Einleitung
In Deutschland leben rund 82,2 Millionen Menschen. Davon haben rund 8,7 Millionen, also gut zehn Prozent, keine deutsche Staatsbürgerschaft; sie sind laut Gesetz Ausländer.
Integration durch politische Partizipation?
Die
Grundsätzlich lässt sich zwischen informeller und formaler politischer Partizipation unterscheiden:
Die informelle politische Partizipation umfasst z.B. Proteste, Demonstrationen, Bürgerinitiativen, ehrenamtliche Tätigkeiten in (politischen) Vereinen, Verbänden oder Interessenvertretungen oder bürgerschaftliches Engagement. Sie steht den Bürgern in Deutschland ohne Ansehen der Staatsangehörigkeit offen.
Die formale politische Partizipation ist stärker gesetzlich reglementiert. Ihre wichtigsten Formen in einer repräsentativen Demokratie sind das aktive und passive Wahlrecht, also das Recht zu wählen und das Recht gewählt zu werden. Sie ist im Grundsatz an die deutsche Staatsangehörigkeit gebunden.
Die Möglichkeit der politischen Partizipation auf allen Ebenen (Bund, Länder und Kommunen) ist in der Bundesrepublik Deutschland an die vollen Bürgerrechte, und damit an die deutsche Staatsbürgerschaft gebunden. Millionen Bürger bleiben daher derzeit von Kommunal-, Landtags- und Bundestagswahlen, und damit von zentralen Elementen der politischen Willensbildung ausgeschlossen. Dem kommunalen Wahlrecht kommt eine besondere Bedeutung zu, da viele politische Entscheidungen, die Migrantinnen und Migranten direkt betreffen, in den Kommunen gefällt werden.
Da aber eine vollständige politische Partizipation nur durch die gleichberechtigte Teilnahme an Wahlen erreicht wird, kann der Ausschluss von Migrantinnen und Migranten ohne deutsche Staatsangehörigkeit aus dem politischen System als "Demokratiedefizit" gewertet werden.
Befürworter versprechen sich einen wichtigen Impuls für die Integration, da viele Ausländer bereits in der dritten Generation in Deutschland leben, Steuern und Sozialversicherungsabgeben zahlen und Unternehmen gegründet haben.
Die Gegner eines Kommunalwahlrechts für Drittstaatler sehen gerade im Wahlrecht einen wichtigen Anreiz, die deutsche Staatsbürgerschaft zu beantragen.
Politische Partizipationsmöglichkeiten von Migranten in Deutschland
Wenngleich also Ausländer eigentlich von Wahlen in Deutschland ausgeschlossen sind, gibt es dennoch Ausnahmen.
Migrantinnen und Migranten aus EU Ländern
Eine Ausnahme bilden
Drittstaatler – Migrantinnen und Migranten aus nicht-EU-Ländern
Eine Ausweitung des Kommunalwahlrechts auf
Junge Immigrantin von den Seychellen bei der Stimmabgabe zur Wahl der kommunalen Ausländerbeiräte in Frankfurt am Main, 04.11.2001. (© picture-alliance/dpa)
Junge Immigrantin von den Seychellen bei der Stimmabgabe zur Wahl der kommunalen Ausländerbeiräte in Frankfurt am Main, 04.11.2001. (© picture-alliance/dpa)
Ausländerbeiräte und Integrations(bei)räte
Ausländerbeiräte, Integrationsbeiräte oder Integrationsräte bilden für Drittstaatler das einzige Mittel, über Wahlen demokratisch legitimiert Einfluss auf die Politik zu nehmen. Ab Mitte der 1980er Jahre wurden Ausländerbeiräte in Reaktion auf die zunehmende Zahl ausländischer Einwohner, die dauerhaft oder zumindest längerfristig in Deutschland leben, eingerichtet, um die soziale, politische und rechtliche Integration und die Beteiligung an kommunalen Entscheidungsprozessen zu fördern.
Aktiv und passiv wahlberechtigt zu den Beiräten sind in der Regel alle volljährigen Ausländer (Drittstaatler und Unionsbürger), wenn sie ihren Hauptwohnsitz seit mindestens drei Monaten in der jeweiligen Kommune haben. Die Eintragung in das WählerInnenverzeichnis erfolgt i.d.R. von Amts wegen. Auch eingebürgerte Migrantinnen und Migranten – also deutsche Staatsangehörige - sind abhängig von den jeweiligen Kommunalverfassungen wahlberechtigt und/oder wählbar. Die Eintragung in das WählerInnenverzeichnis erfolgt für eingebürgerte Migrantinnen und Migranten auf Antrag.
Ausländerbeiräte
Die Zusammensetzung und Aufgabenstellung der Ausländerbeiräte unterscheiden sich zwischen den Bundesländern und auch innerhalb der einzelnen Länder erheblich. Die Bildung von Ausländerbeiräten wird als Teil der kommunalen Selbstverwaltung durch das jeweilige Landesrecht auf die Gemeinden übertragen. Ihre Aufgabe ist es, in beratender Funktion bei Belangen, die Menschen mit Migrationshintergrund betreffen, wie z.B. interkultureller Austausch, Mehrsprachigkeit oder Diskriminierung, mitzuwirken. Sie besitzen jedoch selber keine Entscheidungskompetenz. Daher ist auch die Anbindung an die kommunalen Gremien und somit der politische Einfluss in den einzelnen Städten und Gemeinden sehr unterschiedlich.
Probleme der Ausländerbeiräte
Da Ausländerbeiräte in der Regel nur eine beratende Funktion und kein eigenes Stimmrecht besitzen, bleiben Migrantinnen und Migranten letztlich doch von den Entscheidungsprozessen in der Kommune ausgeschlossen. Den politischen Entscheidungsträgern bleibt überlassen, ob sie Empfehlungen des Ausländerbeirats umsetzen und ernst nehmen oder nicht.
Zu weiteren Problemen können Sprachbarrieren, geringe politische Erfahrung und fehlende Netzwerke auf kommunalpolitischer Ebene bei den Beiratsmitgliedern führen. Erschwerend kommt hinzu, dass Ausländerbeiräte und potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten oft nicht über genügend Ressourcen verfügen, um z.B. effektive Öffentlichkeitsarbeit oder Wahlkampf zu betreiben.
So werden Ausländerbeiräte eher gering akzeptiert und sind teilweise wenig im Bewusstsein der Migrantinnen und Migranten verankert. Folge ist eine geringe Wahlbeteiligung, die in einigen Kommunen seit Jahrzehnten unter 20 Prozent liegt. Durch eine geringe Wahlbeteiligung geht letztlich auch die Legitimation verloren, Interessenvertretung für die ausländische Bevölkerung zu sein.
Erfolgreiche Reformbestrebungen: Die Integrations(bei)räte
Viele Ausländerbeiräte wurden in den letzten Jahren in sogenannte Integrationsräte und Integrationsbeiräte umgestaltet.
Sie verfügen über eigene Entscheidungskompetenz und sind deutlich stärker in die Kommunalverwaltung und politischen Entscheidungsprozesse eingebunden. Erreicht wird dies durch eine veränderte Zusammensetzung:
Bei Integrationsräten wird ein Teil der Mitglieder wie bisher von den Wahlberechtigten gewählt. Ein weiterer Teil wird von den im Rat vertretenen Fraktionen entsandt.
Integrationsbeiräte werden von Mitgliedern des Stadtrats, Vertretern verschiedener
Interner Link: Migrantenorganisationen , Wohlfahrtsverbänden und weiteren Institutionen, Fachleuten und Einzelpersonen, die mit Integrationsthemen befasst sind, gebildet.
Untersuchungen zeigen, dass durch die Arbeit der Räte Zugewanderte besseren Zugang zu Ressourcen (z.B. Sozialwohnungen oder Bildung) in der Kommune erhalten und der interkulturelle Austausch sowie das friedliche Zusammenleben durch Stadtteilarbeit (z.B. Ausrichtung interkultureller Feste) aktiv gefördert werden.
Festhalten lässt sich, dass Ausländerbeiräte, Integrationsräte und Integrationsbeiräte auf der kommunalen Ebene nützliche Instrumente sind, um die Interessen der Bevölkerung mit Migrationshintergrund in den kommunalpolitischen Willensbildungsprozess einzubringen. Das Defizit an politischen Partizipationsmöglichkeiten für Drittstaatler können sie trotz allem nicht ausgleichen.
Ein exemplarischer Blick über den "Tellerrand" – Nachbarn in Europa
Das Ausländerwahlrecht war vor dem Aufkommen des Nationalismus weit verbreitet. Erst mit Zunahme nationalistischer Ideologien zu Anfang des 19. Jahrhunderts wurde es beschränkt. Eine Beschränkung des Wahlrechts für Zugezogene entspricht jedoch schon lange nicht mehr der globalisierten Gesellschaft und einem freiheitlichen, demokratischen Staatswesen. So ist seit den 1980er-Jahren in Europa ein eindeutiger Trend zu beobachten, das Wahlrecht für Drittstaatler einzuführen. Dabei zählt die Bundesrepublik Deutschland inzwischen unter den 28 Mitgliedstaaten der EU zu einer Minderheit von zwölf Staaten, die Drittstaatlern kein Wahlrecht einräumen.
In Schweden wurde das kommunale Wahlrecht für Ausländer bereits 1975 eingeführt und wird dort bis heute als ein wichtiger Schritt zur Integration gesehen. Es folgten Dänemark (1981), Niederlande (1985) und Finnland (1991). In Folge der Unterzeichnung der Maastrichter Verträge 1992 führten neun weitere Staaten ebenfalls das Kommunalwahlrecht für Drittstaatler ein: Estland (1997), Litauen (2002), Slowenien (2002), Luxemburg (2003), Slowakei (2003), Belgien (2004), Ungarn (2004), Irland (2010) und Griechenland (2010).
In Portugal, Spanien und Großbritannien ist das Kommunalwahlrecht an gegenseitige, bilaterale Abkommen mit den jeweiligen Herkunftsstaaten der Drittstaatler gebunden. Zumeist handelt es sich dabei um ehemalige Kolonien bzw. im Fall von Großbritannien um das Commonwealth.
Das passive Wahlrecht, also sich als Drittstaatler bei Kommunalwahlen als Kandidaten aufstellen zu lassen, gewähren zehn Länder (siehe Tabelle). In sieben Ländern ist die Teilnahme an Wahlen auf regionaler Ebene und in zwei Ländern, Großbritannien und Portugal, sogar auf nationaler Ebene möglich.
Das Wahlrecht der Drittstaatler kann abhängig sein von:
der Dauer des Aufenthalts im Land
einem bestimmten Aufenthaltsstatus
bestimmten Registrierungsverfahren
Möglich ist das durch eine andere Vorstellung von Staatlichkeit bzw. nationaler Identität, weshalb beispielsweise auch der Zugang zur Staatsbürgerschaft leichter möglich ist.
Wahlrecht von Drittstaatsangehörigen in den EU-Mitgliedstaaten
EU-Mitgliedstaat | Aktives Kommunal- wahlrecht für (einige) Drittstaats- angehörige | Passives Kommunal- wahlrecht für (einige) Drittstaats- angehörige | Aktives Wahlrecht bei regionalen Wahlen | Aktives Wahlrecht bei nationalen Wahlen |
---|---|---|---|---|
Belgien | Ja | Nein | Nein | Nein |
Bulgarien | Nein | Nein | X | Nein |
Dänemark | Ja | Ja | Ja | Nein |
Deutschland | Nein | Nein | Nein | Nein |
Estland | Ja | Nein | X | Nein |
Finnland | Ja | Ja | X | Nein |
Frankreich | Nein | Nein | Nein | Nein |
Griechenland | Ja7 | Ja7 | Nein | Nein |
Großbritannien | Ja | Ja | Ja | Ja |
Irland | Ja | Ja | X | Nein |
Italien | Nein | Nein | Nein | Nein |
Kroatien | Nein | Nein | Nein | Nein |
Lettland | Nein | Nein | X | Nein |
Litauen | Ja | Nein | X | Nein |
Luxemburg | Ja | Ja | X | Nein |
Malta | Nein | Nein | X | Nein |
Niederlande | Ja | Ja | Nein | Nein |
Österreich | Nein | Nein | Nein | Nein |
Polen | Nein | Nein | Nein | Nein |
Portugal | Ja | Ja | Ja | Ja |
Rumänien | Nein | Nein | X | Nein |
Schweden | Ja | Ja | Ja | Nein |
Slowakei | Ja | Ja | Ja | Nein |
Slowenien | Ja | Nein | X | Nein |
Spanien | Ja | Nein | Nein | Nein |
Ungarn | Ja | Nein | Ja | Nein |
Tschechische Republik | Nein | Nein | Nein | Nein |
Zypern | Nein | Nein | X | Nein |
Quelle: Franchise and electoral participation of third country citizens residing in EU and of EU citizens residing in third countries, Studie des EU-Parlament 2013