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Arbeiten im Bruderland Arbeitsmigranten in der DDR und ihr Zusammenleben mit der deutschen Bevölkerung

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Offiziell waren die "ausländischen Werktätigen", die ab den 1960er Jahren in die DDR kamen, "Freunde", die eine Ausbildung erhielten, um anschließend beim Aufbau ihrer Heimat, den sozialistischen Bruderländern, zu helfen. Die Wirklichkeit sah jedoch oft anders aus. Ann-Judith Rabenschlag über Anspruch und Wirklichkeit im Leben der "Gastarbeiter" in der DDR.

Ausbildung von zwei Mosambikanern im Schweriner Lederwarenwerk, 1988

Ausbildung von zwei Mosambikanern im Schweriner Lederwarenwerk, 1988 (© Bundesarchiv, Bild 183-1988-1011-011, Foto: Ralf Pätzold)

"Ausländische Werktätige": Die Einwanderer im Auswanderland

Die politische und gesellschaftliche Abgrenzung der frühen DDR gegenüber Westdeutschland und der westlich-kapitalistischen Welt wurde im August 1961 mit dem Bau der Berliner Mauer buchstäblich zementiert und erfuhr erst im Laufe der 1980er Jahre eine gewisse Aufweichung. Bis zum Mauerbau verließen jeden Monat tausende junger Ostdeutscher die DDR in Richtung Westen. Danach war der legale Grenzübertritt nur noch mit Genehmigung der Staatspartei SED möglich – die DDR war ein Auswanderungsland, kein Einwanderungsland.

Dennoch gab es auch in der DDR Zuwanderung. Die größte Gruppe unter den Einwanderern stellten Arbeitsmigranten und -migrantinnen dar, die ab den frühen 1960er Jahren ins Land kamen und im offiziellen Sprachgebrauch als ausländische Werktätige bezeichnet wurden. Die Arbeitsmigration in die DDR entsprach einem allgemeinen Trend während des Kalten Krieges, nach dem das Nachkriegseuropa "in eine nördliche Zuwanderungs- und eine südliche Abwanderungsregion" geteilt wurde. Zur Auflösung der Fußnote[1] Im Unterschied zur Bundesrepublik schloss die DDR ihre Anwerbeverträge jedoch ausschließlich mit anderen sozialistischen Staaten ab. Während die ersten Arbeitsmigranten aus Nachbarländern kamen, warb die DDR auf Grund des steigenden Bedarfs im Laufe der Jahre auch im außereuropäischen Ausland an. 1963 unterzeichnete die DDR ein erstes Abkommen mit der Volksrepublik Polen, drei Jahre später regelten die beiden Staaten im sogenannten "Pendlerabkommen" den Arbeitseinsatz polnischer Arbeitskräfte im Grenzgebiet. 1967 folgte ein Vertragsabschluss mit Ungarn. Wenige Jahre später unterzeichnete die DDR bilaterale Verträge mit Algerien (1974), Kuba (1975), Mosambik (1979), Vietnam (1980) und Angola (1984). In geringem Umfang sandten die Mongolei (1982), China (1986) und Nordkorea (1986) Arbeitskräfte in die DDR. Zur Auflösung der Fußnote[2]

Viele junge Männer und keine Wahlmöglichkeiten

In der Mehrheit handelte es sich bei den ausländischen Arbeitskräften um junge Männer. Zur Frage, wie hoch genau der Frauenanteil unter den Arbeitsmigranten war, finden sich in der Forschung wenige und zum Teil widersprüchliche Informationen. Die meisten weiblichen Arbeitskräfte kamen vermutlich aus Polen und Vietnam. Sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen überwogen die Altersgruppen unter 35 Jahren. Zur Auflösung der Fußnote[3] Im Vergleich zur Bundesrepublik und gemessen an der Gesamtbevölkerung war die Anzahl ausländischer Arbeitsmigranten in der DDR gering. Von den frühen 1960er Jahren bis hin zum Mauerfall im November 1989 lässt sich jedoch eine deutliche Zunahme verzeichnen, vor allem in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre kam es zu einem rasanten Anstieg der Anstellungszahlen. Für 1989 wird die Gesamtzahl ausländischer Vertragsarbeiter und Vertragsarbeiterinnen auf 91.000–94.000 geschätzt. Zur Auflösung der Fußnote[4]

Die Anstellung der Arbeitskräfte erfolgte auf Grundlage bilateraler Verträge, in denen sich die DDR und das jeweilige Entsendeland über die Modalitäten des Arbeitseinsatzes verständigten. Der Arbeitseinsatz ausländischer Arbeitskräfte war also durchweg staatlich organisiert, die Anreise der Vertragsarbeiter erfolgte in Gruppen, individuelle Vertragsaushandlungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gab es nicht. Zur Auflösung der Fußnote[5] Ebenso wie in den westlichen Industriestaaten übernahmen auch die "Gastarbeiter der DDR" vorrangig monotone, ungelernte und in anderer Hinsicht unattraktive Arbeiten. Sie arbeiteten gehäuft im Schichtdienst, mit veralteter Ausrüstung, am Fließband, sowohl in der Leicht- und Schwerindustrie als auch im Kohleabbau. Zum Zeitpunkt des Zusammenbruchs der DDR waren in annähernd 1000 sogenannten volkseigenen Betrieben der DDR ausländische Vertragsarbeiter angestellt. Zur Auflösung der Fußnote[6] Ihren Wohnort durften die ausländischen Arbeitnehmer nicht eigenständig wählen. Ihre Unterbringung wurde stattdessen vom Einsatzbetrieb organisiert und erfolgte in Wohnheimen, in denen nur ausländische Arbeitskräfte wohnten. Auch die Belegung der Zimmer wurde von der Betriebsleitung organisiert, pro Zimmer wurden bis zu vier Bewohner untergebracht. Männer und Frauen wohnten voneinander getrennt, selbst Ehepaare hatten keinen Anspruch auf ein gemeinsames Zimmer. Eine Einlasskontrolle registrierte An- und Abwesenheit der Bewohner und eventueller Besucher. Übernachtungsbesuch musste bei der Wohnheimleitung beantragt werden, ebenso die eigene Übernachtung außer Haus. Zur Auflösung der Fußnote[7]

Ein langfristiger Aufenthalt der ausländischen Vertragsarbeiter war nicht vorgesehen. Stattdessen basierten die bilateralen Verträge auf dem sogenannten Rotationsprinzip, nach dem Arbeitsmigranten in der Regel nach maximal fünf Jahren wieder in ihr Heimatland zurückgeschickt und durch Neuankömmlinge ersetzt wurden. Vertragsverlängerungen waren theoretisch möglich, bedurften jedoch der Zustimmung beider Staaten. Das Aufenthaltsrecht der ausländischen Arbeitskräfte war stets an ein bestehendes Arbeitsverhältnis geknüpft. Endete der Arbeitsvertrag, erlosch damit auch das Aufenthaltsrecht. Darüber hinaus konnten ausländische Vertragsarbeiter jederzeit vorzeitig entlassen und in ihre Heimatländer zurückgeschickt werden, wenn ihnen ein Verstoß gegen die "sozialistische Arbeitsdisziplin" zur Last gelegt wurde. Inwiefern ein solcher Verstoß stattgefunden hatte, lag im Ermessen des jeweiligen Einsatzbetriebes. Zur Auflösung der Fußnote[8]

Eine doppelte Ausbildung?

Eine Näherin aus Vietnam im VEB Jugendmode Rostock, 1987

Eine Näherin aus Vietnam im VEB Jugendmode Rostock, 1987 (© Bundesarchiv, Bild 183-1987-1125-011, Foto: Jürgen Sindermann)

Die Frage nach der Motivation der SED-Regierung, ausländische Arbeitskräfte zu beschäftigen, ist in der Forschung vielfach diskutiert worden. Folgt man der Darstellung der DDR-Presse, stellte die Anwerbung ausländischer Arbeitskräfte ein Ausbildungs- und Hilfsprogramm gegenüber sozialistischen Bruderstaaten dar. So berichtete die Junge Welt von Osvaldo Estay aus Chile, der in der DDR "vieles lernen [muss], wozu er in Chile keine Gelegenheit hatte." Zur Auflösung der Fußnote[9] Für Dich sprach von kubanischen und mosambikanischen Arbeitskräften in der Lausitz, die "das Gelernte mit nach Hause nehmen" würden, um "beim Aufbau einer jungen Industrie" mitzuhelfen. Zur Auflösung der Fußnote[10] Und die Vietnamesinnen, die in einem Berliner Betrieb als Näherinnen arbeiteten, würden "später ihr Wissen und Können bei der Industrialisierung der Heimat weitergeben." Zur Auflösung der Fußnote[11] Laut Darstellung der DDR-Presse kamen die Arbeitsmigranten zudem in den Genuss einer weltanschaulichen Ausbildung. Im alltäglichen Miteinander mit ihren deutschen Kollegen sollten sie den real existierenden Sozialismus erleben und dieses Gedankengut anschließend in ihre Heimatländer exportieren. Es ginge, so das Neue Deutschland, bei der Ausbildung der Zuwanderer auch um die "Entwicklung ihrer Persönlichkeit". Zur Auflösung der Fußnote[12] Das gängige Erzählmuster der DDR-Presse kann daher als "Narrativ der zweifachen Ausbildung" bezeichnet werden. Zur Auflösung der Fußnote[13] Funktion dieses Narrativ war jedoch nicht allein die positive Selbstdarstellung der Staatspartei und ihrer Politik. Das Narrativ diente auch der Abgrenzung gegenüber der Gastarbeiter-Politik des kapitalistischen Westens und insbesondere der Bundesrepublik, die im öffentlichen Diskurs der DDR als "Fremdarbeiterpolitik" bezeichnet und damit in unmittelbare Nähe der nationalsozialistischen Verbrechen gerückt wurde. Zur Auflösung der Fußnote[14]

Vielmehr Ausbeutung

Die Forschung ist sich allerdings weitgehend einig, dass der Mangel an einheimischen Arbeitskräften, insbesondere im Bereich unqualifizierter Tätigkeiten, die zentrale Motivation der SED-Regierung war, Arbeitskräfte aus dem Ausland anzuwerben. Zur Auflösung der Fußnote[15] Ebenso wie die kapitalistischen Anwerbestaaten Europas reagierte die DDR auf arbeitsmarktpolitische Notwendigkeiten. Die Frage, inwiefern die Arbeitsmigranten in der DDR trotz allem sinnvolle Tätigkeiten erlernten, ist je nach Nationalität und Einsatzort, vor allem aber je nach Zeitpunkt unterschiedlich zu beantworten. Mehrere Forscher halten fest, dass eine Qualifizierung der Vertragsarbeiter zwar zu Beginn der Anwerbepolitik angestrebt wurde, im Laufe der Jahre aber an Bedeutung verlor und in den 1980er Jahren kaum noch eine Rolle spielte. Zur Auflösung der Fußnote[16] Darüber hinaus bestimmte das bereits vorhandene Bildungsniveau der einreisenden Arbeitskräfte, inwiefern diese mit anspruchsvollen und weiterbildenden Aufgaben betraut wurden oder ob ihre Arbeit auf simple, monotone Handgriffe beschränkt blieb. Während beispielsweise die mosambikanischen Zuwanderer in der Regel weder fachliche noch sprachliche Vorkenntnisse mitbrachten, wenn sie in die DDR einreisten, sprachen ungarische Arbeitskräfte zum Teil deutsch und hatten bereits eine abgeschlossene Ausbildung vorzuweisen. Zur Auflösung der Fußnote[17]

"Freunde aus dem Ausland"

Nach Darstellung der DDR-Printmedien waren die ausländischen Vertragsarbeiter gut in die DDR-Gesellschaft integriert. Die Zugereisten, so der Tenor, hätten in der DDR eine "zweite Heimat" gefunden. Enge Bande zur einheimischen Bevölkerung seien geknüpft worden. In vielen Beiträgen werden Arbeitsmigranten schlicht als "Freunde" bezeichnet. Zur Auflösung der Fußnote[18] Diese Darstellung entsprach dem Selbstverständnis der DDR als antifaschistischem Staat, der die braune deutsche Vergangenheit erfolgreich hinter sich gelassen hatte. In der DDR, so Erich Honecker im August 1978, sei "der menschenfeindliche Rassismus mit der Wurzel ausgerottet" worden. Zur Auflösung der Fußnote[19] Klassenbewusstsein, nicht Ethnizität sollte das entscheidende Kriterium für Abgrenzung und Identitätsstiftung sein. Rassistische und fremdenfeindliche Äußerungen waren tabu – was sprachlich nicht artikuliert wurde, so die dahinterstehende Hoffnung, würde auch in der sozialen Wirklichkeit keinen Raum einnehmen.

Ein näherer Blick auf die sprachliche Artikulierung dieses Wunschbildes zeigt jedoch, dass es hier nicht allein bei der Umsetzung in die Realität haperte. Eine Diskriminierung ausländischer Arbeitskräfte fand nicht nur im sozialpolitischen Umgang mit ihnen statt, sondern manifestierte sich bereits in den propagandistischen Thesen von Völkerfreundschaft und erfolgreicher Integration. Gleich auf mehreren Ebenen wird in der Berichterstattung der DDR-Presse über ausländische Arbeitskräfte ein Machtgefälle aufgebaut, das die Bürger der DDR als überlegen, die Zugewanderten als unterlegen darstellt. So werden DDR-Bürger in der Rolle des Helfenden, des Lehrers und Erwachsenen präsentiert, die Zugewanderten in der Rolle des Bedürftigen, des Schülers oder gar des Kindes. Die Infantilisierung der Arbeitsmigranten zeigt sich etwa in ihrer konsequenten Anrede mit Vornamen, während deutsche Arbeitskollegen mit Nachnamen genannt werden. Zur Auflösung der Fußnote[20] Dieses Machtungleichgewicht wurde auch in anderen diskursiven Zusammenhängen reproduziert. So ist etwa in den Betriebsakten von der "Erziehung" der Arbeitsmigranten die Rede, die trotz ihres erwachsenen Alters als "Jungen" und "Mädchen" bezeichnet werden. Zur Auflösung der Fußnote[21] Selbst DDR-Bürgerinnen, die in Eingaben um die Verlängerung des Aufenthaltsrechts ihres ausländischen Partners bitten, reproduzieren das Machtgefälle, so etwa eine Verfasserin, die betont, dass ihr Freund es ernst mit der Beziehung meine, "obwohl er ein Mosambikaner" sei. Zur Auflösung der Fußnote[22] Es ist die These des britischen Schriftstellers Rudyard Kipling von der "Bürde des weißen Mannes", die hier in paternalistischem Ton in Form der "Bürde des DDR-Bürgers" zum Leben erweckt und mit dem Pflichtgefühl eines guten Sozialisten erklärt wird. Fremdenfeindliche Vorkommnisse in der DDR können also nicht pauschal auf die mangelnde Durchsetzungskraft einer auf Gleichberechtigung ausgerichteten Staatsideologie zurückgeführt werden. Vielmehr war die Diskriminierung Nicht-Deutscher bereits in der sprachlichen Artikulation dieser Ideologie selbst verankert.

Fast unüberwindbare Hürden für Liebe und Freundschaft

Nichtsdestotrotz gab es viele Arbeitsmigranten, die den nahen Anschluss an die DDR-Gesellschaft suchten, und auf der anderen Seite DDR-Bürger, die versuchten, diesen Integrationswünschen zu entsprechen. Am deutlichsten zeigt sich dies an der Vielzahl binationaler Liebesbeziehungen. Eine rigide Gesetzgebung erschwerte diese Partnerschaften jedoch erheblich. So bedurften Eheschließungen zwischen DDR-Bürgern und Ausländern der Genehmigung beider Staaten. Und selbst in den seltenen Fällen, in denen eine Eheschließung genehmigt wurde, bedeutete dies für den ausländischen Partner kein Bleiberecht – auch dann nicht, wenn das Paar bereits gemeinsame Kinder hatte. Im Falle einer Schwangerschaft wurden Vertragsarbeiterinnen in der Regel vor die Wahl zwischen Ausreise oder Abtreibung gestellt. Diese Regelungen wurden erst Ende der 1980er Jahre gelockert. Großzügiger waren die Regelungen nur im Falle schwangerer Polinnen, die ihr Kind in der DDR zur Welt bringen durften. Zur Auflösung der Fußnote[23]

In den Betrieben arbeiteten ausländische Vertragsarbeiter gemeinsam mit deutschen Kollegen. Auch hier gab es also Möglichkeiten des gegenseitigen Kennenlernens. Seitens der deutschen Betriebsleitungen gab es durchaus Integrationsversuche. Ausländischen Arbeiterkollektiven standen ein Gruppenleiter und ein Dolmetscher des eigenen Herkunftslandes vor, die zwischen Betriebsleitung und Landsleuten vermitteln sollten. Die Arbeitsmigranten waren Teil der Arbeiterbrigaden, kamen ebenfalls für Preise und Auszeichnungen in Betracht und durften eigene nationale Feiertage feiern. Zur Auflösung der Fußnote[24] Ein Problem blieb jedoch oft die Sprachbarriere. Zwar gab es verpflichtende Deutschkurse für die Arbeitsmigranten. Das hier gelehrte Vokabular war jedoch auf die Tätigkeit in der Fabrik und weniger auf den außerbetrieblichen Alltag ausgerichtet. Zur Auflösung der Fußnote[25]

Als problematisch erwies sich für die Betriebsleitungen zudem die ideologische Vorgabe, einer Gesellschaft anzugehören, die frei von Rassismus war. Das Spannungspotenzial des multikulturellen Miteinanders am Arbeitsplatz wurde dadurch schlicht verleugnet. Die Berichte über den Einsatz der ausländischen Arbeitskräfte, welche die volkseigenen Betriebe dem Staatssekretariat für Arbeit und Löhne (SfAL) mehrmals pro Jahr zukommen lassen mussten, nennen zahlreiche Vorfälle, bei denen es zu (teilweise gewaltsamen) Auseinandersetzungen zwischen deutschen und ausländischen Angestellten kam. Zur Auflösung der Fußnote[26] In den Betriebsakten werden solche Auseinandersetzungen als "Besondere Vorkommnisse" verbucht. Diese Bezeichnung stimmt jedoch kaum mit der Häufigkeit ihres Auftretens überein, sondern muss als Versuch gesehen werden, am Wunschbild eines spannungsfreien interkulturellen Miteinanders festzuhalten. Die "Lösung" der rapportierten Zwischenfälle bestand meist in der Abschiebung der am Vorkommnis beteiligten ausländischen Arbeitskräfte. Zur Auflösung der Fußnote[27] Inwiefern bei diesen Konflikten stets die unterschiedliche Herkunft, oder aber doch nur interpersonelle Antipathien ausschlaggebend waren, ist an Hand dieser Quellen nicht zweifelsfrei zu sagen. Da ein ethnischer Konflikt auf Grund staatsideologischer Vorgaben jedoch von vornherein ausgeschlossen wurde, war konstruktiven Konfliktlösungen und einem interkulturellen Zusammenwachsen damit oft der Weg verstellt.

Hinsichtlich des nachbarschaftlichen Zusammenlebens von DDR-Bürgern und Arbeitsmigranten gab es allenfalls halbherzige Integrationsversuche der Behörden. Zahlreiche Eingaben, in denen sich DDR-Bürger über ihre ausländischen Nachbarn beschweren, zeichnen das Bild eines angespannten nachbarschaftlichen Verhältnisses. Zur Auflösung der Fußnote[28] Der Umstand, dass die Arbeitsmigranten in großen Gruppen und auf engem Raum untergebracht waren, und es sich bei ihnen überwiegend um junge Männer handelte, trug hier sicher erheblich zu Nachbarschaftskonflikten bei. Seitens der DDR-Behörden versuchte man zunächst zu vermitteln. Das SfAL bestellte zu klärenden Gesprächen ein, an denen Vertreter beider Konfliktparteien teilnahmen. Zur Auflösung der Fußnote[29] Da diese Gespräche jedoch nur selten die gewünschte Einigung erbrachten, löste das SfAL andauernde Konflikte letztlich durch eine physische Segregation: Entweder wurden die deutschen Beschwerdeführer umgesiedelt, oder aber die betroffenen Arbeitsmigranten. "Wir sehen", resümiert der stellvertretende Staatssekretär im SfAL Horst Rademacher 1986 in einem Brief an den Staatssekretär der Staatlichen Plankommission Wolfgang Greß, "nach jahrelangen Erfahrungen und Versuchen solche Probleme zu mildern keine andere Lösung". Zur Auflösung der Fußnote[30]

Am Ende zerplatzte die Blase des Mythos der Freundschaft

Vietnamesische Gastarbeiter aus Cottbus verlassen im Mai 1990 vom Flughafen Schönefeld aus die DDR

Vietnamesische Gastarbeiter aus Cottbus verlassen im Mai 1990 vom Flughafen Schönefeld aus die DDR (© Bundesarchiv, Bild 183-1990-0531-022, Foto: Ralf Hirschberger)

Als im Laufe des Herbstes 1989 die Spannungen zwischen Bevölkerung und Staatsmacht zunahmen, wirkte sich dies auch auf das Verhältnis zwischen DDR-Bürgern und Arbeitsmigranten aus. Ausländer wurden zur Projektionsfläche von Angst und Wut und verstärkt als Konkurrenten im Kampf um knappe Ressourcen wahrgenommen.
"Wir haben nichts zu verschenken! […] Keinen proletarischen Internationalismus auf Kosten der eigenen Bevölkerung", hieß es in einer Eingabe aus Waren vom 10. November 1989, dem Tag nach den Mauerfall. Zur Auflösung der Fußnote[31] Und ein Bürger aus Radelbeul hielt am 5. Dezember 1989 fest:
"Es sind jetzt nicht die Zeiten dafür gegenüber Ausländern den Weihnachtsmann zu spielen." Zur Auflösung der Fußnote[32]

Während das SfAL in den Jahren zuvor auf derlei Eingaben mit einer kritischen Zurechtweisung und einem Appell an das internationale Solidaritätsgefühl reagiert hatte, fehlte diese Schärfe in den Antwortschreiben aus dem Herbst und Winter 1989/90. Anstatt fehlende Solidarität anzuprangern, wies die Behörde nun lediglich auf den wirtschaftlichen Nutzen der in der DDR wohnenden Arbeitsmigranten hin. Zur Auflösung der Fußnote[33] Eine Eingabe von über dreißig deutschen Arbeitern des Volkseigenen Betriebs (VEB) Bandstahlkombinat Hermann Matern in Eisenhüttenstadt offenbart den Autoritätsverlust der SED und ihrer Sprachpolitik schließlich überdeutlich. Man sei

    "gegen die durch die Regierung beschlossene weitere Einbürgerung von ausländischen Bürgern in unsere Republik. Wir sind zutiefst enttäuscht, dass auch diese Entscheidung ohne Zustimmung des Volkes getroffen wurde und erwarten hierzu eine öffentliche Stellungnahme. Wir sind das Volk und haben über unsere Zukunft mitzuentscheiden!" Zur Auflösung der Fußnote[34]

    "Wir sind das Volk" – der Protestruf der Montagsdemonstrationen, der auf die Beseitigung der Diktatur und auf demokratische Reformen in der DDR abzielte und wenig später in der Variante "wir sind ein Volk" die deutsche Wiedervereinigung einforderte, dient hier dazu, mit den Parolen der SED von Völkerfreundschaft und internationaler Solidarität zu brechen. Die ausländischen Vertragsarbeiter haben in diesem "Wir" keinen Platz. Das "Volk" wird hier nicht (im Sinne der bürgerlichen Revolution) als Souverän benannt, sondern als ethnische Einheit angeführt: Der Volksbegriff wird nicht demokratisch, sondern völkisch verstanden. Im Zuge des Zusammenbruchs des politischen Systems der DDR, der Abwicklung der volkseigenen Betriebe und vor dem Hintergrund eines zunehmend fremdenfeindlichen Klimas, kehrte die überwiegende Mehrheit der Arbeitsmigranten schließlich in ihre Heimatländer zurück.

    Zitierweise: Ann-Judith Rabenschlag, Arbeiten im Bruderland. Arbeitsmigranten in der DDR und ihr Zusammenleben mit der deutschen Bevölkerung, in: Deutschland Archiv, 15.9.2016, Link: www.bpb.de/233678

    Fussnoten

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    Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Ann-Judith Rabenschlag für bpb.de

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