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Von der Krippe bis zur Hochschule – das Bildungssystem der DDR | Bildung | bpb.de

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Von der Krippe bis zur Hochschule – das Bildungssystem der DDR

Barbara Kerbel

/ 8 Minuten zu lesen

Ab Ende der 1950er durchliefen Kinder und Jugendliche in der DDR ein einheitliches Bildungssystem. Die staatliche Erziehung begann in den Krippen und setzte sich bis über die Oberschule hinaus fort.

Kinder auf dem Spielplatz des Kindergartens der Plauer Maschinen AG in Plauen/DDR 1974. (© picture-alliance/akg)

1. Die Erziehung der Kleinsten: Kinderkrippen und -gärten

In der DDR hatte jede Familie Anspruch auf einen kostenlosen Krippen- und später Kindergartenplatz für jedes Kind. Schon im Alter von wenigen Wochen konnten Säuglinge in staatlichen Krippen betreut werden. Diese gehörten formal zum Gesundheitswesen. Mit drei Jahren begann der Kindergarten, der als schulvorbereitende Einrichtung dem Ministerium für Volksbildung zugeordnet war. Die Öffnungszeiten der Einrichtungen waren lang, in der Regel von sechs Uhr morgens bis 19 Uhr abends. Es gab auch Wochenkrippen, in denen die Kinder von Montagmorgen bis Freitagabend bleiben konnten; diese waren vor allem für alleinerziehende Frauen und Schichtarbeiterinnen gedacht.

Hinter diesem Netz an Betreuungsangeboten standen sowohl politische als auch ökonomische Interessen des Staates. Zum einen hatte die DDR die berufliche Förderung der Frau als eines ihrer großen Ziele ausgegeben; die Gleichbehandlung von Mann und Frau stand von Anfang an in der Verfassung. Zum anderen aber wurden, gerade in den Anfangsjahren der DDR, Frauen als Arbeitskräfte auch dringend gebraucht. Der Staat musste folglich mit der nötigen Infrastruktur dafür sorgen, dass Frauen Beruf und Familie vereinbaren konnten.

Klarer Bildungsauftrag

Krippen und Kindergärten hatten jeweils einen klaren Bildungsauftrag. Schon für die Kleinsten gab es detaillierte Erziehungspläne, in denen zum Beispiel festgelegt war, in welchem Alter die Kinder in grammatikalisch korrekten Sätzen sprechen sollten. Von Anfang an wurde zudem ein starker Fokus auf die naturwissenschaftliche Bildung gelegt.

Die Kinderbetreuung in der DDR hat bis heute einen guten Ruf, denn sie war flächendeckend verfügbar und die Krippenerzieherinnen sowie die Kindergärtnerinnen waren pädagogisch und fachlich gut ausgebildet. In den westdeutschen Bundesländern dominierte dagegen viele Jahre lang das freie, ungelenkte Spiel in den Kindergärten. Erst seit Beginn der 2000er-Jahre gelten die Kindergärten zunehmend auch im Westen Deutschlands als Institutionen früher Bildung. Seitdem hat sich auch dort die Ansicht verbreitet, dass Bildung nicht erst in den Schulen beginnt und eine gute frühkindliche Bildung eine Maßnahme zur Bekämpfung ungleich verteilter Bildungschancen und sozialer Ungleichheit ist.

Erziehung zum Kollektiv

Auch die politische Erziehung spielte in der DDR schon bei den Kleinkindern eine wichtige Rolle. So stand in den Krippen und Kindergärten die Erziehung zum Kollektiv im Mittelpunkt. Aktivitäten wurden grundsätzlich in der Gruppe unternommen: vom gemeinsamen Essen, Schlafen und angeleiteten Spielen bis hin zum gemeinsamen Gang aufs Töpfchen nach vorgegebenen Zeiten.

Zudem gab es zahlreiche Vorgaben im Hinblick auf die Erziehung der Kinder zu "sozialistischen Persönlichkeiten". Die Einrichtungen waren zum Beispiel verpflichtet, die Festtage der Arbeiterbewegung mit den Kindern zu feiern. Die Gestaltung dieser Feiern blieb aber der jeweiligen Leitung überlassen. Es gab also trotz strenger Vorgaben an die Einrichtungen durchaus Spielraum bei der Umsetzung der politischen Erziehung der Kinder.

2. Die Einheitsschule der DDR: die Polytechnische Oberschule (POS)

Das gesamte Bildungssystem der DDR war darauf ausgerichtet, gut ausgebildete Arbeitskräfte für die Produktionsbetriebe zu gewinnen. Auf allen Ebenen – beginnend in den Kindergärten – stand die breite Bildung im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich im Vordergrund. Zentral für das polytechnische Prinzip war die Verbindung von Theorie und Praxis. Im Unterricht sollte nicht nur Wissen vermittelt werden, sondern auch praktische Fähigkeiten. Daher spielten Experimente, praktische Übungen und Projekte eine zentrale Rolle im polytechnischen Unterricht. Durch diese wesentlich auch von reformpädagogischen Konzepten inspirierte Art der Bildung sollten die Kinder und Jugendlichen von früh auf mit konkreten Anforderungen der Arbeits- und Berufswelt vertraut werden und Kompetenzen für die spätere Arbeit in der Produktion erwerben.

Vor diesem Hintergrund wurde mit dem Schulgesetz von 1959 der polytechnische Unterricht in der Oberschule gesetzlich verankert. Er bestand aus dem Fach "Einführung in die sozialistische Produktion" (ESP), das durch die Praxisphase "Unterrichtstag in der Produktion" (von 1970 an "Produktive Arbeit") ergänzt wurde. Damit war die Polytechnische Oberschule gegründet.

Vorbereitung auf die Produktion

Die Polytechnische Oberschule (POS) war die verpflichtende Einheitsschule für alle Schülerinnen und Schüler. In der Regel blieben die Klassenverbände von der ersten bis zur zehnten Klasse zusammen. In der POS lernten alle Kinder und Jugendlichen gemeinsam; die Klassen wurden in der Regel nicht nach Leistung und Begabung getrennt. Ziel der POS war es, alle Schülerinnen und Schüler zu einem qualifizierten Schulabschluss zu führen – ihr Abschluss entsprach in etwa dem Mittleren Schulabschluss.

Um die Kinder und Jugendlichen auf die Arbeit in der Produktion vorzubereiten, gab es neben dem Unterricht weitere enge Kontakte zu den Betrieben. So hielten etwa die Pionierverbände enge Verbindungen zu sogenannten Patenbrigaden. Auch Arbeitseinsätze im Sommer, etwa als Erntehelfer, gehörte für die Schülerinnen und Schüler zum Alltag, ebenso wie später auch für die Studierenden.

Der starke Fokus auf die mathematisch-technisch-naturwissenschaftliche Ausbildung ist bis heute in den ostdeutschen Bundesländern präsent. So schneiden etwa Sachsen und Thüringen bei Interner Link: Ländervergleichstests in diesen Bereichen meist deutlich besser ab als die meisten westdeutschen Bundesländer.

Extraförderung für die Besten

Obwohl die Polytechnische Oberschule (POS) grundsätzlich als Einheitsschule konzipiert war, gab es in DDR doch eine Reihe von separaten Spezialklassen und -schulen, in denen Schüler mit besonderer Begabung eine intensivere Förderung erhalten konnten. Der Zugang zu solchen Angeboten hing aber auch von der politischen Gesinnung der Jugendlichen bzw. ihrer Eltern ab. Entsprechende Schulen und Klassen gab es etwa im künstlerischen Bereich, im Sport, sowie in Sprachen, Naturwissenschaften und Mathematik. Insbesondere die Klassen und Schulen mit erweitertem Russischunterricht dienten dabei faktisch häufig der Elitenbildung. Viele dieser Spezialschulen haben mit den regulären POS zusammengearbeitet, zum Beispiel bei gemeinsam veranstalteten Mathematikolympiaden.

3. Der direkte Weg zum Abitur: die Erweiterte Oberschule (EOS)

An die Polytechnische Oberschule (POS) schloss sich der Besuch der Erweiterten Oberschule (EOS) an – allerdings nur für einen sehr kleinen Teil der Schülerschaft: Nur zirka zehn Prozent eines Jahrgangs wurden zur zweijährigen EOS zugelassen und durften dort nach der 12. Klasse Abitur machen; dieser Anteil blieb bis 1989 im Großen und Ganzen gleich. Akzeptiert wurden nur politisch konforme Schülerinnern und Schüler, die neben guten Leistungen auch gesellschaftspolitisches Engagement vorweisen konnten, das über die Mitgliedschaft in den Pionierorganisationen und später der FDJ hinausging. Die Jugendlichen konnten zum Beispiel mit der Gestaltung der Wandzeitung in der Schule oder der Teilnahme an Altstoffsammlungen Pluspunkte sammeln. Auch die Eltern mussten politisch mit der Parteilinie übereinstimmen, damit ihre Kinder zur EOS zugelassen werden konnten.

Die EOS eröffnete den Jugendlichen den direkten Weg zum Studium; Gymnasien gab es in der DDR nicht. Bis 1984 wechselten die Schülerinnen und Schüler schon nach dem 8. Schuljahr auf die EOS, nach 1984 erst nach dem Abschluss der zehnjährigen POS.

Berufsausbildung mit Abitur

Ähnlich wie in der Bundesrepublik war auch die Berufsausbildung in der DDR in einem dualen System organisiert. Die Lehrlinge besuchten eine Berufsschule und absolvierten die praktische Ausbildung in einem Betrieb. In der Regel umfasste die Berufsausbildung zunächst eine zweijährige Grundausbildung, an die sich noch eine zweijährige Spezialausbildung anschloss. Zum Beispiel konnten sich Baufacharbeiterlehrlinge nach der zweijährigen Grundausbildung unter anderem auf Montage-, Stahlbeton- oder Tiefbau spezialisieren.

Eine Sonderform war die dreijährige Berufsausbildung mit Abitur (BmA), die zum Studium berechtigte und vor allem auf ein Studium im technisch-naturwissenschaftlichen Bereich vorbereiten sollte. Sie wurde in Spezialklassen an Berufsschulen großer Betriebe angeboten. Neben dem Abitur erwarben die Absolventinnen und Absolventen einen Facharbeitertitel, etwa als Elektrofacharbeiter. Die Abiturprüfungen entsprachen denen der EOS, die Facharbeiterprüfung denen der entsprechenden zweijährigen Berufsausbildung.

Die BmA hatte einen guten Ruf und die Plätze waren begehrt – auch weil die politische Lenkung bei der Zulassung weniger ins Gewicht fiel als beim Zugang zur EOS; Plätze gab es für etwa fünf Prozent eines Jahrgangs. Die Berufsausbildung mit Abitur war etwa für Kinder von Oppositionellen eine Möglichkeit, doch noch Abitur zu machen.

Bis zu Beginn der 70er Jahre lag die Abiturquote in der DDR leicht über derjenigen in der Bundesrepublik. Der Spitzenwert war 1973 erreicht, als 17 Prozent des Jahrgangs einen der Wege zum Abitur absolvierten; im Westen lag die Abiturquote 1970 bei nur 11,3 Prozent, stieg aber bis 1975 auf 20,2 Prozent an. In der DDR dagegen wurde die Bildungsexpansion in den 70er Jahren wieder gestoppt. 1980 absolvierten in der DDR nur noch zwölf Prozent der Schülerinnen und Schüler einen der Wege zum Abitur; in der Bundesrepublik machten im selben Jahr 21,7 Prozent das Abitur .

4. Studieren in der DDR: die Hochschulen

Der Zugang zu den Hochschulen war stark reglementiert. Auch Jugendliche, die es auf eine Erweiterten Oberschule (EOS) geschafft hatten, durften oft nicht ihr Wunschfach studieren – sondern ein Fach, das laut Wirtschaftsplan dringender gebraucht wurde. Zudem gab es für die Studierenden eine Vielzahl von Verpflichtungen, darunter – unabhängig von der studierten Fachrichtung – die Pflichtfächer Russisch, Sport und Marxismus-Leninismus; dazu kamen Ernteeinsätze im Sommer und verpflichtende Wehrübungen. Ein Jahr vor dem Studienabschluss mussten sich die Studierenden auf einen dreijährigen Arbeitsvertrag mit einem Betrieb verpflichten.

Erst Ausbildung, dann Studium

Andererseits war der Zugang zum Studium ohne Abitur in der DDR einfacher als im Westen. Die meisten Studierenden hatten vor Studienbeginn eine Ausbildung absolviert. In der Regel delegierten Betriebe junge Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an die Hochschulen: Der Betrieb beteiligte sich an den Kosten des Studiums, etwa für Bücher; dafür verpflichteten sich die Studierenden, nach dem Studium wieder in den Betrieb zurückzukehren.

5. Aus dem Raster gefallen: die Hilfsschulen

Obwohl in der DDR ein einheitliches Bildungswesen für alle Kinder vorgesehen war, fielen Kinder und Jugendliche mit Behinderungen aus dem Raster. Sie waren aus dem System der Polytechnischen Oberschulen in der Regel ausgeschlossen. Staatliche Bildungsangebote gab es für sie kaum. Für Kinder mit Lernschwierigkeiten und andere vergleichsweise leichte Behinderungen schlossen meist Hilfsschulen in kirchlicher Trägerschaft die Lücke. Für Kinder mit schweren geistigen Behinderungen gab es meist gar keine Angebote. Sie wurden – wie bis in die 1970er Jahre hinein übrigens auch in der Bundesrepublik – weitestgehend zu Hause oder in speziellen Einrichtungen des Gesundheits- und Sozialwesens betreut.

Eine Folge der zu DDR-Zeiten besonders rigoros praktizierten Exklusion von Schülerinnen und Schülern mit Behinderungen ist bis heute erkennbar. Im Vergleich zu den westdeutschen Bundesländern liegen die meisten ostdeutschen Länder beim Ausbau der Inklusion, also dem gemeinsamen Unterricht für Kinder mit und ohne Behinderung, weit zurück.

6. In der Doppelrolle: Lehrkräfte in der DDR

Lehrkräfte hatten in der DDR eine Schlüsselrolle. Schließlich waren sie es, die die Kinder und Jugendlichen im Sinne des Sozialismus bilden und erziehen sollten. Die pädagogische Ausbildung war, zumindest für die Lehrkräfte der EOS und der Oberklassen der POS, fachlich auf sehr hohem Niveau und sehr praxisorientiert; die Vermittlung didaktischer Methoden hatte einen sehr hohen Stellenwert. Alles, was in den Schulen passieren sollte, war zudem detailliert festgelegt: der Aufbau der Stunden, das verwendete Material, die angestrebten Unterrichtsziele.

Lehrerinnen und Lehrer hatten viel Macht, weil sie unter anderem für die Lenkung der Berufswünsche ihrer Schülerinnen und Schüler zuständig waren und vorschlagen konnten, wer die EOS besuchen durfte. Sie konnten also viel Druck ausüben – und sollten das auch tun.

Andererseits standen die Lehrkräfte selbst unter Kontrolle, ihre Arbeit war durch die zahlreichen politischen Akteurinnen und Akteure, die in den Schulen mitentschieden, stark reglementiert. So wurden Lehrkräfte für die Leistungen ihrer Schülerinnen und Schüler ebenso verantwortlich gemacht wie für deren politische Einstellung; sie mussten sich zum Beispiel im Fall von Klassenwiederholungen vor dem jeweiligen Kreisschulrat verantworten. Nach der Wende gaben einige frühere DDR-Lehrkräfte öffentlich zu, Zensuren nach oben korrigiert zu haben, um eine geschönte Statistik an die Vorgesetzten melden zu können.

Auf der anderen Seite berichteten ehemalige DDR-Lehrkräfte aber auch, dass es an den Schulen durchaus Spielraum gab, sich den strengen Vorgaben zumindest teilweise zu widersetzen – etwa indem ein vorgegebenes gesellschaftspolitisches Thema pro forma ins Klassenbuch eingetragen, die Stunde aber anders gestaltet wurde.

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Barbara Kerbel, geboren 1978, ist Journalistin mit den Schwerpunkten Bildung, Soziales und Gesellschaft. Sie hat in Gießen Diplom-Psychologie studiert und im Anschluss bei der "Süddeutschen Zeitung" volontiert. Seit 2010 arbeitet sie als Autorin und freie Redakteurin in Berlin, unter anderem für den Berliner "Tagesspiegel", das Wirtschaftsmagazin "brand eins" und die Sprachlernzeitschrift "Deutsch perfekt".