Flüchtlinge sind Menschen, die auf der Suche nach Schutz Grenzen überwinden. Demgegenüber versuchen Staaten, den Zugang zu ihrem Staatsgebiet zu kontrollieren. Diese Kontrolle soll helfen, die innere Sicherheit, die einer der Kernbereiche staatlicher Souveränität ist, zu bewahren. Regierungen erlassen dementsprechend Regeln dafür, wer unter welchen Voraussetzungen in einen Staat einreisen und sich dort aufhalten darf und welche Rechte er oder sie genießt. Hierdurch werden Migrantinnen und Migranten verschiedenen Kategorien zugeordnet, die überwiegend nach der Motivation für die Migration (Arbeitsmigration, Familiennachzug usw.) unterscheiden. Eine dieser Formen ist die Interner Link: Fluchtmigration. Die Besonderheit dieser Migrationsform liegt darin, dass eine Flucht in der Regel nicht langfristig geplant und vorbereitet werden kann. Dadurch und durch die oft sehr belastenden Erlebnisse vor und während der Flucht sind die Menschen bei ihrer Ankunft im Aufnahmestaat auf besondere Unterstützung und Schutz angewiesen. Daher ist der Schutz für Menschen, die vor staatlicher Verfolgung fliehen, in den meisten Staaten rechtlich verankert. Und auch auf internationaler Ebene haben sich Staaten darauf verständigt, wie Flüchtlinge behandelt werden sollen.
Diese zwei Zielsetzungen eröffnen das Spannungsfeld, in dem sich die nationale und internationale Flüchtlingspolitik bewegen: auf der einen Seite steht der Wunsch der Staaten nach Kontrolle der Migration, auf der anderen Seite steht das Recht auf Schutz vor Verfolgung. Im Laufe der Zeit haben Staaten und Herrschende unterschiedliche Schwerpunkte in diesem Spannungsfeld gesetzt. So gibt es bereits aus dem 14. Jahrhundert vor Christus einen Beleg über den Schutz von Flüchtlingen vor Auslieferung, in der Frühen Neuzeit wurde Asyl zum Teil nur nicht-politischen Flüchtigen gewährt, wohingegen Schutzsuchenden im Zuge der Revolutionen des 19. Jahrhunderts ein eigener Aufenthaltsstatus zugesprochen wurde.
Ein zentrales Dokument des internationalen Flüchtlingsschutzes ist die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK). Sie legt fest, wer ein Flüchtling ist: dies sind alle Menschen, die sich aufgrund der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen ihrer "Rasse", Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung außerhalb ihres Herkunftslandes befinden. Die GFK legt zudem fest, welche Rechte Flüchtlinge im Aufnahmestaat genießen. Dazu gehört insbesondere der Schutz vor Zurückweisung in den Verfolgerstaat; aber auch soziale und justizielle Rechte werden genannt.
Die Konvention ist eine Selbstverpflichtung der Staaten. Ihre Einhaltung wird durch den Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) überwacht – auch wenn eine Nichteinhaltung kaum sanktioniert werden kann. Da die Regelungen in der Konvention aber viele Spielräume offen lassen, verfolgen die Staaten im Rahmen dieser Verpflichtungen ihre eigene Asylpolitik. Sie ist durch die geographische Lage der Staaten genauso geprägt wie durch ihre historischen Erfahrungen mit Migration. Insgesamt ergibt sich somit ein sehr vielseitiges Bild des nationalen Flüchtlingsschutzes.
In West-Deutschland bestand nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst ein weites Asylrecht. Artikel 16 des Grundgesetzes (Art. 16 GG) bestimmte: "Politisch Verfolgte genießen Asyl." Als in den 1970er und 80er Jahren die Antragszahlen stiegen, wurden jedoch die ursprünglich großzügige Anerkennungspraxis schrittweise eingeschränkt und die Aufenthaltsbedingungen verschärft. Das Thema wurde zunehmend Bestandteil politischer und öffentlicher Debatten – bis hin zu gewaltsamen Ausschreitungen – die schließlich im so genannten Interner Link: "Asylkompromiss" mündeten. Hierdurch wurde 1993 das Grundrecht auf Asyl massiv eingeschränkt. Wer aus sogenannten sicheren Dritt- oder Herkunftsstaaten kommt, hat kaum noch eine Chance auf die Anerkennung als Asylberechtigte/r. Da Deutschland von derartigen "sicheren" Staaten umgeben ist, wird bis heute nur noch ca. ein Prozent der Asylsuchenden auf der Basis des Grundgesetzes anerkannt. Demgegenüber sind andere Schutzformen (u.a. die Anerkennung als Flüchtling nach der GFK, aber auch der so genannte "subsidiäre Schutz") zunehmend wichtiger geworden.
InfoboxSichere Drittstaaten und sichere Herkunftsstaaten
Sichere Drittstaaten sind gemäß deutschem Recht Staaten, in denen die Einhaltung der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention sichergestellt ist. In diese Staaten können Asylbewerber ohne Prüfung ihres Antrags zurückgeschoben werden (§ 26a AsylVfG). Neben den EU-Mitgliedstaaten sind dies derzeit Norwegen und die Schweiz. Da Deutschland von sicheren Drittstaaten umgeben ist, bleibt Schutzsuchenden nur die Einreise auf dem Luft- oder Seeweg bzw. ein illegaler Grenzübertritt.
Sichere Herkunftsstaaten sind Staaten, bei denen die grundsätzliche Vermutung besteht, dass dort weder politische Verfolgung noch unmenschliche oder erniedrigende Bestrafung oder Behandlung stattfindet (§ 29a AsylVfG). Sichere Herkunftsstaaten sind derzeit die Mitgliedstaaten der EU, Ghana, Senegal, Serbien, Mazedonien sowie Bosnien und Herzegowina. Für Antragsteller aus diesen Staaten kommt ein vereinfachtes und schnelleres Asylverfahren mit eingeschränkten Rechtsmitteln zur Anwendung. Bundestag und Bundesrat beschließen, welche Staaten in die Liste aufgenommen werden.
In der Entwicklung der deutschen Asylpolitik spielt auch die Europäische Union (EU) seit Anfang der 1990er Jahre eine immer wichtigere Rolle. Trotz der ursprünglich sehr unterschiedlichen Systeme haben sich die EU-Mitgliedstaaten darauf verständigt, ihre Migrationspolitiken – und damit auch die Flüchtlingspolitik – einander anzupassen. Begonnen hat dieser Prozess damit, dass zunächst die EU-Binnenmigration, also die Wanderung zwischen den Mitgliedstaaten, erleichtert wurde. Gleichzeitig wurde der Schutz der EU-Außengrenzen zunehmend auf der europäischen Ebene geregelt. Durch diese Kooperation versuchen die Staaten, die Kontrolle über den Zugang zu ihrem Staatsgebiet zu behalten.
Im Zuge dessen wurden auch Interner Link: gemeinsame Regeln für den Umgang mit Flüchtlingen angestrebt. Die Staaten schlossen in Dublin ein Übereinkommen, das den für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständigen Staat bestimmt. Seit 1997 ist grundsätzlich der Staat für die Durchführung des Verfahrens zuständig, der für die Einreise der Antragstellenden "verantwortlich" ist . Das ist in der Regel der Staat, in dem ein Flüchtling europäischen Boden betritt. Dadurch wird die Verantwortung für Asylanträge auf die Staaten an den Außengrenzen der EU übertragen. Hier zeigt sich, dass die häufig in öffentlichen Verlautbarungen beschworene "Solidarität" zwischen den EU-Mitgliedstaaten schnell ihr Ende findet, wenn es um konkrete Zahlen geht: Eine Einigung auf eine gleichmäßigere Verteilung der Flüchtlinge bzw. der Kosten ihrer Aufnahme ist bisher regelmäßig an den Vorbehalten einzelner Mitgliedstaaten gescheitert.
Das "Dublin-System" geht davon aus, dass Flüchtlinge in allen Staaten der EU gleich behandelt werden. Tatsächlich existieren in der Praxis aber massive Unterschiede. Daher einigten sich die Mitgliedstaaten darauf, ein "Gemeinsames Europäisches Asylsystem" zu errichten. Durch die Angleichung des Schutzes in den verschiedenen Staaten sollten die Anreize zu einer EU-internen Weiterwanderung von Flüchtlingen verringert werden. Zwischen 2000 und 2013 schufen die EU-Institutionen neben der Dublin-Verordnung drei zentrale Richtlinien, die gemeinsame Standards für die Asylverfahren, Aufnahmebedingungen, und die Anerkennung von Flüchtlingen festlegen.
Die Aushandlung solcher Regelungen auf EU-Ebene ist langwierig und konfliktreich. Das Europäische Parlament und die Europäische Kommission verfolgen in der Regel liberalere Positionen und versuchen, die Rechte von Flüchtlingen zu stärken. Demgegenüber sind die Positionen der Mitgliedstaaten, die im Rat der EU vertreten werden, eher restriktiv ausgerichtet. Darüber hinaus bestehen auch zwischen den Staaten unterschiedliche Interessen und verschiedene Vorstellungen von einer "richtigen" Behandlung der Flüchtlinge.
Streitpunkte betreffen insbesondere Fragen der gesellschaftlichen Teilhabe wie den Zugang zu Sozialleistungen oder zum Arbeitsmarkt.
Die Aushandlung von EU-Regeln wird zusätzlich durch Konfliktlinien innerhalb der Staaten erschwert. Einerseits positionieren sich die politischen Parteien unterschiedlich in dem eingangs genannten Spannungsfeld zwischen Flüchtlingsschutz und Zuwanderungskontrolle. Andererseits kommen in föderalen Staaten wie Deutschland innerstaatliche Akteure zu den europäischen und nationalen Ebenen hinzu. So sind in Deutschland die Bundesländer für die Erstaufnahme der Asylsuchenden zuständig, die Unterbringung von Flüchtlingen während des Verfahrens obliegt wiederum meist den Kommunen. Dadurch entsteht ein komplexes Mehrebenensystem, in dem Asylpolitik ausgehandelt und umgesetzt wird.
Insgesamt kann auch heute noch nicht von einer einheitlichen europäischen Flüchtlingspolitik gesprochen werden. Da die Umsetzung der EU-Richtlinie durch die Mitgliedstaaten erfolgt, ergeben sich für diese zusätzliche Möglichkeiten, ihre eigenen Interessen durchzusetzen. In weiten Teilen belassen die Richtlinien Interpretations- und Handlungsspielräume, die zur Beibehaltung mitgliedstaatlicher Systeme beitragen. Zudem werden auch die eigentlich festgelegten Standards bislang nicht überall erreicht. Das liegt teilweise daran, dass der Aufbau eines Asyl-Aufnahmesystems Zeit benötigt. Teilweise scheint jedoch auch der politische Wille zu einer Ausweitung der Flüchtlingsrechte zu fehlen. Insbesondere in Zeiten steigender Antragszahlen versuchen viele Staaten, die Aufnahmebedingungen für eine Begrenzung der Zuwanderung zu nutzen. So werden beispielsweise die Möglichkeiten des Arbeitsmarktzugangs begrenzt oder die Sozialleistungen für Asylsuchende gekürzt, um einen Asylantrag möglichst unattraktiv zu gestalten. Darüber hinaus intensivieren viele Staaten den Grenzschutz, z.B. durch den Bau von Zäunen. In die Grenzkontrolle werden zunehmend auch nicht-europäische Staaten einbezogen. Herkunfts- und Transitländer z.B. in Nordafrika oder dem Nahen Osten werden mithilfe von finanziellen Anreizen oder Visaerleichterungen zu einem verstärkten Grenzschutz angeregt. Hierdurch sollen Flucht- bzw. Migrationsbewegungen möglichst weit vor den EU-Grenzen aufgehalten werden.
Eine solche Praxis steht im Widerspruch zu der humanitären Verpflichtung, Flüchtlinge aufzunehmen und zu schützen, zumal die Menschenrechte nicht in allen "Partnerstaaten" gewährleistet sind. Diesen Widerspruch lösen Staaten – zumindest rhetorisch – durch die Unterteilung in verschiedene Migrationskategorien. Die Abwehrmaßnahmen dienen dann der Bekämpfung der Interner Link: irregulären Migration, also des Grenzübertritts ohne die erforderlichen Papiere. "Irreguläre" Migrantinnen und Migranten werden als Bedrohung für die innere Sicherheit in Europa dargestellt, deren Abwehr ein legitimes Ziel der Grenzsicherung ist. Im Gegensatz zu diesen "irregulären" Migrantinnen und Migranten werden "Flüchtlinge" als schutzbedürftig charakterisiert. Für sie gelten die Schutznormen der GFK und des Grundgesetzes. In der Praxis lassen sich diese Kategorien jedoch nicht so klar trennen. Stattdessen sind "mixed migration flows", also gemischte Migrationsbewegungen, die Regel.
Ob ein Mensch eine "begründete Furcht vor Verfolgung" hat, muss daher zunächst in einem rechtsstaatlichen Verfahren geprüft werden. Dieses Verfahren darf Menschen nicht deshalb verwehrt werden, weil sie versuchen, irregulär eine Grenze zu übertreten. So ist u.a. in Art. 31, Abs. 1 GFK geregelt, dass Flüchtlinge nicht für eine irreguläre Einreise bestraft werden dürfen. Ebenso verbietet Art. 33 Abs. 1 GFK, dass Flüchtlinge in einen Staat zurückgewiesen werden, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit bedroht ist (sog. "Non-Refoulement-Prinzip"). Der Wunsch nach einer Kontrolle der Zuwanderung darf daher nicht dazu führen, dass Menschen der Zugang zum Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Grundgesetz verwehrt wird.
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