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"Heimkehrlager" in der frühen Weimarer Republik | Flüchtlingslager | bpb.de

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"Heimkehrlager" in der frühen Weimarer Republik

Jochen Oltmer

/ 5 Minuten zu lesen

Hunderttausende von sogenannten "Grenzlandvertriebenen" – Menschen, die nach dem Ersten Weltkrieg aus den abgetretenen Gebieten des Deutschen Reiches in die territorial deutlich kleinere Weimarer Republik zuwanderten – wurden seit 1920 in "Heimkehrlagern" untergebracht und notdürftig versorgt. Hintergrund waren Überlegungen einer sehr widersprüchlichen deutschen Migrationspolitik in den 1920er Jahren, die zwar einerseits glaubte, die Zuwanderung der "Grenzlandvertriebenen" mit deutscher Staatsangehörigkeit zulassen zu müssen, andererseits aber deren Abwanderung aus den abgetretenen Gebieten zu verhindern suchte.

Zimmer einer Familie in einem Heimkehrerlager für Flüchtlinge in Zossen Anfang der 20. Jahre (© Bundesarchiv)

Europa war unmittelbar nach dem Ende des Interner Link: Ersten Weltkriegs ein Kontinent der Lager. Der seit 1914 geschaffene Lagerkosmos für Millionen von Kriegs- und Zivilgefangenen, Zwangsarbeitskräften oder Flüchtlingen bestand zu einem Teil nach 1918 weiter fort – erwies sich doch die Repatriierung, also die Rückführung mancher Gruppen wegen der Kriegszerstörungen und der Bürgerkriegssituation in einigen Staaten Europas als schwierig. Alte trafen nun außerdem auf neue Lagerbewohner, denn mit dem Ende des Krieges, der Auflösung der Imperien im Osten Europas (Zarenreich, Österreich-Ungarn, Osmanisches Reich) und den Staatenbildungsprozessen in ihrer Nachfolge setzten Fluchtbewegungen, Umsiedlungen und Vertreibungen in großem Umfang ein.

Im Zuge der politischen und territorialen Veränderungen mit Kriegsende sollen in Europa Schätzungen zufolge an die zehn Millionen Menschen neue oder alte Grenzen überschritten haben. Darunter befanden sich mindestens zwei Millionen Menschen, die aus den Gebieten abwanderten, die die Verliererstaaten des Ersten Weltkriegs wegen der friedensvertraglichen Regelungen an andere Länder abtreten mussten. Das betraf auch Interner Link: Deutschland : Die Weimarer Republik nahm in den ersten Nachkriegsjahren rund eine Million Menschen auf, die zuvor in den an Frankreich , Belgien , Dänemark , Interner Link: Polen und die Tschechoslowakei abgetretenen Gebieten gelebt hatten. Die meisten kamen aus Elsass-Lothringen (150.000) und aus den neuen polnischen Westgebieten (850.000).

Die Aufnahme von Deutschen aus den nach dem Ersten Weltkrieg abgetretenen Gebieten stellte die Weimarer Republik unter erheblichen Legitimationsdruck: Deutschland sah sich zwar gezwungen, die Aufnahme der Migranten zu organisieren, weil diese über eine deutsche Staatsangehörigkeit verfügten. Zugleich aber erschien die Zuwanderung als eine erhebliche Belastung für Wirtschaft, Arbeitsmarkt und soziales Sicherungssystem in der ökonomischen und politischen Krise der unmittelbaren Nachkriegszeit des Ersten Weltkriegs. Außerdem widersprach die Abwanderung den außenpolitischen Interessen der Weimarer Republik: Ein Verbleib der Deutschen in den abgetretenen Gebieten galt als eine Zukunftsoption. Nur wenn weiterhin starke deutsche Minderheiten in den abgetretenen Gebieten lebten, schien es eine Chance auf eine Überwindung der Regelungen des Interner Link: Versailler Vertrages und eine Möglichkeit zu geben, die verlorenen Territorien wiederzugewinnen.

Dieses Dilemma der Weimarer Politik gegenüber der Zuwanderung aus den abgetretenen Gebieten führte zu einer widersprüchlichen Aufnahmepolitik: Die "Heimkehrlager" sollten zwar die Niederlassung von Deutschen aus den abgetretenen Gebieten im Reich ermöglichen und erleichtern. Sie sollten aber zugleich einen Beitrag dazu leisten, dass möglichst wenige dieser Menschen nach Deutschland kamen.

"Heimkehrlager" und die Integration einer unerwünschten Zuwandererbevölkerung

Abwanderungen aus den von den Alliierten besetzten Gebieten des Deutschen Reiches setzten bereits unmittelbar mit Kriegsende 1918 ein. Der Aufbau von Aufnahmeeinrichtungen begann allerdings erst zu einem Zeitpunkt, als sich bereits Zehntausende der damals "Grenzlandvertriebene" genannten Menschen im Reich befanden. Am 30. August 1920 schuf die Reichsregierung eine Zentralstelle zur Lenkung der Zuwanderung mit dem "Reichskommissariat für Zivilgefangene und Flüchtlinge" an der Spitze, das dem Reichsministerium des Innern unterstand. Hauptaufgabe des Reichskommissariats war, neben dem Transport in das Reichsgebiet, die Errichtung und Unterhaltung von Durchgangs- und Sammellagern für die Abwanderer aus den abgetretenen Gebieten.

Vor allem 1921 und 1922 wurden 22 dieser sogenannten "Heimkehrlager" eingerichtet. Von Herbst 1920 bis April 1923 durchliefen rund 200.000 Migrantinnen und Migranten die "Heimkehrlager". Es handelte sich in der Regel um ehemalige Kriegsgefangenenlager und damit um Barackenlager, die zu Beginn des Krieges häufig in großer Eile notdürftig errichtet worden waren. Die Lager blieben meist echte Notunterkünfte, die sich zum Teil in sehr schlechtem baulichem Zustand befanden. Die drei größten Lager konnten zeitgleich 3.000 bis 4.000 Menschen unterbringen, es handelte sich um die Einrichtungen im brandenburgischen Zossen, im ostpreußischen Preußisch Holland und im brandenburgischen Frankfurt/Oder.

Ziel war es, die "Grenzlandvertriebenen" zu registrieren und sie so lange unterzubringen, bis sich Wohnungen und Arbeit im Reichsgebiet fanden. Häufig war eine rasche Weiterleitung nicht möglich. Es herrschte nicht nur Wohnungsnot in Deutschland, der Arbeitsmarkt war vor allem seit 1921 stark angespannt, die Erwerbslosigkeit sehr hoch. Hinzu kam, dass sich unter den Zuwanderern viele Landwirte befanden, die auf neuen Landbesitz im Reich hofften, der nur selten zur Verfügung stand. Deshalb waren "Heimkehrlager" nicht nur Durchgangslager, sondern für viele Menschen auch Wohnlager, in denen das Deutsche Interner Link: Rote Kreuz Fürsorge zu leisten und Kinder zu beschulen hatte.

Räumung der "Heimkehrlager"

Seit Mitte 1922 drängte die Reichsregierung darauf, die "Heimkehrlager" zu schließen. Sie verursachten hohe Kosten und schienen keinen Beitrag zu leisten, die Abwanderung aus den abgetretenen Gebieten zu vermindern oder gar zu verhindern. In der Wahrnehmung von Politik, Verwaltung und Medien galten die Lager immer häufiger als ökonomisch, sozial und politisch gefährlich – sowohl für die Lagerbewohner als auch für die Gesellschaft insgesamt. Die Lagerbewohner selbst seien durch den monate-, zum Teil auch jahrelangen Aufenthalt in den Lagern zu nicht mehr arbeitsfähigen "Staatsrentnern" erzogen worden, die keine ökonomische Eigeninitiative mehr entwickeln könnten und nur noch als Empfänger von Sozialleistungen ihr Leben fristeten. Auch moralisches Gefahrenpotenzial schien von den Lagern auszugehen. Das schien etwa für Kriminalität und den Niedergang herkömmlicher Normen der Sexualmoral zu gelten.

Weil die Lagerbewohner sich vielfach weigerten, die "Heimkehrlager" zu verlassen, wurden 1923 die Fürsorgemaßnahmen in den Lagern immer weiter eingeschränkt. Hinzu trat eine Zuwanderungssperre, die verhindern sollte, dass weitere Menschen aus den abgetretenen Gebieten kamen und die Lager bevölkerten. Vor dem Hintergrund dieser sehr restriktiven Maßnahmen sank die Zahl der Lagerbewohner vor allem in der zweiten Jahreshälfte 1923 stark ab. Das letzte "Heimkehrlager" wurde im Mai 1925 geschlossen.

Insgesamt lässt sich von einem Scheitern des migrationspolitischen Instruments der "Heimkehrlager" sprechen: Weder gelang es, die aus revisionspolitischen Gründen unerwünschte Abwanderung aus den abgetretenen Gebieten zu verhindern, noch förderte die erst spät aufgebaute Infrastruktur die Integration der Zuwanderer effektiv. Es gab zwar ein tiefgestaffeltes, militärisch organisiertes System des Transportes der Zuwanderer und ihrer Weiterleitung in Übernahmeeinrichtungen und "Heimkehrlager". Dieser Infrastruktur zur Aufnahme der Zuwanderer aus den abgetretenen Gebieten war aber kein adäquates Angebot zur wirtschaftlichen und sozialen Integration nachgelagert. Im Wesentlichen blieben die Zuwanderer darauf angewiesen, selbst Arbeitsstellen und Wohnungen zu finden, weil die entsprechenden Integrationseinrichtungen lange nicht funktionierten und Länder und Gemeinden sich erst unter Androhung von Zwangsmaßnahmen bereitfanden, Maßnahmen zur sozialen und wirtschaftlichen Integration zu treffen. Für diejenigen unter den Zuwanderern, die als nicht vermittelbar für den Arbeitsmarkt galten, ergab sich nur die Möglichkeit, zum Teil jahrelang in den Lagern zu bleiben.

Zum Thema

Vom Kaiserreich zur Republik 1918/19
Interner Link: Lager nach 1945

Quellen / Literatur

Jochen Oltmer, Migration und Politik in der Weimarer Republik, Göttingen 2005.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Jochen Oltmer – Dr. phil. habil., geb. 1965, ist Apl. Professor für Neueste Geschichte und Mitglied des Vorstands des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück.