Das Interesse an der Thematik Umweltwandel und seine Auswirkungen auf Migration und Flucht ist nicht neu. Bereits in den 1970er und 1980er Jahren galten im Zuge eines steigenden gesellschaftlichen Bewusstseins für Umweltfragen "Umweltflüchtlinge" als Indikator für die Unbewohnbarkeit bestimmter Weltregionen. Mit dem zunehmenden Wissen über den anthropogen verursachten Klimawandel seit den 1990er Jahren und dessen immer deutlicher hervortretenden und zu beobachtenden Auswirkungen , wurden "Klimaflüchtlinge" zur Ikone der nahenden Katastrophe. Der ehemalige Vorsitzende des Weltklimarats, Rajendra Pachauri, bezeichnete sie in einem Interview im Film Climate Refugees von Michael Nash als "das menschliche Antlitz des Klimawandels": Ihre Schicksale machten die Folgen des Klimawandels greifbar und gesellschaftlich sichtbar. Ein Blick in die Medien verdeutlicht, dass das Thema "Klimaflucht" große öffentliche Aufmerksamkeit genießt. Manche Politikerinnen und Politiker nutzen den Hinweis auf die vermeintlich zu erwartende Massenflucht aus dem Globalen Süden Richtung Globaler Norden, um etwa für mehr Klimaschutz oder mehr Entwicklungshilfe zu werben. Arbeiten an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis sowie Arbeiten von Umweltwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern liefern apokalyptische Zahlen, die immer wieder aufgegriffen werden, um auf die Dringlichkeit der Thematik hinzuweisen. Viel zitiert wird etwa die von Norman Meyers stammende Prognose, wonach bis Mitte des 21. Jahrhunderts 200 Millionen Menschen durch Umwelt- und Klimaveränderungen aus ihren Heimatorten vertrieben werden könnten. Über Umwelt- und Klimaflüchtlinge wird insbesondere im Kontext von Krisen, Konflikten und humanitären Katastrophen diskutiert. Menschliche Mobilität wird von vielen Akteurinnen und Akteuren aus Politik, Zivilgesellschaft und Medien als etwas Negatives, zu Verhinderndes und als Zeichen für gescheiterte Anpassung gesehen. Migranten und Migrantinnen werden meist als passive Opfer dargestellt. Diese Perspektive auf Umwelt- und Klimaflüchtlinge, wird von Medien, Politikern und Praktikern häufig übernommen und ist zum Großteil entkoppelt von den sozialwissenschaftlichen Erkenntnissen über die Thematik. Es besteht weitgehende Einigkeit darüber, dass den kursierenden apokalyptischen Zahlen jegliche fundierte methodische und empirische Basis fehlt und diese im besten Fall als Guestimates – grobe Schätzungen – betrachtet werden müssen. Das Verhältnis von Umwelt und Migration ist zudem komplexer als einfache umweltdeterministische Erklärungen suggerieren, die von einem direkten Einfluss von Umweltfaktoren auf Wanderungsentscheidungen ausgehen.
Erfolg oder Misserfolg – vielfältige Facetten von (Im-)Mobilität im Kontext des Klimawandels
Zahlreiche empirische Studien zeigen, dass es keinen direkten und monokausalen Zusammenhang zwischen Umwelt- bzw. Klimawandel und Migrationsentscheidungen gibt. Migration ist ein äußerst komplexes soziales Phänomen, und die Entscheidung zu wandern ist abhängig von einer Vielzahl von (sozialen, politischen und wirtschaftlichen) Faktoren. Fakt ist, dass sich der Klimawandel auf die zukünftigen Wanderungsbewegungen auswirken wird. Das wird jedoch vor allem indirekt über ökonomische, soziale und politische Impulse passieren. Ein umfassendes Verständnis von Migration im Kontext des Klimawandels kann erzielt werden, wenn Migration als Aspekt von verwundbaren bzw. resilienten Haushalten aufgefasst wird, die versuchen, ihren Lebensunterhalt – ihre livelihoods – unter Einsatz ihrer Fähigkeiten, Ressourcen und Aktivitäten zu sichern. Haushalte gelten dann als verwundbar, wenn sie externen Risiken (z.B. Dürren) ausgesetzt sind, diese aber nicht bewältigen können, weil ihnen die entsprechenden Mittel fehlen ("interne Wehrlosigkeit"). Die Analyse sozialer Resilienz legt einen stärkeren Fokus auf die Kapazitäten und die Fähigkeit von sozialen Akteuren (z.B. Individuen, Haushalte, Gemeinden: Dazu gehört, Stress zu absorbieren, Risiken zu bewältigen und sich ihnen anzupassen sowie Chancen und Möglichkeiten zu nutzen, um das eigene Wohlergehen zu erhalten bzw. zu erhöhen. Migration ist eine von vielen Aktivitäten, die auf bestimmten Fähigkeiten und Ressourcen gründet und die ein Haushalt bzw. Haushaltsmitglied nutzt, um mit Risiken umzugehen.
Ist Migration nun ein Indikator für ein Scheitern im Umgang mit Risiken oder ein Ausdruck von Stärke und Handlungsfähigkeit? Die Deutung und Bewertung von Mobilität im Kontext des Klimawandels kann sehr unterschiedlich ausfallen: Einerseits kann Migration als Indikator für einen gescheiterten Umgang mit Risiken gesehen werden. So kann eine Dürre beispielsweise zu einem kompletten Zusammenbruch eines landwirtschaftlichen Systems führen. Dies bedeutet, dass bewährte Bewältigungs- (z.B. Getreidespeicher) und Anpassungsmaßnahmen (z.B. alternative Einkommensquellen) gescheitert sind. In diesem Fall kann die unfreiwillige Migration (oder Zwangsmigration) die letzte Option zur Überlebenssicherung darstellen. Andererseits kann Migration jedoch auch als ein Zeichen für eine erfolgreiche Anpassung aufgefasst werden. So schicken manche Haushalte z.B. im Kontext einer Dürre ein Haushaltsmitglied zum Arbeiten in die Stadt. Dieses schickt dann Geld an die am Herkunftsort verbliebenen Haushaltsmitglieder, womit Ernteausfälle kompensiert werden können. In diesem Fall wird Migration also erfolgreich eingesetzt, um eine Krisensituation zu bewältigen.
In der Diskussion um die Auswirkungen des Klimawandels auf Wanderungsbewegungen gerät häufig aus dem Blick, dass nicht alle, die etwa von einer Dürre betroffen sind, migrieren müssen oder wollen. Ebenso wie Migration ist die Bewertung von Nicht-Migration, oder Immobilität, ambivalent. Einerseits kann Immobilität ein Zeichen großer Verwundbarkeit und gescheiterter Anpassung sein. Dies ist dann der Fall, wenn einem Haushalt nicht die benötigten Fähigkeiten und Ressourcen zur Verfügung stehen, um vor Umweltkatastrophen zu fliehen. Insbesondere auf arme Bevölkerungsteile trifft das häufig zu. Andererseits kann Immobilität ein Zeichen von Resilienz sein. Dies gilt für Haushalte, die Auswirkungen von Umwelteinflüssen – wie z.B. Dürren – vor Ort mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen bewältigen können. Für sie besteht dann gar nicht die Notwendigkeit, mobil sein zu müssen, um die Überlebenssicherung zu gewährleisten.
Die Ausführungen zeigen, dass weder Mobilität noch Immobilität im Kontext des Klimawandels per se als Erfolg oder Misserfolg gedeutet werden können, da die Motive für (Im-)Mobilität sehr vielfältig sind. Entscheidend ist daher vielmehr die Frage nach dem Grad der Handlungsfreiheit, die Individuen und Haushalte in ihrer Entscheidung besitzen, zu migrieren oder nicht zu migrieren.
Von Migration als Anpassung zur "translokalen Resilienz"
Die Ausführungen machen deutlich, dass Migration im Kontext des Klimawandels etwas Positives sein kann und eine Möglichkeit darstellt, erfolgreich mit Stresssituationen umzugehen. In der akademischen und politikbezogenen Debatte werden diese positiven Wirkungen von Migration auch mehr und mehr wahrgenommen und anerkannt – wobei seit der Interner Link: sogenannten Flüchtlingskrise diese Perspektive wieder ein wenig in den Hintergrund rückt. Die Potenziale von Migration im Kontext des Klimawandels werden beispielsweise von der Interner Link: Internationalen Organisation für Migration (IOM) unter dem Schlagwort "Migration als Anpassung" propagiert. Die Diskussion dreht sich dabei vor allem um die Rolle von Interner Link: Rücküberweisungen – in Form von Geldsendungen oder des Transfers von Wissen und Ideen – für Klimaanpassung und Migrationsmanagement, also der Ermöglichung und Regulierung von Migration im Kontext von Risiken. Die Diskussion über Potenziale von Migration leistet zwar einen wichtigen Beitrag, die weitverbreitete einseitige negative Sicht auf Migration auszubalancieren. Eine konzeptionelle Erweiterung dieser Perspektive, die der Komplexität der Migrationsthematik im Kontext von Umwelt- und Klimawandel gerechter wird, bietet die Vorstellung von "translokaler Resilienz".
Die Perspektive der translokalen Resilienz beginnt mit der Beobachtung, dass Migration – unabhängig von den zu erwartenden Klimaveränderungen – bereits ein weitverbreitetes globales soziales Phänomen darstellt und weiterhin eine wichtige Triebfeder des globalen Wandels sein wird. Migration ist nicht die Ausnahme, etwas Außergewöhnliches, das nur in Krisensituationen stattfindet, sondern ist bereits heute ein integraler Bestandteil der (Über-)Lebenssicherung von vielen Menschen und Haushalten weltweit. Ein umfassendes Verständnis des Verhältnisses von Umwelt und Migration erfordert daher eine Betrachtung von Mobilität im Kontext von verwundbaren livelihoods-Systemen, also Systemen zur Existenz- und Lebensunterhaltssicherung. Dabei ist ein Verständnis der alltäglichen Verwundbarkeit von Menschen von zentraler Bedeutung – nicht nur der Verwundbarkeit in Extremsituationen. Bei Migration handelt es sich zudem nicht um einen Prozess, der mit der Abreise eines Migranten oder einer Migrantin aus dem Herkunftsgebiet beginnt und mit der Ankunft im Zielgebiet endet. Migration verbindet Menschen, verändert Orte, ermöglicht dauerhaft den Austausch von Wissen und Ressourcen und schafft so einen vernetzten translokalen Raum. Es handelt sich dabei um sich intensivierende Beziehungen zwischen verschiedenen Orten. Diese stärken die Fähigkeit von Individuen und Haushalten, mit klimabezogenen Risiken umzugehen, ihr Wohlergehen zu erhalten und zu steigern.
QuellentextStärkung sozialer Resilienz durch translokale Beziehungen – ein Praxisbeispiel
Ein Beispiel für die Stärkung sozialer Resilienz durch Migration und daraus sich entwickelnden translokalen Beziehungen ist Pom, der aus einer eher armen Familie aus dem ländlichen Nordosten Thailands kommt. Mit 19 Jahren verließ er sein Heimatdorf, um in Singapur sein Geld als Vertragsarbeiter zu verdienen und blieb über 21 Jahre dort. In Singapur machte er Karriere und stieg im Laufe der Jahre vom einfachen Bauarbeiter zu einem Vorarbeiter auf, was ihm dann ermöglichte, monatlich umgerechnet 1.500 Euro an die Familie in der Heimat zu senden. Mit dem Geld kaufte er zusätzliches Land. Der Geschäftssinn, den er im Laufe der Jahre in Singapur entwickelte, trieb ihn dazu an, nach seiner Rückkehr unterschiedliche Geschäftsideen – von der Schweinefarm bis zur Karaoke-Bar – zu realisieren. Das Einkommen und die Fähigkeiten, die Pom durch die Migration verdiente bzw. erwarb, ermöglichte es ihm und seiner Familie, die Einkommensgrundlage zu diversifizieren und sich so weniger verwundbar gegenüber Umwelt- und Klimarisiken zu machen.
Ein besseres Verständnis – und damit möglicherweise auch die Stärkung – von translokaler Resilienz im Kontext des Klimawandels erfordert also nicht nur, die Bedingungen in den Herkunfts- und Zielregionen von Migrantinnen und Migranten in den Blick zu nehmen. Stattdessen bedarf es auch eines Verständnisses für die (Re-)Produktion des translokalen Raums und die Bedingungen, in denen translokale Vernetztheit resilienzstärkend wirkt.
Fazit
Es lässt sich bereits heute beobachten, wie der Klimawandel zunehmend die menschliche Sicherheit vor allem von verwundbaren Bevölkerungsgruppen im Globalen Süden bedroht. Die aus wissenschaftlichen Untersuchungen gewonnenen Erkenntnisse zum Verhältnis von Umweltwandel und Migration deuten darauf hin, dass Mobilitätsmuster beeinflusst werden und sich im Kontext des Klimawandels verändern. Dieses Verhältnis ist jedoch komplexer und vielschichtiger als es einfache Darstellungen suggerieren. Wie die Ausführungen im Kurzdossier Interner Link: Migration und Klimawandel zeigen, darf Migration nicht nur als Problem, sondern sollte auch als Teil der Lösung aufgefasst werden.
Dieser Artikel ist Teil des Kurzdossiers Interner Link: Migration und Klimawandel.