Migration ist kein rein männliches Phänomen. Wanderungen von Frauen finden aber deutlich weniger Beachtung. Dabei sind weltweit immer mehr Frauen unterwegs. Ihre Migrationserfahrungen unterschieden sich zum Teil deutlich von denen männlicher Migranten.
"Hallo. Ich bin Jacqueline. Ich lebe seit 11 Jahren in Holland. 2002 kam ich hierher: Ich habe zwei Töchter und bin mit einem Chilenen verheiratet. Ich arbeite viel." So stellt sich Jacqueline vor der Kamera vor. "Und ich habe einen Hund. Der Hund ist legal. Sobald das möglich ist, heirate ich meinen Hund", sagt sie trocken und lacht. "Der hat einen europäischen Pass, unglaublich. Und ich nicht!" Und sie fügt hinzu: "Ich putze in privaten Haushalten". Jacquelines kurze Vorstellung ist die Anfangsszene der Dokumentation "Dringend Gesucht – Anerkennung nicht gefragt" von Anne Frisius über Haushaltsarbeiterinnen aus Lateinamerika und Asien und deren Blickwinkel auf Arbeit und Leben in Deutschland und den Niederlanden. Nicht nur in Europa arbeiten Migrantinnen aus dem globalen Süden sowie mittel- und osteuropäischen Ländern in privaten Haushalten. Mittlerweile gibt es einen 'Weltmarkt' für migrierte Haushaltsarbeiterinnen. Diese stehen symbolisch für weibliche Migration im Kontext der Globalisierung im Kontext der Globalisierung. Allerdings ist die Arbeit von Migrantinnen in privaten Haushalten nur ein Aspekt der vielschichtigen Erfahrungen im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Mobilität von Frauen.
Bedingungen und Erfahrungen weiblicher Migration
Unterscheidet sich die Migration von Frauen eigentlich grundlegend von der männlicher Migranten? Viele der strukturellen Bedingungen, unter denen die Entscheidung zur Migration gefällt wird, betreffen Frauen gleichermaßen wie Männer. Krieg, Verfolgung und Gewaltverhältnisse stellen ebenso geschlechtsunabhängige Gründe für Migration dar wie die Suche nach besseren Ausbildungs-, Verdienst- oder privaten Lebensbedingungen. Es gibt aber auch geschlechtsspezifische Gründe: Frauen entscheiden sich beispielsweise zur Migration, weil sie Situationen verlassen wollen, in denen sie als Frauen grundsätzlich benachteiligt sind. Diese können auch Interner Link: geschlechtsspezifische Gewalt beinhalten. Es gibt aber nicht den einen, einfach zuzuordnenden Grund der Migration. Sie ist vielmehr eine aktive Reaktion auf diese Bedingungen und kann Freiheiten ermöglichen, kann aber ebenso neue Entrechtungserfahrungen und Begrenzungen beinhalten: Ein Migrationsprojekt kann zum Beispiel durch den Wunsch motiviert sein, eine gewaltvolle Ehe zu verlassen, gesellschaftlichen und geschlechtsspezifischen Rollenbildern zu entgehen, oder aus anderen Gründen mehr Selbstbestimmung zu suchen. In der Migration können Rechte vorenthalten werden, und Migrantinnen werden zum Teil auf ihre gering geschätzte, als niedrig qualifiziert definierte und prekäre Arbeit, z.B. als Haushaltsarbeiterin, reduziert, wenn etwa Hochschulabschlüsse und Ausbildungen nicht anerkannt werden. Gleichzeitig können Migrantinnen neue Selbstverständnisse oder Geschlechterrollen in ihren Migrationsprojekten leben, etwa als Haupternährerinnen der Familie. Die Erfahrungen von weiblichen Migrantinnen sind im Besonderen von 'vergeschlechtlichten' Arbeitssektoren – und damit verbundenen Bedingungen und Möglichkeiten – geprägt. Dies wird im Folgenden anhand der Beispiele von Haushaltsarbeit und Hochqualifizierten-Migration erläutert.
Migration von Haushaltsarbeiterinnen – Symbol für weibliche Migration im 21. Jahrhundert
In privaten Haushalten verrichten immer mehr Migrantinnen Haus- bzw. Interner Link: Sorge- und Pflegearbeiten (in der Fachdiskussion meist Care-Arbeit genannt): Saubermachen, sich um die Kinder kümmern, Alte und Kranke pflegen. Diese Tätigkeiten wurden in der Bundesrepublik lange den 'Hausfrauen' zugewiesen. Während die Berufstätigkeit verheirateter Frauen bis in die 1970er Jahre unter gesetzlichem Vorbehalt stand, gilt es infolge gesellschaftlicher und ökonomischer Veränderungen mittlerweile nicht mehr als 'normal', dass Frauen in der Mittelschicht als Ehefrauen und Mütter (längere Zeit) zu Hause bleiben, um dort Haus- und Pflegearbeit zu leisten. Dagegen ist es heute üblich, dass alle Erwachsenen eines Haushalts einer Lohnarbeit nachgehen. Was sich nicht geändert hat: Haus- und Pflegearbeit gelten nach wie vor als 'private Arbeit' und als 'Frauenarbeit'. Diese Arbeit wird in Partnerschaften und Familien selten gleichmäßig aufgeteilt, sondern vielfach für wenig Geld an Migrantinnen delegiert: Die Protagonistinnen in Frisius' Film verrichten Care-Arbeit in privaten Haushalten für sehr geringe Löhne und ohne Absicherung. Jacquelines ironischer Kommentar, dass in ihrer Familie nur ihr Hund einen "europäischen Pass" besitzt, verweist darauf, dass sie wie viele Frauen, die nicht aus den Mitgliedsländern der Europäischen Union (EU) kommen und in Privathaushalten beschäftigt sind, Interner Link: illegalisiert ist. Das heißt, sie lebt ohne Aufenthaltsrecht in Europa. Die legalen Zuwanderungsmöglichkeiten nach Europa sind sehr eingeschränkt, so dass Migrantinnen oft kein anderer Weg als der in die Illegalität und eine prekäre Existenz bleibt. Die irreguläre Haus- und Pflegearbeit stellt eine der wenigen Erwerbsmöglichkeiten für undokumentierte Migrantinnen dar. Jacqueline hat nur wenige Möglichkeiten, einen legalen Status zu erhalten. Eine Ehe mit einem Partner oder einer Partnerin mit europäischer Staatsbürgerschaft zu schließen, ist eine davon.
Die Dokumentation zeigt ferner Migrantinnen, die ihre Rechte einfordern. "Eure Kinder wachsen mit uns auf", steht auf einem Schild der Organisation United Migrant Domestic Workers bei einer Kundgebung. Jacqueline und andere Haushaltsarbeiterinnen aus Lateinamerika und den Philippinen haben sie im Jahr 2006 gegründet. Sie fordern öffentlich gesellschaftliche Anerkennung, Arbeitsrechte und ihre Legalisierung. Die Organisation beruft sich auf die im Jahr 2011 verabschiedete Externer Link: Konvention 189 der Internationalen Arbeitsorganisation für menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte, die sicherstellen soll, dass für Haushaltsarbeiterinnen die gleichen Arbeitsrechte gelten wie für andere Arbeitnehmer_innen. Denn weltweit erhalten Haushaltsarbeiterinnen nur geringe Löhne, sie haben häufig unbegrenzte Arbeitszeiten, und sie erhalten keinen Arbeitsschutz. Aufgrund der Isolation an ihren Arbeitsplätzen in privaten Haushalten und ihres Status sind sie eher von Gewalt bedroht als ihre Kolleg_innen in anderen Arbeitsbereichen. "100.000 Familien vertrauen uns" steht auf einem anderen Schild United Migrant Domestic Workers, das auf das Ausmaß der Beschäftigung von migrierten Haushaltsarbeiterinnen in den Niederlanden aufmerksam macht. Denn diese leisten für das Funktionieren der Gesellschaft einen wichtigen Beitrag, ohne dafür gesellschaftliche oder gar rechtliche Anerkennung zu erhalten.
Die tatsächliche gesellschaftliche Bedeutung der migrierten Haushaltsarbeiterinnen und ihre fehlenden Rechte stehen im Kontrast zur erklärten Zielsetzung der deutschen und europäischen Migrationspolitik. Diese bevorzugt insbesondere 'hochqualifizierte' Migrant_innen im Hinblick auf Aufenthalts- und Arbeitsrechte, die als besonders 'nutzbringend' gelten. Das Zuwanderungsgesetz sieht einen sofortigen dauerhaften Aufenthaltstitel für Professor_innen und Wissenschaftler_innen in führenden Positionen an Hochschuleinrichtungen vor. Eine EU-Blue Card erhalten in Deutschland solche 'hochqualifizierten' Nicht-EU Bürger_innen mit Hochschulabschluss, die einen Arbeitsvertrag mit einem bestimmten Gehaltsniveau nachweisen können. Sie bekommen einen beschleunigten Aufenthaltsstatus und haben vereinfachte Möglichkeiten des Familiennachzugs. Aber weniger Frauen als Männer, die als 'hochqualifiziert' klassifiziert sind, wandern nach Deutschland ein. Das heißt nicht, dass hochqualifizierte Frauen – z.B. Wissenschaftlerinnen, Ärztinnen, Ingenieurinnen, Lehrerinnen – nicht ebenso migrieren. In Statistiken sind sie aber weniger sichtbar, weil sie seltener als Männer im Rahmen der Anwerbung 'Hochqualifizierter' einwandern, sondern häufig als (Ehe-)partnerinnen. Besonders gefragte 'Hochqualifizierte' sind Mathematiker_innen, Naturwissenschaftler_innen, Ingenieur_innen, Fachkräfte der Informations- und Technologie und Ärzt_innen – das sind zum Großteil von Männern dominierte Berufe. Die Zuwanderung in Berufe wie der professionellen Pflege, in denen Frauen häufiger vertreten sind und die schlechter bezahlt werden, gilt hingegen nicht als 'hochqualifiziert'. Im Jahr 2013 wurden in Deutschland Abkommen zur Migration von philippinischen und vietnamesischen Krankenschwestern unterzeichnet, als eine Maßnahme bezüglich des enormen Bedarfs im professionellen Pflegesektor. Sie sind aber nicht Teil der EU-Blue Card für Hochqualifizierte und erhalten deshalb keinen beschleunigten Zugang zu einem Daueraufenthaltstitel, obwohl Krankenschwestern in den Philippinen einen Hochschulabschluss erwerben, und obwohl Pflegearbeit eine Reihe spezifischer Qualifikationen erfordert: etwa psychologische, interkulturelle und technische Fähigkeiten.
Sichtweisen auf weibliche Migration
Gesellschaftliche Rollenbilder und Diskurse prägen die Sichtweisen auf weibliche Migration. So wird in manchen Herkunftsräumen die Frage zurückbleibender Kinder im Falle der weiblichen Migration diskutiert, während sie im Falle der Migration von Männern nicht thematisiert wird. Die Migrationsforschung zeigt, dass Darstellungen weiblicher Migration lange Zeit aufgrund eines Blickwinkels, der von der Erfahrung männlicher Migranten als Norm ausgeht, verzerrt waren: Interner Link: Migrantinnen wurden in der Geschichte der Bundesrepublik beispielsweise häufig lediglich als abhängige und begleitende (Ehe-)partnerinnen der männlichen sogenannten 'Gastarbeiter' wahrgenommen, ungeachtet dessen, dass 1970 ein Drittel der ca. zwei Millionen registrierten 'Gastarbeiter_innen' Frauen und mehr als die Hälfte aller Ausländerinnen in der BRD erwerbstätig waren.
Zudem werden in gesellschaftlichen Diskursen Migrantinnen oft pauschal als Opfer von Unterdrückung oder Zwang dargestellt, etwa ihrer als etwa ihrer als ‚traditionell‘ dargestellten ‚Kultur‘, ohne die Handlungsmacht von Migrantinnen sowie deren Bedingungen und Begrenzungen in den Blick zu nehmen. Solche Pauschalisierungen können vereinfachende Gegenüberstellungen zwischen einem vermeintlich homogenen, fortschrittlichen Europa und einem fremden ‚Anderen‘ nähren, die der Realität von Migrationsgesellschaften nicht entsprechen. Pauschalisierende Zuschreibungen können ein diskursives Mittel sein, um Menschen auszugrenzen. Allzuschnell verallgemeinernde Darstellungen sollten im Umgang mit dem Thema weiblicher – ebenso wie männlicher – Migration daher hinterfragt werden. Stattdessen sollten die jeweils spezifischen Phänomene und Erfahrungen von Migrantinnen in den Blick genommen werden. Denn ein angemessenes Verständnis erfordert die Analyse von Geschlechterordnungen und spezifischen politischen Rahmenbedingungen wie der Migrations-, Arbeitsmarkts- und Wohlfahrtspolitik ebenso wie von Erfahrungen, die aufgrund des Geschlechts, des rechtlichen Status, von rassistischen und kulturalisierenden Zuschreibungen gemacht werden. Zudem ermöglicht die Beschäftigung mit den Perspektiven und vielseitigen Handlungsstrategien der Migrantinnen einen differenzierten Zugang zum Thema Migration.
Film
Dringend Gesucht – Anerkennung nicht vorgesehen. Hausangestellte erstreiten sich ihre Rechte. A. Frisius in Zusammenarbeit mit M. Orjeda. Hamburg/Amsterdam/Bremen. Kiezfilme (Bremen) 2014. DVD. 65 Min.
Literatur
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Samia Dinkelaker forscht an der Freien Universität Berlin zum Verhältnis von Migration und Gender und promoviert über indonesische Hausarbeiter_innen in Hongkong.
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