Nicht wenige Klimaexperten halten es für unausweichlich, dass sich der durch menschliches Handeln verschärfte Klimawandel früher oder später auf sämtliche Daseinsbereiche der Menschheit auswirkt. Damit wäre auch das Migrationsgeschehen vom anthropogenen Klimawandel beeinflusst. Der Bezug von Klima zu Migration ist mitunter naheliegend, wenn z. B. Pensionäre, die sich dies erlauben können, ihren Altersruhesitz in klimatisch begünstigte Gefilde
Wer sind Umwelt- oder Klimamigranten?
Die Begriffe "Umweltflüchtling" und "Klimamigrant" sind erst in den 1980er Jahren entstanden. Sie deuten an, dass die beiden Phänomene, Klima und Migration, zunehmend zusammengedacht werden. Heute wird häufiger die Bezeichnung "klimabedingte Migration" verwendet. Bis vor etwa zehn Jahren wurde vor solcherart unfreiwilliger Migration gewarnt, weil sie ein Scheitern markiert: Die Umweltmigranten sind nicht dazu in der Lage, sich vor Ort mit den Klima- und Umweltveränderungen so zu arrangieren, dass sie weiterhin selbstständig ihre Existenzgrundlage erwirtschaften können. Gleichzeitig wurde befürchtet, dass die Betroffenen ganze Staaten "überrennen" und destabilisieren könnten. Es waren vor allem Umweltexperten und NGOs, die mit möglichst hohen Zahlen erwarteter (Umwelt- oder Klima-)Migranten bzw. Flüchtlinge Öffentlichkeit und Politik alarmierten.
Solchen Zahlen ist jedoch mit Vorsicht zu begegnen. Ihnen liegt die Annahme zugrunde, dass plötzlich auftretende Naturkatastrophen (wie Überschwemmungen oder Zyklone) oder schleichende Umweltveränderungen (wie Versalzung oder fortschreitende Wüstenbildung) als alleinige Fluchtursachen identifiziert werden können. In einer sich zunehmend globalisierenden, von vielfältigen dynamischen Entwicklungen charakterisierten Welt sind Einflüsse von Umwelt- oder Klimaveränderungen im Migrationsgeschehen analytisch jedoch nicht isolierbar.
Aufgrund der Unklarheit, wer genau ein Umweltmigrant ist (und wer nicht), lassen sich keine tragfähigen Aussagen über den aktuellen, geschweige denn zukünftigen Umfang des Phänomens der umwelt- bzw. klimabedingten Migration treffen. Ernstgemeinte Zählungen wären nur anhand unumstrittener, klar definierter, abgrenzbarer und überprüfbarer Kriterien möglich. Prognosen zur in Zukunft erwartbaren Zahl der Umweltmigranten sehen sich noch weiteren – methodisch unlösbaren – Problemen gegenüber: Längst nicht jeder muss angesichts Klima- und Umweltveränderungen seinen Wohnort verlassen und sich andernorts neue Existenzmöglichkeiten suchen. Anpassungsmaßnahmen vor Ort sind durchaus denkbar. Ein einfaches Beispiel sind Pfahlbauten in Flutgebieten. Umgekehrt hat längst nicht jeder die Möglichkeit, prekären Lebensumständen zu entfliehen. So fehlen armen Bevölkerungsteilen häufig die Mittel, um überhaupt migrieren zu können. Sie sind zur Immobilität gezwungen, können sich vor Ort nur bedingt mit den dem Klimawandel zugerechneten Problemen arrangieren und sind somit weitgehend schutzlos.
Dessen ungeachtet erzielen die seit Beginn der Debatte Ende der 1980er Jahre kursierenden Zahlen immer wieder politische Wirksamkeit und ein breites mediales Echo. So heißt es in einem Beitrag der Zeitung "Die Welt" vom 21. September 2014: "Die Bundesregierung prophezeit ein düsteres Flüchtlingsszenario, wenn es in der Klimapolitik nicht gelinge, die Erderwärmung zu begrenzen. »Wir müssen mit 200 Millionen Klimaflüchtlingen rechnen«, sagte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) [gegenüber der "Welt"] und verwies auf entsprechende Warnungen von Klimaforschern. Demnach droht in Afrika eine massive Ausbreitung von Dürrezonen, außerdem könnten Hitzeperioden ungeahnten Ausmaßes entstehen. Bereits heute ist Europa kaum in der Lage, den Ansturm von Kriegs- und Armutsflüchtlingen zu bewältigen."
Migration als Anpassung an den Klimawandel
Migration wird im Kontext des Klimawandels häufig als Scheitern verstanden: Den Abwandernden ist es nicht gelungen, sich an ihrem Herkunftsort mit den Folgen des Klimawandels so zu arrangieren, dass sie weiterhin ihre Existenz sichern können. Sie werden zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen. Seit etwa zehn Jahren kursiert jedoch auch eine komplementäre Deutung: Wenn die Existenzgrundlage vieler Menschen wegen des Klimawandels zunehmend prekärer wird, dann ist klimabedingte Migration nicht das Problem, sondern vielmehr die Lösung des Problems.
Insbesondere Akteure des internationalen Migrationsmanagements wie die Internationale Organisation für Migration (IOM) betonen dabei immer wieder, dass solche Migration nicht ungeregelt vonstattengehen dürfe.
Organisierte Umsiedlungen
Neben der spontanen Migration als Anpassungsstrategie an den Klimawandel und Programmen zur gesteuerten Migration einzelner Individuen gewinnt Migration auch im Rahmen staatlicher Versuche, die Risiken des Klimawandels zu minimieren, an Bedeutung: Vereinzelt wird die Forderung erhoben, der Zerstörung ganzer Orte im globalen Süden durch den Klimawandel zuvorzukommen, indem rechtzeitig und koordiniert ganze Gemeinden umgesiedelt werden.
Prinzipiell werden vier verschiedene Szenarien organisierter Umsiedlungen diskutiert:
die Umsiedlung nach einer Naturkatastrophe
, wenn eine Rückkehr untragbar erscheint, die vorausschauende Umsiedlung aus Hochrisikogebieten, bevor es zur Katastrophe gekommen ist,
Umsiedlung als Bestandteil umfassender Anpassungsmaßnahmen, wenn etwa Deiche zum Schutz vor Überschwemmungen errichtet werden und Menschen dafür weichen müssen, und
Umsiedlung im Kontext größerer Maßnahmen zum Schutz des Klimas, etwa Aufforstung oder Anbau sogenannter Energiepflanzen.
Inzwischen stehen große Geldsummen für die Finanzierung von Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel (auch Adaptations- und Mitigationsmaßnahmen genannt) im globalen Süden zur Verfügung.
Allein im Kontext von groß angelegten Infrastruktur- und Entwicklungsvorhaben werden Schätzungen zufolge jedes Jahr weltweit rund 15 Millionen Menschen dazu gezwungen, ihre Heimat zu verlassen, etwa wegen des Baus von Staudämmen.
Wen betrifft Vertreibung und organisierte Umsiedlung mit Verweis auf den Klimawandel?
Sei es im Kontext staatlich organisierter Umsiedlungen als Anpassungsmaßnahme an den Klimawandel, sei es als Nebeneffekt von Klimaschutzinvestitionen in Plantagen mit Energiepflanzen: Es handelt sich nicht um vermögende Stadtbewohner im globalen Norden, die dazu gedrängt werden, ihren Wohnsitz zu verlassen. Vielmehr betrifft dies Menschen, die im globalen Süden am Rand der Gesellschaft leben, etwa in der ländlichen Peripherie oder im Slum am Stadtrand. Jene also, die in ihrer eigenen Gesellschaft nur schwachen Schutz genießen, die unter ungleichem Zugang zu materiellen und immateriellen Gütern leiden, die durch institutionelle Normen und vielleicht auch gesetzlich benachteiligt sind. Vielleicht sprechen sie eine andere Sprache oder folgen einer anderen Religion als die Mehrheitsgesellschaft oder sie verlassen sich auf eine besonders krisenanfällige Lebensgrundlage als Fischer oder als Nomaden.
Über ein Beispiel aus der Tana-Region in Kenia berichtet die Soziologin Jeanette Schade. Beflügelt von einer globalen Klimapolitik, die die Produktion von Energieträgern aus nachwachsenden Rohstoffen propagiert, und unterstützt von der Regierung Kenias, werden dort
Ähnlich bedenklich sind die Schilderungen der Geografen Claudia Gebauer und Martin Doevenspeck aus der Giswati-Region in Ruanda. Die international gelobte Umsiedlung von Kleinbauern war für viele der Betroffenen keineswegs freiwillig, sondern vom Militär erzwungen. Die wenigsten waren frühzeitig informiert worden, niemand von ihnen wurde am Entscheidungsprozess beteiligt. Auch im Nachhinein war für die Umgesiedelten nicht nachvollziehbar, was aus Sicht der Behörden und internationaler Organisationen Anlass und Ziel der Umsiedlung gewesen sein soll: Nach offizieller Aussage war ihr bisheriges Siedlungsgebiet nicht mehr bewohnbar, weil der Klimawandel die Niederschlagsmuster dergestalt verändert habe, dass lebensgefährliche Hangrutschungen drohten. Ziel der Umsiedlung sei es, ihr Leben sicherer zu machen angesichts der zukünftigen Auswirkungen des Klimawandels. Zudem werde die geplante Aufforstung der bisherigen Siedlungs- und Ackerfläche die Lebenssituation der Bevölkerung verbessern. Derartige Rhetorik steht in krassem Widerspruch zur Einschätzung vieler Betroffener.
Fazit
Migration kann unter Umständen eine sinnvolle Anpassungsstrategie an den Klimawandel darstellen, wenn sie hilft, die Vulnerabilität einzelner Individuen oder auch ganzer Haushalte und Gemeinschaften zu minimieren. Gleichzeitig gibt es aber auch zahllose Beispiele dafür, dass durch Migration neue Verwundbarkeiten entstehen, die ungleich massiver und bedrohlicher seien können als die überwunden geglaubten. Dies ist vielfach belegt, insbesondere für erzwungene Migrationen, Wanderungen also, die alternativlos sind.
Gleichgültig ob individuell oder kollektiv, etwa im Rahmen von Umsiedlungen: Migration sollte stets und ausschließlich freiwillig erfolgen. Im Mittelpunkt sämtlicher Überlegungen und Handlungen sollten die Rechte der Betroffenen stehen. Hierin dürfte das Hauptproblem liegen, da die Umgesiedelten oder Vertriebenen wohl stets zu denjenigen gehören, die am Rande der (Welt-)Gesellschaft leben und sich aufgrund ihrer Benachteiligung nicht vor Zumutungen wehren können. Wichtiger als Sonderrechte für eine – praktisch nicht abgrenzbare – Kategorie von "Klimaflüchtlingen" wäre wohl die konsequente Einhaltung der Menschenrechte und humanitäre Hilfe für alle, die sich einer nicht-menschenwürdigen Situation nicht aus eigener Kraft entziehen können. Dieser Herausforderung sollte sich die Weltgesellschaft stellen.