Einleitung
Gleichgeschlechtliche Paare mit Kindern werden in Deutschland auch Regenbogenfamilien genannt. Diese stellen eine relativ seltene, wenn auch sehr vielfältige Familienform dar, wobei eine genaue Schätzung ihrer Anzahl aufgrund der Datenlage schwierig ist
2016 bildeten etwa 95.000 gleichgeschlechtliche Paare einen gemeinsamen Haushalt. Etwa jede Zehnte dieser Partnerschaften (n ≈ 10.000; 10,5 Prozent) kann als Regenbogenfamilie im engeren Sinn bezeichnet werden, da hier zum Befragungszeitpunkt mindestens ein lediges Kind im Haushalt der Männer- oder Frauenpaare lebte
Im Vergleich dazu bildeten im gleichen Jahr 7.894.000 verschiedengeschlechtliche Ehepaare und 970.000 nichteheliche Lebensgemeinschaften mit ledigen Kindern sowie 2.701.000 Alleinerziehende einen Familienhaushalt (Statistische Bundesamt 2017: S. 76f.).
„Ehe für alle“ – geschichtliche Entwicklung und öffentlicher Diskurs
Elternpaare in Regenbogenfamilien, aber auch kinderlose lesbische und schwule Paare sowie weitere Engagierte haben in den letzten drei Jahrzehnten beharrlich für die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften mit verschiedengeschlechtlichen Partnerschaften gekämpft. Seit dem 1. Oktober 2017 können zwei Frauen oder zwei Männer in Deutschland heiraten. Bestehende Eingetragene Lebenspartnerschaften können in eine Ehe umgewandelt werden. Diese Entwicklung stellt einen Meilenstein der Gleichstellung dar. Bereits 25 Jahre zuvor forderten schwule und lesbische Paare im Rahmen der "Aktion Standesamt" den Zugang zur Ehe, indem sie Standesämter in ganz Deutschland aufsuchten, um das Aufgebot zu bestellen. Nachdem ihnen die Eheschließung verweigert wurde, bestritten einige dieser etwa 250 Paare den Rechtsweg, was letztlich am 4. Oktober 1993 in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts mündete
Einführung der Eingetragenen Lebenspartnerschaft im Jahr 2001
Im Jahr 2001 wurde mit der Eingetragenen Lebenspartnerschaft – der damals oft so genannten "Homo-Ehe" – ein alternativer rechtlicher Rahmen für gleichgeschlechtliche Paare geschaffen. Das Lebenspartnerschaftsgesetz bildete die rechtliche Grundlage für die formalisierte Partnerschaft ausschließlich für gleichgeschlechtliche Paare. Die Eingetragenen Lebenspartner*innen erhielten fast alle Pflichten, aber zum damaligen Zeitpunkt kaum die Rechte von Eheleuten. In den darauffolgenden Jahren gab es zahlreiche Anpassungen und Modifizierungen von Gesetzen zur Angleichung der Lebenspartnerschaft an die Ehe
Bedeutungswandel des Ehebegriffs beim Bundesverfassungsgericht
Parallel zur Angleichung der Eingetragenen Lebenspartnerschaften an die Ehe vollzog sich bereits 2002 ein Wandel im Verständnis des Ehebegriffs beim Bundesverfassungsgericht. Genauer wurde in einem Urteil festgehalten: „Das Grundgesetz selbst enthält keine Definition der Ehe, sondern setzt sie als besondere Form menschlichen Zusammenlebens voraus. (…) Der Gesetzgeber hat dabei einen erheblichen Gestaltungsspielraum, Form und Inhalt der Ehe zu bestimmen“
Ähnlich argumentierte auch Friederike Wapler in einem Gutachten
Aktuelle Rechtslage für Regenbogenfamilien
Die Ehe für alle war ein großer Schritt für eine gleichberechtigte Familiengründung. Seit dem 1. Oktober 2017 können gleichgeschlechtliche Ehepaare gemeinsam – und nicht etwa nacheinander – fremde Kinder adoptieren. Ein rechtlicher Unterschied zwischen Regenbogenfamilien und Familien mit verschiedengeschlechtlichen Eltern besteht bis heute jedoch im Abstammungsrecht und damit auch in der rechtlichen Absicherung der Kinder. Dies wirkt sich vor allem auf Regenbogenfamilien aus, in welchen ein*e Partner*in leiblicher Elternteil des Kindes ist. Kinder, die in einer verschiedengeschlechtlichen Ehe geboren werden, verfügen von Geburt an über zwei rechtliche Elternteile und zwar auch dann, wenn die Umsetzung des Kinderwunsches z.B. mittels einer fremden Samenspende erfolgt ist. Im Gegensatz dazu haben Kinder aus lesbischen Inseminationsfamilien zum Zeitpunkt ihrer Geburt nur einen rechtlichen Elternteil, nämlich die Frau, die sie zur Welt gebracht hat. Sind Mutter und Vater in verschiedengeschlechtlichen Partnerschaften unverheiratet, so können die Vaterschaftsanerkennung sowie die Regelung einer gemeinsamen Sorge ebenfalls bereits vor der Geburt des Kindes erfolgen, sodass auch diese Kinder zum Zeitpunkt der Geburt zwei rechtliche Elternteile haben. In Regenbogenfamilien müssen Lebenspartner*innen und seit Oktober 2017 auch gleichgeschlechtliche Ehepartner*innen das leibliche Kind ihres Partners bzw. ihrer Partnerin nach wie vor adoptieren (Stiefkindadoption), um eine tatsächlich bestehende Eltern-Kind-Beziehung mit der sozialen Mutter auch rechtlich abzusichern. Dieses Verfahren kann unterschiedlich lange dauern und sorgt letztlich dafür, dass das Kind bis zur Beendigung des Verfahrens nur einen rechtlichen Elternteil hat.
Bis zur Öffnung der Ehe 2017 war die gemeinschaftliche Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare einer der letzten großen Rechtsbereiche, in welchem Unterschiede zu Ehepaaren bestanden. Um eine komplette Gleichstellung zu verhindern, argumentierten Kritiker*innen im Gegensatz zu den 1990er-Jahren zunehmend mit dem möglicherweise gefährdeten Kindeswohl. Sie sahen die besten Bedingungen für das Aufwachsen von Kindern in Familien mit Vater und Mutter und äußerten verschiedene Befürchtungen im Hinblick auf die Entwicklung von Kindern in Regenbogenfamilien. Befürworter*innen der Gleichstellung und damit auch der gemeinschaftlichen Adoption entgegneten im Zuge dessen, dass gerade die Gleichstellung von lesbischen und schwulen Paaren mit Ehepaaren dem Kindeswohl zuträglich sei, da nur diese eine ausreichende Rechtssicherheit für die Familien und damit auch die Kinder darstellte. Weiter argumentierten sie, dass es keine fundierten Forschungsergebnisse gäbe, die Anlass zur Sorge um das Kindeswohl böten.
Die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen aus Regenbogenfamilien
Die bisherige Forschung zu Regenbogenfamilien konzentrierte sich stark auf die Frage, ob sich Kinder in diesen Familien ähnlich gut entwickeln wie Kinder aus heterosexuellen Kernfamilien. Damit waren vor allem Abweichungen im Sinne einer Fehlentwicklung oder eines Defizits von Interesse (wie bspw. emotionale oder Verhaltensprobleme, geringer Selbstwert, schlechte Schulleistungen, Ausschluss aus der Gruppe der Gleichaltrigen etc.). Weniger im Fokus standen dagegen Unterschiede zwischen den Familienformen an sich oder gar Stärken von Familien mit gleichgeschlechtlichen Elternpaaren. Auch in der öffentlichen Diskussion um Regenbogenfamilien werden Befürchtungen formuliert, welche die psychosoziale und sexuelle Entwicklung der Kinder betreffen. Typische Vorurteile sind, dass Kinder von lesbischen Müttern oder schwulen Vätern selbst später einmal schwul oder lesbisch werden, dass sie kein adäquates Geschlechtsrollenverhalten ausbilden oder bezüglich der eigenen geschlechtlichen Identität verwirrt seien
Geschlechtsrollenverhalten, sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität
Als Geschlechtsrollenverhalten werden Verhaltensweisen verstanden, die innerhalb einer Kultur dem männlichen oder weiblichen Geschlecht als zugehörig definiert werden. Häufig werden diese anhand von bevorzugten Spielsachen, Aktivitäten und Berufswünschen gemessen. Während mit sexueller Orientierung die empfundene Anziehung und damit verknüpfte Wahl der Sexualpartner*innen gemeint ist, ist unter Geschlechtsidentität die Selbst-Identifikation als Mann/Junge oder Frau/Mädchen zu verstehen.
Studien zeigen, dass Kinder und Jugendliche aus Regenbogenfamilien sich selbst genauso häufig ihrem biologischen Geschlecht entsprechend identifizieren und sich ähnlich häufig vom anderen Geschlecht angezogen fühlen wie die Altersgenossen aus heterosexuellen Familien (Fedewa et al. 2015). Das Aufwachsen in einer Regenbogenfamilie bzw. die sexuelle Orientierung der Eltern wirken sich folglich weder auf die Geschlechtsidentität noch auf die sexuelle Orientierung der Kinder und Jugendlichen aus.
In Bezug auf das Geschlechtsrollenverhalten sind die Befunde nicht ganz eindeutig. Die meisten Studien kommen zu dem Schluss, dass sich Kinder und Jugendliche aus Regenbogenfamilien und solche aus heterosexuellen Familien hinsichtlich ihres Geschlechtsrollenverhaltens nicht unterscheiden (Bos & Sandfort 2010; Brewaeys et al. 1997; Fulcher, Sutfin & Patterson 2008; Golombok, Spencer & Rutter 1983; Hoeffer 1981; Kirkpatrick, Smith & Roy 1981). Andere Autor(inn)en resümieren, dass Kinder und Jugendliche aus Regenbogenfamilien etwas weniger geschlechtsstereotyp sind (Goldberg et al. 2012; Green et al. 1986; MacCallum & Golombok 2004; Sumontha, Farr & Patterson 2017). Die Metaanalyse von Fedewa et al. (2015) hingegen bestätigt Mädchen und Jungen aus gleichgeschlechtlichen Familien ein traditionelleres Geschlechtsrollenverhalten, wobei dieser Befund möglicherweise methodische Ursachen hat
Psychische Anpassung der Kinder
Aufgrund der deutlich höheren Anzahl an lesbischen Familien wurden in bisherigen Studien meist Kinder und Jugendliche aus lesbischen Familien
Forschungsbedarf bei Studien über Familien mit zwei Vätern
Ein häufiger Einwand von Kritikern gleichgeschlechtlicher Lebensweisen betrifft die vergleichsweise geringe Anzahl an Studien über Kinder, die bei schwulen Vätern aufwachsen. Tatsächlich besteht hier Forschungsbedarf, allerdings bestätigt eine Analyse von Millers und Kolleginnen (2017) von insgesamt 10 veröffentlichten und unveröffentlichten Studien (ab 2005) den bisherigen Befund. Auch Kinder und Jugendliche von schwulen Vätern schneiden im Vergleich zu Gleichaltrigen aus heterosexuellen Familien hinsichtlich ihrer psychischen Anpassung besser ab (Miller, Kors & Macfie 2017). Hierbei sei jedoch auf die Besonderheiten schwuler und lesbischer Eltern in den Stichproben hingewiesen, welche sich möglicherweise auch positiv auf die Entwicklung der Kinder auswirken: Der Anteil gleichgeschlechtlicher Paare mit Hochschulabschluss ist beispielsweise deutlich höher und sie verfügen über ein höheres Nettoeinkommen als verschiedengeschlechtliche Eltern (Rupp & Dürnberger 2009, Miller, Kors & Macfie 2017). Auch der Weg in die Elternschaft ist immer ein bewusster Prozess, der mit hohen Anforderungen verknüpft ist und eine hohe Motivation sowie ein hohes Maß an Reflexion von den Beteiligten erfordert. Ebenso kann der Umstand der Stigmatisierung von schwul-lesbischer Elternschaft dazu führen, dass gleichgeschlechtliche Eltern eher nach Ressourcen und Unterstützung suchen, die sich wiederum positiv auf die Entwicklung der Kinder auswirken (eine Übersicht möglicher positiver Einflussfaktoren findet sich bei Miller, Kors & Macfie 2017). Viel bedeutender für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen als die sexuelle Orientierung der Eltern ist die Qualität der familialen Beziehungen. Faktoren sind beispielsweise die Partnerschaftsqualität der Eltern und deren Konflikthäufigkeit, das Stresserleben in der Rolle als Eltern, die Verbundenheit sowie die emotionale Bindung zwischen Elternteil und Kind (vgl. z.B. Becker-Stoll & Beckh 2009; Farr 2017; Wainright & Patterson, 2006, 2008; Wainright, Russell & Patterson 2004). Auch die Frage, ob insbesondere Jungen ein männliches Rollenmodell brauchen, um sich psychisch gesund zu entwickeln, kann nach bisherigen Kenntnisstand verneint werden. Sowohl nach Auskunft der Jugendlichen selbst als auch nach der der Mütter gibt es im Hinblick auf die psychische Anpassung keine signifikanten Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen, die mit oder ohne männlichem Geschlechtsrollenmodell aufwachsen (Bos et al. 2012).
Diskriminierungserfahrungen und ihre Auswirkungen
Wie steht es aber um befürchtete Auswirkungen von möglichen Diskriminierungserfahrungen, denen Kinder aus Regenbogenfamilien aufgrund der sexuellen Orientierung ihrer Eltern ausgesetzt sein könnten? Bisherige Ergebnisse weisen darauf hin, dass Kinder und Jugendliche aus Regenbogenfamilien ähnlich häufig wie Gleichaltrige aus heterosexuellen Familien angefeindet und diskriminiert werden (Rivers, Poteat & Noret, 2008; Takser & Golombok 1995; Wainright & Patterson 2006). Im Gegensatz zu Kindern aus verschiedengeschlechtlichen Familien wurde ihnen jedoch häufiger nachgesagt, selbst homosexuell zu sein (Tasker & Golombok 1995). In Deutschland berichtet fast jeder zweite Jugendliche aus einer gleichgeschlechtlichen Familie über solche Erfahrungen. Diese gehen in der Regel von Gleichaltrigen aus, zeigen sich häufig in Form von Beschimpfungen oder dem Ausschluss aus Gruppen und finden hauptsächlich im schulischen Kontext statt (Becker-Stoll & Beckh 2009). In der Folge konnten in mehreren Studien negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden und die psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen nachgewiesen werden. Obwohl Diskriminierung einen Risikofaktor für die Entwicklung darstellt, waren die Werte dieser Kinder und Jugendlichen mit anderen vergleichbar. Dies deutet auf mögliche Schutzfaktoren hin. Nationale wie internationale Studien konnten zeigen, dass die Auswirkungen solcher negativen Erfahrungen durch eine gute Beziehung zu Gleichaltrigen und der Familie (van Gelderen et al. 2013) sowie durch eine emotional sichere Beziehung zum leiblichen Elternteil (Becker-Stoll & Beckh 2009; Buschner & Bergold 2017b) abgeschwächt oder gar ausgeglichen werden können. Als weitere Schutzfaktoren haben sich LGBT-Curricula an Schulen (Bos et al. 2008), die Teilhabe der Mütter in der lesbisch-schwulen Community (Bos et al. 2008) sowie ein häufiger Kontakt zu Kindern aus anderen Regenbogenfamilien (Bos & van Balen 2008) erwiesen.
Fazit
Die Studien der letzten Jahrzehnte zeigen, dass nicht die Familienstrukturen per se (Ein-Elternteil vs. Elternpaare; gleichgeschlechtlich vs. verschiedengeschlechtlich) entscheidend für die Entwicklung von Kindern sind, sondern die Prozesse innerhalb der Familie, das heißt die Qualität der Beziehungen zwischen den einzelnen Familienmitgliedern. Diese können ebenso förderlich wie hinderlich sein – und zwar für Kinder in allen Familienformen.
Trotz der mittlerweile erreichten Öffnung der Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare, macht ein genauer Blick auf Regenbogenfamilien deutlich, dass immer noch rechtlicher Handlungsbedarf bei Familienformen besteht, die in ihrer Entstehungsgeschichte und in ihrer Zusammensetzung nicht der klassischen Kernfamilie aus Vater, Mutter und leiblichen Kindern entsprechen. Auch der Arbeitskreis Abstammungsrecht des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz wirft in seinem 2017 veröffentlichten Abschlussbericht die Frage auf, „ob das geltende Abstammungsrecht aktuellen Lebensrealitäten noch ausreichend gerecht wird, denn die Vielfalt der heutigen Familienkonstellationen und die Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin stellen es vor erhebliche Herausforderungen“ (BMJV 2017: S. 1). Die Schwierigkeiten ergeben sich aus der multiplen Elternschaft, von der neben der Regenbogenfamilie auch andere Familienformen betroffen sind. Auch in Stief- und Patchworkfamilien sowie in Familien, die mit Hilfe von Samen- oder Eizellspende entstanden sind, sind die bio-genetischen Elternteile nicht automatisch auch rechtliche oder soziale Elternteile (Bergold et al. 2017). In der Folge stellt sich für diese Familien die Frage, mit welchen Rechten und Pflichten soziale Elternteile ausgestattet sind und wie im Alltag mit möglichen Diskrepanzen zwischen rechtlicher und sozialer Elternschaft umgegangen wird. Für den Gesetzgeber kann eine Herausforderung darin bestehen, rechtliche Elternschaft, inklusive geltender Regelungen bzgl. der Sorge und des Umgangs, auf die soziale Elternschaft, also die tatsächliche Erziehungsbeteiligung sowie die Übernahme von Verantwortung in den verschiedensten Familienformen abzustimmen.
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