953 bildet bis heute den Kern des sog. Kriegsfolgenrechts. Es bildet den verwaltungstechnischen Rahmen, wie die Wiedergutmachungsabsicht der bundesdeutschen Gesellschaft auf dem Wege der Kriegsfolgenbewältigung zu erbringen sei.
Allmähliche Normalisierung nach 1955
In der UdSSR wurden die Deutschen erst Ende 1955 von der Sonderkommandantur befreit: Im entsprechenden "Befreiungserlass" vom 13. Dezember stand unmissverständlich, dass die Verbannten "nicht das Recht haben, an die Orte zurückzukehren", aus denen sie ausgesiedelt worden waren. Auch die Rückgabe des bei der Deportation konfiszierten Vermögens wurde ausdrücklich abgelehnt. Wenn auch das Alltagsleben weniger bedrückender wirkte und eine begrenzte Orts- und Berufswahl gestattet wurde, fehlte es in der Nachkriegssowjetunion an einer substanziellen finanziellen, politischen, rechtlichen und nicht zuletzt moralischen Wiedergutmachung. Als sichtbare Vertreter derjenigen Nation, die gegen die Sowjetunion den langjährigen, verlustreichen Krieg entfesselt hatte, fungierte die Minderheit weiterhin als bevorzugtes Ziel antideutscher Ressentiments der Nachbarn, Kollegen oder Vorgesetzten. Ihre Geschichte wurde in Schulbüchern und wissenschaftlichen Untersuchungen, in Massenmedien und musealen Ausstellungen konsequent verschwiegen und ausgeblendet.
Reaktionen der Betroffenen auf ihren minderen Rechtsstatus
Die Reaktionen der Deutschen auf die fehlende Wiedergutmachung, alltägliche Diskriminierungen und weit verbreitete Germanophobie
Deutschtum im Osten. Eine Dokumentationszeitschrift. Hrsg. vom Bund Re Patria (Frankfurt), 1/1975
Deutschtum im Osten. Dokumente. Externer Link: Ausgabe Nr. 2. März/April 1976. Hrsg. vom Bund Re Patria (Frankfurt)
Deutschtum im Osten. Externer Link: Ausgabe Nr. 3. I. Quartal 1979. Hrsg. vom Bund Re Patria (Frankfurt).
fiel unterschiedlich aus: die einstigen "Repatrianten" strebten mehrheitlich an, in die Bundesrepublik überzusiedeln. Dieser Entschluss fiel vielen Betroffenen umso leichter, weil zahlreiche Deportationen und Verfolgungen die einst fest verwurzelten Landwirte, Handwerker oder Gewerbetreibenden systematisch zu besitz- und heimatlosen Proletariern degradiert hatten, die, frei nach Karl Marx, "nichts zu verlieren hatten". Bis 1986 bekamen nur 95.107 Personen die Erlaubnis, im Rahmen der Familienzusammenführung nach Deutschland wegziehen zu dürfen. Die Ausreisewilligen nahmen mit ihrem Begehren viele Nachteile in Kauf, weil in der Sowjetunion der Auswanderungswunsch und dazu noch in ein kapitalistisches Land, als eine feindliche, antisowjetische Tat aufgefasst wurde.
Für das Gros der Deutschen in der UdSSR war die Ausreise aus vielen Gründen kein vordergründiges Ziel, da man sich trotz jüngster tragischer Vergangenheit doch dem Land und der engeren Heimat stark verbunden fühlte. Immerhin hofften nicht wenige darauf, dass der einstige Rechtsbruch rückgängig gemacht würde, und sie machten sich für die Wiederherstellung der Autonomen Wolgarepublik stark, weil in der UdSSR – wie auch in der heutigen Russländischen Föderation – politische Interessenvertretung, lokale Selbstverwaltung und sprachlich-kulturelle Förderung einzelner Nationalitäten an das Vorhandensein einer territorialen Autonomie gebunden waren und bis heute sind. Die schroffe Absage der Kremlführung auf legitime Forderungen der deutschen Autonomiebewegung der 1960er-Anfang der 1970er Jahre führte zu einem erzwungenen Identitätswandel, den die Samisdat-Schrift aus dem Jahr 1973 unter dem Titel "Von dem Gedanken über die Autonomie zum Gedanken über die Emigration" besonders anschaulich schildert:
Kerstin Armborst: Ablösung von der Sowjetunion: die Emigrationsbewegung der Juden und Deutschen vor 1987. Münster u.a. 2001, S. 170-171, 278-279.
Der Appell an die UNO wurde auszugsweise veröffentlicht in:
Weißbuch über die menschenrechtliche Lage in Deutschland und der Deutschen in Osteuropa. CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages, 1977, S. 60-61.
Zu den Autoren dieser Samisdat-Dokumentation zählten Therese Chromowa-Schielke, Maria Steinbach, Leo Eichhorn und Andreas Maser, alle damals in der Unionsrepublik Kirgisien wohnhaft. Russischsprachige Urfassung im Privatarchiv von Andreas Maser (München), Kopie im Besitz d. Verf.
QuellentextSamisdat-Schrift aus dem Jahr 1973
Der Gedanke über die Emigration ist keine Einzel- oder Zufallserscheinung, sondern eine logische Folge erniedrigender Bedingungen, in denen die Deutschen in der UdSSR im Verlauf von mehr als 30 Jahren durch die Sowjetregierung gestellt worden sind. Zuerst war der Glaube an das sowjetische Gesetz. Dann folgten Beleidigungen und Unterdrückungen im Namen des sowjetischen Gesetzes. Danach verschwand endgültig der Glaube an die Gerechtigkeit des sowjetischen Gesetzes. Die Entwicklung des Gedanken über eigene Ausweglosigkeit [in Bezug auf Existenz als eigenständiges sowjetisches Volk mit eigener Geschichte, Sprache und Kultur – V.K.] durchlief viele Stufen. Das wurde nicht im Laufe einer Nacht erkannt, sondern es war das Ergebnis eines quälenden, mehr als 30 Jahre andauernden Prozesses, der in den Seelen der Menschen abspiegelte. Dieser Gedanke geht auf die erlebte Vergangenheit und eine ungewisse Zukunft unseres Volkes zurück. Alle im Laufe der 31. Jahre veröffentlichten und geheimen Erlasse bedingten diesen Gedankengang und führten zum Bewusstsein dessen, dass SEIN [hervorgehoben im Original – V.K.] bedeutet EMIGRATION, fern all den Schrecken, die uns beherrschen. So bestimmt das Dasein der Sowjetdeutschen ihr Bewusstsein.
Schließlich suchte ein für die sowjetischen Verhältnisse nicht unerheblicher Teil der Betroffenen die geistige Beheimatung unter seinesgleichen in den sog. Brüdergemeinden. Seit Mitte der 1950er Jahre erfasste größere Teile der deutschen Bevölkerung in der Sowjetunion eine Welle der Besinnung und Rückkehr zu religiösen Werten, die in diesem Ausmaß wohl einmalig in der UdSSR war. Die psychologische Last der ungesühnten stalinistischen Verbrechen und spürbare antideutsche Feindseligkeiten führten neben dem Leid und der Trauer um die umgekommenen Angehörigen dazu, dass sie sich überdurchschnittlich in religiösen Gemeinden verschiedener Glaubensrichtungen wiederfanden.
Über Erweckungs-, Versammlungs-, Brüderkreis- und Bekehrungsprozesse der 1950er Jahre wird sehr anschaulich und anhand zahlreicher zeitgenössischer Dokumente und Illustrationen am Beispiel der deutschen Gläubigen der Stadt Karaganda/Kasachstan dargestellt: Viktor Fast, Jakob Penner: Wasserströme in der Einöde. Die Anfangsgeschichte der Mennoniten-Brüdergemeinde Karaganda. 1956-1968. Steinhagen 2007, v.a. S. 89-168 (Die Erweckungszeit 1956-1960)
Bei vielen entwickelte sich eine starke Abneigung zu den politisch-moralischen Werten der sozialistischen Gesellschaft und zu ihren Institutionen und Trägern. In der Sowjetunion, in der die marxistisch-leninistische Ideologie als einzige offizielle Staats- und Parteidoktrin galt, bedeutete ein öffentliches Bekenntnis zum Glauben eine herausfordernde Brüskierung und wurde als schwerwiegender Verstoß gegen die bestehende Ordnung aufgefasst. Hunderte Prediger und einfache Gläubige, vor allem aus dem Kreis der sog. Initiativ-Baptisten und anderer freikirchlicher Vereinigungen, wurden für mehrere Jahre in Straflager gesteckt für ihren Glauben und religiöse Aktivitäten; Zigtausende erlebten administrative und polizeiliche Schikanen, hohe Geldstrafen, körperliche und verbale Gewalt.
Demokratisierungspolitik seit 1985
Erst die Liberalisierung der sowjetischen Gesellschaft seit 1985 im Zuge von Glasnost und Perestroika weckte Hoffnungen auf eine gerechte Lösung der "russlanddeutschen Frage". Auf dem Weg zur Überwindung der totalitären Vergangenheit galten die Erklärung des Obersten Sowjets der UdSSR vom 14. November 1989 "Über die Bewertung der Repressionsakte gegen Völker, die gewaltsam umgesiedelt wurden, als ungesetzlich und verbrecherisch und über die Wahrung der Rechte dieser Völker" und das Gesetz der Russländischen Föderation vom 26. April 1991 "Über die Rehabilitierung der repressierten Völker" als wichtigste Meilensteine. Darin wurden alle Maßnahmen des stalinistischen Regimes gegenüber den deportierten Völkern, die "dem Genozid und verleumderischen Angriffen ausgesetzt worden waren", für "ungesetzlich und verbrecherisch" erklärt. Den Betroffenen stand damit unter anderem das Recht "auf die Wiederherstellung der territorialen Integrität" zu.
Leider konnte sich auch die russländische Staatsführung, ähnlich wie zuvor die Unionsregierung, nicht zu einer rechtsstaatlichen Lösung des inneren deutschen Problems durchringen. Die meisten Vertreter dieser marginalisierten Volksgruppe waren schließlich nicht mehr bereit, ihren Status als Personen minderen Rechts auch nach dem Zerfall der UdSSR widerspruchslos hinzunehmen und siedelten in die Bundesrepublik über. Zu diesem Entschluss haben auch eine wachsende Islamisierung, interethnische Konflikte, weit verbreitete Korruption und Tribalismus in den zentralasiatischen Staaten beigetragen, wo zuletzt (1989) mehr als die Hälfte der Betroffenen wohnhaft war.
Anette Krämer: Islam in Zentralasien: Blüte, Unterdrückung, Instrumentalisierung, S. 53-76;
Andreas Heinemann-Grüder, Holger Haberstock: Sultan, Klan und Patronage. Regimedilemma in Zentralasien, S. 121-138;
Beate Eschment: Elitenrekrutierung in Kasachstan. Nationalität, Klan, Region, Generation, S. 175-193;
Gunda Wegmann: Staatsversagen in Tadschikistan. Lokales Regieren nach dem Bürgerkrieg, S. 225-235;
Sebastien Peyrouse: Rückkehr und Aufbruch. Zentralasiatische Migrationsströme, S.245-255.
Übersiedlung nach Deutschland
Mittlerweile befinden sich im wiedervereinigten Deutschland ca. 2,5 Mio. Bürger russlanddeutscher Herkunft (andersethnische Familienmitglieder inbegriffen) verschiedener Generationen; 0,6 Mio. halten sich noch in den Ländern der GUS auf. Blickt man in periodisch erscheinende Medien wie die nationalen Zeitungen in Russland und Kasachstan oder das russlanddeutsche Medium "Volk auf dem Weg", zeigen sich folgende Motivationen: Die meisten Russlanddeutschen kamen, um gleichberechtigt als Deutsche in einem freiheitlich und demokratisch verfassten Nationalstaat mit einer sozial- und marktwirtschaftlichen Ordnung leben zu dürfen. Sie hofften auf ein Leben in einem stabilen Rechtsstaat mit verlässlichen Institutionen, mit einem sicheren und gewaltfreien Alltag, im christlich geprägten Umfeld, kurzum, mit Zukunftsperspektiven für sich und vor allem für ihre Nachkommen. Auswertungen von Erinnerungswerken und Zeitzeugenberichte unterstützen diese Annahme.
Dazu waren die meisten Betroffenen der ersten Generation bereit, sich in die Aufnahmegesellschaft einzuordnen, harte Arbeit – oft unter ihrer persönlichen Qualifikation – zu verrichten und weitere persönliche Entbehrungen und Einschränkungen hinzunehmen. Gesetzliche Restriktionen wie etwa die Obergrenze für die Aufnahme von Spätaussiedlern, hohe Hürden für den Nachzug der Hinterbliebenen, Residenzpflicht, Sprachtest und die wohl entschiedenste Einschränkung, dass die nach 1992 Geborenen nicht mehr "aus eigenem Recht das Aufnahmeverfahren einleiten" können, wurden zumindest ohne wahrnehmbaren Protest hingenommen. Das waren übrigens alles Punkte, die es im einschlägigen Paragraphen 116, Abs. 1 des Grundgesetzes nicht gibt.
Ihre gesellschaftliche Akzeptanz war nie unumstritten, mediale Berichterstattung zeichnete sich oft empathielos und vorurteilsverhaftet, nicht wenige Befunde von Kriminologen, Migrationsforschern oder Soziologen waren mit düsteren Prognosen und Vorhersagen behaftet, was das Einleben und die Zukunft dieser Menschen in der bundesdeutschen Gesellschaft angeht.
Befremdlich wirkten auf die russlanddeutschen Bundesbürger eine – gewiss bedingt durch historische Nachlassenschaften des NS-Regimes – dezidiert ablehnende Haltung von Seiten des links-liberalen bundesdeutschen Milieus.
Aus: Dorothee Wierling:Externer Link: Deutsche aus Russland - Russen in Deutschland. Ein erfahrungsgeschichtlicher Blick auf Russlanddeutsche in der Bundesrepublik, in: Zeitgeschichte in Hamburg 2007. Hamburg 2008, S. 12-26, hier S. 23-24.
Stark irritiert war man von populistischen Attacken etwa im Wahlkampf des Jahres 1996, womit Teile der SPD, angeführt von dem damaligen Partei-Vorsitzenden Oskar Lafontaine, mit der Stimmungsmache gegen die Aussiedler die wichtige Landtagswahl in Baden-Württemberg zu gewinnen suchten. Wörtlich sagte er zu diesem Sachverhalt in einer Aussprache im Saarländischen Parlament am 6. März 1996 u.a.:
Was die "letzten Jahre" und "über zwei Millionen Aussiedler" aus der Rede von O. Lafontaine betrifft, so stimmt das insofern, wenn man unter der Periode die letzten zehn Jahre berücksichtigt: Statistisch gesehen sind im Verlauf von diesen zehn Jahren (1986-1995) in der Tat 2 Mio. 210.049 Personen als (Spät)Aussiedler nach Deutschland eingetroffen, wobei in den letzten fünf Jahren (1991-95) es insgesamt 1 Mio. 111.937 Personen waren. Danach gingen die Zahlen kontinuierlich zurück: im Jahr 2000 waren es 95.615 und 2006 gerade mal 7.747 Personen, die als Spätaussiedler aufgenommen wurden.
QuellentextOskar Lafontaine im Saarländischen Parlament am 6. März 1996
Sie [CDU/CSU – V.K.] haben die Aussiedlerinnen und Aussiedler über Jahre zu einer bevorzugten Einwanderungsgruppe erklärt, weil Sie an der völkischen Ideologie festhalten, die wir nicht für richtig halten… Wir haben in den letzten Jahren eine Zuwanderung von mehr als zwei Millionen Aussiedlerinnen und Aussiedlern gehabt, und das sind mehr als eine Million Erwerbspersonen. … Diejenigen, die betroffen sind – ich sage es hier noch einmal ganz klar – sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den niederen Lohngruppen, sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die es eben gerade aufgrund ihrer geringen Qualifikation schwer haben, einen Arbeitsplatz zu finden, sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die es aufgrund ihres geringen Einkommens schwer haben, eine preiswerte Wohnung zu finden. Ich bin nicht bereit, diesen Personenkreis aus unserer Betrachtung auszuschließen, wenn wir über Integration reden.
Trotz all dieser Widrigkeiten scheinen sich die Russlanddeutschen gut integriert zu haben, wie mehrere Studien um die 2010er Jahre
In letzter Zeit lösen Euro-, Russland-, Ukraine- und Flüchtlingskrise in Teilen der Erlebnisgeneration der übergesiedelten Russlanddeutschen wachsendes Unbehagen und Unruhe aus. Hier spielen viele Faktoren mit, die zum einen auf etliche gesamtgesellschaftliche Phänomene in Deutschland zurückzuführen sind und zum anderen einige spezifische, nur für die betroffene Bevölkerungsgruppe relevante Sachverhalte aufweisen. Es bedarf noch eingehender Untersuchungen, um sicher über die Ursachen und Folgen der wachsenden politischen Mobilisierung in diesem Milieu urteilen zu können.