Seit 2011 sind mehr als vier Millionen Syrer vor dem syrischen Bürgerkrieg in eines der benachbarten Länder –
Entwicklung der Fluchtzuwanderung
Die ersten syrischen Flüchtlinge trafen im April 2011 in der an Syrien grenzenden Provinz Hatay ein. Bis Ende 2011 wurden in der Türkei 8.000 syrische Flüchtlinge registriert, bis April 2012 waren es rund 25.000 und Ende 2012 lebten 170.912 registrierte syrische Flüchtlinge im Land. 2013 nahm die Fluchtzuwanderung aus Syrien deutlich zu. Die türkischen Behörden registrierten monatlich durchschnittlich 40.000 Neuankömmlinge.
Rechtlicher Rahmen
Seit 2011 verfolgt die Türkei eine Politik der "offenen Tür" für syrische Flüchtlinge. Ursprünglich betrachtete die Regierung geflohene Syrer als "Gäste"; im Oktober 2011 rief sie dann die Politik des "temporären Schutzes" ins Leben, um der wachsenden Fluchtzuwanderung zu begegnen. Die Türkei zählt zu den Unterzeichnerstaaten der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 und dem ergänzenden Protokoll von 1967 über die Rechtsstellung von Flüchtlingen. Allerdings hält die Türkei an einem geografischen Vorbehalt fest, der den Geltungsbereich der Genfer Flüchtlingskonvention auf anerkannte Flüchtlinge und Asylsuchende beschränkt, die aus einem europäischen Land stammen. Syrer sind daher von der in der Genfer Konvention vorgesehenen Form des Flüchtlingsschutzes ausgeschlossen. Ihnen wird stattdessen nur temporärer Schutz gewährt (für Details zur türkischen Flüchtlingspolitik siehe den
Syrische Flüchtlinge in städtischen Gebieten
Aufgrund der steigenden Zahl syrischer Flüchtlinge in städtischen Gebieten der Türkei, wächst in der türkischen Bevölkerung die Besorgnis über eine dauerhafte Anwesenheit syrischer Flüchtlinge sowie ihre Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit. Die einheimische Bevölkerung sorgt sich um die wirtschaftliche Situation des Landes. Seit Frühjahr 2014 hat die anti-syrische Stimmung in fast allen Städten der Türkei zugenommen. In vielen Städten verdrängt die lokale Bevölkerung syrische Flüchtlinge durch rassistische Diskriminierung und körperliche Übergriffe aus dem öffentlichen Raum. Viele türkische Staatsangehörige, insbesondere die arme Bevölkerung der Türkei, sind der Meinung, dass die Regierung sich besser um syrische Flüchtlinge als um die eigenen Landsleute kümmere. Zudem meinen sie, dass syrische Flüchtlinge ihnen die Arbeitsplätze wegnähmen, sie Diebe, Bettler und Kriminelle sowie kulturell anderes seien, was zu sozialen Spannungen beitrage. Solche Haltungen legitimieren ausländerfeindliche und rassistische Diskurse. Wie auch in vielen europäischen Ländern sind Formen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit eng mit der wirtschaftlichen Situation verknüpft.
Seit ihrer Ankunft in der Türkei haben sich die Lebensbedingungen von syrischen Flüchtlingen verschlechtert. Insbesondere Syrer, die in städtischen Gebieten leben, sind mit größeren Herausforderungen konfrontiert als diejenigen, die in den Flüchtlingslagern untergebracht sind. Die Unterbringung und der Zugang zu Nahrungsmitteln, Bildung, Gesundheitsversorgung und Arbeit ist schwieriger geworden, da in Städten lebende Flüchtlinge kaum staatliche Unterstützung erhalten. Die Unterbringung muss von ihnen selbst finanziert werden. Allerdings besagt die Richtlinie zum temporären Schutz, dass jeder syrische Flüchtling freien und umfassenden Zugang zur grundlegenden öffentlichen Gesundheitsversorgung hat und der Staat zahlt einen Teil der Arzneimittelkosten.
Nach Angaben eines 2015 veröffentlichten Berichts der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch gehen in der Türkei mehr als 400.000 syrische Flüchtlingskinder nicht zur Schule. Im Bericht heißt es, dass die Regierung zwar im September 2014 wichtige Schritte unternommen hat, die syrischen Kindern Zugang zu staatlichen Schulen gewährleisten – dazu zählen die Aufhebung der Bedingung, bei der Schulanmeldung eine Aufenthaltserlaubnis vorlegen zu müssen, und die Akkreditierung von temporären Bildungszentren, die nach einem Lehrplan unterrichten, der vom Bildungsministerium der syrischen Exilregierung genehmigt worden ist. Sprachbarrieren, Fragen der sozialen Integration, wirtschaftliche Not und ein Mangel an Informationen über diese Politik seien jedoch Schlüsselhindernisse beim Zugang zu Bildung.
Seit Januar 2016 erlaubt die Türkei Syrern, einer legalen Beschäftigung nachzugehen, wenn sie eine Arbeitsgenehmigung beantragen und diese auch erhalten. Flüchtlinge, die als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft oder in der Viehzucht arbeiten, sind von der Verpflichtung ausgenommen, eine Arbeitserlaubnis vorlegen zu müssen. Anträge auf die Erteilung einer Arbeitsgenehmigung für Berufe, die ausschließlich türkischen Staatsangehörigen vorbehalten sind (z.B. Arbeit als Richter), werden nicht bearbeitet. Medizinisches Personal muss zunächst eine Vorabgenehmigung des Gesundheitsministeriums einholen, um eine Arbeitserlaubnis zu erhalten; Personal im akademischen Bereich muss eine solche Vorabgenehmigung vom türkischen Hochschulrat (YÖK) einholen.
Viele syrische Flüchtlinge machen sich auf den Weg nach Europa, weil sie in der Türkei nur einen eingeschränkten Rechtsstatus und mangelnden Zugang zu legalen Rechten haben und die Hoffnung verlieren, nach Syrien zurückkehren zu können. Interviews im Kontext des Forschungsprojekts der Autorin zu den Lebensbedingungen syrischer Flüchtlinge, die außerhalb der offiziellen Flüchtlingslager leben und von ihr zwischen Januar und September 2015 in den Städten Istanbul, Ankara, Izmir, Gaziantep, Kilis, Antakya, Sanliurfa und Mardin geführt wurden, zeigen die größten Herausforderungen mit denen syrische Flüchtlinge in der Türkei konfrontiert sind. Zu diesen zählen: ein mangelnder Rechtsstatus, der Zwang, wegen mangelnder legaler Beschäftigungsmöglichkeiten im informellen Sektor arbeiten zu müssen, hohe Mietpreise, gesellschaftliche Marginalisierung und Ausschluss von zentralen Gesellschaftsbereichen sowie eingeschränkter Zugang zu Bildung und Gesundheitsversorgung. Zusammengefasst sehen viele Syrer in der Türkei keine Zukunft für sich. Die Migration nach Europa scheint aus praktischen Gründen wie dem Zugang zu Arbeit, Unterkunft, Bildung und wohlfahrtsstaatlichen Leistungen erstrebenswert.
Nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration (IOM) erreichten im Jahr 2015 mehr als 1.011.700 (Zwangs-)Migranten Europa über den Seeweg; fast 3.000
Der jüngste Zuzug syrischer Flüchtlinge in die Türkei macht deutlich, dass die Türkei die Fluchtzuwanderung nicht alleine bewältigen kann, sondern dass zahlreiche syrische Flüchtlinge in die EU-Mitgliedstaaten und andere Länder umgesiedelt werden sollten. Am 4.
Übersetzung aus dem Englischen: Vera Hanewinkel
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