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Projekte für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin und Leipzig

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Zwei Denkmalsvorhaben wurden auf den Weg gebracht, die an die "Friedliche Revolution" erinnern sollen. Das Berliner Projekt steht kurz vor der Realisierung, das Leipziger wird als gescheitert bewertet und zunächst nicht weiter verfolgt. Der Beitrag informiert über die unterschiedlichen Zielsetzungen, zeichnet die Entstehungsgeschichte der beiden Vorhaben und ihre jeweiligen Standortbedingungen nach, beschreibt die von den Jurys ausgewählten Entwürfe und macht den Versuch, den Stand der Dinge im Oktober 2015 einzuschätzen.

Entwurf des Freiheits- und Einheitsdenkmals in Berlin: Perspektivische Ansicht vom Schloss (von Norden) aus betrachtet

Entwurf des Freiheits- und Einheitsdenkmals "Bürger in Bewegung" in Berlin: Perspektivische Ansicht vom Schloss (von Norden) aus betrachtet (© Milla & Partner)

1. Sinn und Bedeutung

Die Widmungen

Bei beiden Vorhaben handelt es sich nicht um kleinere, dezentrale und kommunal oder privat finanzierte Unternehmungen mit speziellen, auf konkrete Orte und Einzelereignisse bezogenen Widmungen. Hier geht es vielmehr um zentrale Projekte des nationalen Gedenkens, durch Bundestagsbeschlüsse bekräftigt. Damit wurde ihnen eine umfassende gesellschaftliche und symbolische Bedeutung zugewiesen. Sie sollen zeigen, wie die Bundesrepublik mit der Erinnerung an Mauerfall und Wiedervereinigung umgeht, welches Selbstverständnis diesen Umgang bestimmt und welche Sicht auf das Geschehen ihm zugrunde liegt.

Eine gelungene demokratische Revolution hatte es in der deutschen Geschichte zuvor noch nicht gegeben. Die Erinnerungskultur hatte sich in der Nachkriegszeit in beiden deutschen Staaten auf die Opfer des Nationalsozialismus konzentriert, in der DDR bereits früher, in der Bundesrepublik seit den 1980er Jahren. Auch in der Zeit nach dem Mauerfall standen zunächst NS-Verbrechen und Völkermord im Zentrum. Nun sollte, wie es die Initiatoren der Idee für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal formulierten, die "gelungene Seite unserer Geschichte" stärkere Beachtung finden und im öffentlichen Raum ins Blickfeld geholt werden. Mit der Erinnerung an die "Friedliche Revolution" wollten sie einen Beitrag zur positiven Traditionsbildung und zur Identitätsstärkung der Bürgerinnen und Bürger leisten. Zur Auflösung der Fußnote[1]

Auf der Folie dieser allgemeinen Zielsetzung entwickelte sich für Berlin und Leipzig jedoch ein jeweils unterschiedlicher Bezugsrahmen. Die Auslobung für das Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal stellte die Montagsdemonstration als Beginn der Friedlichen Revolution in den Mittelpunkt. Als zentrale "Botschaft des Denkmals" sollte der Mut der demonstrierenden Bürgerinnen und Bürger gewürdigt werden, die "urdemokratische Tatsache, dass das Volk sich selbst zum Akteur seiner Geschickte erhebt und zugleich die Friedfertigkeit zum Handlungsmuster erklärt". Zur Auflösung der Fußnote[2] Beim Berliner Freiheits- und Einheitsdenkmal hingegen sollte laut Auslobung besonderer Nachdruck auf die "Wiedergewinnung der staatlichen Einheit Deutschlands" gelegt werden. Zur Auflösung der Fußnote[3]

Vorgeschichte und inhaltliche Weichenstellungen

Wesentliche Unterschiede zwischen beiden Denkmalprojekten zeigen sich auch in der Art und Weise, wie das Denkmalsanliegen von Politik und Öffentlichkeit aufgenommen und konkretisiert wurde. In Berlin war der Anstoß von der "Initiative Denkmal Deutsche Einheit" gekommen, die im Blick auf den zehnten Jahrestag des Mauerfalls von den Parlamentariern Lothar de Maizière und Günter Nooke gemeinsam mit dem Stadtplaner Florian Mausbach und dem Journalisten Jürgen Engert gegründet worden war. Bereits in ihrem ersten Aufruf 1998 sah diese Vierergruppe als Standort den Sockel des ehemaligen Nationaldenkmals für Kaiser Wilhelm I. vor. Trotz der Unterstützung prominenter Persönlichkeiten war die öffentliche Resonanz auf ihren Denkmalvorschlag allerdings gering. Ihr Antrag scheiterte 2000 im Bundestag und ebenso im folgenden Jahr. Unter veränderten politischen Konstellationen fand er schließlich am 9. November 2007 als gemeinsamer Vorschlag von CDU/CSU und SPD eine parlamentarische Mehrheit. Die Festlegung auf den historischen Sockel erfolgte kurz darauf in dem vom Staatsminister für Kultur und Medien verantworteten und 2008 ebenfalls im Bundestag verabschiedeten Denkmalkonzept, mit dem das Projekt auch in die Gedenkstättenkonzeption des Bundes aufgenommen wurde. Mit der Bewilligung von 15 Millionen Euro konnte der offene Wettbewerb ausgeschrieben werden.

Aufschlussreich für das Berliner Projekt ist, dass auch im Kontext der politischen Entscheidung relativ wenige öffentliche Debatten geführt wurden. Kontroversen bezogen sich erstens auf das Pro und Kontra der Denkmalsetzung selbst, zweitens auf die im Titel beschworene, von vielen jedoch als problematisch erachtete Koppelung von Freiheits- und Einheitsbestrebungen, drittens auf die Sorge, das Projekt könnte die Aufmerksamkeit der Bevölkerung für die Erinnerung an die Opfer des NS-Regimes schmälern, und viertens auf die Standortfrage, die auch bei den öffentlichen Veranstaltungen und in den Medien den größten Raum einnahm. Als Alternativen zum Sockel des Nationaldenkmals wurden der Platz vor dem Reichstagsgebäude und, mit besonderem Nachdruck, der Alexanderplatz vorgeschlagen, auf dem die legendäre Abschlusskundgebung der großen Demonstration vom 4. November 1989 stattgefunden hatte. Von Seiten der Politik wie auch der Initiative, die mittlerweile in der Deutschen Gesellschaft e.V. eine organisatorische Basis gefunden hatte, wurde allerdings keine dieser Alternativen weiter verfolgt. Viele Stimmen wiesen auch darauf hin, dass das Brandenburger Tor das schönste Symbol für Freiheit und Wiedervereinigung sei und von keinem artifiziellen Denkmal übertroffen werden könne.

Den politischen Beschluss für ein Denkmal in Leipzig traf der Bundestag im Dezember 2008. Der Bund stellt hierfür fünf Millionen, der Freistaat Sachsen 1,5 Millionen Euro zur Verfügung. Im Gegensatz zu dem Berliner Denkmalsvorhaben, das zwar öffentlich kommuniziert, dessen Prämissen jedoch vor allem auf politischer Ebene verhandelt wurden, setzte die Stadt Leipzig von Anfang an auf breite Bürgerbeteiligung bei allen konzeptionellen Fragen. Der Stadtrat leitete ein umfassendes dialogisches "Werkstattverfahren" ein, bestehend aus einer Bürgerumfrage, einer Jugend- und einer Expertenwerkstatt sowie einem Bürgerforum. Auf allen diesen Ebenen wurden die inhaltliche und die künstlerische Zielsetzung diskutiert und präzisiert. Nachdem dabei der Augustusplatz und der Wilhelm-Leuschner-Platz als Favoriten hervorgegangen waren, schloss sich eine Werkstattphase an, in der insbesondere die Kriterien der Standortwahl mit großem Engagement diskutiert wurden. Jugendwerkstatt und Expertengremium entschieden sich für den Wilhelm-Leuschner-Platz, weil er, so die Überzeugung, im Prozess seiner eigenen stadträumlichen Neuplanung dem zukünftigen Denkmal die besten Entfaltungsmöglichkeiten bieten würde.

Die Standorte

Das Stadtschloss in Berlin mit Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelms I., aufgenommen um 1910

Das Stadtschloss in Berlin mit Nationaldenkmal für Kaiser Wilhelms I., aufgenommen um 1910 (© picture alliance / akg-images )

Die Standorte für die geplanten Denkmäler könnten unterschiedlicher kaum sein. In Berlin ist der Sockel des Nationaldenkmals der beschlossene Standort. Das gewaltige Denkmal für Kaiser Wilhelm I. am Westrand der historischen Schlossfreiheit war 1897 eingeweiht und 1950 im Zusammenhang mit der Sprengung des Stadtschlosses abgerissen worden. Wie zahlreiche andere monumentale Denkmäler im Deutschen Reich, zum Beispiel am Kyffhäuser und am Deutschen Eck, verherrlichte es den "Reichsgründer", den Kaiser der "Deutschen Einheit", in kultischer Überhöhung und verkörperte die pompöse Seite des militärischen Wilhelminismus. Der für das Leipziger Projekt schließlich ausgewählte Wilhelm-Leuschner-Platz, 1945 so benannt nach dem von den Nationalsozialisten hingerichteten sozialdemokratischen Widerstandskämpfer, war eine weite, leere Fläche südlich des Promenadenrings. Das geplante Denkmal sollte nicht nur in die lange geplante Neugestaltung des Platzes einbezogen werden, sondern als räumlich bestimmender Angelpunkt den zukünftigen "Platz der Friedlichen Revolution" definieren. Als zukünftig hoch frequentierter Verkehrsknotenpunkt würde der Platz die kommunikativen Aspekte des geplanten Denkmals verstärken. Der Augustusplatz hingegen, obwohl enger mit den großen Kundgebungen und Montagsdemonstrationen verbunden, wurde verworfen, weil er bereits mit Baulichkeiten, Brunnen, Erinnerungszeichen gestaltet und mit Bedeutungen überladen ist.

Berlin – Imperiale Symbolik und Freiheitsdenkmal

Das Areal mit Sockelbauwerk in Berlin, auf dem das Freiheits- und Einheitsdenkmal entstehen soll, aufgenommen im Mai 2009

Das Areal mit Sockelbauwerk in Berlin, auf dem das Freiheits- und Einheitsdenkmal entstehen soll, aufgenommen im Mai 2009 (© picture-alliance/ ZB, Foto: Arno Burgi)

Beiden Standorten gemeinsam ist, dass sie sich in einem tief greifenden städtebaulichen Wandlungsprozess befinden. In Berlin entsteht auf dem Areal des einstigen Stadtschlosses ein Neubau in Grundriss und Höhenmaßen des Hohenzollernschlosses. Er soll das Bild der preußischen Hohenzollernresidenz in idealisierter Form wiederherstellen. Die Idee, die zerstörte historische Stadtmitte nicht durch zeitgemäße Architektur, sondern durch eine idealisierte Rekonstruktion des Hohenzollernschlosses zu "heilen", war von Anfang an und ist noch heute, kurz vor der Fertigstellung, stark umstritten. Das Berliner Freiheits- und Einheitsdenkmal wird sich in einem Umfeld behaupten müssen, das im 20. Jahrhundert extremen Zerstörungsprozessen unterworfen war, insbesondere durch die programmatische Sprengung des Stadtschlosses, an dessen Stelle ein sozialistischer Aufmarschplatz entstand. Für die geplante Schlossrekonstruktion zum Beginn des 21. Jahrhunderts wiederum wurde der 1976 auf dem östlichen Teil des Schlossplatzes errichtete Palast der Republik abgerissen, der für die Identität der DDR einen hohen Symbolwert besaß und für dessen Erhalt mit kultureller Nutzung sich Bürgergruppen eingesetzt hatten. Das 1950 im Zuge des Schlossabrisses demontierte monumentale Nationaldenkmal des Bildhauers Reinhold Begas für Kaiser Wilhelm I. wiederum, mit Reiterstandbild, allegorischem Figurenschmuck und Kolonnaden-Fassung, hat eine eigene Geschichte. Zur Auflösung der Fußnote[4] Erwähnt seien die engen ideologischen Bezüge des Denkmals zum Schloss und die damit verbundenen nationalen und imperialen Mythenbildungen. Das in den Spreearm hinein gebaute Sockelbauwerk des Nationaldenkmals schließlich, im Gegensatz zur restaurativen Ästhetik des Standbilds ein innovatives Meisterwerk der damaligen Ingenieurskunst, hatte den Denkmalsturz überdauert. Es war 1950 als Standort für ein antifaschistisches Mahnmal vorgesehen und in den Jahren 1965 bis 1973 für ein riesiges Marx-Engels-Denkmal; beide Planungen wurden nicht realisiert.

Die Festlegung des Sockels als Standort für das Freiheits- und Einheitsdenkmal führte daher unvermeidlich zu Überlegungen, wie der gesuchte Entwurf sich zu der vielschichtigen Vergangenheit des Nationaldenkmals, zur geplanten Schloss-Rekonstruktion und zur historisierenden Prägung des umgebenden Stadtraums verhalten sollte. Welchen Einfluss würde die durch die wilhelminische Kolonnaden-Architektur entstandene Grundriss-Form des Sockels auf das Motiv des Denkmals haben? Wie könnte das Verhältnis zwischen dem zukünftigen Denkmal und dem übermächtigen Gegenüber der rekonstruierten Schlossfassade definiert werden, speziell im Blick auf den achsensymmetrischen Bezug zwischen Sockel und Eosanderportal, dem zukünftigen Haupteingang? Welche historischen Reminiszenzen, welche Brüche könnten thematisiert werden? Wie würde sich das Denkmal im Spannungsfeld zwischen der barocken Fassadengestaltung und der mit großen Mühen gefundenen Nutzung der Schloss-Replik als Humboldtforum positionieren? Die Berliner Wettbewerbsaufgabe definierte eine im Umriss genau festgelegte Fläche von 2700 Quadratmetern.

Leipzig – "Tabula Rasa" nur auf den ersten Blick

Der Wilhelm-Leuschner-Platz (Vordergrund) als zukünftiger Platz für das Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal im Juli 2013

Der Wilhelm-Leuschner-Platz (Vordergrund) als zukünftiger Platz für das Leipziger Freiheits- und Einheitsdenkmal im Juli 2013 (© picture alliance / dpa )

Demgegenüber trafen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Leipziger Wettbewerbs auf eine etwa 20.000 Quadratmeter große Platzfläche, die im Vergleich zur Berliner Situation fast wie eine Tabula Rasa erscheinen mochte. Natürlich täuscht dieser Eindruck. Der Wilhelm-Leuschner-Platz hat eine lange, traditionsreiche Geschichte. Zur Auflösung der Fußnote[5] Er entstand Mitte des 18. Jahrhunderts als repräsentative vorstädtische Platzanlage im Zusammenhang mit der Umwandlung des Festungsgrabens in eine Grünanlage – in jenen Promenadenring, der bei der Friedlichen Revolution zum Schauplatz der Massendemonstrationen werden sollte. Zunächst als "Esplanade", dann als "Königsplatz" war er von großbürgerlichen Wohn- und Geschäftshäusern eingefasst, zeitweise von Messehallen überbaut und entwickelte sich durch Marktgeschehen und Freizeitangebote zu einem belebten und beliebten Stadtplatz.

Aufgrund schwerer Kriegszerstörungen sind weder die historische Platzrandbebauung noch die städtebauliche Figuration erhalten geblieben. Nur das im 19. Jahrhundert erbaute Grassi-Museum blieb verschont und beherbergt heute die Stadtbibliothek. Als städtische Brache wies der Wilhelm-Leuschner-Platz somit manche visuellen Parallelen zum Berliner-Schloss-Areal der Nachkriegszeit auf. Die mit provisorischen Nutzungen verbundene stadträumliche Marginalisierung des Wilhelm-Leuschner-Platzes unterscheidet sich allerdings wesentlich von den emotional geführten Zentralitäts-Debatten und Identifikations-Ideen, welche die Planungen für den Berliner Standort seit Mitte der 1990er Jahre bis hin zur gegenwärtigen Schlossrekonstruktion begleitet haben. Ein weiterer Unterschied betrifft den historischen Charakter der beiden Standorte. Der Leipziger Königsplatz stellte sich in Erscheinungsform und Nutzung gewissermaßen als Manifestation des bürgerlichen Selbstbewusstseins dar. Das Berliner Schloss-Areal hingegen war bis zum Ende der Monarchie der obrigkeitsstaatliche Kontrapunkt zum großbürgerlich geprägten Pariser Platz am anderen Ende des Boulevards Unter den Linden.

Sichtachsen und Motive

In Berlin muss derzeit das geplante Humboldtforum, das Sammlungen und "Wissensarchive" der Staatlichen Museen und der Humboldt-Universität sowie die Ausstellung "Welt.Stadt.Berlin" präsentieren soll, eingepasst werden in die bauliche Hülle der Stadtschloss-Rekonstruktion, für deren Nutzung man es überhaupt erst erfunden hatte. Auch die Entwürfe für das Freiheits- und Einheitsdenkmal mussten sich vor allem mit dem abgezirkelten Sockel-Grundriss des Nationaldenkmals und mit dem dominierenden physischen Gegenüber des Schlossportals auseinandersetzen, sich ganz oder partiell einfügen oder vielleicht auch interessante Verweigerungs-Strategien entwickeln.

In Leipzig hingegen mündete die Suche nach einem neuen Bürgerplatz auf offene Weise in die Denkmalsaufgabe. Historische Motive fanden nicht als formale Vorgaben Eingang, sondern als gedankliche Aspekte zur Vernetzung von Vergangenheit und Zukunft. Ein Beispiel ist die Idee, die existierende Sichtbeziehung entlang der städtebaulichen Achse zwischen Wilhelm-Leuschner-Platz und Völkerschlachtdenkmal zu reflektieren und das Freiheits- und Einheitsdenkmal auch als inhaltlichen Gegenpol zu diesem größten Kriegerdenkmal Europas zu deuten. Zukunftsorientierung war für das Leipziger Projekt nicht nur ein wesentliches Ziel bei der künstlerischen Aufgabenstellung, sondern auch für den Umgang mit dem Standort. Der Masterplan von 2005 zur Wiederherstellung des engeren historischen Platz-Ovals wurde zurückgestellt, stattdessen war nun fast die gesamte Platzfläche für das Denkmalprojekt verfügbar. Anhand der Entwürfe stellt sich im Rückblick die Frage, ob die große Flächendimension und die Freiheit, sich für eine ausgedehnte Lösung oder für eine konzentrierte zu entscheiden, die Künstlerinnen und Künstler wirklich beflügelt oder nicht eher gelähmt hat.

2. Die Entwürfe – und was aus ihnen geworden ist

Berlin – ein enger Rahmen

Nachtansicht des Entwurfs - Das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin vom Schinkelplatz aus betrachtet

Nachtansicht des Entwurfs - Das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin vom Schinkelplatz aus betrachtet (© Milla & Partner)

Für das Berliner Denkmal gab es zwei Wettbewerbe. Der erste, offene Ideenwettbewerb 2008/2009 wurde abgebrochen, weil die Jury nicht, wie in der Auslobung vorgesehen, bereit war, aus den eingereichten 533 Entwürfen etwa 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer für eine zweite Bearbeitungsstufe auszuwählen. Zur Auflösung der Fußnote[6] Stattdessen gab es einen zweiten, engeren Wettbewerb mit einem vorgeschalteten Bewerbungsverfahren. Die zweite Jury vergab drei gleichrangige Preise; nach einer Überarbeitungsphase entschied sich der Auslober für den Entwurf von Milla & Partner mit der Choreografin Sasha Waltz.

Die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Berliner Wettbewerbe haben ihre Denkmalsidee in die historische Grundrissform des Sockelplateaus eingepasst und sich darüber hinaus Gedanken gemacht zur Restaurierung oder Neugestaltung des Bodens, zur Einbeziehung der Freitreppe und zur Nutzung des unterirdischen Sockelgewölbes als eventuellen Ausstellungsbereich. Viele entwickelten Ideen zur artifiziellen Markierung oder Nachzeichnung der verschwundenen Denkmalsanlage mit Sockel und Kolonnaden-Architektur, manche entwarfen eine verfremdete oder ironische Nachbildung des majestätischen Reiterstandbilds. Viele griffen das achsensymmetrische Gegenüber von Sockelfigur und Schlossfassade auf, indem sie es für den eigenen Entwurf entweder verstärkten oder auch formal konterkarierten. Nur wenige der Berliner Entwürfe griffen in den Stadtraum über oder wandten sich absichtsvoll von der Schlossfassade ab. Viele nahmen die erklärte Umwidmung – vom autokratischen Herrscher zum „Volk als Souverän“ – zum Anlass, auf dem Sockelplateau eine Menschenmenge darzustellen, die demonstriert, feiert, entspannt flaniert, lustvoll diskutiert oder ihre eigene Sicht auf die Geschichte selbstbewusst zur Schau stellt. Eine Gesamtbetrachtung legt die Schlussfolgerung nahe, dass die formalen wie auch die inhaltlichen Vorgaben des Standortes der künstlerischen Auseinandersetzung mit dem eigentlichen Denkmalsthema einen engen Rahmen gesetzt haben. Der Eindruck entsteht, dass ein Großteil Kreativität darauf verwendet wurde, die Vorgaben zu erfüllen oder sich mit großen Anstrengungen gegen sie zu behaupten. Zur Auflösung der Fußnote[7]

Der Entwurf für das Berliner Freiheits- und Einheitsdenkmal aus der Vogelperspektive

Der Entwurf für das Berliner Freiheits- und Einheitsdenkmal aus der Vogelperspektive (© Milla & Partner)

Mit ihrem Entwurf "Bürger in Bewegung" schlug das Architektenteam Milla & Partner mit Sasha Waltz eine begehbare, bespielbare und durch Gewichtsverlagerung bewegbare goldene Schale vor. Sie nimmt die Form des historischen Denkmalsplateaus auf und verwandelt dieses gewissermaßen in ein nach oben gebogenes Großobjekt: "Der Umriss des Denkmals scheint aus dem Sockel herausgelöst und durch die gemeinsame Kraft der Demonstranten […] in eine optimistische Zukunft empor gestemmt." Die Wölbung der Schale soll eine Art Bühne bilden. In großen goldfarbenen Lettern sind auf ihr "die beiden Schlüsselsätze der friedlichen Revolution" angebracht: "Wir sind das Volk. Wir sind ein Volk". Besuchergruppen können sich absprechen und die goldene Schale wie eine Wippe in Richtung der einen oder anderen Seite zur Neigung bringen: "Einheit macht stark". Zur Auflösung der Fußnote[8] Vielleicht hat man sich für diesen Entwurf entschieden, weil er besonders deutlich dem erklärten Wunsch der Politiker und Denkmals-Initiatoren nach einem "Denkmal der Freude" entspricht: Es soll das Glück des historischen Momentes zum Ausdruck bringen, gewissermaßen auf Dauer festhalten und immer wieder reproduzieren.

Leipzig – eine (zu) große Chance?

Freiheits- und Einheitsdenkmal Leipzig: Aufsicht

Freiheits- und Einheitsdenkmal Leipzig: Aufsicht des Siegerentwurfs (© M+M, München/ANNABAU, Berlin, Copyright für die abgebildeten Werke von M+M: VG Bild-Kunst, Bonn)

In Leipzig übernahm die Stadt die Betreuung des Wettbewerbs und entschied sich 2011 für einen nichtoffenen Wettbewerb mit einem vorgeschalteten Bewerbungsverfahren. Thematisch war die Auslobung fokussiert auf die Leipziger Montagsdemonstrationen mit dem "Zug der 70.000 um den Promenadenring" vom 9. Oktober 1989, der eine Schlüsselbedeutung für die "Friedliche Demonstration" insgesamt hatte. Im Gegensatz zur Berliner Situation konnten sich die Entwürfe auf der angebotenen großen Platzfläche relativ autonom entfalten. Nur vier der 39 Teilnehmerinnen und Teilnehmer verzichteten auf eine Platzgestaltung und beschränkten sich auf ein Einzelobjekt. Das Spektrum der Entwürfe reichte von symbolhaften Großformen, begehbaren Rauminstallationen und schriftkünstlerischen Gestaltungen über baukünstlerische Entwürfe für Dokumentation und Vermittlung und landschaftsgestalterische Ideen bis hin zu Vorschlägen für partizipatorische Projekte und Eigenaktivitäten.

Insgesamt wurde deutlich, dass bei der Bewältigung der großen Dimension die künstlerische und die architektonische Gestaltung oft nicht das gleiche Niveau erreichten. Die Verfügbarkeit des gesamten Platzes, bei der Aufgabenstellung als besondere Chance betrachtet, war wohl für manche eher ein Hindernis, da sie dieses Angebot, zusammen mit dem mehrfach formulierten Wunsch nach einem „Stadtzeichen“, zu groß dimensionierten Lösungen herausforderte, die ihrer eigentlichen Arbeitsweise nicht wirklich entsprachen. Im Vergleich zum Berliner Projekt kann man allerdings den Eindruck gewinnen, dass hier innovative und konzeptuelle Entwürfe sowie Angebote zur Bürgerbeteiligung weitaus stärker vertreten waren. Vermutlich ist dies nicht nur auf die besonderen Merkmale des großen, unbebauten Standortes zurückzuführen, sondern ist auch Ergebnis der inhaltlichen Aufgabe und der engagierten Bürgerbeteiligung. Anknüpfend an die Kriterien aus der Werkstattphase wurde nach Entwürfen gesucht, die dazu beitragen können, die "Erfahrungen aus der Friedlichen Revolution von der Vergangenheit ins Heute und in die Zukunft zu überführen". Zur Auflösung der Fußnote[9]

Freiheits- und Einheitsdenkmal Leipzig: Ansicht nach Südosten

Freiheits- und Einheitsdenkmal Leipzig: Ansicht des Siegerentwurfs nach Südosten (© M+M, München/ANNABAU, Berlin)

Der von der Jury befürwortete Entwurf "Siebzigtausend" des Münchner Teams "M+M" – Marc Weis und Martin de Mattia, mit dem Büro Anabau Architektur und Landschaft – verwandelt den Wilhelm-Leuschner-Platz in ein geometrisches Farbenfeld. Auf 70.000 bunten Keramikplatten sind ebenso viele farbgleiche Hocker-Objekte verteilt, die während und nach der Denkmalseinweihung mitgenommen werden können. Angeboten werden viele assoziative Bezüge, so mit der Vielfalt der Farben (bunte Menschenmenge von protestierenden Individuen), mit der Geometrie des Farbfeldes zu den Montagsdemonstrationen ("in geordneten Bahnen"), zur Redefreiheit (Hocker als "Podest") und zur Botschaft, die (mit den "Hockern") in die Welt getragen werden soll.

3. Stand der Dinge im Oktober 2015

In Leipzig wurde der von Anfang an geführte Bürgerdialog auch nach der Wettbewerbsentscheidung weitergeführt. Dass dabei der erste Preis wie auch die meisten anderen Entwürfe kontroverse Reaktionen, überwiegend allerdings heftige Ablehnung erfahren haben, hängt vermutlich nicht zuletzt mit ihren unkonventionellen Ansätzen zusammen, die traditionellen Denkmalserwartungen nicht entsprachen. Zur Auflösung der Fußnote[10] Vor allem der spielerische Ansatz des preisgekrönten Entwurfs "Siebzigtausend" verärgerte viele, die sich bei den Montagsdemonstrationen engagiert hatten. Eine "Weiterentwicklungsphase", in der ein engeres Beratungsgremium die überarbeiteten ersten drei Entwürfe nochmals bewertete und den dritten Preis nach vorn holte, wurde gerichtlich angefochten. Der Stadtrat, der keinem der prämierten Entwürfe eine Mehrheit geben mochte, beschloss daraufhin im Sommer 2014, nicht nochmals die Jury zusammenzurufen, sondern eine "Atempause" Zur Auflösung der Fußnote[11] einzulegen. "Zugleich haben die Stadträte ihren früheren Beschluss zum Ort des Denkmals aufgehoben: Eine künftige Erinnerung an den Herbst 1989 muss nun nicht mehr auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz realisiert werden." Zur Auflösung der Fußnote[12] Wie es weitergeht und ob überhaupt noch einmal ein neuer Anlauf für ein Freiheitsdenkmal in Leipzig unternommen wird, ist derzeit vollkommen offen.

In Berlin ist die Realisierung von "Bürger in Bewegung" beschlossene Sache. Nach heftigen Differenzen in der Ausarbeitungsphase, vor allem um das ästhetische Erscheinungsbild der goldenen Schale, verabschiedete sich Sasha Waltz von dem Projekt; den Entwurf verantwortet nun allein der Architekt Johannes Milla. Enorme Schwierigkeiten bei der Umsetzung sind offensichtlich überwunden, wenn auch nicht ohne Blessuren: der Umgang mit dem Sockelbauwerk und seinem eigentlich denkmalgeschützten Gewölbe, das nun riesige Lasten tragen muss; der Schutz der noch erhaltenen wilhelminischen Mosaiken, deren Ausstellung an einem anderen Ort schließlich vereinbart wurde; die Herrichtung von Barrierefreiheit zumindest für den inneren Bereich der "Wippe"; die Umsiedlung einer im Sockelgewölbe beheimateten seltenen Kolonie von Wasserfledermäusen. Nicht beendet ist hingegen die kritische Auseinandersetzung in den Medien mit dem künstlerischen Konzept selbst und mit der von vielen als fragwürdig oder platt empfundenen Symbolik der "Wippe". Zur Auflösung der Fußnote[13] Baubeginn soll 2016 sein. Die Einweihung ist für 2017 angepeilt.

Zitierweise: Stefanie Endlich, Projekte für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin und Leipzig, in: Deutschland Archiv, 29.10.2015, Link: www.bpb.de/214274

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