Um die Konzeption der DDR-Geheimpolizei Stasi zu verstehen, muss man ihr Vorbild kennen - den sowjetischen Geheimdienst KGB und dessen Vorläufer, die TscheKa, hervorgegangen aus der russischen Oktoberrevolution. Im Unterschied zur untergegangenen Stasi ist Russlands Geheimdienst heute nicht mehr Instrument von Machthabern, sondern selber mit an der Macht.
Im Oktober 1917 kam in Russland im Zuge einer Revolution die so genannte „bolschewistische“ Fraktion der sozial-demokratischen Arbeiterpartei an die Macht, sie stand unter der Führung von Wladimir Lenin (1870 – 1924). Damit begann die Geschichte des Sowjetstaates, der später den Namen die Union der Sowjetischen Sozialistischen Republiken (UdSSR) bzw. "Sowjetunion" erhielt und bis Dezember 1991 existierte. Die zentrale Rolle in diesem Staat spielte die Kommunistische Partei, die Nachfolgerin der Partei der Interner Link: Bolschewiki. Es war eine Staatspartei, die mit Hilfe von Ideologie und zahlreichen repressiven Organen autoritäre, in manchen Jahrzehnten totalitäre Macht über die Gesellschaft ausübte. Strafende Polizei und Staatssicherheit waren für den Machterhalt der Kommunistischen Partei von existenzieller Bedeutung.
Die ersten repressiven Organe der neuen Machthaber waren das Volkskommissariat fürs Innere (NKWD) und die Allrussische Außerordentliche Kommission (WeTscheKa, auch TscheKa). Die ersten Jahre existierten das Volkskommissariat fürs Innere und der Geheimdienst WeTscheKa nebeneinander und wurden beide der neuen Regierung (dem Rat der Volkskommissare, Vorsitz: Lenin) unterstellt. Bis zum Zerfall der Sowjetunion waren die eigentlichen Befehlshaber für die sowjetischen Geheimdienste Mitglieder des sogenannten Politbüros des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei, das oberste Machtgremium in der Sowjetunion.
"Der Sache der Revolution und der Sowjetmacht treu ergeben“
Das Außerordentliche an der WeTscheKa war zum Ersten, dass sie in der turbulenten Zeit gleich nach der Machtergreifung durch Bolschewiki gegen „Konterrevolution“ und „Sabotage“ zu kämpfen hatte, später wurde das Aufgabenspektrum um die Bekämpfung von „Spekulationen“ (Schleichhandel), „Banditenwesen“ und „Spionage“ erweitert. 1920 wurde darin eine „Auslandsabteilung“ ins Leben gerufen. Zum Anderen genoss sie das offizielle Erlaubnis, in Russland wie im Ausland in einem gesetzlosen Raum zu handeln. Ihre Tätigkeit wurde einzig und allein durch „den Dienst der Sache der Revolution“ legitimiert, von Anfang an wurden für NKWD wie WeTScheKa gezielt besondere Menschen ausgewählt, nämlich solche, die „der Sache der Revolution und der Sowjetmacht treu ergeben sind“.
Der erste Vorsitzende der WeTscheKa war Felix Dserschinski (1877 − 1926). Aus einer adeligen Familie im zaristischen Russland stammend und ohne einen Beruf gelernt zu haben, wurde er im Zuge der bolschewistischen Revolution einer der leidenschaftlichsten und unbarmherzigsten Revolutionäre. „Ich sehe die Zukunft und ich will und muss an ihrer Erschaffung partizipieren“, schrieb er 1919 an seine Schwester.
Im zaristischen Russland verbrachte er etliche Jahre im Gefängnis und Verbannung, und so mischte sich bei ihm ein Gefühl der Rache mit einer berauschenden, utopischen, selbst erteilten Mission, eine nie da gewesene sozialistische Gesellschaft zu etablieren. Seine „Außerordentliche Kommission“ sorgte für die „revolutionäre Ordnung“, d.h. dafür, dass überall in Russland die neuen Machthaber ihre Macht nicht verlieren, sondern etablieren konnten. Konkret bedeutete es, all jene Menschen und sozialen Gruppen ausfindig zu machen, die diese neue Ordnung für feindlich oder nicht erwünscht hielt oder die ihr gegenüber skeptisch oder gar ablehnend waren. Zu solchen Menschen zählten z.B. nicht nur wohlhabende (Bürgertum, Bauern) oder adelige Familien, sondern auch alle Geistlichen und weite Teile der Intelligenzija, von Vertretern der anderen politischen Strömungen ganz zu schweigen.
Die erste sowjetische Geheimpolizei tötete Zehntausende „Klassenfeinde“ ohne jedes Gerichtsverfahren, auf diese Weise Schrecken verbreitend erreichte sie schließlich ihr Ziel, nämlich den Erhalt der Sowjetmacht. Ihr „außerordentliches“ Mandat galt stillschweigend über mehrere Jahrzehnte weiter. Mit Dserschinski begann die lange Geschichte des sowjetischen Staatsterrors, der sich gegen die eigene Bevölkerung richtete.
In den Folgejahren erlebten NKWD und WeTscheKa in der Sowjetunion viele Umstrukturierungen und Umbenennungen, mal schmolzen sie zusammen, mal wurden sie wieder getrennt, die langen Listen ihrer Aufgabenfelder und Zuständigkeiten wurden immer wieder neu ausformuliert, die Befehlshaber neu bestimmt. Dserschinski folgten dreizehn weitere Vorsitzende, der letzte von ihnen, Wadim Bakatin, übernahm den sowjetischen KGB 1991 am Ende der Perestrojka, wenige Monate vor der Auflösung der Sowjetunion. Er schrieb später:
"Die Organisation, die mir zu leiten bevorstand, um sie zu zerschlagen, hatte nicht nur den hartnäckigen und verdienten Ruf des gnadenlos strafenden Schwerts der Kommunistischen Partei, sondern konnte auch wen und was immer zerstören. Der KGB und seine Vorgängerorganisationen in Gestalt der TscheKa, der GPU, der OGPU, des NKWD, des NKGB und des MGB bildeten die Grundlage eines totalitären Regimes, ohne die dieses Regime einfach nicht existieren konnte. Natürlich wollte der KGB der Perestrojka-Zeit respektabler aussehen, aber ein langer und geheimer Schweif von Schreckenstaten und Gesetzlosigkeit hat das behindert.
In der Tat blieben über Jahrzehnte die zentralen, von Anfang an zu Grunde gelegten Prämissen erhalten:
Organe der Geheimpolizei waren die wichtigsten Organe, mit denen die Kommunistische Partei die Gesellschaft einer flächendeckenden Kontrolle unterwerfen konnte;
ihre Mitarbeiter verstanden sich als ehrenhaft einer „höheren Idee“ bzw. dem Erhalt der neuen Staatsmacht dienend. Damit hatten sie gegen alle, die für sie eine tatsächliche oder wie auch immer geartete vermeintliche oder auch nur noch potentielle Bedrohung darstellten, zu kämpfen;
daher war für die Kaderpolitik innerhalb dieser Organe weder die fachliche Ausbildung noch die Berufserfahrung der Mitarbeiter von wesentlicher Bedeutung, sondern nur eine absolute Loyalität sowie die Bereitschaft hermetischer Geschlossenheit zu akzeptieren, Voraussetzung. Dies kann durchaus mit einer Sekte verglichen werden;
die Organe der Geheimpolizei waren Straforgane des sowjetischen Staates, sie waren ausschließlich dem Auffinden und der Vernichtung oder Isolation der wie auch immer definierten „Feinde“ gewidmet. Sie standen allerdings über dem Gesetz, sie verfolgten und richteten Menschen, ohne auf rechtliche oder gerichtliche Vorgaben zu achten. Sie waren somit keine Organe der Rechtsprechung.
von den ersten Jahren nach der Revolution an hat sich die Überzeugung von der besonderen Effektivität der gesetzlosen, d.h. jenseits der rechtlichen Normen und gesellschaftlicher Kontrolle angewendeten Gewalt etabliert.
Gegner pauschal zu "Volksfeinden" erklärt - in „Unsrige“ und „Nicht Unsrige“
Bereits 1917 kommt der Begriff „Volksfeinde“ zum Einsatz. Die Bolschewiki, die ihre Partei 1918 in „kommunistische“ umbenannt hatten, beanspruchten, im Namen des wie auch immer gearteten „Volkes“ zu handeln. Die Anschuldigung, ein Volksfeind zu sein, konnte auf der richtigen oder falschen Zuordnung zu einer konkreten sozialen Gruppe basieren, z.B. zu den „Kulaken“ (reiche Bauern) oder Geistlichen, sie konnte aber auch einfach durch tatsächliche oder vermeintliche „konterrevolutionäre“ oder „antisowjetische“ Einstellungen begründet worden sein. Die Terrorwellen operierten meistens mit bewusst mehrdeutig gehaltenen Begriffen: Man suchte nach „Parasiten“, „Kosmopoliten“, „fremden Elementen“ oder angeblichen „Faulenzern“.
Sehr früh hat sich in der Sowjetunion auch ein grundlegendes gesellschaftliches Deutungsmuster verfestigt, wonach Menschen in „Unsrige“ (die für uns sind) und „Nicht Unsrige“ (die gegen uns sind) aufgeteilt werden können, wobei die Letzteren meistens mit „Verrätern“ gleichgesetzt wurden. Die manichäische Betrachtungsweise der Welt, die nur aus Feinden oder Verbündeten besteht, gehört zu den wenigen ideologischen Thesen, die über die ganze Sowjetzeit konstant blieben. Viele Jahrzehnte lang wurde die sowjetische Propaganda nicht müde, Merkmale potentieller „Verräter“ zu predigen, diese Merkmalsliste ist jedoch nie wirklich greifbar geworden und legte wohl bewusst Willkür beim Entscheiden und Handeln nahe.
Unter Stalin (bis zu seinem Tod 1953) steigerte sich die allgegenwärtige Verfolgung der „Klassen-“ und „Volksfeinde“ immer weiter und nahm schließlich paranoide Züge an. Mehr sogar: So zentral diese Unterscheidung in Feinde und Verbündete auch war, so wenig konnte man sicher sein, dass ein heutiger Verbündete morgen nicht zum Feind wird, die Grenzlinie zwischen den beiden Kategorien war eine Chimäre. Letztendlich etablierte sich die eigentümliche Ansicht, wonach sich so gut wie in jedem „feindliche Elemente“ oder ein „innerer Feind“ verbergen könnten. Das Aufspüren von „Feinden“ hatte schließlich kaum noch etwas mit strategischen bzw. politischen Überlegungen zu tun. Gegenseitiges Denunzieren und „Spionomanie“ erfassten in den 30er und 40er Jahren das ganze Land.
Zeitgleich, d.h. in den 30er Jahren war auch die sowjetische Auslandsspionage führend in der Welt: „Obwohl die ‚Sonderaufgaben‘ erst 1937 die Auslandsoperationen des NKWD dominieren sollten, hatte das Problem der im Ausland lebenden ‚Volksfeinde‘ schon seit Beginn der dreißiger Jahre immer mehr Raum in Stalins Denken eingenommen, während sich gleichzeitig die Vorstellung einer inneren Opposition gegen ihn zur fixen Idee entwickelte“.
Zuteilungsquoten für Verhaftungen und Erschießungen
Das massenhafte Aufspüren und Vernichten von verschiedensten „Volksfeinden“ war auch ein bemerkenswerter bürokratischer Akt. Regionen, Städte und Bezirke erhielten Quoten und Zuteilungen für Verhaftungen und Erschießungen. Gemordet und gefoltert wurde nach Plan. Und wie der zum Teil gut dokumentierte Schriftverkehr aus jenen Jahren zeigt, haben die lokalen NKWDs immer wieder um Festsetzung eines zusätzlichen Limits erbeten: „Wenn die Republiken Verwaltungsgebiete, Regionen und Kreise ihren Plan (‚Limit‘) für die Vernichtung von Volksfeinden (genauso wie den Plan für die Getreide- und Milchproduktion) erfüllt hatten, erstatteten sie nach sozialistischem Brauch nach Moskau Bericht und baten um die Genehmigung zur Übererfüllung, um ihren Eifer unter Beweis zu stellen“. Eine landesweite Säuberung nach Plan konnte jeden treffen, niemand war in Sicherheit, weil es kein reales Ereignis, keine reale Handlung bedurfte, um verhaftet und verurteilt zu werden.
Der sowjetische Lyriker Naum Korschawin erinnerte sich an einen deutschen Kommunisten, der sowohl bei den Nazis als auch in der Sowjetunion im Gefängnis sitzen musste und später beide Erfahrungen miteinander vergleichen konnte: Wenn sie schlugen, sagte er, schlugen sie hier wie dort, ohne Unterschied; „aber bei der Gestapo schlugen sie mich, damit ich die Wahrheit sagte, und beim NKWD, damit ich log.“ Korshawin ergänzte: „Diese Pathologie war unser Leben. […] Den Menschen wurde jahrzehntelang eingeredet, sie wüssten, was sie nicht wussten und sie dächten, was sie nicht dachten.“ Da ließe sich noch anfügen: Die sowjetische Geheimpolizei redete den Menschen jahrzehntelang ein, getan zu haben, was nicht der Fall war, und die Menschen gingen für das, was sie nicht getan hatten, ins Lager oder wurden erschossen. Die Verhöre und Folter der Geheimpolizei hatten nichts mit dem Herausfinden der Wahrheit zu tun. Auch die Mitarbeiter der Geheimdienste selbst, Lagerkommandanten oder Gefängniswächter wurden immer wieder Opfer der Säuberungswellen. Zwar gibt es hierzu keine Statistik, wie viele von dieser zahlenmäßig sehr kräftigen Berufsgruppe verhaftet wurden. Allerdings kann man sich dem Ausmaß an einem Beispiel wenigstens annähern: Aus den 46 Volkskommissaren (Ministern) fürs Innere und ihren Stellvertretern, die in den Jahren 1934 – 1960 amtiert haben, wurden 14 erschossen und einer zur mehrjährigen Lagerstrafe verurteilt. Es hat demnach fast jeden dritten getroffen.
Bis heute liegen keine endgültigen und verlässlichen Daten zu den Opfern des sowjetischen Staatsterrors vor, weder unter Lenin noch unter Stalin oder danach. Sehr vorsichtigen Schätzungen zu Folge waren es einige Millionen Menschen, die in die Lager kamen, viele von ihnen haben die Lagerhaft nicht überlebt.
Die schlimmsten Jahre waren wahrscheinlich die 30er Jahre, vor allem ihre zweite Hälfte. 1940 befanden sich schätzungsweise zwei Millionen Menschen im Gulag inhaftiert, mehrere Hunderttausend waren erschossen worden, das sind Angaben des letzten KGB-Vorsitzenden Bakatin. Nicht nur einzelne Menschen, ganze Völker wie Krimtataren, Russlanddeutsche oder Tschetschenen wurden Opfer der Säuberungspolitik. Auch während des Zweiten Weltkrieges hielt die Maschine des Massenterrors nicht an. Durch den Krieg kamen weitere potentielle Gruppen von „Volksfeinden“ hinzu, verdächtig wurden nicht nur Menschen, die auf den von den deutschen Truppen okkupierten Territorien leben mussten, sondern auch ehemalige Zwangsarbeiter, die nach der Rückkehr in die Heimat nicht selten verhaftet und ins Lager geschickt wurden, weil sie pauschal als Kollaborateure und Spione galten.
Wandel nach Stalins Tod 1953
Gleich am Todestag von Stalin, am 5. März 1953 tagen Plenum des ZK der KPdSU, Ministerrat und Präsidium des Obersten Rates und beschließen eine erneute Reform der Geheimdienste: das Ministerium für Inneres (damals MWD) und die Staatssicherheit (damals MGB) werden wieder vereint. Der Chef des neuen Ministeriums, der berüchtigte Lawrentij Beria, wird nur wenige Monate später verhaftet und zur Todesstrafe verurteilt. 1954 verlässt die Staatssicherheit erneut das Ministerium für Inneres und erhält den Namen „Komitee für die Staatssicherheit beim Ministerrat der UdSSR“, kurz: KGB. Es ist das Ende des stalinistischen Massenterrors.
Die neue Staatsführung nach Stalin zeigte sich unwissend und erschüttert über den Ausmaß der in den 20er, 30er und 40er Jahre grassierenden staatlichen Gewalt. Es ist schwer zu beurteilen, inwieweit dies stimmen konnte, jedenfalls wird 1956 eine erste offizielle Abrechnung mit dem „Stalinismus“ unternommen: Nikita Chruschtschows hielt im Februar eine Geheimrede in einer geschlossenen Sitzung des XX. Parteitags der KPdSU, in der er die Säuberungspolitik Stalins verurteilt, nicht aber die grundlegenden Prämissen der Kommunistischen Partei, auch nicht das Aufgabenspektrum und die Sonderstellung der Geheimdienste. Der Begriff „Volksfeinde“ wurde offiziell nicht mehr gebraucht. Unzählige Menschen kamen aus Lagern und Verbannung zurück und erhielten eine offizielle Rehabilitierung. Eine wirkliche Aufarbeitung des Staatsterrors und der Rolle der Kommunistischen Partei darin kam nie zustande. Mit den Jahren wurde das Thema immer mehr tabuisiert.
Die spätestens seit 1964 sichtbar gewordene Bewegung der sogenannten Dissidenten entstand gerade und vor allem aus dem Protest gegen die nicht stattgefundene Aufarbeitung des Massenterrors unter Stalin. Nun wurden die Andersdenkenden zu „gesellschaftsfeindlichen Elementen“: „Zwar wurden die ‚Volksfeinde‘ in der Zeit nach Stalin vom KGB in die Kategorie der Dissidenten eingestuft und weniger mörderischen Unterdrückungsmethoden ausgesetzt, doch blieb der Feldzug gegen sie kompromisslos wie eh und je“. 1985, am Vorabend der Perestrojka, wurde nach KGB-Angaben die Tätigkeit von 934 „antisowjetischen Gruppen“ unterbunden, 112 aktive Mitglieder der Dissidentenbewegung wurden verhaftet.
Die vom KGB am häufigsten angewandten Methoden zur Überwachung der Gesellschaft waren die allgegenwärtige Observation und Einschüchterung. Hinzu kamen Schauprozesse, Propaganda und Desinformation, im inneren des Landes wie auch im Ausland, wo es möglicherweise sogar noch effektiver wirkte. Die Rolle der sowjetischen Geheimdienste in den internationalen Beziehungen im 20. Jahrhundert wartet noch auf eine eingehende Erforschung.
Die UdSSR blieb bis zu ihrem Ende ein Überwachungsstaat und KGB das wichtigste Instrument dafür, er wollte alle Bürger der Sowjetunion wie auch alle ausländischen Besucher in allem, was sie tun und denken, kontrollieren. Nach diesem Vorbild arbeitete ab 1950 auch die DDR-Staatssicherheit - deren Bund mit dem KGB (KfS) hielt bis in den Herbst 1989 (siehe Text von Walter Süß, "Interner Link: Kopien für die 'Freunde' - Die Verzahnung der Stasi mit dem KGB").
Zu Grundpostulaten des KGB gehörten nach wie vor permanente Feindsuche, Bespitzelung und gesetzlose Gewalt gegen jene, der sich nicht in das rigide ideologische Schema der Kommunistischen Partei der Sowjetunion einfügten. Jede Hochschule und jedes Forschungsinstitut, jede Fabrik oder Großbetrieb hatten eine sogenannte „erste Abteilung“, deren Mitarbeiter die Aufgabe der Observation hatten.
Für nachgewiesene oder auch vermeintliche antisowjetische Agitation und Propaganda oder auch für „falsche Gesinnung, die das sowjetische Regime schwärzt“, konnte man zumindest gekündigt, im schlimmsten Fall verhaftet werden. Den Massenterror und neuen Gulag scheuend, wandte der KGB neben Gefängnis- und Lagerstrafen sowie Verbannung auch neue Methoden gegen vermeintliche oder tatsächliche Dissidenten an: das waren vor allem die Zwangsemigration bzw. Ausbürgerung sowie Benutzung der Psychiatrie als Instrument der politischen Repression. „Antisowjetische Gesinnung“ galt nun offiziell nicht nur als „feindlich“, sondern als eine Krankheit, die man behandeln muss, wobei Zwangsbehandlung im psychiatrischen Krankenhaus mitunter von einer Gefängnishaft mit Prügel und Foltern kaum zu unterscheiden war. Auch die Methoden der Einschüchterung und Erpressung wurden subtiler, die staatliche Gewalt gegen die Bevölkerung wurde weniger offen, sie musste u.U. verdeckt bzw. inszeniert werden.
Bis zum Ende der Sowjetzeit blieb der KGB ein mehr oder immer weniger gewollter Diener der zentralen Führungsorgane der Kommunistischen Partei, ihr wichtigstes repressives Instrument. Als das Land nicht mehr regierbar wurde und das kommunistische Regime fiel, schien auch der KGB von der Welle der historischen Ereignisse überrollt gewesen zu sein, deren Tragweite er zum einen unterschätzt hat, zum anderen konnte er sie nicht mehr aufhalten. Der in Moskau 1991, wenige Monate vor dem Zerfall des UdSSR unternommene antidemokratische Putsch geht verschiedenen Dokumenten nach auf das Konto des sowjetischen KGB, insbesondere seines damaligen Vorsitzenden Wladimir Krjutschkow. Am 21. August war der Putsch jedoch kläglich gescheitert und am 23. wurde im Zentrum Moskaus unter großer Anteilnahme der jubelnden Öffentlichkeit das Denkmal von WeTscheKa-Gründer Dserschinski demontiert.
Der nun letzte KGB-Vorsitzende Bakatin begann sein Dienst mit einer Entideologisierungskampagne und einem Dezentralisierungsreform: so wurde der KGB in verschiedene Dienste aufgeteilt und zum ersten Mal in seiner Geschichte wurde versucht, seine Tätigkeit einer parlamentarischen und rechtlichen Kontrolle zu unterziehen. Doch der Reformversuch scheiterte, auch angesichts der nur kurz gebliebenen Zeit, denn der Zerfall der UdSSR ließ sich nicht mehr verhindern. Am 3. Dezember 1991 löste Michail Gorbatschow den sowjetischen KGB auf. Zahlreiche seiner Mitarbeiter verloren ihre Arbeit, doch die Nachfrage nach ihrer Expertise und Vernetzungen war groß, manche gingen in die Politikwissenschaft oder Politikberatung, andere in die neue postsozialistische Privatwirtschaft.
Im postsowjetischen Russland beginnt in den 90er Jahren eine Konsolidierung der nun russischen Geheimdienste. In ihrem Selbstverständnis knüpften sie offen an die Tradition von Dserschinski, obwohl in spät- und postsowjetischer Zeit ein Bekenntnis zum orthodoxen Christentum und den russischen Nationalismus an die Stelle des (angeblichen oder tatsächlichen) Glaubens an den Kommunismus getreten ist.
Heute nicht mehr Instrument von Machthabern, sondern selber an der Macht
Die postsowjetischen Geheimdienste Russlands strebten allerdings nicht nur eine Revanche an, sondern zogen aus der Vergangenheit eine wesentliche Lehre: Sie wollten nicht mehr lediglich ein Instrument der Machhaber, sondern selbst die Machthaber sein. Und tatsächlich gelang es den russischen Geheimdiensten die Gunst der Stunde zu nutzen und aufgrund von Schwächung und Zerfall vieler staatlichen Strukturen eine solche Macht zu gewinnen, die sie in der Sowjetunion nie hatten. Man kann sagen, bereits in den 1990er Jahren waren sie „an der Spitze der oligarchischen Macht“ in Russland angekommen und sie wurden noch weniger transparent und noch mehr geheim als in der Sowjetunion. Auch der Aufstieg des jetzigen Präsidenten Russlands begann im sowjetischen KGB: Waldimir Putin war nicht nur sein ehemaliger Mitarbeiter, von Juli 1998 bis August 1999 war er auch sein Direktor. Und seit Putin im Jahr 2000 Russlands Präsident geworden ist, bekamen sukzessiv immer mehr der ehemaligen oder mehr oder weniger immer noch aktiven Mitarbeiter der Staatssicherheit die führenden Posten im Staat und in der Wirtschaft. Auch zahlreiche Veteranen des sowjetischen KGB konnten unter Putin durch einflussreiche Posten an die Macht kommen.
Der nach Putin (bis 2008) amtierte Chef der neuen Staatssicherheit (FSB), General Nikolaj Patruschew, nannte seine Leute „neue Adelige Russlands“. In der Tat kontrollieren heute die Geheimdienste sowie ihre zahlreichen ehemaligen Mitarbeiter nicht nur die Wirtschaft, sondern sowohl die Innen- als auch die Außenpolitik Russlands. Zwar ging die unmittelbare Bespitzelung der Bevölkerung zurück und es gibt auch keine ideologische Gesinnung mehr, deren Bekundung man kontrollieren möchte, demnach gibt es auch keine „ersten Abteilungen“ mehr in den Betrieben oder Hochschulen. Allerdings bleibt das politische Regime autoritär, und so wird die Tätigkeit sowohl der Oppositionellen als auch der Zivilgesellschaft kontrolliert und unterwandert. Nicht nur die wichtigsten Medien sind gleichgeschaltet und werden samt Internet durch die Geheimdienste kontrolliert, überwacht werden auch Hochschulen und der Wissenschaftsbetrieb. Zu einem wichtigen Aufgabengebiet gehört nun auch die Informationspolitik im inneren des Landes wie im Ausland.
Bemerkenswert ist, dass es in der heutigen russischen Gesellschaft keineswegs anrüchig ist, im Dienste des KGB oder anderer sowjetischer und/oder russischer Geheimdienste gestanden zu haben oder noch zu stehen – es gilt im Gegenteil als ehrenwert und Hinweis auf Loyalität, Zuverlässigkeit und ausgezeichnete gesellschaftliche Stellung. Von Rechtfertigungsdruck der öffentlichen Meinung auf die Geheimdienste kann nicht in Ansätzen die Rede sein. Dazu der Russlandhistoriker Orlando Figes:
„Eine erschütternde Umfrage zeigt, dass die Russen mehrheitlich zwar wissen, wie viele Millionen Menschen von der TscheKa, dem KGB oder dem NKWD umgebracht wurden. Trotzdem finden sie, dass der Staat das Recht habe, seine Interessen durch solche Geheimdienstorganisationen durchzusetzen. Bis zu einem gewissen Grad setzt Putin das Erbe der sowjetischen Vergangenheit fort.“
Eine nennenswerte öffentliche und rechtliche Auseinandersetzung mit den Staatsverbrechen und der Rolle der FSB-Vorläufer bei den Massenrepressionen nicht nur der Stalinzeit fand nicht statt. Die Erlangung der fast uneingeschränkten Macht durch die Geheimdienste und ihre zahlreiche Veteranen spielt dabei sicher eine wesentliche Rolle, sie bestimmen heute weitgehend die politische Kultur und die offizielle Geschichtspolitik. Auch der Konnex zwischen
„dem sowjetischen Repressivsystem und dem gegenwärtigen [russländischen] Strafvollzugssystem […] ist offensichtlich. Eine große Zahl von praktischen Dingen blieb unverändert, bis hin zu den Strafkolonien an den Orten der alten Lager – alles ist geblieben […]. Eine ‚Humanisierung‘ der Gesellschaft ist unmöglich ohne Verständnis dessen, was an den Haftorten passiert, ohne Verständnis dessen, wen wir für einen Verbrecher halten und wie das ganze System in historischer Perspektive funktioniert.“
Und der offizielle „Tag des Mitarbeiters der Sicherheitsorgane der Russländischen Föderation“ ist der 20. Dezember – der Gründungstag der ersten sowjetischen Geheimpolizei, der WeTscheKa unter der Führung von Felix Dserschinski.
Dr. Anna Schor-Tschudnowskaja, Diplom-Psychologin und Soziologin, geboren in Kiew (damals UdSSR), aufgewachsen in Sankt-Petersburg, studierte und promovierte in Deutschland. Zur Zeit ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin und senior-postdoc-Projektleiterin an der psychologischen Fakultät der Sigmund Freud Privatuniversität in Wien. Zu ihren Forschungsschwerpunkten zählen v.a. politische Kultur und gesellschaftliches Selbstbewusstsein in der Sowjetunion und im postsowjetischen Russland. Ihr aktuelles Forschungsprojekt (FWF) widmet sich den Deutungsmustern im Umgang mit der sowjetischen Vergangenheit.