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Stasi-Dokumente über Nordkorea | Stasi | bpb.de

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Stasi-Dokumente über Nordkorea

Holger Kulick

/ 6 Minuten zu lesen

Als die USA noch Nordkoreas Hauptfeind waren. Im Stasi-Archiv finden sich zahlreiche Unterlagen über die “Koreanische Demokratische Volksrepublik" (KDVR), ein aus DDR-Sicht eigenwilliger „sozialistischer Staat“ nach den Prinzipien des „Kim-il-sungismus“, der viel Interesse an Militär- und Überwachungstechnik zeigte. Ein Zeitsprung zurück in den Kalten Krieg. Mit umfangreichen PDF-Dokumenten.

Ausschnitt aus einer Akte des MfS aus dem Jahr 1984 über nordkoreanische Studierende in der DDR, "politisch-ideologisch angeleitet" durch die Botschaft Nordkoreas in Ost-Berlin. (© BStU)

Laut Stasi-Akten aus dem Jahr 1983 wurde scheinbar der Vater und Amtsvorgänger des nordkoreanischen Diktators Kim-Jong-un, Kim Jong-il, eine Zeitlang unter privilegierten Umständen in Ost-Berlin ausgebildet. Kim-Jong il war Sohn des von 1948 bis 1994 über Nordkorea herrschenden stalinistischen Diktators Kim-Il-sung. Er "studierte bis Mitte 1982 in der DDR" heißt es in einem Aktenvermerk der Stasi-Hauptabteilung II aus dem März 1983. Die Botschaft habe extra "dazu eine 4-Raum-Wohnung...gemietet" (Quelle: BStU, MfS, HA II 38258, S. 170).

Eindeutig belegen dies im Fall von Kim-Jong-il die bislang aufgefundenen Stasi-Akten allerdings nicht, denn widersprüchlich ist, dass in den MfS-Akten zwischen 1980 und 1984 noch ein namensgleicher Kim-Jong il eine Rolle spielte, der laut MfS-Akten sein Elektronik-Studium an der Humboldt-Universität über einen langen Zeitraum schleifen ließ, jedoch deutlich jünger war, als der Diktatorensohn. Forscher haben die Namensgleichheit inzwischen genauer hinterfragt. Laut Liana Kang-Schmitz, die 2010 an der Universität Trier eine Dissertation über die Beziehungen zwischen DDR und Nordkorea veröffentlichte, klärt sich die Aktenlage so: "Bei dem in der DDR studierenden Aspiranten handelt es sich um Kim Jong-ils jüngeren Bruder, Stiefbruder um genau zu sein, denn seine Mutter war Kim Il-Songs zweite Frau Kim Song-ae". Er sei "später als Botschaftsrat in die DDR zurückgekehrt und dort 2005 an Leberzirrhose gestorben".

Generell gingen seinerzeit "koreanischerseits die Bestrebungen verstärkt dahin, Kinder von führenden Persönlichkeiten der KDVR in der DDR studieren zu lassen", notierte ein MfS-Hauptmann im März 1983. Alle nordkoreanischen Studierenden in der DDR galten als zurückgezogen und wurden konsequent überwacht. Auch die Botschaft Nordkoreas in der Ost-Berliner Glinkastraße wurde intensiv vom MfS observiert, sogar die Botschaftspost wurde abgefangen. Mehrere kopierte Briefe liegen im Stasi-Unterlagen-Archiv.

Bei gegenseitigen Besuchen der Staatschefs und von Armeedelegationen aus der DDR und Nordkoreas zeigten sich beide Seiten zwar stets voll des Lobes füreinander, in internen Berichten gab sich die Staatssicherheit aber auch misstrauisch, weil nordkoreanisches Botschaftspersonal offenbar Waffen, Helikopterteile und andere westliche Güter via Westberlin in den Osten schmuggelte und Industriespionage auch in der DDR betrieb. Zeitweise griffen Westmedien dies auf, dadurch fürchtete die DDR einen Ansehensverlust. Außerdem irritierte der Wankelkurs Nordkoreas, das ideologisch zwischen der Sowjetunion und China balancierte. Nur das Feindbild des Landes galt als klar, es sei geprägt von „tiefem Hass gegen die USA-Imperialisten und ihre südkoreanischen Marionetten“, notierte das MfS (BStU, MfS, HAI 13558, S.150).

Die umfangreich vorgefunden Stasi-Akten skizzieren Nordkorea als ein eigenwilliges sozialistisches Land, mit dem die DDR früh eine „Waffenbrüderschaft“ einging. Erste Kontakte von DDR-Militärs und MfS sind seit 1967 nachweisbar, sie erfolgten, so der Stasi-Jargon, "im Rahmen der sozialistischen Verteidigungskoalition" (BStU, MfS HA I 13762, S. 314). Bei ihren Besuchen vor Ort können DDR-Militärkader auch geheime Rüstungseinrichtungen in Nordkorea besichtigen, zum Beispiel im Oktober 1985 "in einem unterirdischen Bergstollen in Kijang ein Betriebsteil der Traktorenfabrik 'Kymsong', in dem Panzer gebaut werden" (BStU, MfS, HA II 38766, S.10).

Waffendeals bis in den Herbst der Friedlichen Revolution

Am 21. April 1969 funkte ein MfS-Genosse "Henke" ein geheimes "Blitz-Telegramm" aus Nordkoreas Hauptstadt Phoengjang. Darin hieß es, dass Nordkorea "zum effektiven Kampf gegen Spionage und Aufklärung modere Hochfrequenzen-Kurzwellentechnik fehlt". Seitdem sind zahlreiche Expertentreffen und Schulungen festgehalten, intensiviert Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre. Auch die heimliche Lieferungen von Waffen und Spionagetechnik gehörte dazu, ebenso die Wartung sowjetischer Militärflugzeuge in Nordkorea. Erst mit der Friedlichen Revolution wurden solche Geschäfte komplizierter. So telegrafierte die Stasi-Abteilung im Rostocker Hafen am 29.11.1989 eilig nach Ost-Berlin, dass "aufgrund der gegenwärtigen innenpolitischen Situation... zukünftige Sondertransporte (Waffen, Munition, Sprengmittel, militärische Technik) über den VEB Rostock nur noch gedeckt in Containern realisiert werden können" (BStU, MfS, BV Rostock Abt. Hafen 98, S.1).

Darüber hinaus diente Nordkorea auch als Drehscheibe für Waffenhandel. Am 26. September 1989, also kurz vor dem Zusammenbruch der DDR, landet beispielsweise eine Anfrage aus Syrien beim MfS, unauffällig "63 Wega-3-Raketen" zunächst über Budapest nach Nordkorea zu liefern (siehe nachfolgendes Foto).

Ausschnitt aus einem (damals streng geheimen) Blitztelegramm aus der syrischen Hauptstadt Damaskus an den SED-Devisenbeschaffer und Stasi-Oberst Alexander Schalck-Golodkowski vom 28.9.1989. Angefragt wurde u.a. die Bereitschaft für eine Waffenlieferung mit außergewöhnlichem Lieferweg: "airport budapest über österr firma cbs cooperation an nordkorea". (© BStU, Mfs, AG BKK 63, Bl. 96)

Außenpolitisch prioritär sei für Nordkoreas Regime stets die Vereinigung mit Südkorea, heben mehrere MfS-Papiere hervor, beschreiben dies aber auch als ein taktisches Kalkül. So analysierte das MfS 1986 in einem Nordkorea-Dossier: „Nach Auffassung der Führung der KDVR ist dafür der Abzug der USA-Truppen aus Südkorea die Voraussetzung.... Nach der Beseitigung dieses Haupthindernisses sei dort mit bewaffneten Aktionen oppositioneller Kräfte zu rechnen, die bei entsprechender materieller und militärischer Unterstützung durch die KDVR zum Sturz des [südkoreanischen] Regimes und zur Vereinigung des Landes führen würden“ (MfS, HVA, 43, S.244). Die nordkoreanische Devise sei es, "nicht um Frieden bitten bei Imperialisten, sondern ihn erkämpfen" (BStU. MfS, HVA 43, S.57).

Die DDR war stark an einer wachsenden wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Nordkorea interessiert, eingesetzte IM berichteten allerdings offen über die Not im Land. So meldeten am 8. August 1986 ein "IMS Frank Ludwig" und eine IMS "Irmgard" eine "sehr kritische Situation" in der Lebensmittelversorgung, die besonders unter Kindern zu signifikanten Mangelerscheinungen führe und zwar so heftig, "dass sich unter der Bevölkerung das Verhältnis der Menschen zueinander sehr verschlechtert" (BStU, MfS, HA 38766, S. 23/24).

Als Wirtschaftsgüter bezog die DDR aus Nordkorea u.a. Magnesite sowie Elektrolytzink und exportierte Kali, Maschinen und Filme nach Nordkorea. Die DDR-Nordkoreaexperten registrierten 1985 auch ein wachsendes Interesse Nordkoreas, die Entwicklung von Handelsbeziehungen mit Staaten Westeuropas und Japans 1985 zu beleben. Ende der 70er Jahre hätte "die Zahlungsunfähigkeit" der KDVR solche Handelsverbindungen „gestört“.

Nicht nur der Stiefbruder des späteren Staatschefs Kim-Jong-il (er regierte von 1994 bis 2011), sondern auch eine Reihe weiterer Studierender und Militärs wurden in der DDR ausgebildet, vor allem in technisch-wissenschaftlichen Bereichen, aber auch in Informatik, Germanistik und Kriminalistik. Kim-Jong-il stand als Student sogar ein Fahrer zur Verfügung, der laut Stasi-Akten am 3. September 1983 in einen Unfall verwickelt war. "Der PKW CD-11... sei vom Fahrer des "Aspiranten" (Sohn des Gen. Kim Il Sung - d.U.), der kein Mitarbeiter der Botschaft ist, gefahren worden", meldete das MfS. "Der Zwischenfall sei mit ihm gebührend ausgewertet worden" (BStU, MfS, HA II 38258, S. 135).

In geringem Umfang wurde 1983 außerdem ein "Urlauberaustausch" organisiert, für "jährlich eine Gruppe von 4-5 Ehepaaren", bestehend aus Armeeangehörigen (BStU. MfS, HVA 43, S.42).

1986 besuchte DDR-Staatschef Honecker den seinerzeitigen Diktator Kim Il Sung, also den Großvater des jetzt amtierenden Staatschefs Kim-Jong-un. Zwei Jahre zuvor hatte ihn Honecker feierlich in Ost-Berlin empfangen. Die beiden sozialistischen Machtpolitiker beschworen bei diesem Anlass ihre „völlige Übereinstimmung“ und eine „unerschütterliche Freundschaft“. Nun schmeichelte Kim-Il-Sung dem SED-Parteichef: „Wir haben gestern in unseren Zeitungen ihren Lebenslauf veröffentlicht. Ich habe den Eindruck, dass unsere Genossen, unsere Menschen traurig darüber sind, dass so verdiente Revolutionäre auch älter werden….“. (MfS 7129, S. 14).

Unter strengen Sicherheitsvorkehrungen: DDR-Staats- und Parteichef Erich Honecker empfing Nordkoreas Diktator Kim-il-Sung im Juni 1984 in Ost-Berlin. (© picture-alliance)

Der Journalist Holger Kulick ist seit 2015 Mitarbeiter der Bundeszentrale für politische Bildung. Sein Themenschwerpunkt ist Diktaturforschung, in diesem Zusammenhang hat er das Stasi-Dossier der bpb erstellt: Interner Link: www.bpb.de/geschichte/stasi. Bereits 2006 produzierte er in Kooperation von BStU, WDR und bpb die DVD "Feindbilder – Die Fotos und Videos der Stasi". Ab 1983 arbeitete er über Deutsch-deutsches für das ZDF-Magazin "Kennzeichen D", außerdem für ASPEKTE, die Kindernachrichtensendung "logo" und später für das ARD-Magazin Kontraste. Außerdem mehrere Jahre als Korrespondent für SPIEGEL ONLINE sowie als Autor für mehrere Zeitungen, Filmdokumentationen, Fachzeitschriften und Buchprojekte, darunter als Herausgeber für das "Mut-ABC für Zivilcourage", Leipzig 2008 und "Das Buch gegen Nazis", Köln 2010 gemeinsam mit Toralf Staud. Von 2011 bis 2015 arbeitete er in der Internetredaktion der Stasi-Unterlagen-Behörde, davor leitete er fünf Jahre eine Fachwebsite des Magazins "stern" und der Berliner Amadeu-Antonio-Stiftung über Rassismus und Rechtsextremismus in Deutschland.