Seit der Jahrtausendwende ist die Präsenz von Stiftungen im Bildungsbereich deutlich gestiegen. Auch ganz allgemein ist ein Aufstieg der Stiftungskultur in Deutschland zu verzeichnen. Die Zahl der in Deutschland aktiven Stiftungen hat seither sprunghaft zugenommen: Lag sie 2004 noch bei 12.760, so wurden 2014 bereits 20.784 Stiftungen registriert (Interner Link: Bundesverband deutscher Stiftungen) – und längst nicht alle Stiftungen sind registriert (siehe Infobox). Viele von ihnen sind auch im Bildungsbereich aktiv, darunter große Namen wie Bertelsmann, Vodafone, Bosch, VW oder Telekom.
InfoboxWas ist eine Stiftung?
Eine Stiftung ist weder gesetzlich-juristisch noch wissenschaftlich klar definiert. Vielmehr dient die Bezeichnung Stiftung als "Oberbegriff für eine komplexe Vielfalt von Körperschaften, die im privaten, öffentlichen und kirchlichen Recht verankert sein können" (http://www.stiftungen.org/de/news-wissen/ was-ist-eine-stiftung.html).
Eine formaljuristische Bestimmung lautet:
"Eine Stiftung ist eine Einrichtung, die mit Hilfe eines Vermögens einen vom Stifter festgelegten Zweck verfolgt. Dabei wird in der Regel das Vermögen auf Dauer erhalten, und es werden nur die Erträge für den Zweck verwendet. Stiftungen können in verschiedenen rechtlichen Formen und zu jedem legalen Zweck errichtet werden. Die meisten Stiftungen werden in privatrechtlicher Form errichtet und dienen gemeinnützigen Zwecken. Eine Stiftung hat in der Regel eine Satzung, die unter anderem die Ziele festschreibt. Handelndes Organ einer Stiftung ist der Vorstand, es können satzungsgemäß aber auch andere Organe eingerichtet werden. Im Unterschied zu einem Verein hat eine Stiftung allerdings keine Mitglieder. Beaufsichtigt wird eine Stiftung von einer Stiftungsaufsicht. Der juristische Akt der Errichtung einer Stiftung wird ebenfalls als Stiftung bezeichnet, ebenso – allgemeiner – auch die Hergabe von Vermögenswerten, insbesondere für gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke." (Externer Link: https://www.stadt-fuessen.de/4509.html)
Darüber hinaus werden Stiftungen soziologisch-politikwissenschaftlich als Akteure und damit als handlungsmächtige Organisationen verstanden. Sie werden als Teil der Zivilgesellschaft erachtet und als Alternative zu Staat und Wirtschaft gesehen.
Viele begrüßen das Engagement von Stiftungen im Bildungsbereich und betonen ihre Gemeinnützigkeit und Gemeinwohlorientierung. Doch gibt es auch kritische Stimmen, die ihren wachsenden Einfluss und ihre Allgegenwärtigkeit in der traditionell staatlichen Domäne der Bildungspolitik für problematisch halten. Klar ist: Das Handeln und Wirken von Stiftungen birgt Ambivalenzen. Einerseits bringen sie beträchtliche Geldsummen in den Bildungsbereich ein und unterstützen nachhaltig über Förderleistungen wie Stipendien und Projektförderungen viele Personen und Bildungseinrichtungen. Sie mischen sich in öffentliche Diskussionen ein und engagieren sich gesellschaftspolitisch. Andererseits sind einige kritische Gesichtspunkte zu bedenken, so etwa die mangelnde demokratische Legitimation ihres Handelns, die problematische Ausschließung nicht so einflussreicher Akteure aus der zivilgesellschaftlichen Sphäre oder die verstärkte Einflussnahme privater Netzwerke auf staatliche Politik und Institutionen.
Stiftungen als bildungspolitische Akteure
Nicht nur in der Bildungspolitik hat die Bedeutung von Stiftungen zugenommen, sondern in vielen Politikbereichen. Dies hängt mit Veränderungen von Staat und
Kennzeichnend für diese Veränderungen ist unter anderem, dass der Staat bestimmte Aufgaben, die in seinem Verantwortungsbereich liegen, an private Akteure abgibt, oder Partnerschaften mit privaten Akteuren eingeht, um die Aufgaben zu erfüllen. Häufig entwickelt sich so neben dem staatlichen Angebot ein Markt privater Anbieter, der – wie etwa in der Renten- und Gesundheitspolitik – zunehmend in Konkurrenz zum öffentlichen Angebot steht oder dieses gar vollständig ersetzt. Zwar ist der Staat im Bildungsbereich auch heute der mit Abstand einflussreichste Akteur und weit davon entfernt, sich aus der Bildungspolitik zurückzuziehen. Gleichwohl deutet die gestiegene Zahl privater Akteure und deren mittlerweile erhebliche Gestaltungsmacht im staatlichen Kernbereich der Schul- und Hochschulpolitik auf einen Transformationsprozess hin, dessen langfristiges Ergebnis noch nicht abzusehen ist.
Außerdem wächst die Bedeutung von Stiftungen durch eine Art neue "Projektförmigkeit" der Politik beziehungsweise des politischen Handelns: Statt flächendeckender Reformen werden immer häufiger zeitlich und räumlich begrenzte Modellprojekte ins Leben gerufen, anhand derer die Wirksamkeit von Reformansätzen im kleineren Rahmen erprobt werden soll. Dabei geht der Staat verstärkt sogenannte Public-Private-Partnerships ein, in denen Stiftungen als private-zivilgesellschaftliche Akteure federführend beteiligt sind. Ein prägnantes Beispiel für diese Art der Zusammenarbeit im Bildungsbereich ist das Projekt "Lernen vor Ort", das den Aufbau eines regionalen Bildungsmanagements zum Ziel hat (siehe unten). Vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanziert, bindet es über 100 Stiftungen ein, die Kommunen beim Aufbau entsprechender Strukturen mit fachlicher Expertise unterstützen sollen.
In Zeiten chronisch knapper öffentlicher Bildungsbudgets sind Stiftungen zu willkommenen Geldgebern geworden, wenn es darum geht, neue pädagogische Konzepte zu erproben (etwa in der Benachteiligtenförderung), neue bildungspolitische Strategien zu entwickeln (etwa zur Verringerung von Übergangsproblemen zwischen Bildungsbereichen) oder Forschungsprojekte durchzuführen. Mehr als ein Viertel (27,7 Prozent) aller Stiftungsaktivitäten lässt sich den Bereichen Bildung und Wissenschaft zuordnen, die damit – nach dem Bereich "soziale Zwecke" – das zweitgrößte Tätigkeitsfeld von Stiftungen sind. Vor allem über Praxis- und Forschungsprojekte bringen Stiftungen beträchtliche finanzielle Ressourcen in den Bildungsbereich ein, beispielsweise in den Bereichen MINT, Inklusion, Begabtenförderung oder Leseförderung. An stiftungsfinanzierten Projekten sind manchmal nur einzelne oder einige wenige Bildungseinrichtungen beteiligt; nicht selten aber umfasst der Teilnehmerkreis einige Dutzende, in manchen Fällen sogar Hunderte von Bildungseinrichtungen. Dann können die Aktivitäten von Stiftungen mitunter eine bildungspolitische Flächenwirkung entfalten, die üblicherweise nur gesetzlich geregelte Reformen einer (Landes-)Regierung haben.
Das Tätigkeitsfeld von Stiftungen geht über die Finanzierung und Durchführung von Projekten aber weit hinaus. Gerade die großen Stiftungen treten öffentlichkeitswirksam mit bildungspolitischen Programmen und Positionen auf und prägen durch ihre Arbeit die bildungspolitische Agenda staatlicher Entscheidungsträger mit. So setzen Stiftungen zum Beispiel Expertenkommissionen zu Themen ihrer Wahl ein, richten bildungspolitische Veranstaltungen und Kongresse aus, beauftragen und veröffentlichen Expertisen und Berichte, sind mit Rat und Tat an medienwirksamen Events wie Preisverleihungen beteiligt oder ihre Vertreter werden als Experten zu runden Tischen und öffentlichen Diskussionen eingeladen. Bisweilen wirken Stiftungen, wie bereits erwähnt, im Rahmen von Public-Private-Partnerships sogar direkt an bildungspolitischen Reformprojekten des Staates mit.
Stiftungen verändern die Bildungspolitik
InfoboxDie deutsche Stiftungslandschaft
Auch wenn das Feld der Stiftungen, was ihre Aktivitäten, programmatische Ausrichtung, Größe und Rechtsform betrifft, äußerst vielfältig ist, so lässt sich als gemeinsamer Kern die "Gemeinnützigkeit" festhalten*.
Dabei handelt es sich in erster Linie um eine steuerrechtliche Vergünstigung (u.a. die Befreiung von der Ertrags- und Vermögenssteuer), die der Staat Organisationen gewährt, die mit ihrem Handeln gemeinwohlorientierte Zwecke verfolgen**. Grundsätzlich lässt sich grob zwischen Förderstiftungen und operativen Stiftungen unterscheiden: Förderstiftungen verfolgen ihren Stiftungszweck, indem sie Stipendien an Einzelpersonen vergeben, etwa Promotionsstipendien, oder Projekte Dritter finanzieren oder bezuschussen, z.B. ein Praxisprojekt, in dem Studierende regelmäßig benachteiligten Schülerinnen und Schülern beim Lernen helfen, oder ein Forschungsprojekt, mit dem Wissenschaftler herausfinden möchten, was guten naturwissenschaftlichen Unterricht ausmacht. Operative Stiftungen finanzieren ebenfalls Projekte, entwickeln diese aber grundsätzlich selbst und führen sie mit eigenem Personal durch. Darüber hinaus gibt es noch weitere Formen von Stiftungen: Unternehmensstiftungen, Stiftungen öffentlichen Rechts, Bürgerstiftungen, Parteienstiftungen, kirchliche oder gewerkschaftsnahe Stiftungen, die ganz unterschiedliche Programme, Zielsetzungen und Aktivitäten verfolgen.
Anmerkungen
* Neben gemeinnützigen Stiftungen gibt es in Deutschland auch privatnützige Stiftungen. Häufig sind dies sogenannte Familienstiftungen, deren Zweck beispielsweise in der wirtschaftlichen Absicherung der Nachkommen eines Familienunternehmers besteht. Da solche Stiftungen private Zwecke verfolgen, sind sie, anders als gemeinnützige Stiftungen, nicht steuerbefreit. Eine Übersicht der in Deutschland existierenden Stiftungstypen findet sich hier: Externer Link: http://www.stiftungen.org/fileadmin/bvds/media/ZDF_EBOOK_final_Webgr%C3%B6%C3%9Fe.pdf; S. 14-18
** Die Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit sind in Deutschland in §52 Abgabenordnung (AO) geregelt. Dort heißt es: "(1) Eine Körperschaft verfolgt gemeinnützige Zwecke, wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist, die Allgemeinheit auf materiellem, geistigem oder sittlichem Gebiet selbstlos zu fördern. Eine Förderung der Allgemeinheit ist nicht gegeben, wenn der Kreis der Personen, dem die Förderung zugutekommt, fest abgeschlossen ist, zum Beispiel Zugehörigkeit zu einer Familie oder zur Belegschaft eines Unternehmens, oder infolge seiner Abgrenzung, insbesondere nach räumlichen oder beruflichen Merkmalen, dauernd nur klein sein kann. Eine Förderung der Allgemeinheit liegt nicht allein deswegen vor, weil eine Körperschaft ihre Mittel einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zuführt (…)" (Externer Link: http://www.gesetze-im-internet.de/ao_1977/__52.html)
Wie weitreichend und vielschichtig die Stiftungsaktivitäten im Bildungsbereich sind, sei an zwei Beispielen verdeutlicht: dem Programm "Lernen vor Ort" und dem Projekt "Selbstevaluation von Schule".
In dem Programm "Lernen vor Ort", das vom BMBF seit 2009 durchgeführt wird, sind über 100 Stiftungen eingebunden (Weiß 2011: 96), deren Größe von der kleinen Sparkassen-Stiftung vor Ort bis hin zu überregional operierenden Stiftungen wie Körber oder Roland Berger reicht (ebd.: 105). In 40 Modellregionen sollen unterschiedliche bildungspolitische Akteure vernetzt, Lernzentren und Beratungsagenturen eingerichtet und ein sogenanntes Übergangsmanagement auf regionaler und kommunaler Ebene organisiert werden (ebd.: 96f.). Dadurch sollen die unterschiedlichen Bildungsgänge, Abschlüsse und ein sich veränderndes Beschäftigungssystem besser aufeinander abgestimmt werden. Dieses Modellprojekt einer Public-Private-Partnership, wie es explizit in den Förderrichtlinien als Ziel an- und vorgegeben wird (ebd.: 102), zeigt die verstärkte Integration privater-zivilgesellschaftlicher Akteure im Bildungsbereich durch bildungspolitisch Verantwortliche.
In dem Projekt "Selbstevaluation in Schulen" (SEIS) wurde in Modellprojekten seit 2004 in verschiedenen Bundesländern ein Evaluationsinstrument der Bertelsmann Stiftung zur internen Evaluation von Schulen gemeinsam mit unterschiedlichen Bundesländern, Regionen und Kommunen eingeführt, bei dem die Stiftung die Evaluationsdaten erhebt, auswertet und an die Schulen zurückmeldet. Für dieses Projekt wurden der Stiftung weitgehende Handlungskompetenzen bei der bildungspolitischen (Mit-)Steuerung gewährt (Höhne/Schreck 2009: 238). Mittlerweile sind es 4.000 Schulen, die – nach Angabe des eigens dafür gegründeten Länderkonsortiums – SEIS verwenden. Zu den erweiterten Kompetenzen der Stiftung gehören unter anderem die Einwerbung von Drittmitteln durch Sponsoren (Stiftungen, Unternehmen), die alleinige Durchführung der SEIS-Evaluation sowie die zeitlich unbefristete Nutzung der erhobenen Evaluationsdaten durch die Stiftung, wie sie in Kooperationsvereinbarungen zwischen der Stiftung und Kommunen, Regionen, Ländern und Städten festgeschrieben worden sind (ebd.: 233).
Was zeigen die beiden Fallbeispiele hinsichtlich der bildungspolitischen Veränderungen, die mit dem Engagement von Stiftungen verbunden sind? Im BMBF-Projekt zu den kommunalen Bildungslandschaften werden Stiftungen neben dem Staat zu gleichrangigen Akteuren gemacht, die sich beratend, konzeptionell und finanziell einbringen, auch wenn die Finanzierung größtenteils durch die Politik sichergestellt wird. Darüber hinaus hat diese Kooperation als privat-öffentliche Partnerschaft einen Projekt- und Modellcharakter, was für eine neue Form projektförmiger und kurzfristiger Bildungspolitik steht. Hierin gleicht sie dem zweiten Fallbeispiel SEIS, das aber deutlicher die Problematik einer solchen Partnerschaft hervortreten lässt: Fragwürdig ist zum einen die nicht weiter politisch kontrollierte Verwendung der erhobenen Daten durch die Stiftung. Zum anderen wurde die vormals staatliche Steuerungskompetenz durch die Kooperationsvereinbarungen auf die Stiftung übertragen, obwohl die flächendeckende Erhebung von Daten traditionell zu den Aufgaben staatlicher Behörden (statische Ämter, Schulverwaltung) gehört.
Stiftungen zwischen privaten Interessen und zivilgesellschaftlichem Engagement
Stiftungen werden, wie Vereine, Nichtregierungsorganisationen oder Bürgerinitiativen, üblicherweise der Zivilgesellschaft zugerechnet, was angesichts der sie charakterisierenden Merkmale der Gemeinnützigkeit und Gemeinwohlorientierung zunächst plausibel erscheint. Allerdings ist diese Zuordnung nicht immer ganz unproblematisch, denn sie impliziert, dass Stiftungen vollkommen selbstlos zum Wohle der Gesellschaft handeln. Dabei wird jedoch übersehen, dass Stiftungen für ihr Engagement auch etwas bekommen.
In der Sprache des Soziologen Pierre Bourdieu lässt sich dieses "Geben und Nehmen" präziser beschreiben: Natürlich wenden Stiftungen für ihre vielfältigen Projekte und Aktivitäten finanzielle Mittel auf; sie geben – man könnte auch sagen sie stiften – "ökonomisches Kapital". Doch das ist nur die eine Seite. Denn neben ökonomischem Kapital gibt es andere, für Position und Einfluss in der Gesellschaft nicht minder wichtige Kapitalformen, die Stiftungen durch ihr Handeln vermehren: das sogenannte kulturelle, symbolische und soziale Kapital. Dies geschieht etwa, wenn durch kluge Projektarbeit der gute Ruf der Stiftung gefestigt wird (symbolisches Kapital), auf die Expertise und das organisatorische Wissen einer Stiftung für die Realisierung eines Projekts zurückgegriffen wird (kulturelles Kapital) oder Stiftungen systematisch Kontakte und Netzwerke aufbauen und pflegen (soziales Kapital). Damit stärken Stiftungen nachhaltig ihre Position als bildungspolitische Experten, die sich geradezu für Bildungsreformen anbieten, da sie den (vermeintlichen) Vorteil haben, gegenüber staatlicher Bürokratie schneller zu agieren und Reformen umzusetzen. In dieser Zuschreibung zeigt sich die hohe Bedeutung symbolischen Kapitals, durch welches das Stiftungshandeln getragen und legitimiert wird. Jedoch stellen sich auch grundlegende Fragen: In der Regel wird nicht untersucht oder evaluiert, ob eine schnelle Umsetzung wirklich der Fall ist, ob die beabsichtigten Effekte wirklich erreicht werden, ob die Nachhaltigkeit von Reformen dadurch gewährleistet wird oder ob bestimmte Projekte unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten opportun sind.
Kurzum: Stiftungen sind zwar Einrichtungen, die im Namen des Gemeinwohls agieren und dafür auch beträchtliche finanzielle Ressourcen aufwenden. Doch gleicht das für die verschiedenen Stiftungsaktivitäten aufgebrachte ökonomische Kapital in gewisser Weise eher einer Investition als einer Spende, wie sie etwa eine anonyme Privatperson für einen guten Zweck tätigt. Denn im Gegenzug für ihr finanzielles Engagement erhalten Stiftungen – jenseits von Geld – in hohem Maße andere Formen von Kapital, die ihnen gesellschaftlichen Einfluss und politische Gestaltungsmacht sichern (Höhne 2012).
Spannungsfelder und Ambivalenzen – eine kritische Abwägung
Dem Engagement von Stiftungen wird mit Lob, aber gleichzeitig auch mit Kritik begegnet, von der schlaglichtartig einige wichtige Punkte genannt werden sollen:
Grundlegend zeichnet sich das Handeln von Stiftungen durch eine Spannung unterschiedlicher Logiken aus: Auch wenn Stiftungen formal die Gemeinwohlorientierung bescheinigt ist, sind sie doch letztlich allein dem sogenannten Stifterwillen beziehungsweise einem formal und inhaltlich vagen Stiftungszweck verpflichtet. Auch wenn sich eine Stiftung zivilgesellschaftlich engagiert, ist sie insofern privater Akteur, als dass sie auch eigene Interessen und eine spezifische Reformagenda verfolgt. Stiftungen sind also weder ausschließlich zivilgesellschaftliche noch rein private Akteure, sondern immer beides zugleich.
Die bildungspolitische Gestaltungsmacht, die vor allem großen Stiftungen durch ihre öffentlich-mediale Präsenz und ihre vielfältigen Einflussmöglichkeiten zukommt, wirft die Frage nach ihrer bildungspolitischen Legitimität auf. Denn Stiftungen sind in ihrem Wirken nicht demokratisch oder unabhängig kontrolliert und haben keine Berichtspflicht gegenüber staatlichen Institutionen, was etwa die Verwendung des Stiftungskapitals betrifft. Dass sie sich auf ein formal-abstraktes Gemeinwohl berufen können, das ihnen ermöglicht, im Namen vieler oder aller zu sprechen, ist nicht automatisch mit einer zivilgesellschaftlich erweiterten Demokratie gleichzusetzen. Vielmehr kann dies auch auf postdemokratische Entwicklungen hinweisen, wie der britische Politikwissenschaftler und Soziologe Collin Crouch dies nennt, wonach hinter der Fassade demokratischer oder zivilgesellschaftlicher Institutionen exklusive und politisch machtvolle Netzwerke aus Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft entstehen (Crouch 2008).
Mit dem großen Einfluss von Stiftungen geht eine Professionalisierung der zivilgesellschaftlichen Sphäre einher. Diese wird zunehmend von Expertinnen und Experten geprägt, zu denen Think-Tanks, Politik- und Unternehmensberatungen, Lobbygruppen sowie große zivilgesellschaftliche Organisationen wie Caritas oder Gewerkschaften gehören. Große Stiftungen werden wie Wirtschaftsunternehmen gemanagt und betreiben in diesem Sinne eine 'strategische Philanthropie': Diese überträgt, so bringt es der Soziologe Frank Adloff auf den Punkt, "Management-Strategien auf den gemeinnützigen Sektor, es handelt sich gleichsam um die Übertragung des Gedankens der lohnenden Investition auf den gemeinnützigen Bereich" (Adloff 2011: 1), mit dem Ziel, bei effizientem Ressourceneinsatz einen größtmöglichen Impact zu erreichen. Dadurch haben kleine Stiftungen im Wettbewerb um das knappe Gut öffentlicher Aufmerksamkeit gegenüber größeren Stiftungen zunehmend das Nachsehen. Die professionalisierte Stiftungskultur produziert also auch Ausschlüsse auf den "Aufmerksamkeitsmärkten".
Zumindest im Fall von Unternehmensstiftungen ist zu bedenken, dass das in eine gemeinnützige Stiftung eingebrachte Vermögen der staatlichen Besteuerung entzogen wird, sodass dem Staat bedeutende Einnahmen entgehen. Anders ausgedrückt: Bei Unternehmen, die einen Teil ihres Vermögens in eine gemeinnützige Stiftung überführen, gibt es weniger zu besteuern. Dadurch verzeichnet der Staat insgesamt geringere Steuereinnahmen und den öffentlichen Haushalten, einschließlich der Bildungshaushalte, steht damit eben auch weniger Geld zur Verfügung. Insofern handelt es sich bei der Überschreibung von Vermögen auf eine Stiftung letztlich um eine Umverteilung öffentlichen Kapitals (Steuern) auf private Akteure. Zwar kann ein Unternehmen über das in seine Stiftung eingebrachte Kapital nicht mehr völlig frei verfügen, denn es ist mit der Überschreibung unwiderruflich an den Stiftungszweck gebunden. Gegenüber regulären Steuerzahlungen hat die Stiftungslösung für das Unternehmen aber einen entscheidenden Vorteil: Das Unternehmen behält über die Definition des Stiftungszwecks zumindest indirekt die Kontrolle darüber, wofür das Geld eingesetzt wird
In der sich ausbreitenden Stiftungskultur sehen Kritiker einen Beleg für eine weitreichende Veränderung von Staat und Politik, die letztlich einer Privatisierung vormals staatlicher Aufgabenbereiche gleichkomme. Damit vollziehe sich unter dem Leitbild der Gemeinwohlorientierung ein schleichender Umbau des Bildungssystems, durch den vormals staatliche Verantwortung zunehmend in private Hände gegeben wird. Auch wenn Stiftungen immer wieder beteuern, dass sie den Staat nicht ersetzen können und dies auch nicht wollen, so lässt sich ihre gegenwärtige Rolle und Bedeutung nur vor dem Hintergrund der Veränderungen von Staat und Politik begreifen.