Sieger in diesem Wettstreit wurden recht bald die Rechten. Schon allein deshalb, weil alle anderen von den Medien konsequent ignoriert wurden, während rechtsextreme Prügelglatzen immer häufiger in die Schlagzeilen rückten – sodass bald wirklich jeder 14-jährige Nachwuchsnazi wusste, wie er sich stylen musste, um Gleichgesinnte zu finden, während linke oder nicht rassistisch denkende Jugendliche verständlicherweise abgeschreckt wurden.
Die (medien)öffentliche Reduzierung der Skinheadkultur auf extreme politische Einstellungen und – zumeist rechtsradikal motivierte – Gewalttaten geht jedoch am Kern der Sache vorbei. "Skinheads stilisieren Härte, Männlichkeit, Gewalt und Stärke in ihrem martialischen Äußeren und Auftreten und sie sind in der Öffentlichkeit zu dem Symbol für rechtsradikale Gewalt, zu einem Synonym für brutale Nazi-Schläger geworden. Doch trotz einer scheinbaren äußerlichen Uniformität handelt es sich um eine sehr heterogene jugendliche Subkultur mit unterschiedlichsten politischen Einstellungen und Graden von Gewaltbereitschaft." (El-Nawab 2004, S. 20) Skins denken und äußern sich zu vielen Themen radikaler, zugespitzter, unterscheiden sich in ihren Einstellungen aber zumeist nicht grundsätzlich von der sonstigen Bevölkerung. Auch wenn die Skinheadszene in Deutschland so stark wie keine andere Jugendkultur durch Neonazis und Rassisten in ihren Reihen belastet ist, gibt es immer noch zu viele, die anders denken – links, un- oder antipolitisch, nicht- oder antirassistisch –, um die Skinheads pauschal in die Schublade "rechte Jugendkultur" zu stecken. Für einen Großteil der Skinheadszene, vor allem für diejenigen, die länger dabei sind und bleiben, die nicht ohnehin nur deshalb "Skinheads" wurden, weil sie meinten, das sei ein Synonym für Neonazi, bedeutet ihr Skinheadsein mehr als eine bestimmte politische Haltung, nämlich eine grundsätzliche Lebenseinstellung. Die hohe Bereitschaft, sich Skinheadsymbole in die Haut tätowieren zu lassen, immerhin eine recht schmerzhafte und nur bedingt rückgängig zu machende Prozedur, bestätigt diese Selbsteinschätzung ebenso wie die für eine Jugendsubkultur recht lange Verweildauer in der Szene von durchschnittlich vier bis sechs Jahren.
Gemeinsame Lebens- und Arbeitszusammenhänge, wie sie etwa die Hausbesetzer-Bewegung oder die alternativ-autonome Szene in Form von Produktionsgenossenschaften, Druckkollektiven usw. hervorgebracht haben, existieren in der Skinheadszene allerdings nur vereinzelt. Eine Ausnahme bilden lediglich die rund drei Dutzend kleinen Plattenlabel, Mailordervertriebe und Konzertagenturen, die der Szene entsprangen und die Existenz ihrer Betreiber auf zumeist eher niedrigem Niveau sichern. Das mag daran liegen, dass Skins keine "Aussteiger" sind. Einer geregelten Arbeit nachzugehen, hat unter Skins einen hohen Stellenwert, und sei es nur, um möglichst frühzeitig finanziell unabhängig von staatlicher und elterlicher Unterstützung existieren zu können. "Ich komme aus der Arbeiterklasse, und ich bin verdammt stolz darauf, zu arbeiten und nicht jahrelang auf Kosten meiner Eltern zu studieren. Diese Typen, denen man das Schild "Sponsored bei Daddy" schon von weitem ansieht, können doch gar nicht mitreden, die wissen gar nicht, wie hart es teilweise ist, die Kohle für die Klamotten, die Konzerte etc. zu verdienen. Solche Leute, die von Vati oder Mutti die Kohle zugeschustert kriegen, nehm ich meist gar nicht ernst." (A., 21) Skins bevorzugen traditionelle Handwerksberufe, in denen schwere körperliche Arbeit verlangt wird – wo noch ein richtiger Mann gefragt ist. Erst in den Neunzigerjahren verblasst dieser "Working-class"-Kult zunehmend, und der Anteil studierender oder z. B. auch als Jugendsozialarbeiter beschäftigter Skinheads steigt stetig.
Die Skinheadszene ist vor allem eine Freizeit- und Spaßkultur: Musik, Partys, Alkohol – bei Letzterem natürlich Bier. "Was haben verdammt noch mal Rotwein und Selters auf ´ner Ska-Night zu suchen?", empört sich ein Konzertkritiker in einem Skinhead-Fanzine (Skintonic 4, S. 19). Bier-Hitparaden und -tests tauchen immer wieder in den rund zwanzig in Deutschland regelmäßig erscheinenden Skin-Fanzines auf, zu jeder halbwegs populären Biermarke gibt es eine eigene Hymne von Bands, die häufig im regionalen Umfeld der Stammbrauerei ansässig sind. Im Gegensatz zu den USA sind drogenfreie Straight-edge-Skins in Europa eine exotische Ausnahme.
Eine Skinheadparty ohne Alkohol ist jedenfalls undenkbar. Partys jeglicher Art bilden das gesellige Zentrum der Skinheadkultur. Denn der Skin als solcher ist ein Herdentier. Er "kann zwar auch alleine überleben, wird dabei aber apathisch und unzufrieden, denn die Sucht, sich in Grüppchen zu formieren, lässt ihn im seltenen Fall wieder los. So trifft man die Gattung 'Skinhead' meist in Rudeln an, stets nach flüssiger Nahrung gierend, wild gröhlend und häufig nach ungewohnten Klängen merkwürdig durch die Gegend hüpfend." (Sandra) Zu einem Soul- oder Ska-Allnighter, einem Oi!-Konzert oder "Scooter-Run" reisen Skinheads gerne aus Hunderte von Kilometern entfernten Wohnorten an, um ein Wochenende mit Gleichgesinnten und -gestylten zu verbringen, zu trinken, zu tanzen, die neuesten Klatschgeschichten und Fanzines auszutauschen – familiäre Ereignisse, die im kollektiven Gedächtnis abgespeichert werden und noch Jahre später für nostalgischen Gesprächsstoff sorgen. "Weißt du noch, wie wir damals ..." Gemeinsame Erinnerungen festigen die Freundschaft, stellen einen sicheren Schatz dar in einer von vielen Skinheads als immer schnelllebiger und ungewisser empfundenen Welt.
Nostalgie und Freundschaft sind Schlüsselbegriffe zur Dekodierung der Faszination der Skinheadkultur für die Beteiligten. Mögen auch Liebesbeziehungen auseinander brechen, der Fußballverein wieder einmal absteigen, Arbeitslosigkeit Zukunftsträume zertrümmern: Beim nächsten Ska-Festival in Potsdam oder Oi!-Marathon an der Ostsee ist die Welt zumindest für einige Tage und Nächte wieder in Ordnung. Wenn Skinheads zusammenkommen, sind die Alltagsregeln und sozialen Ungleichheiten der Welt draußen außer Kraft gesetzt. Hierarchien existieren allenfalls aufgrund der Zugehörigkeitsdauer zur Szene und den damit verbundenen Erfahrungen. Respekt erfährt jedoch jeder, der einmal als Stammesmitglied akzeptiert wird. Materieller Wohl- oder Notstand, unterschiedliche Bildungsgrade, berufliche Karrieren sind hier bedeutungslos. Wer kein Geld hat, findet schnell Freunde, die ihn mit der notwendigen Flüssig- und Festnahrung versorgen. "Techno kann jeder Depp werden. Skinhead oder Punk ist da schon was anderes. In der Techno-Szene ist vieles abgrundtief falsch. Du denkst, du hast Freunde gefunden, und sobald es dir mal schlecht geht und du sie wirklich brauchst, sind die so genannten Freunde weg. Freundschaften in der Skinszene sind viel intensiver. Da musst du schon sehr viel Mist gebaut haben, um fallen gelassen zu werden."
Eine Solidarität, die in der Regel nur Gleichgestylte für sich in Anspruch nehmen können. Außenstehende finden sich bei Skinzusammenkünften, von der traditionellen Vermischung von Punks und Skins einmal abgesehen, nur selten und dann zumeist als begleitende/r "Freund/Freundin" ein. Vereinzelt begegnet man am Rande von Skincliquen außer Punks noch Hardcores, Psychobillies oder Autonomen, bei der rechten Fraktion auch Scheitel-Nazis und anderen Polit-Poppern sowie in manchen Regionen Hooligans.
Weibliche "Normalos" werden eher geduldet als "Typen" – offensichtlich eine Folge des ungleichgewichtigen Geschlechterverhältnisses. Dem Teenageralter entwachsene "Renees", wie die Frauen der Szene auch genannt werden, sind eine echte Rarität, klagt Wodka, 26-jähriger Herausgeber eines selbst gezeichneten Renee-Wandkalenders. "Durch diesen akuten Frauenmangel entsteht natürlich auch das Vorurteil des 'Rumreichens', und ein Renee wird schneller als Schlampe abgestempelt als ein Skin. Ein Problem, mit dem Renees oft zu kämpfen haben. Für die meisten älteren Skins ist ein Renee als Freundin ein Traum, den sie schon ausgeträumt haben." Renees stellen lediglich einen Anteil von 15 bis 20 Prozent der Skinheadpopulation – unabhängig von der politischen Orientierung der jeweiligen Clique.
Die rechte Szene verhält sich mackerhafter, das Männlichkeitsideal der "Kämpfer für Doitschland" ist ungebrochener als bei ihren nichtrassistischen Zwillingsbrüdern, obwohl sich auch unter nichtrechten Skins reichlich Sexisten und Schwulenfeindliche finden. Sexismus gehört unter Skinheads jeglicher Couleur zum guten Ton. Frauenverachtende Songtexte auch bei "antifaschistisch" ausgerichteten Bands, die Ausgrenzung bzw. Tabuisierung und Leugnung schwuler Skinheads, nackte Brüste und Vaginen als populäre Gestaltungsmittel für Fanzines und Demotape-Cover erwecken auf Außenstehende zu Recht den Eindruck einer extrem derben Männerwelt. Allerdings ist Sexismus auch ein bewusstes Mittel der Selbststilisierung als prollige Underdogs und der Abgrenzung von den "Normalen" und ihren als scheinheilig empfundenen Tabus. "Wer Frauen tatsächlich schlecht behandelt und die Songtexte als Anleitung für den Alltag missversteht, darf sich nicht wundern, kräftig eins aufs Dach zu bekommen!", erklärt Sandra (Farin 1999, S. 52f.). "Derjenige soll mir unter die Augen bzw. vor die Stiefel treten, der behauptet, dass Frauen weniger wert seien als Männer! Wir Renees lassen uns weder unterdrücken noch das Wort verbieten, dienen demzufolge nicht nur der Verschönerung der Männermasse, sondern lassen auch unsere Meinung hören. Natürlich gehört eine Portion Selbstvertrauen dazu, sich gegen die ganzen Kerle durchzusetzen, da immer wieder Exemplare darunter sind, die uns mehr als nettes Beiwerk statt als gleichwertige Skinheads sehen."
Auch Sandra geriet in Skinheadkreise, nachdem sie sich mit einem männlichen Skin zusammentat. Auch nach Ende der Beziehung blieb Sandra dabei. Ihr imponierte der Zusammenhalt, der hohe Provokationswert des Outfits, das überwältigende Angebot von Partys, Konzerten und anderen feuchtfröhlichen Freizeitaktivitäten und vor allem die Musik, Einstiegsdroge Nummer eins für die meisten Skins. "Musik, die noch handgemacht ist (ohne Syntheziser, Computer und den ganzen Scheiß), und nicht der Müll der Disco-Charts. Musik von der Straße, ehrliche Musik mit ehrlichen Texten. Musik, die nie in die Charts kommen wird, weil sie nicht in den Rahmen passt, den die Musikindustrie vorgibt", beschreibt Volker, Sänger und Gitarrist einer Oi!-Band, die Faszination der Musik. "Man singt über das, was wirklich im Leben abgeht, und das will keiner hören. Es gibt keine Stars auf der Bühne, die Bands und das Publikum sind eins, Jungs von der Straße mit denselben Problemen und denselben Leidenschaften."
Begriffe wie "ehrlich", "authentisch" und "antikommerziell" tauchen immer wieder auf, wenn Skinheads ihre Musik beschreiben. In der Tat ist die Skinheadkultur aufgrund ihres gewaltträchtigen Images eine der ganz wenigen Jugendszenen, deren Musik bis heute nicht in größerem Maßstab von der Industrie kommerziell ausgebeutet wurde. Die Mehrzahl der Produktionen erscheint bei kleinen, auf Punk, Ska oder eben Rechtsrock spezialisierten Independent-Labels, wird über Fanzines, die Bands selbst oder Mailordervertriebe – oft Ein-Mann-Unternehmen – verbreitet. Die Musiker, vor allem im Oi!-Sektor, entstammen zumeist selbst der Skinhead- oder Punkszene, können von ihrer Musik nicht leben und versuchen es zumeist auch gar nicht erst – kein Wunder angesichts der kleinen Auflagen von wenigen tausend Exemplaren und der Auftrittsgagen von ein paar hundert Euro aus der Abendkasse, Benzinkostenerstattung, eine manchmal sogar warme Mahlzeit und Alkohol bis zum Abwinken.
Die wenigsten Musiker beherrschen ihre Instrumente wirklich professionell, Kompositionen wie Songtexte sind häufig mit altbekannten Klischees und Versatzstücken aus frühen Klassikern angereichert. Die JeKaMi (Jeder kann mitmachen)- Tradition der frühen Punkzeiten lebt in der Oi!-Musik fröhlich weiter. "Aus der Szene für die Szene" heißt ein populärer Slogan, der Kommerzialisierungsversuchen enge Grenzen setzt. Geradezu argwöhnisch werden Bands beobachtet, die von szenefremden Medien und Fans geschätzt werden. Denn noch mehr als alles andere dient die Musik auch zur Abgrenzung – zunächst vom gleichaltrigen Mainstream:
Körperliche Auseinandersetzungen haben einen hohen Stellenwert in der Skinheadszene. Wer nicht bereit ist, bei Bedarf auch mal zuzuschlagen, gilt schnell als "Weichei", "kurzhaariger Hippie" und des Skinheadkultes unwürdig – auch in linken Skinheadkreisen.
Gewalt ist aber selten eine Einbahnstraße. Als Skinhead – und seist du noch so friedfertig – wirst du täglich mit ihr konfrontiert. Sobald du deine eigenen vier Wände verlässt, stehst du im Rampenlicht. Brave Bürger wechseln die Straßenseite, ängstliche Blicke verfolgen dich (was vor allem Jüngere gerne dazu verführt, Angst mit Respekt zu verwechseln), Gespräche verstummen eine Schrecksekunde lang. Die Mutigeren stoßen vielleicht Beschimpfungen aus oder zeigen dir – aus sicherer Distanz – den Mittelfinger. Du bist grundsätzlich "Nazi", selbst wenn du einen "Fight Fascism"-Aufnäher an der Jacke trägst. Sich zum Stamme der Skinheads zu bekennen bedeutet Stress, Aggressionen, Kampf gegen Vorurteile, tagtäglich. Aber die meisten Skins lieben das auch. Es ist ein Teil ihrer Identität, die Bestätigung ihres Anderssein. "Es törnt mich an, Leute zu sehen, die von meinem Anblick geschockt sind", erklärt Martin (21). Denn es gibt eins, das wesentlich schlimmer wäre: die Vorstellung, eines Tages durch die Straßen zu laufen und die Spießer würden nur noch gelangweilt gähnen. "Das Gefühl genießen, gehasst zu werden", gehört zum Skinhead-Dasein einfach dazu.