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Der Lebensborn e.V. und die Zwangsverschleppung "wiedereindeutschungsfähiger Kinder" | Kinder- und Jugendmigration | bpb.de

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Der Lebensborn e.V. und die Zwangsverschleppung "wiedereindeutschungsfähiger Kinder"

Isabel Heinemann

/ 3 Minuten zu lesen

Am 12. Dezember 1935 wurde der Lebensborn e.V. als SS-Verein vom Reichsführer SS Heinrich Himmler als Instrument der nationalsozialistischen Rassen- und Bevölkerungspolitik gegründet.

Schlafsaal mit Säuglingsbettchen im Lebensborn-Entbindungsheim Steinhoering (Oberbayern). Primäres Ziel von Lebensborn war zunächst die Unterstützung "rassisch und erbbiologisch wertvoller" lediger Mütter und ihrer Kinder. (© picture-alliance/akg)

Primäres Ziel war zunächst die Unterstützung "rassisch und erbbiologisch wertvoller" lediger Mütter und ihrer Kinder – in gezielter Erweiterung der ansonsten auf Ehe und Familie ausgerichteten SS-Ideologie. Zugleich sollten so Abtreibungen verhindert und die Geburtenrate gesteigert werden. Unter der Aufsicht des Lebensborn wurden zunächst im Reich mehrere Entbindungsheime eingerichtet, in denen unverheiratete Frauen entbinden konnten, bei Bedarf auch heimlich. Einzige Bedingung war der "Rassewert" der Mutter, des Vaters und des erwarteten Kindes – festgestellt durch die Rasseexperten der SS aus dem Rasse- und Siedlungshauptamt (RuSHA-SS). Dafür erhielten die Frauen und ihre Kinder finanzielle Unterstützung, bei Ledigen übernahm der Lebensborn e.V. zudem die Vormundschaft und organisierte bei Bedarf die Adoption des Kindes. Im Laufe des Zweiten Weltkrieges wurde der Verein jedoch immer mehr zur Drehscheibe eines bevölkerungspolitischen Programms: der Zwangsverschleppung und Zwangsgermanisierung nicht-deutscher Kinder. Hierbei ging es Heinrich Himmler darum, "alles rassisch wertvolle Blut zur Stärkung unseres eigenen Volkstums" einzusetzen und die besetzten Länder durch Wegnahme ihrer "rassischen" Elite zusätzlich zu schwächen.

Folker Heinecke sucht in den Unterlagen des Internationalen Suchdiensts des Roten Kreuzes nach seiner Identität. Heineke wurde als Kind verschleppt und wuchs in einem Lebensborn-Heim auf. (© picture-alliance/dpa, Report)

Im Nationalsozialismus wurden schätzungsweise 50.000 nicht-deutsche Kinder zur Zwangsgermanisierung – respektive "Wiedereindeutschung", wie es in den Quellen hieß – ins Reich und in die annektierten Gebiete gebracht. SS-Angehörige entrissen sie ihren Eltern, Familien und Angehörigen, raubten sie aus Kinderheimen und Pflegefamilien. In SS-Kinderheimen in den besetzten Regionen erhielten sie deutsche Namen und mussten Deutsch lernen. Nach einer solchen Übergangsphase wurden die Kinder deutschen Ehepaaren zur Adoption als "volksdeutsche Waisenkinder" angeboten – unter gezielter Verschleierung ihrer Herkunft. Der Lebensborn e.V. war die Organisationszentrale dieses Programms, unterhielt er doch die Kinderheime in den von Deutschland besetzten Gebieten, über welche die Registrierung und der Transfer der Kinder abgewickelt wurden.

Die Erfassung "wiedereindeutschungsfähiger Kinder" begann im annektierten Polen (im "Warthegau"), wurde dann aber rasch auf das Generalgouvernement ausgedehnt. Bald kamen Kinder aus Weißrussland und der Ukraine dazu. Auch Kinder aus Tschechien und Slowenien, deren Eltern als "Partisanen" von den Deutschen getötet oder inhaftiert worden waren, kamen über die Kinderheime des Lebensborn in deutsche Familien. Einen Sonderfall stellten die Kinder deutscher Soldaten und "germanischer" Mütter in den Benelux-Ländern und vor allem in Norwegen dar. Hier betreute der Lebensborn in seinen Heimen zumeist Kinder und Mütter gemeinsam. Letztere sollten die Chance erhalten, den Kindsvater später zu heiraten, damit das Kind als "deutsches Kind" aufwachsen konnte – natürlich nur, wenn sie selbst und das Kind als "gutrassig" galten.

Nach 1945 standen der Lebensborn e.V. und die Politik der Kinderzwangsverschleppung zwar im Fokus des achten sogenannten "Interner Link: Nürnberger Nachfolgeprozesses" 1947 bis 1948. Doch die amerikanischen Militärrichter entschieden sich dafür, den Lebensborn e.V. als eine reine Fürsorgeinstitution zu betrachten – eine katastrophale Fehleinschätzung. In den ersten Nachkriegsjahren bemühte sich vor allem der International Tracing Service der Alliierten (ITS, heute Sitz in Bad Arolsen), die Schicksale der in Deutschland befindlichen nicht-deutschen Kinder zu klären. Für die Betroffenen blieb jedoch oftmals eine lebenslange Leerstelle: Viele Lebenswege der Zwangsgermanisierten ließen sich mangels Quellen und vertuschter Herkunft nicht rekonstruieren.

Fussnoten

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Dr. Isabel Heinemann ist Juniorprofessorin für Neuere und Neueste Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Sie hat über das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas promoviert. Weitere Forschungen analysieren Zwangsarbeit, Umsiedlungsplanung und die Kategorie Familie im Nationalsozialismus.