Die Evangelische und die Katholische Kirche übernehmen ihrem Selbstverständnis und Auftrag entsprechend gesellschaftliche Verantwortung. Dies gilt auch für den Bildungsbereich. Die außerschulische politische Bildung ist dabei in beiden Volkskirchen in verschiedener Weise organisatorisch verankert:
in den Evangelischen Akademien und den Katholischen Akademien und sozialen Bildungswerken,
in den stärker gemeindebezogenen kirchlichen Erwachsenenbildungswerken,
in Zielgruppenbezogenen Einrichtungen und Bildungswerken mit spezifischen Bildungsangeboten.
Auf allen drei Ebenen sind die einzelnen Einrichtungen in Dachverbänden und Zentralstellen organisiert, die jeweils auch eine bildungs- und förderungspolitische Vertretung ihrer Mitglieder wahrnehmen. Im Folgenden werden die einzelnen Kooperationszusammenhänge kurz dargestellt.
1. Die Evangelischen Akademien in Deutschland (EAD) e.V.
Der in Berlin angesiedelte Verein Evangelische Akademien in Deutschland (EAD) e.V. vertritt 17 Evangelische Akademien, die in der Regel unselbständige Einrichtungen ihrer Landeskirchen sind oder als e.V. von diesen weitgehend getragen werden. Ausnahmen sind die Evangelische Akademie zu Berlin als gemeinsam von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Landeskirche getragene gemeinnützige GmbH und die Evangelische Landjugendakademie Altenkirchen als Einrichtung der EKD. Die Arbeit der Evangelischen Akademien gründet im Selbstverständnis des Protestantismus. Er wird als eine Bildungsbewegung mit gesellschaftlicher Prägekraft verstanden. Auf diese Weise entspricht er der Dynamik zwischen innerer Reflexion und öffentlicher Artikulation. Bildung bedeutet im Protestantismus nicht nur Wissenstransport; sie zielt vielmehr auf die Fähigkeit zur eigenständigen Selbst- und Weltgestaltung.
Zentrales Gestaltungsmittel der Akademiearbeit ist der Diskurs. Dabei beteiligen sich Evangelische Akademien an laufenden Diskursen, ebenso sind sie jedoch auch Initiatoren von Diskursen. Diskurse erzeugen und strukturieren Realität. Sie umfassen nicht nur Argumente und Wissen, sondern sind auch durch Macht und Interessen bestimmt. Mit ihren Diskursangeboten wollen die Evangelischen Akademien zur Weiterentwicklung der Gesellschaft beitragen. Die Grundorientierung zielt auf eine demokratische, partizipative und einvernehmliche Lösung gesellschaftlicher Probleme. Wenigstens ein Schritt in diese Richtung ist gelungen, wenn Widersprüche und Interessengegensätze formuliert und verhandelt werden können. Deshalb wird eine Diskurskultur favorisiert, die Macht und Interessen nicht verschweigt, sondern zivilisiert. Die Arbeit Evangelischer Akademien ist damit einem umfassenden Bildungsbegriff verpflichtet, der von theologischer Reflexion und wissenschaftlichem Wissen bis zur intrinsischen Motivation der am Diskurs Beteiligten reicht. Daraus ergeben sich auch zentrale methodische Herausforderungen für die Tagungsdidaktik – von der Zusammensetzung der Gesprächspartner und -partnerinnen über die Gesprächsatmosphäre und die Tagungshäuser bis zur Didaktik im engeren Sinn.
Die Diskurskultur Evangelischer Akademien orientiert sich an folgende Kriterien:
Die Machtförmigkeit des Diskurses ist grundsätzlich produktiv und soll dahingehend zivilisiert werden, dass einvernehmliche, partizipative Lösungen gemeinsamer Probleme angestrebt werden.
Alle an einer Frage Interessierten sind am Diskurs über diese Frage zu beteiligen, ihre Interessen und ihre Macht aber sind zum Gegenstand des Diskurses zu machen. Kein Wissen, kein Interesse und keine Position – auch keine protestantische – dürfen vorausgesetzt oder gar absolut gesetzt werden. Es kommt auf die Verflechtung von Wissen, Interessen und Positionen durch den Diskurs an.
Die nachhaltige Lösung eines Problems ist nur dann zu erwarten, wenn die Tatsachenfeststellung, die normative Entscheidung und die subjektive Wahrhaftigkeit der Beteiligten unterschieden und gleichberechtigt behandelt werden. (Anm. i)
Auf der Basis dieses Selbstverständnisses bieten die Evangelischen Akademien jährlich rund 200 Tagungen zur politischen Bildung an, denen im Gesamtangebot Evangelischer Akademiearbeit ein erheblicher Stellenwert zukommt.
2. Die Arbeitsgemeinschaft katholisch–sozialer Bildungswerke (AKSB)
Die in Bonn ansässige Externer Link: Arbeitsgemeinschaft katholisch–sozialer Bildungswerke (AKSB) ist die Zentralstelle für rund 60 katholische Akademien, Bildungseinrichtungen, Vereine und Verbände, die zusammen jährlich rund 700 mehrtägige Veranstaltungen zur politischen Bildung mit ca. 20.000 Teilnehmenden durchführen. Die AKSB repräsentiert als bundesweite Fachorganisation diese politische Bildungsarbeit. Grundlage der Bildungsarbeit der AKSB-Mitglieder ist der 1976 beschlossene Beutelsbacher Konsens, der Kontroversität und Meinungsvielfalt einfordert, politische Überwältigungsversuche verbietet und zum politischen Engagement anregen will. Die Arbeit der AKSB basiert auf dem christlichen Menschenbild und der katholischen Soziallehre. Nach christlicher Überzeugung ist der Mensch zur Freiheit berufen und gleichzeitig auf Gemeinschaft angelegt. Somit kommt ihm das Recht zu, seine Anlagen frei zu entfalten, aber auch die Pflicht, am Wohl der Gemeinschaft mitzuwirken. Das Verhältnis von Mensch und Gemeinschaft orientiert sich an den Grundsätzen der Gerechtigkeit, der Subsidiarität, der Solidarität und der Gemeinwohlorientierung. Sie werden verstanden als Orientierungshilfen, um in sozialer Verantwortung eine Gesellschaft zu gestalten, die in Achtung der Bedeutung des Einzelnen gleichzeitig Schwache schützt und Starken Möglichkeiten zur Verwirklichung ihrer Fähigkeiten bietet. Vor diesem Hintergrund sind die Erhaltung des Friedens, die Bewahrung der Schöpfung, das friedliche Miteinander der Kulturen und Religionen und die Sicherung der Zukunft nachfolgender Generationen wesentliche Prinzipien der Bildungsarbeit der AKSB.
3. Der Leiterkreis der Katholischen Akademien
Der Externer Link: Leiterkreis ist der Dachverband für 23 Katholische Akademien. Die förderungspolitische Zentralstellenfunktion auf Bundesebene wird durch die AKSB wahrgenommen. Die Katholischen Akademien verstehen sich als Orte des Nachdenkens in den Bereichen Kirche und Religion, Gesellschaft und Politik sowie Kultur und Wissenschaft. Sie sind in ihrer Gesprächskultur der Interdisziplinarität und als Orte "kultureller Diakonie" dem Orientierungswissen verpflichtet. Ökumenische und interreligiöse Offenheit ist selbstverständlich. Die Katholischen Akademien arbeiten nach ihrem Selbstverständnis an Grenzen, die zugleich Schwellen sind: Religion und Politik, Wissenschaft und Leben, Evangelium und Kultur, Beruf und Ethik. Katholische Akademien wollen aktuelle Diskussionen an diesen Bruchlinien eröffnen. Sie verstehen sich als Orte der öffentlichen Debatte und als Anwältinnen für die christliche Wahrheit in gesellschaftlichen Diskussionen. Auf der Basis dieses Selbstverständnisses finden ähnlich wie an den Evangelischen Akademien auch eine Vielzahl von Tagungen zur politischen Bildung statt.
4. Die Deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung (DEAE)
Die Externer Link: Deutsche Evangelische Arbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung (DEAE) mit Sitz in Frankfurt am Main vertritt als Zentralstelle 19 landeskirchliche Organisationen der evangelischen Erwachsenenbildung. Die landeskirchlichen Arbeitsgemeinschaften bieten überwiegend gemeindebezogene Kurs- und Einzelveranstaltungen an. Themenfelder sind: theologische und religiöse Bildung; Lebensformen, Geschlechter- und Generationenbeziehungen; Politische Bildung/globales Lernen; Mitarbeiterqualifizierung. Die politische Bildung hat im Gesamtangebot quantitativ eher einen geringen Stellenwert.
5. Die Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung (KBE)
Die in Bonn angesiedelte Externer Link: Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft für Erwachsenenbildung (KBE) fungiert als Zentralstelle für die Katholischen Landesarbeitsgemeinschaften für Erwachsenenbildung in 12 Bundesländern. In ihren bildungspolitischen Grundsätzen versteht die KBE die Erwachsenenbildung als ganzheitliche, wertorientierte und integrierte Bildung, die zu selbstständigem Urteil und eigenverantwortlichem Handeln im persönlichen, beruflichen, gesellschaftlichen und politischen Leben befähigt und an der Lebenswelt und den Bedürfnissen der Menschen orientiert ist. Vor diesem Hintergrund umfasst das gemeindebezogene Angebot auch Veranstaltungen der politischen Bildung. Ähnlich wie bei der DEAE ist ihr Anteil am Bildungsangebot aber eher gering.
6. Zielgruppenbezogene Verbände und Organisationen
In beiden Volkskirchen werden Veranstaltungen zur politischen Bildung zudem von einzelnen zielgruppendefinierten Verbänden angeboten. In erster Linie sind hier zu nennen:
die kirchlichen Arbeitnehmerorganisationen: der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (KdA) auf evangelischer Seite und die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands (KAB);
die kirchlichen Frauenwerke: die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands sowie die Evangelische Frauenhilfe in Deutschland (EfiD);
die evangelischen und katholischen Heimvolkshochschulen, die ebenfalls Angebote politischer Bildung machen, in der Regel regional arbeiten und in die entsprechenden kirchlichen Kontexte eingebunden sind. Gleiches gilt, wenn auch in geringerem Umfang für die konfessionellen Familienbildungsstätten.
Der Text wurde übernommen aus dem Band: Wolfgang Sander / Peter Steinbach, Politische Bildung in Deutschland. Profile, Personen, Institutionen, Bonn 2014. Erschienen in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 1449.