"Ein kurzer Film über das Töten" (Krótki film o zabijaniu, R: Krzysztof Kieslowski, 1988) ist wohl für die meisten potenziellen Zuschauer auf den ersten Blick ein typischer Kanon-Film und das nicht im besten Sinne: Er hat die Aura einer Pflichtübung. Man weiß, man sollte ihn gesehen haben, aber man will es nicht unbedingt. Auch die Tatsache, dass der Film zu einer Reihe gehört, die sich mit den biblischen Zehn Geboten beschäftigt, steigert wahrscheinlich nur bei speziell Interessierten die Schaulust. Zumal es sich bei diesem "Dekalog" gar nicht um ein Kino-, sondern um ein gleichnamiges Fernsehprojekt handelt, das Krzysztof Kieslowski in den ausgehenden 1980er Jahren in Polen realisierte. Die ursprünglichen Folgen, von denen jede ein Gebot zum Motto hatte, waren kurze Filme von 55 Minuten Länge. Für die Kinoversion des Films zum fünften Gebot "Du sollst nicht töten" erweiterte Kieslowski die Fernsehfassung um 25 Minuten.
Die Skepsis gegenüber dem Format lässt sich jedoch vergleichsweise schnell überwinden. Schwerer dagegen wiegt das Thema. Obwohl das Töten im Kino alles andere als eine seltene Angelegenheit ist, macht es einen Unterschied, einen Film "über das Töten" zu sehen. Mit den üblichen Spielarten todbringender Tätigkeiten ist der Kinozuschauer bestens vertraut: Sie reichen vom Spielerisch-Irrealen schussfreudiger Western- und Actionfilme bis zur frivolen Ironie eines Quentin Tarantino, von den mit tragischen Konflikten beladenen Akten in moralisch rechtschaffenen Werken wie "Zwölf Uhr mittags" (High Noon, R: Fred Zinnemann, 1952) bis zur Ausbeute für den visuellen Horror in einem Thriller wie "Sieben" (Se7en, R: David Fincher, 1995) oder "Das Schweigen der Lämmer" (The Silence of the Lambs, R: Jonathan Demme, 1991). Aus all diesen Beispielen ragt "Ein kurzer Film über das Töten" wie ein fremder Block heraus. Denn Kieslowski setzt sich nicht mit Spielarten des Tötens, sondern mit dem Akt des Tötens selbst auseinander. Er tut das mit beeindruckender Konsequenz. Und es ist diese Ernsthaftigkeit, die nach außen hin zunächst abschreckt. Aber jedem, der den Abwehrreflex überwindet, sei an dieser Stelle versprochen: Es lohnt sich.
Zumal es sich mit insgesamt 80 Minuten ja tatsächlich um einen kurzen Film handelt. Wie überhaupt Kürze und Knappheit die vorherrschenden Stilelemente dieses Werks sind. Auf den ersten Blick macht das den Film erträglicher, auf den zweiten dagegen geradezu unerbittlich. Der ehemalige Dokumentarfilmer Kieslowski geht mit urbaner Sachlichkeit an sein Thema heran. Für das Ausmalen von Metaphern, für das Entfalten einer Symbolik scheint er keine Zeit zu haben, genauso wenig wie für das cineastische Schwelgen in der Schlechtigkeit der Welt. Schmucklos, lakonisch und ohne Umschweife steuert er auf sein Thema zu. Wir sehen einen Mord und eine Exekution, zweimaliges Töten, das eine Mal illegal, das andere Mal legal. Der Rest ist uns, den Zuschauern, überlassen.
Umstandslos zerfällt der Film in zwei Teile: Im ersten, längeren, verfolgt die Kamera drei unterschiedliche Männer, die zunächst nichts miteinander zu tun haben. Der Taxifahrer in der Plattenbausiedlung, der sein Auto wäscht und dann seinen Dienst antritt. Ein junger Mann, der sich so ziellos wie angespannt durch die Altstadt von Warschau treiben lässt. Und zuletzt ein Rechtsanwaltsreferendar, der seine letzte Staatsprüfung besteht. Wir sehen den Taxifahrer, wie er den Kunden, die ihm nicht passen, einfach davonfährt. Der junge Mann steht auf Straßen und Plätzen herum, beobachtet seine Umwelt, geht ins Kino, setzt sich in ein Café. Der künftige Rechtsanwalt schließlich wartet nervös, bis er zur Prüfung gebeten wird. Szene für Szene lernt man so die Hauptpersonen kennen. Es erschließen sich allerdings weniger die Lebensgeschichten der drei als vielmehr ihre Charaktere.
Der Taxifahrer ist ein schlecht gelaunter Kleinbürger; schon in der ersten Szene hört man ihn sagen: "Ich mag keine Katzen, sie sind so falsch wie die Menschen." Ein freundliches Gesicht zeigt er nur der jungen Verkäuferin, die er zur Spritztour einlädt – mit eindeutigen Absichten. Seine Arbeit verrichtet er mit alltäglicher Miesepetrigkeit, immer zu kleinen Gemeinheiten gegen seine Mitbürger bereit, deren Missgeschicke er mit höhnischem Lachen kommentiert. Allerdings befindet er sich mit dieser Haltung im unschönen Gleichklang mit seiner Umgebung.
Der zweite Protagonist verhält sich nämlich kaum anders. Er vertreibt einer alten Frau die Tauben, die sie füttert; er stößt im Pissoir einen Mann, der ihn freundlich anlächelt, aggressiv zu Boden und schickt Leute, die ihn nach dem Weg fragen, in die Irre. Was ihn vom Taxifahrer unterscheidet, ist ein gewisses Ausgestoßensein; es lässt ihn, den späteren Mörder, zunächst fast sympathischer erscheinen als den kleinbürgerlichen Taxifahrer. Beiläufig bildet Kieslowski in all den alltäglichen Widrigkeiten und Gemeinheiten die freudlose Gegenwart Polens Ende der 1980er Jahre ab. Der grobe Umgang der Einzelnen miteinander verweist auf mehr: auf eine schwelende Unzufriedenheit und eine tiefe Resignation in der ganzen Gesellschaft. Emotionslos nimmt die Kamera es hin, dass die Menschen sich so verhalten.
Auch die Figur des Rechtsanwalts, obwohl die sympathischste Gestalt der drei, vermag diese Welt nicht wirklich aufzuhellen. Zwar erkennen wir in ihm einen mitfühlenden, um Ehrlichkeit bemühten Menschen, der den Mut hat, gegenüber Autoritäten auf seiner Meinung zu bestehen: Im Examen plädiert er trotz Widerspruchs seiner Prüfer gegen die Todesstrafe. Aber wir sehen ihn auch als jemand, der bestens integriert ist. Jubelnd fährt er nach bestandener Prüfung auf dem Motorroller durch die Stadt, irgendwann kreuzt sein Weg den des Taxifahrers, der verständnislos den Kopf schüttelt. Anschließend feiert er mit seiner Verlobten in einem Café. "Es gibt Momente, in denen alles möglich scheint", schwärmt er, um dann plötzlich ernst zu werden: "Es wird vielleicht doch nicht so einfach ..." Im selben Moment, im selben Café, ein paar Tische weiter wickelt sich der junge Mann eine Schnur um die Hand, es ist seine letzte Vorbereitung zum Mord.
Denn was bisher wie erzählerische Willkür erschien, entpuppt sich nun als angelegter Plan, um die drei Personen endlich zusammenzubringen. Aus dem Café heraus steigt der junge Mann ins Taxi, weist den Fahrer an, in ein abgelegenes Gebiet zu fahren und legt ihm dort die Schlinge um den Hals.
Die Mordszene in "Ein kurzer Film über das Töten" ist von erschreckender Länge: Keine visuellen Schockmomente lenken von der Tat ab. Kieslowski zeigt sie als zähes Gerangel. Die Wirkung der Szene ist umso deprimierender, da Angst und Horror des Opfers hier genauso erkennbar werden wie die "Mühen" des Mörders. Es ist nicht leicht, jemandem das Leben zu nehmen, im doppelten Sinne. Am Ende greift der Mörder zur vielleicht barbarischsten Waffe: Mit einem Stein zerschlägt er das bereits verhüllte Gesicht seines Opfers. Man kann das als Bibelzitat, nämlich als einen Verweis auf Kain und Abel, verstehen. Die Szene rekurriert zugleich auf eine frühere Stelle des Films, in der man den Rechtsanwalt in der Prüfung sagen hört, seit Kain sei das Prinzip der Abschreckung durch Strafe in Frage gestellt.
Nach der Tat, und das ist für den Zuschauer einer der eigentlichen Schockmomente des Films, ist zunächst alles unverändert. Mit fast unerträglicher Gelassenheit fährt der junge Mann mit dem Auto davon. Am Abend trifft er sich mit der Verkäuferin, der er, genau wie sein Opfer am Anfang des Films, eine Spritztour anbietet. Während er noch von der sonnigen Ferne redet, steht der jungen Frau das Entsetzen ins Gesicht geschrieben. "Wo hast du das Auto her?" Abrupt schneidet der Film von ihren weit aufgerissenen Augen weg zum zweiten Teil.
Mit dem nächsten Bild setzt der Film ohne Angaben über die vergangene Zeit am Ende der Gerichtsverhandlung ein. Die Todesstrafe ist bereits ausgesprochen. "Es ist vorbei, ich habe verloren", stottert der Rechtsanwalt; sein Mandant, der junge Mann, scheint das Vorgefallene noch gar nicht zu begreifen. In den folgenden Szenen verfolgt die Kamera mit ähnlich teilnahmsloser Haltung wie im ersten Teil die Vorbereitungen zur Exekution. Die Hinrichtungsräumlichkeiten werden inspiziert, kalt und geschäftsmäßig wird zum Beispiel die Aufhängung des Vorhangs bemängelt, der den eigentlichen Henkersraum abtrennt. Sie wird bei der Exekution später tatsächlich versagen. Wieder sind es solch kleine Hässlichkeiten, die sich zu einer unerträglichen Monstrosität einer Institution und einer ganzen Gesellschaft addieren.
Das legale Töten, die Hinrichtung, ist ein Ritual mit vorgegebenem, zwingendem Ablauf. Ein detailliertes Regelwerk sorgt dafür, dass es nicht wie Mord aussieht. In Kieslowskis nüchterner und knapper Erzählweise aber kehrt genau das wieder, was doch eigentlich verdrängt werden soll: die schreckliche Ähnlichkeit von Exekution und Mord. Auch hier, beim legalen Tun, wird das "Opfer" erst scheinbar besänftigt, um dann überwältigt zu werden; auch hier zeigt sich, dass es kein Töten ohne Gewalt gibt, dass es "Mühe kostet" das Leben eines Menschen zu nehmen, dass sich das Opfer, auch als verurteiltes, bis zum letzten Moment verzweifelt gegen den Tod wehrt.
Durch die vorgebliche Teilnahmslosigkeit und Nüchternheit hindurch erweist sich "Ein kurzer Film über das Töten" am Ende also als leidenschaftliches Plädoyer gegen die Todesstrafe. Doch es wäre zu einfach zu behaupten, dass Kieslowski den legalen und den illegalen Mord parallelisierend gegeneinander hält und so dem Zuschauer aufdrängt, beides gleichermaßen zu verurteilen. Denn in der Gestalt des Rechtsanwalts zeigt er, dass es mit der inneren Einstellung dagegen nicht getan ist; es geht auch um die Frage, wie man es erträgt, dass es, das Morden, in nächster Nähe passiert und dass man darin unweigerlich verstrickt ist, sei es wissentlich oder unwissentlich, durch einfaches Dulden oder gar durch schuldhaftes Unterlassen. Der Rechtsanwalt war mit dem Mörder kurz vor der Tat im Café, er hat ihn bei der Verhandlung verteidigt – und konnte sich nicht durchsetzen; er führt das letzte Gespräch mit ihm – und zögert in einem letzten hilflosen Protest das Ende der Unterredung hinaus. Die letzte Szene zeigt ihn in einem Auto einsam schluchzend an einer Stelle, die der Tatort sein könnte.
Kieslowkis Film bevormundet nicht. Anders als man durch den Bezug auf die Zehn Gebote erwartet, erscheint er ganz und gar nicht religiös. Im Gegenteil: Er macht die Abwesenheit solcher Gewissheiten schmerzlich bewusst. So wünscht man sie sich am Ende sehnsüchtig den Trost eines religiösen Überbaus herbei oder wenigstens die Eindeutigkeit jenes einen Gebots: "Du sollst nicht töten".