Ein Hauptaugenmerk für uns Frauen muß aber gegenwärtig auf das Bestreben gerichtet sein, uns die Mittel zur Unabhängigkeit zu erwerben. Erwerb! (...) Es heißt die Frau der menschlichen Würde berauben, wenn man ihr das Recht der Selbstthätigkeit entzieht oder sie in der Geltendmachung desselben hemmt. Dies geschieht aber durch unsere ganze politische und soziale Einrichtung.
Louise Dittmar
/ 6 Minuten zu lesen
Louise Dittmar (1807 - 1884) galt und gilt als eine der radikalen Frauenrechtlerinnen des Vormärz, der Zeit vor den Revolutionen von 1848/49. In ihren Büchern setzte sie sich konsequent für die Gleichberechtigung der Geschlechter ein.
Johanna Friederike Louise Dittmar wurde am 7. September 1807 in Darmstadt geboren. Insgesamt bekommen die Eltern, Oberfinanzrat Heinrich Karl und Friederike Caroline, zehn Kinder. Doch das Geld reichte trotz der Zugehörigkeit zum angesehenen Bürgertum nur für das Studium der acht Söhne und die Heirat der ältesten Tochter. Louise hingegen war für die Rolle ausersehen, die Eltern im Alter zu pflegen und zu versorgen. Sie besuchte die Mädchenschule und erarbeitete sich autodidaktisch die Schriften von Philosophen, Sozialreformern, Religionskritikern und Staatstheoretikern.
Beides – die Erziehung von bürgerlichen Frauen zur Ehe und die Verweigerung einer fundierten Ausbildung – empfand die junge Frau schon früh als Diskriminierung. Und obwohl die Familie politisch aktiv war und demokratische und republikanische Standpunkte vertrat, herrschte ein rigoroses Frauenbild. Trotzdem wurde viel über die so genannte soziale Frage gesprochen. Dies war schließlich auch das Thema, dem sich die junge Frau – nachdem die Eltern 1839 bzw. 1840 gestorben waren – widmete. Allerdings verknüpfte sie die wesentlichen Aspekte mit der Gleichberechtigung und der Freiheit von Frauen und Männern.
Besonders interessierte sie sich für die Schriften des Philosophen Ludwig Feuerbach, mit dem sie in Briefwechsel stand. Schließlich veröffentlichte sie in den politisch unruhigen 1840er Jahren ihr erstes Buch, "Skizzen und Briefe aus der Gegenwart". In diesem Essay stellte sie ihre religiöse Auffassung vor, sie plädierte für Religions- und Glaubensfreiheit und verband diese Kritik mit einem politischen Statement. Sie sah im Streben des einzelnen Menschen nach Vervollkommnung das wichtigste Ziel und positionierte somit den Menschen in den Mittelpunkt ihrer Vorstellung. Aus dieser Weltsicht leitete sie zwei Forderungen ab: Grundlegende Veränderungen innerhalb der ökonomischen Gegebenheiten, um die soziale Frage, die Verarmung weiter Teile der Bevölkerung, wie sie gerade in den 1840er Jahren rasant passierte, zu lösen, und ein anderes politisches System, und zwar den Sozialismus.
Dittmar hatte frühsozialistische Bücher aus Frankreich gelesen und sich mit diesen gesellschaftlichen Entwürfen vertraut gemacht. Doch dabei blieb sie in ihrem ersten anonym veröffentlichten Werk nicht. Denn ihrer Meinung nach konnte eine solche neue Ordnung nur dann funktionieren, wenn das Verhältnis der Geschlechter anders gestaltet würde, weg von der Herrschaft der Männer über die Frauen und hin zu Freiheit für alle Geschlechter.
Nennen wir das Kind bei seinem Namen. Der Mann erkennt die Frau niemals als um ihretwillen geschaffen, und gestattet ihr darum keine freie Entwicklung, keine Besonderheit, kein freies Ziel ihrer eigenen Natur. Wenn er sie lieben kann, hat sie alle Bedingungen erfüllt, wenn er sie nicht liebt, verliert sie alle Rechte und somit alle Anerkennung.
Religion und Philosophie setzte sie als sich ähnelnde wichtige Ideengebiete zueinander in Beziehung. Beide wurden auf Gerechtigkeit und Brauchbarkeit im Hinblick auf die Geschlechterfrage überprüft und für nicht tauglich befunden. Bereits hier kristallisierte sich der für Dittmar grundlegende Begriff der Freiheit heraus, nur er ermöglichte ihrer Meinung nach eine notwendige Unabhängigkeit des Denkens und Lebens.
Nur in freien Verhältnissen kann das Gefühl der Unabhängigkeit Wurzel fassen, und nur aus diesem Gefühl kann das Selbstbewußtsein wachsen, wodurch man zu einem unbefangenen Urtheil über sich selbst gelangt. (...) Ich kann nicht umhin, bei denjenigen, welche die Möglichkeit ihrer Freiheit bezweifeln, das Erkennen derselben wie das Erfassen der weiblichen Natur zu bezweifeln. Sie forschen im ganzen Dasein eine unbedingt freie Stellung des Menschen zu finden, aber sie begreifen im eigentlichsten Sinn nur den Mann darunter; es bleibt immer noch ein Fäserchen Unfreiheit, an welchem die Frau hängt.
Mit diesem radikal-feministische Ansatz war Louise Dittmar ihrer Zeit weit voraus. Obwohl sich in diesen Jahren mehrere Frauen für die Gleichstellung von Frauen einsetzten, führte die Niederschlagung der Revolutionen von 1848 zunächst in eine politische Restaurationszeit. Erst der radikale Flügel der ersten deutschen Frauenbewegung griff zu Beginn des 20. Jahrhunderts solche Forderungen, wie sie Louise Dittmar bereits 1845 öffentlich vertrat, wieder auf.
1845 erschien auch ihre Satire "Bekannte Geheimnisse", in der sie mit dem liberalen Bürgertum hart ins Gericht ging und dessen Bemühen um gesellschaftliche Anerkennung vorführte.
Bereits ein Jahr später gab es eine weitere intensive kritische Auseinandersetzung, diesmal mit den christlichen Religionen: "Der Mensch und sein Gott in und außer dem Christentum". Darin und in "Lessing und Feuerbach" plädierte die Autorin gegen Dogmatismus und für Religionsfreiheit: "Religionsfreiheit besteht darin, daß Jeder ohne Vorschrift glauben darf, was er will und kann, und wissen darf was er weiß; daß er mit eigenen Sinnen wahrnimmt und mit eigener Ueberzeugung bekennt."
Auf diese Positionen reagierte die religiöse Reformbewegung, wie sie sich z. B. in den deutschkatholischen Gemeinden organisierte, mit Lob und Anerkennung. Auch die politische Opposition meldete sich bei der mutigen Autorin und Philosophin und lud sie zum Vortrag nach Mannheim ein. Dort stellte Louise Dittmar 1847 ihre Anschauungen einem interessierten Publikum vor. Die Vorträge wurden später unter dem Titel "Vier Zeitfragen. Beantwortet in einer Versammlung des Mannheimer Montag-Vereins" veröffentlicht.
Auch hier wieder präsentierte die Denkerin ihr radikales Gesellschaftskonzept, das den Menschen als Gestalter der Gesellschaft definierte. Sie kritisierte Kapitalismus und Zensur als Zerstörer der Menschenwürde. Dabei wies sie der Französischen Revolution die Rolle zu, die Idee der Freiheit geboren zu haben, die nun umgesetzt werden müsse.
Dass sie als Frau öffentlich auftrat, galt ihr bereits als politisches Handeln.
Ich betrachte mein heutiges Erscheinen in diesem Kreise, so unbedeutend es auch in diesem Augenblick sein mag, als eine That. – Zum Erstenmal spricht eine Frau sich öffentlich über das aus, was sie unter Gewissensfreiheit versteht; sie geht mit einem Beispiel voran, das ihr die Anfeindung engherziger und gleißnerischer Naturen zuziehn wird. – Doch ich gestehe mir meines moralischen Werthes zu deutlich bewußt zu sein, um solche fromme Hornissen zu fürchten.
Ein Bekenntnis zur revolutionären Aktion, zur radikalen Umgestaltung der gesellschaftlichen Zustände, das sie allerdings 1848 nur begrenzt umsetzte und weiterhin in dem von ihr gewählten Medium der Publizistik verbreitete. Dem schlossen sich im gleichen Jahr zwei Bände mit politischen Gedichten an. Schließlich überlegte die mittlerweile sehr bekannte Autorin, eine Zeitschrift zu verlegen. Der Plan glückte und im Januar 1849 erschien die "Die sociale Reform", musste aber bereits nach vier Ausgaben wieder eingestellt werden. Autorinnen und Autoren waren u. a. Louise Otto, Johanna Küstner, Karl Fröbel, Claire von Glümer, Malwida von Meysenbug, was auch auf die vielfältigen Kontakte der Herausgeberin verweist.
Im gleichen Jahr erschien das wohl bedeutendste Buch Dittmars, das bereits in ihrer Zeitschrift "Die sociale Reform" abgedruckt worden war: "Das Wesen der Ehe. Nebst einigen Aufsätzen über die soziale Reform der Frauen". Darin heißt es in einem Brief: "Ich lebe nur in dem Gedanken der Freiheit, der Vervollkommnung und es ist vielleicht diese fast leidenschaftliche Begeisterung für die allseitige Erhebung des Menschen, die mich meine Kräfte zersplittern läßt". Hier formulierte Dittmar erneut ihre Ideen, Vorstellungen, Überzeugungen, Forderungen für eine andere, bessere, soziale, demokratische, gleichberechtigte Gesellschaft. Der ebenfalls bereits in der Zeitschrift veröffentlichte Essay über die Revolutionärin Charlotte Corday war auch hier mit dabei. Der Rekurs auf die "Vorgängerin" lässt sich als Versuch lesen, sich mit der eigenen Person als historisches Subjekt in eine bestimmte Traditionslinie zu stellen, die Dittmar gleichzeitig mitgestaltet. Die aktuellen revolutionären Ereignisse wertete sie daher im Kontext dieses Verständnisses als Übersetzung der Idee in die Tat. Damit überschritt sie die Grenzen des vorherrschenden Geschlechtermodells, das solche eigenmächtigen Taten nicht für Frauen vorsah. Ihre Darstellung zog ihr den Unmut mehrerer Mitstreiterinnen zu, die zwar Beiträge für die Zeitschrift lieferten, aber sich an anderer Stelle von den radikalen Ideen Dittmars distanzierten.
Nach 1850 wurde es still um Louise Dittmar, sie veröffentlichte nicht mehr und lebte zurückgezogen in Darmstadt. Vier Jahre vor ihrem Tod zog sie, krank und finanziell erschöpft, nach Bessungen zu ihren zwei Nichten, wo sie am 11. Juli 1884 starb.
Weitere Inhalte
geb. 1965, Studium der Germanistik und Politikwissenschaft, Zusatzstudium Frauen im Recht, Promotion Literaturwissenschaft; freie Lektorin für Wissenschaft, Belletristik und Sachbuch; Redakteurin der Zeitschrift "Wir Frauen"; Schwerpunkte: Altern in der Gegenwartsliteratur, Frauenfreundschaften, Frauengeschichte und Frauenpolitik.
Wir laden Sie zu einer kurzen Befragung zu unserem Internetauftritt ein. Bitte nehmen Sie sich 5 Minuten Zeit, um uns bei der Verbesserung unserer Website zu helfen. Ihre Angaben sind anonym.
Vielen Dank für Ihre Unterstützung!