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Lehren und Lernen unter MfS-Kontrolle: Lähmung der Universitäten | Stasi | bpb.de

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Lehren und Lernen unter MfS-Kontrolle: Lähmung der Universitäten

Prof. Rainer Eckert

/ 14 Minuten zu lesen

Während der Friedlichen Revolution 1989 spielten Hochschulen in der DDR nur eine geringe Rolle. Das hatte seinen Grund. SED und Stasi hatten die Unis "entschärft" und ein Klima der Angst erzeugt.

Protestpostkarte des Jenaer Studenten Roland Jahn nach dessen Zwangs-Exmatrikulation 1983 (© BStU, ASt. Gera, MfS, BV Gera, AU 724/83, GA Bd. 2 , S. 18)

Als allgegenwärtiges "Schwert und Schild" der Staatspartei SED spielte dieInterner Link: Stasi mit der Bespitzelung von Hochschulen und Universitäten eine Schlüsselrolle bei deren Unterordnung in das diktatorische Herrschaftssystem. Dabei ist grundsätzlich zwischen der Überwachung der Universitäten einerseits und andererseits der Zusammenarbeit einzelner Lehrender und Studierender mit diesem Geheimdienst zu unterscheiden.

Interner Link: Durchführungsbestimmung: Stasi an Universitäten pdf

Wichtig war der Geheimpolizei der SED, die Universitäten als potenzielle Unruheherde wachen Geistes zu entschärfen. So hieß es in der Durchführungsanweisung Nr. 1 zur Dienstanweisung Nr. 4/66 des Ministeriums für Staatssicherheit vom 10. Januar 1968: "Die politisch-ideologische Einflussnahme des Gegners auf die studentische Jugend, die Schüler der Hoch-, Fach- und Erweiterten Oberschulen und den Lehrkörper ist systematisch zurückzudrängen. Die politisch schädlichen und andere nicht im staatlichen Interesse bestehenden Kontakte sind unter Kontrolle zu bringen und zu unterbinden."

An den Universitäten gab es sowohl eine Aufgabenteilung als auch eine Kooperation zwischen einzelnen Struktureinheiten der Staatssicherheit. Grundsätzlich war die Hauptverwaltung Aufklärung für die Auslandsspionage zuständig, während sich die "Abwehr", hier vor allem für die Universitäten die Hauptabteilung XX/3, mit den entsprechenden Abteilungen in den Bezirken der DDR, in Ost-Berlin sowie in den Kreisdienststellen vorrangig mit der Unterdrückung der inneren Opposition und der allgemeinen geheimpolizeilichen Lageeinschätzung beschäftigte. Nach einer Umstrukturierung wurde aus der für die Universitäten zuständigen Abteilung XX/3 die XX/8.

Die Werbung Inoffizieller Mitarbeiter, also von Spitzeln, für die Geheimpolizei zielte auf Professoren, Angestellte und Studenten der Bildungseinrichtungen. Dabei sollte wenn möglich nicht mit Erpressung gearbeitet werden, sondern es war beabsichtigt, dass sich die Inoffiziellen Mitarbeiter der Staatssicherheit aus "innerer Überzeugung" zur Verfügung stellen. Dazu zählte die Stasi ausgeprägte marxistisch-leninistische Überzeugungen, ein "wissenschaftlich fundiertes Feindbild" und "patriotische und demokratische Überzeugungen" im Sinne der SED. Dabei ist zu beachten, dass zu den Spitzeln nur wenige Frauen gehörten, dass "Nomenklaturkader" und hauptamtliche Mitarbeiter der SED nicht zu ihnen zählten und dass nicht jeder "Reisekader" automatisch ein Denunziant war.

Wichtig war es dem MfS, Studierende nicht nur im Rahmen des Lehrbetriebs, sondern auch in ihrer Freizeit unter Kontrolle zu halten. Ausschnitt aus einem Maßnahmeplan der Stasi-Abteilung XX für Universitäten im Norden der DDR vom 10. Juli 1989. (© BStU)

"Politisch-operatives Zusammenwirken" zwischen Unileitung und MfS

Neben der inoffiziellen Mitarbeit gab es auch eine strukturell bedingte und offizielle Zusammenarbeit bzw. Abstimmung der Schwerpunktaufgaben zwischen der Geheimpolizei und den SED- bzw. FDJ-Kreisleitungen, den Rektoren, Prorektoren, mit den Rektoraten für internationale Beziehungen, Forschung und Weiterbildung, den "Beauftragten für Sicherheit und Geheimnisschutz" der Universitäten und Hochschulen, die in der Regel offizielle Kontakte zum MfS unterhielten sowie den Leitern verschiedener universitärer Verwaltungseinrichtungen und der Universitätsarchive. So wurden die Kader- und Studentenakten der Personalabteilungen und aus den Archiven regelmäßig und komplikationslos dem MfS übergeben und die Direktorate für Bildung und Erziehung gaben Auskunft über Studierende.

Diese Zusammenarbeit betrachteten alle beteiligten Seiten als "Politisch-operatives Zusammenwirken" und als Normalität im politischen System der DDR. Die Kontakte waren nicht an die Zugehörigkeit zur Staatspartei gebunden und bei ihrer konkreten Organisation kam den "Sicherheitsbeauftragten" eine Schlüsselfunktion zwischen offiziellen bzw. inoffiziellen Strukturen der Geheimpolizei und den universitären Einrichtungen zu. Hier erfolgte die Abstimmung der offiziellen und inoffiziellen Systeme und sie legitimierten in ihren Räumlichkeiten die öffentliche Zusammenarbeit mit dem MfS.

Überwachung der Wissenschaft und Unterdrückung von Dissidenz

Die einzelnen Aufgabenfelder des MfS an Universitäten und Hochschulen unterteilen sich in die Arbeit für die Auslandsspionage, hier besonders die Industriespionage, die Überwachung von Gastwissenschaftlern und ausländischen Studenten an den DDR-Universitäten (in Leipzig etwa der Studenten des Herder-Institutes), den Einsatz und die Kontrolle von "Reisekadern", die Abschirmung der Forschung in der DDR gegenüber ausländischen Geheimdiensten, die Überwachung wissenschaftlicher Auslandsbeziehungen der DDR sowie in die Bespitzelung von Wissenschaftlern im Ausland.

Ein zweiter Arbeitsschwerpunkt war die Unterdrückung von Dissidenz und Opposition vor allem in der Studentenschaft und die Verhinderung von "Republikflucht" bzw. das Zurückdrängen von Ausreiseanträgen. Dazu kam die Kontrolle der Freizeitbereiche der Studenten und der christlichen Studentengemeinden.

Als drittes ermittelte das MfS unter anderem durch die "Sicherheitsüberprüfungen" Angaben über die Universitätsangehörigen, Informationen über die Situation an den Bildungseinrichtungen, über den Lehr- und Forschungsbetrieb für die SED-Führung, es nahm indirekt Einfluss auf die Personalentwicklung, besonders die Besetzung von Führungs- und Schlüsselpositionen, beeinflusste das wissenschaftliche und gesellschaftliche Leben der Universitäten, den Unterricht sowie Leitungsentscheidungen.

Ein viertes Arbeitsfeld war die Vergabe von Forschungsaufträgen, das Anfordern wissenschaftlich, politisch, kulturell oder rechtlich bedeutsamer Gutachten für die Staatssicherheit und für die Generalstaatsanwaltschaft sowie die Nutzung von Hochschulen als Reservoire für den offiziellen und inoffiziellen Nachwuchs der Geheimpolizei. In den Universitäten und Hochschulen standen den offiziellen Mitarbeitern der Staatssicherheit für die Erfüllung dieser Aufgaben jeweils mehrere Diensträume zur Verfügung. Beim Auslandseinsatz ging es um die Ausforschung ausländischer Kongressteilnehmer und Gastwissenschaftlern in der DDR, die Überwachung und Auswertung von im Ausland stattfindenden Kongressen, die Aufrechterhaltung der Verbindungen zu Agenten und deren Führungszentren im Ausland, das "Anschleusen" von Doppelagenten an westliche Geheimdienste sowie um die Agentenwerbung für die Hauptverwaltung Aufklärung in westlichen Staaten.

Dazu kamen die Beschaffung von wissenschaftlichen und technischen Informationen für die DDR-Wirtschaft und die Nationale Volksarmee, also Spionage, sowie der Einkauf von Gütern, die in der DDR nicht zu erhalten waren. Dem diente auch der Einsatz von "Reisekadern", also von Wissenschaftlern, die ins Ausland reisen durften, aus Universitäten und Hochschulen. Um dies zu ermöglichen, überprüfte und genehmigte das MfS die sogenannten "Reisekader", überwachte sie im Ausland und deckte sie gegen westliche Geheimdienste ab. Nach ihrer Rückkehr in die DDR wurden dann die Berichte der "Reisekader" für geheimpolizeiliche Zwecke vor allem der Hauptverwaltung Aufklärung ausgewertet und auch an die sowjetische Geheimpolizei KGB weitergegeben.

Unterdrückung von Opposition als "politisch-ideologischer Diversion"

Da die Führung der SED darauf bestand, jeglichen oppositionellen Ansatz in Forschung und Lehre als "politisch-ideologische Diversion" von Anfang an zu erkennen und zu unterdrücken, spitzelte die Staatssicherheit im Universitätsbetrieb mit vergleichsweise hohem Aufwand. Kritische oder oppositionelle Bestrebungen wurden konsequent unterdrückt, FDJ, SED und Stasi zogen hier an einem Strang. Strafmaßnahmen gegen Universitätsangehörige reichten von Ermahnungen, Disziplinarverfahren, Relegation von den Universitäten, "Bewährung in der Produktion" bis hin zu Verhaftungen und Verurteilungen durch DDR-Gerichte.

Die Grundlage für diese Verfolgungen waren "operative Vorgänge", die das MfS gegen "Verdächtige" oder Oppositionelle anlegte. Als Gründe für widerständiges Verhalten machte das MfS "mangelnde Wachsamkeit" bei der Immatrikulation, ungenügende Kontrolle und unzureichende Wirksamkeit der politisch-ideologischen Erziehungsarbeit aus. Zum Vorgehen gegen oppositionelle Studenten konnte der Einsatz sogenannter gesellschaftlicher Kräfte, in der Regel deren eigene Professoren und Lehrer, zählen. Auch die Bestrafung dieser Studenten wurde detailliert vorgeschrieben. Dabei war ein besonderer Schwerpunkt die Bekämpfung der Flucht aus der DDR nach dem Bau der Berliner Mauer und nach dem Abkommen von Helsinki das Zurückdrängen der Flut von Ausreiseanträgen aus der DDR.

Übertriebene Angst

Gleichzeitig zeichnete sich die SED durch eine übertriebene Angst vor dem Abfluss wissenschaftlichen Potentials und neuer Forschungsergebnisse aus. Inoffizielle Mitarbeiter überwachten so ihre eigenen Kollegen, erarbeiteten Einschätzungen der Bedeutung von Forschungsprojekten oder schätzten ein, ob bestimmte Wissenschaftler als "Sicherheitsrisiko" aus Forschungsvorhaben ausscheiden mussten oder gar entlassen wurden. Das wurde als Absicherung besonders von Forschungsschwerpunkten betrachtet und konsequent durchgesetzt.

Im Detail überwachte die Geheimpolizei unter anderem durch planmäßig durchgeführte "Sicherheitsüberprüfungen" die Studienbewerbungen und ermittelte die Zusammensetzung der studentischen Seminargruppen, analysierten die politischen Haltungen der Studenten, untersuchte deren Personalangaben und ihre wissenschaftlichen Arbeiten, ihre Verbindungen zu anderen Studenten, ihr Engagement in den Studentengemeinden und suchte immer wieder nach Hinweisen für oppositionelles Verhalten. Darüber hinaus gab es Vorschläge des MfS über die Ausgestaltung von Schwerpunkten der Forschung, der Ausbildung und medizinischen Betreuung. Diese wurden zur Umsetzung an die Universitätsleitungen weitergegeben. Gleichzeitig wurden aus den Informationen der Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes Berichte für die SED-Führung zusammengestellt.

Gezielte Vorauswahl von Studierenden

Die Überwachung der Personalentwicklung an den ostdeutschen Universitäten und Hochschulen erfolgte über offizielle Kontakte bzw. hauptamtliche Mitarbeiter, über getarnt arbeitende "Offiziere im besonderen Einsatz" und durch Inoffizielle Mitarbeiter. Die Zahl der hauptamtlichen Mitarbeiter der Staatssicherheit, die für die Universitäten eingesetzt waren, schwankte. In der Bezirksverwaltung Berlin, die für die Ost-Berliner Humboldt-Universität "zuständig" war, waren es 1986 15 operative Mitarbeiter, drei Offiziere im besonderen Einsatz und zwei hauptamtliche Führung-IM, die wiederum über mehr als 200 Inoffizielle Mitarbeiter verfügten. Die Vergleichszahlen sind für die Universität Jena acht hauptamtliche Mitarbeiter, in Halle waren es sieben, in Leipzig 13 und in Rostock 14 hauptamtliche Bedienstete der Staatssicherheit als Ansprechpartner für ca. 145 Inoffizielle Mitarbeiter im universitären Bereich der Hansestadt, deren Anzahl wuchs bis 1989 sogar auf 229.

Zahl von IM an den Hochschulen im Norden der DDR in einer Aufstellung der Rostocker MfS-Abteilung XII vom 19. Juli 1989. Die meisten, 229 stellt die Abteilung XX zur Bekämpfung des politischen Untergrunds, zur Sicherung des Staatsapparates, der Kirchen und des Kulturbereichs, 8 stellt die Abteilung II (Spionageabwehr), 6 die Kreisdienststelle Rostock. Von den insgesamt 253 IM an der Uni Rostock betreuten 21 konspirative Wohnungen (KW) für Treffs von IM mit ihren Führungsoffizieren. (© Bürgerkomitee 15. Januar e.V.)

Mit besonderem Argwohn erfolgte die Kontrolle der personellen Entwicklung des akademischen Nachwuchses. Hier sollten in Fachgebieten wie Medizin, Kunst und Kultur, Gesellschaftswissenschaften und Massenmedien vorrangig Studenten immatrikuliert werden, die die SED-Diktatur unterstützten. Bei Rechtswissenschaften war die Zustimmung des MfS zu einem Studium eine Voraussetzung. Nach der Immatrikulation folgte die Einflussnahme auf Dissertationsthemen, Berufungen, Ehrenpromotionen, Auszeichnungen und auf andere Personalfragen.

Ziel aller dieser Maßnahmen war es, Studenten und Lehrende zu entmündigen und zur SED-Hörigkeit zu erziehen. Das blieb nicht ohne Erfolg – im entgegengesetzten Fall drohten Berufsverbot und sogar auch Haft. Dies konnte dann der Fall sein, wenn es der Geheimpolizei gelang, auf Grund der Informationen ihrer Spitzel Tatbestände wie "staatsfeindliche Hetze", "staatsfeindliche Gruppenbildung" oder "landesverräterische Nachrichtenübermittlung" zu konstruieren.

Parteiliche Gutachten für MfS und Justiz

Auf dem vierten Aufgabenfeld ist auszumachen, dass Mitarbeiter von Universitäten und Hochschulen – aber auch von anderen wissenschaftlichen bzw. kulturellen Einrichtungen – die Geheimpolizei durch die Erstellung von Gutachten unterstützten. Darin hieß es etwa, dass kritische Schriftsteller Texte mit "Verleumdung und Diffamierung" der DDR schrieben oder zum Widerstand gegen die Diktatur "aufwiegelten". Dazu kamen Gutachten für die Justiz zur Kriminalisierung oppositioneller Gruppierungen, die Analyse von Unterlagen, die die Spionage im Ausland besorgt hatte und die rechtliche Einschätzung kirchlichen Handelns. Eine besondere Rolle spielten hier die Sektionen Rechtswissenschaften und Kriminalistik an der Ost-Berliner Humboldt-Universität, die sowohl dem MfS als auch dem Ministerium des Innern als "Kaderschmieden" dienten.

Nach Rekrutierung Erziehung zum Hass auf den Feind

Die Gewinnung hauptamtlicher und inoffizieller Mitarbeiter für das Ministerium für Staatssicherheit begann schon an den Oberschulen und setzte sich an den höheren Bildungseinrichtungen massiv fort. Dabei war es nicht möglich, sich um eine Mitarbeit bei der Geheimpolizei selbst zu bewerben, sondern diese wählten ihre potentiellen Mitarbeiter selbst aus und warben diese nach mehreren Überprüfungen auf ihre "Zuverlässigkeit" an. Grundsätzlich sollten diese Mitarbeiter auf der Grundlage einer "positiven Entscheidung" bzw. "politischer Überzeugung" gewonnen werden und nach einer erfolgreichen Werbung trat die Erziehung zum Hass auf den "Feind" in den Mittelpunkt. Werbung von Inoffiziellen Mitarbeitern durch Erpressung war selten und genauso selten versuchten Spitzel, ihre Denunziationstätigkeit selbstständig zu beenden. So ging die Beendigung der Spitzeltätigkeit in der Regel vom MfS aus, wobei "Dekonspiration", Aufstieg eines Denunzianten in der SED-Hierarchie oder "Perspektivlosigkeit" seines Einsatzes die Gründe sein konnten.

Die Tätigkeit der Inoffiziellen Mitarbeiter an Universitäten und Hochschulen wurde materiell kaum entlohnt, es gab allerdings verschiedentlich kleine Geschenke oder konspirative Auszeichnungen, etwa mit Verdienstmedaillen. Das schließt jedoch nicht aus, dass sich viele Inoffizielle Mitarbeiter durch ihre Tätigkeit persönliche Vorteile bei der Erklimmung der Karriereleiter, dem Erwerb des begehrten "Reisekaderstatus" oder bei der Ausschaltung unliebsamer Kollegen versprachen. Andere spitzelten in der Überzeugung, einer guten Sache zu dienen, wurden von dem Wunsch nach Anerkennung angetrieben oder sahen die Spitzeltätigkeit einfach nur als eine Facette ihrer "gesellschaftlichen Arbeit".

Vergiftete Atmosphäre

Gleichzeitig verbreitete die Spitzel-Tätigkeit an den Universitäten und Hochschulen eine Atmosphäre von Angst und Misstrauen, viele Wahrheiten wurden verschwiegen und Halbwahrheiten bzw. Lügen traten an ihre Stelle. Diese vergiftete Atmosphäre wirkte an ostdeutschen höheren Bildungseinrichtungen auch noch geraume Zeit nach Friedlicher Revolution und Wiedervereinigung weiter. Dabei darf auch nicht übersehen werden, dass es auch immer wieder unaufgeforderte Denunziationen zur Erlangung persönlicher Vorteile oder aus politischer Überzeugung gegeben hatte.

An den Lehranstalten waren die inoffiziellen Spitzel breit über alle Bereiche gestreut: das ging von den Leitungen der Einrichtungen, über die Hochschullehrer, Ärzte, wissenschaftliche Mitarbeiter, die Verwaltung, die technischen Angestellten bis zu in- und ausländische Studenten. Dabei konzentrierte sich die Staatssicherheit auf Schlüsselpositionen. Die Inoffiziellen Mitarbeiter sollten dabei nicht nur ein bestimmtes Sachgebiet "bearbeiten", sondern sie wurden äußerst flexibel eingesetzt. Dazu gehörten Berichte über die politische Stimmung unter den Studenten, über kritische Äußerungen, Westkontakte, christliche Bindungen, über die Meinung universitärer Kollegen und über deren Persönlichkeit bzw. ihr Privatleben.

Zum Nachlesen: Interner Link: PDF IMs unter Studierenden im Bezirk Rostock. Ein MfS-Überblick aus dem Jahr 1989

Unter den Verwaltungsangestellten waren für das MfS besonders solche in aktenführenden Stellungen in den Verwaltungen, den Archiven, Wohnheimen und in den Vervielfältigungsstellen interessant. Die Inoffiziellen Mitarbeiter sind in die Gruppen Gesellschaftliche Mitarbeiter für Sicherheit (GMS), Inoffizielle Mitarbeiter für Sicherheit (IMS), Inoffizielle Mitarbeiter mit Feindberührung (IMB) und Inoffizielle Mitarbeiter, die ihre Wohnung, ihre Adresse oder ihrer Telefonnummer zur Verfügung stellten, einzuteilen. Dazu kamen Hauptamtliche Inoffizielle Mitarbeiter (HIM), Inoffizielle Mitarbeiter für besonderen Einsatz (IME) und Inoffizielle Mitarbeiter mit besonderem Vertrauensverhältnis (IMV).

Bei der Werbung von studentischen Inoffiziellen Mitarbeitern war die Staatssicherheit besonders an Studenten der Fachrichtungen Germanistik, Gesellschaftswissenschaften, Pädagogik, Medizin, Kunst/Kultur und Theologie interessiert. Ihre Aufgaben bestanden in der Überwachung ihres akademischen Umfeldes und der Kontrolle der Lehrenden und ihrer Kommilitonen. Besonders Liebesbeziehungen zwischen ostdeutschen und ausländischen Studenten wurden zum einen bekämpft, zum anderen sollten sie geheimpolizeilich genutzt werden. Im Zentrum geheimpolizeilicher Bespitzelung standen neben den Studentenheimen auch Studentenklubs, studentische Freizeitaktivitäten und universitäre Festakte.

"Absicherung" von Hochtechnologie, Mikroelektronik und Biotechnologie

Bei den Wissenschaftlern waren die Schwerpunkte anders gesetzt. Hier ging es bei der "Absicherung" von Forschungsschwerpunkten in der DDR um hochkarätige Forscher und solche in Schlüsselpositionen. Von zentraler Bedeutung waren dabei nicht die Gesellschafts- und Geisteswissenschaften, sondern Bereiche der Hochtechnologie wie Mikroelektronik, Biotechnologie, physikalische Forschung, Chemie, Kernforschung und Strahlenschutz sowie medizinische Bereiche wie AIDS-Forschung und Organtransplantation. Dazu kamen Friedensforschung, Theologie, Literatur- und Kunstwissenschaft sowie die jeweiligen Rechenzentren.

Weiterhin gab es universitätsspezifische Schwerpunkte der Geheimpolizei wie etwa die Journalistenausbildung oder das Herder-Institut mit seinen ausländischen Studenten in Leipzig oder in Jena die Hochtechnologie im Zusammenhang mit dem Kombinat Carl Zeiss Jena. In Jena waren auch das Zentralinstitut für Mikrobiologie und das Teilinstitut für Magnetische Werkstoffe im Focus der Geheimpolizei. Für die Leipziger Universität gilt das auch für die Sektionen Kulturwissenschaft/Germanistik und Philosophie/Wissenschaftlicher Kommunismus sowie Diät-Wirkstoffe, Wasseraufbereitung und Eiweißforschung.

In den 70er Jahren flächendeckende Überwachung erreicht

Um die Aufgaben besonders der Spionage zu erfüllen, waren Studenten ungeeignet, so dass deren Werbung in den 1980er Jahren zurückging, während die Aufmerksamkeit der Geheimpolizei immer mehr international bekannten Wissenschaftlern galt. Nach der Phase der brutalen Unterdrückung mit zahlreichen Verhaftungen und Verurteilungen Oppositioneller in den 1950er und 1960er Jahren war in den 1970er Jahren eine "flächendeckende Überwachung" der Universitäten und Hochschulen erreicht. Die Geheimpolizei hatte die Arbeit ihrer Mitarbeiter professionalisiert und das Bildungsniveau ihrer hauptamtlichen Offiziere erhöht. Als geheimpolizeiliche Unterwanderungsmethode setzte das MfS zunehmend auf "Zersetzung", das heißt auf die systematische Diskreditierung des öffentlichen Rufes sowie die systematische Organisation von beruflichen oder gesellschaftlichen Misserfolgen wirklicher oder vermeintlicher Gegner der Diktatur.

Wenn auch die Zahl besonders studentischer Inoffiziellen Mitarbeiter in der Endphase der Diktatur zurückging, waren die Beziehungen zwischen der Geheimpolizei und den Universitäten bzw. Hochschulen so eng wie sonst wohl nur bei Volkspolizei und Nationaler Volksarmee. Problematisch war für den Staatssicherheitsdienst vielmehr, dass er die Masse der Informationen kaum noch bewältigen konnte. Insgesamt erhöhte sich im Laufe der vierzig Jahre Geschichte der zweiten deutschen Diktatur die Zahl der Mitarbeiter der Geheimpolizei an den ostdeutschen Universitäten und Hochschulen und gleichzeitig verringerte sich das Oppositionspotential dort auf ein kaum mehr wahrnehmbares Maß.

In den 80er Jahren auf Linie gebracht

Durch die hohe Systemhörigkeit von Lehrenden und Studierenden waren für die Staatssicherheit in den 1980er Jahren nicht mehr solche brutalen Maßnahmen nötig wie bei der Unterdrückung politischer Opposition in den 1950er und 1960er Jahren. So dominierten in den letzten Jahren der staatlichen Existenz der DDR die Gewährung von Privilegien für die Etablierten und damit die Schaffung einer akademischen Zweiklassengesellschaft. Die intensive Kontrolle der Stasi über die Universitäten in der DDR wurde 1989/90 auch nach Außen deutlich. Die weitgehend angepassten Universitäten und Hochschulen spielten in der Friedlichen Revolution bezeichnender Weise nur eine marginale Rolle, auch wenn die Unruhe dort zunehmend wuchs, aber oft noch "von gesellschaftlichen Kräften" unter Kontrolle gehalten und "neutralisiert" werden konnte, wie eingehende Berichte beim MfS im Herbst 1989 beschreiben.

Zum Nachlesen: Interner Link: MfS-Informationen vor allem aus universitären Einrichtungen der DDR im Herbst 1989, dokumentiert vom Zentralen Operativstab (ZOS) im Lagezentrum des Ministeriums für Staatssicherheit pdf

Zwar bezeichnete die Stasi die Situation 1989 an den Hochschulen als "stabil", musste aber auch registrieren, dass, wer aneckte, schneller von sich aus resignierte, also gar nicht mehr rebellierte. In Folge stieg die Zahl der Ausreiseantragsteller aus dem universitären Lehrbetrieb stetig an.

Zum Nachlesen: Interner Link: "Stabile Lage". Protokoll einer Dienstberatung in der Hauptabteilung XX/8 des MfS im Bezirk Rostock vom 15. Juni 1989. Die politisch-operative Lage an den Universitäten der DDR wird stabil eingeschätzt, allerdings haben 927 Hochschullehrer einen Antrag auf Ausreise gestellt, davon 60 Prozent jünger als 40. pdf

Spätes Engagement. Am 12.10.1089 hält ein MfS-Tagesprotokoll fest, dass am Vortag Studierende der Ostberliner Humboldt-Universität von 12 bis 13.30 zu stummen Protest vor der Universität aufgerufen hatten. Laut Protokoll wurde es "durch aktives Handeln gesellschaftlicher Kräfte weitgehend neutralisiert". (© BStU, MfS, SED-KL, 1868, S.11)

Mehr zum Tema: Interner Link: Stasi - was war das? Und: Interner Link: "Einmal Stasi - immer Stasi?" Der Berliner Fall Holm.

Literaturauswahl

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Eckert, Rainer: Die Rolle des Ministeriums für Staatssicherheit an den Hochschulen der DDR an den Beispielen der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität Rostock, in: Materialien der Enquete-Kommission "Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit" / Deutscher Bundestag (Hrsg.). – Baden-Baden, 1999. – IV, 2, S. 1.013-1.070.

Häuser, Franz (Hrsg.): Geschichte der Universität Leipzig 1409-2.009: Bd. 3. Hehl, Ulrich von [u.a.] (Hrsg.): Das zwanzigste Jahrhundert 1909-2.009. – Leipzig, 2.010.

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Kowalczuk, Ilko-Sascha: Die Humboldt-Universität zu Berlin und das Ministerium für Staatssicherheit, in: Jarausch, Konrad H. [u.a.] (Hrsg.): Geschichte der Universität Unter den Linden: Biographie einer Institution: Bd. 3. Sozialistisches Experiment und Erneuerung in der Demokratie – die Humboldt-Universität zu Berlin 1945-2.010. – Berlin, 2.012, S. 437-554.

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Reichert, Steffen: Im Auftrag der SED: Strategien des Ministeriums für Staatsicherheit zur Unterwanderung des universitären Raums – das Beispiel der Universität Halle, in: Kaiser, Tobias; Mestrup, Heinz (Hrsg.): Politische Verfolgung an der Friedrich-Schiller-Universität Jena von 1945 bis 1989: Wissenschaftliche Studien und persönliche Reflexionen zur Vergangenheitsklärung. – Berlin, 2.012, S. 113-132.

Wockenfuß, Karl: Die Universität Rostock im Visier der Stasi: Einblicke in Akten und Schicksale, 1955 bis 1989. – Rostock, 2.003. – 2., erw. Aufl. 2.004.

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Prof. Rainer Eckert leitete bis 2015 das Zeitgeschichtliche Forum Leipzig der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Er ist außerplanmäßiger Professor am Kulturwissenschaftlichen Institut der Uni Leipzig und berät mehrere Aufarbeitungsinstitutionen. Wie intensiv die Stasi in universitären Alltag eingriff, erlebte er selbst als Student. 1972 wurde er als Folge politischen Engagements von der Berliner Humboldt-Universität verwiesen und mit Haus- und "Berlinverbot" belegt. Das MfS verfolgte ihn im Rahmen eines operativen Vorgangs "OV Demagoge“.