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'Russische' Supermärkte und Restaurants in Deutschland | Russlanddeutsche und andere postsozialistische Migranten | bpb.de

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'Russische' Supermärkte und Restaurants in Deutschland

Anna Flack

/ 7 Minuten zu lesen

Sind 'russische' Supermärkte und Restaurants ethnische Enklaven, in denen sich Russlanddeutsche und andere postsowjetische Migranten abgrenzen? Oder leisten solche migrantische Unternehmen einen Beitrag zur ökonomischen und soziokulturellen Teilhabe?

Ältere Dame an der Fleischtheke in einem 'russischen' Supermarkt in Berlin. Solche Supermärkte sind oft auch Treffpunkte für Russlanddeutsche. (© dpa, Report)

"Fremdes Essen" ist seit den 1960er Jahren aus der kulinarischen Landschaft Deutschlands nicht mehr wegzudenken. Überall finden sich 'italienische' Eisdielen, 'türkische' Dönerimbisse, 'griechische' Tavernen, 'China'-Restaurants, 'Asia Shops' und weitere entsprechend ethnisch markierte Gastronomiebetriebe und Lebensmittelgeschäfte. Im Vergleich dazu werden 'russische' Restaurants und Lebensmittelgeschäfte in der Öffentlichkeit weniger wahrgenommen. Das mag zum einen daran liegen, dass Migrantinnen und Migranten aus dem postsowjetischen Raum noch nicht so lange in Deutschland leben wie andere Herkunftsgruppen. Infolge der Zuwanderung der als "Interner Link: Gastarbeiter" bezeichneten ausländischen Arbeitskräfte in den 1950er und 1960er Jahren erfuhren Speiselokale mit süd(ost)europäischer Küche einen bis heute andauernden Boom. Den Anfang der asiatischen Gastronomie in Deutschland machten 'chinesische' Restaurants in den 1960er Jahren. Gezielt kamen (ausgebildete) chinesische Gastronomen zwecks Eröffnung eines Restaurants in die Bundesrepublik. Interner Link: Russlanddeutsche wanderten demgegenüber erst Ende der 1980er und vor allem in den 1990er Jahren als Interner Link: (Spät-)Aussiedler in großer Zahl ein.

Zum anderen kennen viele Deutsche die Herkunftsländer der "Gastarbeiter" als Urlaubsdestinationen am Mittelmeer, und auch Asien ist ein relativ beliebtes Urlaubsziel. Russland (und erst recht andere Nachfolgestaaten der Sowjetunion) ist hingegen weitgehend unbekannt. Noch immer wird es mit dem Interner Link: Kalten Krieg assoziiert und ist gegenwärtig Interner Link: regelmäßig Gegenstand politischer Negativschlagzeilen. Mit den anderen, vor allem zentralasiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion wie Kirgistan oder Tadschikistan haben "Einheimische" meist gar keine Assoziationen.

Die geringe Vertrautheit mit der 'russischen Küche' erklärt auch die vergleichsweise niedrige Anzahl an 'russischen' Restaurants gegenüber entsprechenden Supermärkten in Deutschland. Bei anderen migrantengeführten Unternehmen ist es umgekehrt: Gegenüber dem Lebensmitteleinzelhandel dominiert die Gastronomie. Hier wirken sich sicherlich auch die im Vergleich zu "Einheimischen" häufig geringeren finanziellen Möglichkeiten von Russlanddeutschen auf deren Restaurantbesuche aus. Die folgenden Ausführungen beziehen sich daher in erster Linie auf 'russische' Supermärkte. Gelegentlich wird ein Streiflicht auf Restaurants geworfen.

Ökonomische Motive für ethnisches Unternehmertum

Auf zweierlei Weise sind ökonomische Faktoren für die Existenz 'russischer' Geschäfte in Deutschland ausschlaggebend. Erstens geben Kundinnen und Kunden häufig an, neben dem speziellen Sortiment auch wegen teilweise günstigerer Lebensmittelpreise im 'russischen' Supermarkt einzukaufen. Außerdem füllen migrantische Unternehmen mittels russischsprachiger Bedienung und dem Angebot vertrauter Speisen eine ethnische Nische, die kommerziell ausgeschöpft werden kann. Die Nachfrage nach solchen Läden ermöglicht also deren Existenz. Zweitens bietet eine Tätigkeit als selbstständiger Unternehmer eine berufliche Perspektive für von Arbeitslosigkeit bedrohte Russlanddeutsche. In vielen Fällen wurden Berufsabschlüsse von russlanddeutschen Frauen und Männern in Deutschland Interner Link: nicht anerkannt, weil sie nicht als gleichwertig mit einem in Deutschland erworbenen Abschluss galten. Dies stellt(e) für viele von ihnen eine nicht zu unterschätzende Hürde bei der Integration in den Arbeitsmarkt dar.

'Russische' Supermärkte sind nicht immer auf den ersten Blick als solche erkennbar. Geschäftsnamen wie "Mix Markt", "Stern", "Absolut" oder der Familienname des Geschäftsinhabers weisen nicht eindeutig auf das 'russische' Sortiment hin. Bezeichnungen wie "Katjuscha", "Kalinka", "Nadeschda", "Artur", "Gastronom", "Universam", "Arbat", "Altai", "Moskau" und vielfach "Russische Spezialitäten" sind einschlägiger. Ähnliche Beobachtungen können bei anderen migrantischen Läden gemacht werden: z.B. "Istanbul", "Orient Feinkost", "Asia Supermarkt", aber auch "City Markt". Während die Geschäftsnamen in Deutschland selten in kyrillischer Schrift auftreten, wird z.B. in Israel von eingewanderten (post-)sowjetischen Juden selbstbewusst und selbstverständlich ein Anderssein vertreten. Dort machen Russischsprachige 20 Prozent der Bevölkerung aus – in Interner Link: Deutschland max. drei Prozent.

Die in deutscher Sprache bzw. lateinischer Schrift gehaltenen Bezeichnungen sind nicht allein der dominanten Stellung des Deutschen in der Öffentlichkeit geschuldet. Sie zeugen zudem von der Orientierung an weiteren Konsumentengruppen. So ist in diesem Beitrag stets von 'russischen' Supermärkten in Anführungszeichen die Rede, weil das Sortiment zum einen selten nur 'russische', sondern in der Regel Produkte aus dem gesamten postsowjetischen Raum umfasst, darunter auch aus zentralasiatischen Ländern. Zum zweiten werden meist zusätzlich 'polnische', 'griechische' und 'türkische' Waren feilgeboten, um eine breitere (migrantische) Kundschaft anzusprechen. Zum dritten wollen Restaurant- und Supermarktbetreiber auch "Einheimische" mit ihrem Angebot überzeugen, um ihren Gewinn zu maximieren. Dafür sind deutschsprachige Namen und Etiketten notwendig. Zugleich spielt aber auch Exotik eine Rolle. Im Sinne einer Erlebnisgastronomie erwarten viele Kundinnen und Kunden im migrantischen Supermarkt und Restaurant eine "authentische" Atmosphäre. Vor diesem Hintergrund wird von einem Teil der Unternehmerinnen und Unternehmer eine Strategie der Interner Link: Selbst-Ethnisierung bzw. Selbst-Exotisierung verfolgt. Diese kann sich z.B. im Mobiliar oder der im Hintergrund laufenden Musik widerspiegeln. Daneben gibt es Kunden, die trotz der Exotik im 'russischen' Supermarkt vorwiegend nicht ethnisch markierte Produkte wie Brot oder Milch, d.h. Grundnahrungsmittel, einkaufen. Der 'ethnische' Supermarkt ist somit vielfach in erster Linie ein Stadtteilsupermarkt.

Soziale Motive für ethnischen Konsum

Spätestens seit dem "Interner Link: Fall Lisa", welcher die Russlanddeutschen wieder in den Fokus des öffentlichen Interesses brachte, findet der 'russische' Supermarkt immer dann in den Medien Erwähnung, wenn es darum geht, russlanddeutsche Interviewpartner zu finden. Das betont eine vermeintliche Fremdheit der Russlanddeutschen gegenüber "einheimischen" Deutschen. Zudem wird daran ersichtlich, dass solche Supermärkte Treffpunkte speziell für Russlanddeutsche sind.

Ethnisch markierte Lebensmittelgeschäfte und Speiselokale sind Orte, an denen soziale Kontakte insbesondere in der Eigengruppe geknüpft und aufrechterhalten werden können. Im 'russischen' Supermarkt können Russlanddeutsche miteinander und mit anderen postsowjetischen Migrantinnen und Migranten z.B. russischsprachige Ärzte in Erfahrung bringen, sich über (russische) Filme und Bücher, aber auch Neuigkeiten, Anekdoten oder geteilte Erfahrungen austauschen – unabhängig in welcher Sprache. So sind 'russische' Supermärkte und Restaurants in der Regel von Zugewanderten und ihren Nachkommen geschaffene öffentliche Räume für Menschen mit Migrationshintergrund. Diese Mikrokosmen sollen nicht nur zum Einkauf bzw. Verzehr einladen, sondern darüber hinaus Gemütlichkeit, Sicherheit und zum Teil sogar Heimatgefühle vermitteln.

Emotionales Bedürfnis nach ethnischem Konsum

Migrations- und Integrationsprozesse können mit Momenten einhergehen, in denen sich Zugewanderte fremd fühlen. In solchen Augenblicken kann der Verzehr von aus dem Herkunftsland bekannten Lebensmitteln wie Plombir-Eis oder Pel’meni , der Erwerb des sowjetischen Filmklassikers "Ironie des Schicksals" oder die Bedienung durch eine ebenfalls in der Sowjetunion sozialisierte Person in der (oft besser beherrschten oder so empfundenen) russischen Sprache tröstlich wirken. All diese Dinge können helfen, sich seiner selbst zu vergewissern und emotionale Sicherheit zu stiften. Durch den Konsum von aus dem Herkunftsland stammenden Produkten können die empfundene Entfremdung und Heimatlosigkeit verringert, das verlassene Zuhause vergegenwärtigt oder einfach russische Identitätsanteile ausgelebt werden. Der Geschmack eines vertrauten Gerichts oder Lebensmittels vermag es, Erinnerungen an vergangene Situationen aufzurufen, in denen sich die Person als handlungsfähig, kompetent und respektiert wahrgenommen hat. Solche Erinnerungen sind wertvolle Ressourcen, um die mit einer Migrationssituation einhergehenden Probleme und Gefühle zu bewältigen.

Nichts Anderes ist es, wenn Deutsche im Auslandsurlaub nach Lokalitäten suchen, die Schnitzel mit Pommes frites und deutsches Bier anbieten oder wenn Touristinnen und Touristen beliebiger Herkunft im Ausland einen McDonald’s aufsuchen, statt die "einheimische", ihnen fremde Gastronomie zu erkunden. Essen und Trinken sind nicht nur menschliche Grundbedürfnisse. Was wir essen und trinken und was uns schmeckt, hängt in großem Maße von unserer Sozialisation ab. Der Verzehr vertrauter Speisen und Getränke trägt somit zur Bewältigung des Fremden bei und stabilisiert die eigene Identität.

Daneben kann ein 'russischer' Supermarkt oder ein Restaurant aus nostalgischen Gründen frequentiert werden. Die entsprechenden Produkte erinnern Konsumenten an ihre Kindheit und Jugend im Sozialismus. Außerdem können sie der Demonstration eines russischen bzw. sowjetischen, deutsch-russischen oder transnationalen Lebensstils dienen.

Je nach Generationszugehörigkeit und dem Ausmaß an gesellschaftlicher Teilhabe sind die emotionalen Bedürfnisse unterschiedlich motiviert und ausgeprägt. Entfremdung, Statusunsicherheit, Sehnsucht nach der verlassenen Interner Link: Heimat, Patriotismus, Nostalgie, schöne Erinnerungen an eine gruppenspezifisch geteilte Vergangenheit, aber auch lebensstilspezifische Hintergründe können Motive für den Konsum in 'russischen' Supermärkten und Restaurants sein.

"Soul food" in der Migrationsgesellschaft

Der "Geschmackskonservatismus" (Ulrich Tolksdorf), d.h. die Beharrung auf mitgebrachten Ernährungsgewohnheiten, kann ein Zeichen mangelnder Integration und Teilhabe sein – muss es aber nicht zwangsläufig. Wenn Russlanddeutsche und andere Zugewandertengruppen an ihren heimatlichen Speisen festhalten, sagt das nicht automatisch etwas über das Zusammenleben von einheimischen Deutschen, Nicht-Deutschen und Deutschen mit Migrationshintergrund aus. Anders herum kann aus einer Begeisterung für ausländische Speisen und Waren vonseiten einheimischer Deutscher nicht zwangsläufig auf eine größere Offenheit gegenüber und Integrationsbereitschaft der Zugewanderten geschlossen werden. Russlanddeutsche können seit Jahrzehnten in Deutschland leben, sich beruflich und sozial zugehörig fühlen und "trotzdem" regelmäßig Borschtsch und Pel’meni essen.

Tendenziell werden im Laufe der Zeit immer weniger Speisen und Getränke mit der "alten Heimat" verknüpft. Dafür erhalten die beibehaltenen Gerichte eine symbolische Aufwertung. Ehemalige Alltagsspeisen können dadurch zu Spezialitäten werden. Dabei kommt es darauf an, dass sie als "typische Spezialität" bekannt sind. So bezeichnet der Volkskundler Konrad Köstlin schwäbische Maultaschen als regionale Kultspeise, als "soul food". Analog können sibirische Pel’meni "soul food" sein, weil sie ebenfalls das Charakteristikum aufweisen, ein "typisches Gericht" zu sein: Sie werden nicht mehr nur noch in bestimmten, "ursprünglichen" Kontexten zubereitet, sondern sind auch in Form von Fertigprodukten (convenience food) erhältlich und somit stets verfügbar – und längst nicht mehr nur im 'russischen', sondern auch im nächstgelegenen 'deutschen' Supermarkt.

Quellen / Literatur

Bernstein, Julia (2010): Food for Thought. Transnational Contested Identities and Food Practices of Russian-Speaking Jewish Migrants in Israel and Germany. Frankfurt am Main, New York.

Hirschfelder, Gunther; Augustynek, Marta (2010): Integrationsmechanismen und Esskultur. Zur Akkulturation polnischer und moldawisch-gagausischer Migranten. In: Kalinke, Heinke M.; Roth, Klaus; Weger, Tobias (Hg.): Esskultur und kulturelle Identität. Ethnologische Nahrungsforschung im östlichen Europa. (Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, Band 40). München, S. 157-173.

Köstlin, Konrad (1991): Heimat geht durch den Magen – Oder: Das Maultaschen-Syndrom. Soul-Food in der Moderne. In: Beiträge zur Volkskunde in Baden-Württemberg 4/1991, S. 147-164.

Möhring, Maren (2012): Fremdes Essen. Die Geschichte der ausländischen Gastronomie in der Bundesrepublik Deutschland. München.

Parzer, Michael; Astleithner Franz; Rieder, Irene (2016): Deliciously Exotic? Immigrant Grocery Shops and Their Non-Migrant Clientele. In: International Review of Social Research 6°(1), S. 26-34.

Römhild, Regina (2007): Fremdzuschreibungen – Selbstpositionierungen. Die Praxis der Ethnisierung im Alltag der Einwanderungsgesellschaft. In: B. Schmidt-Lauber (Hg.): Ethnizität und Migration. Einführung in Wissenschaft und Arbeitsfelder, Reimer Kulturwissenschaften, Berlin, S. 157-177.

Tolksdorf, Ulrich (1978): Essen und Trinken in alter und neuer Heimat. In: Jahrbuch für ostdeutsche Volkskunde 21, S. 341-364.

Trummer, Manuel (2009): Pizza, Döner, McKropolis. Entwicklungen, Erscheinungsformen und Wertewandel internationaler Gastronomie am Beispiel der Stadt Regensburg. (Regensburger Schriften zur Volkskunde/Vergleichenden Kulturwissenschaft, Band 19). Münster u.a.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Kleine, mit Hackfleisch gefüllte, gekochte Teigtaschen.

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Anna Flack ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Juniorprofessur für "Migration und Integration der Russlanddeutschen" am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück. Sie promoviert über Ernährung als Indikator von Zugehörigkeiten von remigrierten und nicht-ausgesiedelten Russlanddeutschen in Westsibirien.