Gemeinhin können wir unser Leben ziemlich gut in Sphären einteilen: Da sind erstens die mächtigen Strukturen von Staat, Ökonomie, Verwaltung und ihren Institutionen, von Gesetz, Regierung und Polizei; zweitens die Beziehungen von Kultur und Kommunikation, Sprachen, Moden, Künsten und Gebräuchen; und drittens ist da die "private" Biografie. Ein geglücktes Leben, oder, von der anderen Seite her gesehen, geglücktes Regieren, liegt in einer harmonischen Balance zwischen diesen drei Sphären, zwischen dem, was ich selbst in der Hand habe, dem, was sich allenfalls indirekt von mir beeinflussen lässt, auch in demokratischen Verhältnissen, und schließlich dem, was zwischen beidem vermitteln soll, die Kritik, die Kunst, die Öffentlichkeit, die Wissenschaft, das Design, die Medien, eben kurz: die Gesellschaft und ihre Kultur. Ohne sie hätten Regierung und Leben eine ausschließlich abstrakte, wenn nicht gar tyrannische Beziehung. Eine solche Balance ist aber eher selten zu erleben. Schön genug wäre es schon, wenn man sagen könnte: Wir arbeiten daran.
Eines der Probleme, die sich nicht recht an diese Architektur des Menschenlebens halten, ist die Droge, in ihrer legalen wie in ihrer illegalen, in ihrer geduldeten wie in ihrer gefürchtetsten Form. Eine Gesellschaft ohne Drogen ist genauso schwer vorstellbar wie eine Gesellschaft, in der jede Droge frei und erlaubt ist. Die Erfahrungen mit der Prohibition in den USA – mit dem Alkoholverbot vor 100 Jahren, das den Aufstieg von Gangstern wie Al Capone erst ermöglicht hat – setzen sich mit jeder weiteren Droge fort: Die Gesellschaft und der Staat müssen die Droge verbieten, wenn sie Autorität behalten wollen, aber jeder Schlag gegen den Drogenhandel erhöht immer auch den Druck auf die Abhängigen und erzeugt Verbrechen, Gewalt und neue Korruption.
So wie sie für den einzelnen zugleich Medizin und Gift sein kann, ist die Droge für die Gesellschaft Realität und Gefahr. Der komplette Entzug ist für das Individuum so problematisch wie für das Kollektiv. So entsteht eine paradoxe Disposition: die Sehnsucht nach der Droge und die Sehnsucht nach der Befreiung von der Sucht. In den Künstlerbiografien begegnet uns immer wieder, wie sehr die einzige wirkliche Lösung dieses Konflikts am Ende nur noch der Tod sein kann. Und darin kündigt sich schon der fatale Opfermythos an: Ohne die Droge wären die Kunstwerke vielleicht nicht zustande gekommen, aber mit ihnen ruinieren sich ihre Schöpferinnen und Schöpfer. Doch ist dieser Gedanke vermutlich falsch, und auch Pablo Picasso hat sich von diesem Mythos verabschiedet, indem er darauf hinwies, dass die großen Künstler immer schon ihren Stil gefunden hätten, bevor sie mit der Droge in Berührung gekommen seien. Für viele Künstlerinnen und Künstler ist es eher das Problem, aus dem Rausch wieder herauszukommen und die Leere danach zu füllen, als sich damit "kreativ" zu stimulieren. Das Verhältnis von Kunst und Droge ist vielleicht eine biografische Realität, aber zugleich eben auch ein kultureller Mythos.
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Im allgemeinen Sprachgebrauch ist die Droge eine organische oder chemische Substanz, die sowohl Bewusstsein, Psyche und Wahrnehmung als auch soziales Verhalten und "Identität" und schließlich auch das körperliche Befinden verändert. Sie steht im Spannungsfeld von fünf Diskursen: Genuss – Erfahrung – Ritus – Verbot – Sucht. Diese Reihung reicht von extrem positiver zu extrem negativer Konnotation, von einer Erweiterung der Lebensmöglichkeiten bis zur extremen Reduktion in Krankheit, Kriminalität und Tod. Doch gleichgültig von welcher Seite man die Droge auch betrachtet: Sie stellt die Beziehung von Struktur, Kultur und Biografie infrage. Der trunkene Mensch verliert den Respekt vor dem Gesetz; im Rausch werden die verbindlichen religiösen und weltlichen Diskurse von Moral und Vernunft überschritten; die Sucht schließlich belastet die Gesellschaft mit Kriminalität und Krankheit.Die entsprechenden gesellschaftlichen Haltungen sind: Kultivierung (die Droge wird Teil der gesellschaftlichen Praxis), Akzeptanz (die Droge wird unter bestimmten Umständen für bestimmte Personen geduldet), Gleichgültigkeit (die Droge und die Probleme, die sie verursacht, werden verdrängt und geleugnet), Problematisierung (die Gefahren der Droge werden erkannt und man setzt auf Aufklärung und Pädagogik), Bekämpfung (die Droge wird zum "Feind" erklärt). Eine liberale Gesellschaft kann und sollte sich in diesem System eine gewisse Bandbreite gestatten, sowohl was die Definition der Droge und ihrer Gefahren als auch was die Haltung zu ihr bestimmt. So existieren verschiedene, manchmal widersprüchliche Haltungen und Praxen nebeneinander und werden laufend neu bewertet: Während Nikotin der Kampf angesagt wurde, wird Haschisch zuletzt tendenziell entdämonisiert. Es gibt Gesetze und polizeiliche Maßnahmen, Institutionen und Erkenntnisse auf der kollektiven Seite, und es gibt "Drogenkarrieren", Schicksale und Lebensgeschichten auf der Ebene der Biografien. Dazwischen stehen unter anderem die Erzählungen und Bilder der Kultur und der "Unterhaltung".
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Da es also zumindest zwischen zwei Sphären des Lebens eine Art natürliche "Sprachbarriere" gibt, müssen Kunst, Literatur und Pop die Aufgabe übernehmen, eine Kommunikation zwischen diesen Sphären zu ermöglichen, nicht zuletzt auch durch eine Erzeugung von Mythen, in denen die unerträglichen Widersprüche des Lebens aufgelöst sind. Was die Verknüpfung der kollektiven und der biografischen Wirklichkeit der Droge anbelangt, hat sich in unseren Kulturen ein narrativer Kanon entwickelt, der sich – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – in der folgenden Reihung aus gängigen Motiven und jeweils einigen Beispielen dafür skizzieren lässt.Die komische Droge: Seitdem es Slapstick-Komik gibt, ist der Trunkenbold eine feststehende Figur im Film, aber er ist auch eine transzendentale Gestalt, die plötzlich die Naturgesetze aushebeln kann: Die Betrunkenen, die Charlie Chaplin spielt, sind stets von einer bemerkenswerten Eleganz und haben scheinbar einen Pakt mit dem Schicksal abgeschlossen. Das Komiker-Duo Laurel und Hardy wird durch das Einatmen von Lachgas unkontrollierbar, die Kiffer Cheech und Chong sind die Drogen-Komiker der 1970er Jahre. Der Film "Fear and Loathing in Las Vegas" (1998) als Phantasie über den Gonzo-Journalisten Hunter S. Thompson ist allein schon durch das Überangebot der Drogen komisch, ganz anders als etwa David Cronenbergs Phantasie über den Kultautor William S. Burroughs "Naked Lunch" (1991), in der der Humor der Rauschbeschreibung tiefschwarze und horrible Züge annimmt. Sympathische Kiffer und harmlose Drogenkonsumenten gibt es auch im deutschen Film, etwa in "Lammbock" (2001).
Feiern und Hymnen: Hierunter fallen die zahllosen Trinklieder, die Pop-Oden an Sex, Drugs and Rock’n’Roll, die bacchantischen Gemälde und Skulpturen sowie die Herbs- und Ganja-Verherrlichungen im Reggae und im Hip-Hop. Die Forderungen nach Legalisierung, aber mehr noch die nach Anerkennung und Verständnis ("Everybody must get stoned" – Bob Dylan, 1966) schließen unmittelbar an dieses Motiv an. Damit verbunden sind auch Anspielungen und die "Geheimsprache" der Droge: Ist "Lucy in the Sky with Diamonds" von den Beatles nun eine LSD-Hymne oder doch nur die Beschreibung einer Kinderzeichnung? Und heißt Spidermans Freundin zufällig Mary Jane, was auch ein Slangausdruck für Marihuana ist? Nicht minder positiv sind viele Erfahrungsgeschichten: Drogenerlebnisse werden darin als Grundlagen für kreative Phantasien und "Erleuchtungen" beschrieben. Eine gewisse Spielart davon verwendet die Droge auch zur Konstruktion von Männlichkeit. Duelle um die Frage, wie viel man vertragen kann, gibt es in zahlreichen Romanen und Filmen.
In biografischen Verarbeitungen wird die Droge dagegen als bestimmender Teil des Lebens dargestellt, etwa in Ernst Herhaus’ "Kapitulation" (1977) über ein Trinkerleben oder im berühmten Roman "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" (1978) von Kai Hermann und Horst Rieck. Schon Klaus Mann verarbeitete seine Opiumabhängigkeit in "Der Vulkan" (1939). Und der Autor Hans Fallada beschrieb Morphium als seine "einzige Geliebte" – die ihn 1947 schließlich tötete. Künstler und andere Prominente, die an Drogen gestorben sind, sind ein besonders lohnendes Objekt kultureller Weiterverarbeitung: Amy Winehouse, Kurt Cobain, Sid Vicious, Janis Joplin – sie alle wurden in ihren Drogenkarrieren "behandelt". Daraus entstehen gelegentlich auch Zeitbilder wie "Party Monster" (2003), die Filmbiografie des Nachtclubkönigs Michael Alig, der in den 1980er Jahren auf- und in den 90ern durch seinen Drogenkonsum wieder abstieg.
Drogen und Sucht als Metaphern, auch stoffungebunden: etwa die Sucht nach Arbeit, Spiel, Sex oder (Todes-)Gefahr – im Zweifelsfall ist die Kunst selbst eine "Droge". In mehreren Filmen wird etwa Vampirismus mit Drogensucht gleichgesetzt, zum Beispiel in Kathryn Bigelows "Near Dark" (1987), Joel Schumachers "The Lost Boys" (1987) oder Abel Ferraras "The Addiction" (1995). Das Grundmodell der Persönlichkeitsspaltung des Menschen durch die Droge bietet der 1886 erschienene Klassiker "Strange Case of Dr Jekyll und Mr Hyde" von Robert Louis Stevenson. Der Roman, der Legende nach in sechs Tagen und unter heftigem Einfluss von Kokain geschrieben, erschreckte am Ende seinen eigenen Autor so sehr, dass er die erste Fassung verbrannte. Aber auch Mary Shelleys Geschichte von Frankenstein und seinem Monster ist ohne Drogeneinfluss kaum zu denken, von Edgar Allan Poe zu schweigen, der wie Charles Baudelaire zu einem der Drogen-Künstler par excellence erklärt wurde. Bei letzteren beiden geht es zugleich immer darum, zu einer verborgenen "Wahrheit der Droge" vorzudringen – dies ein weiteres, gängiges Motiv: In dieser Art des Gebrauchs wird die Klarheit, ja, fast schon "Arbeit" mit der Droge weit über den Aspekt von Genuss und Ritual gesetzt. Selbst der Weg aus der Illusion zurück zur Wirklichkeit im Science-Fiction-Thriller "Matrix" (1999) führt über die Wahl der richtigen Pille.
Inside the Trip: Wie vordem die Literatur und die bildende Kunst, versucht auch der Film mit seinen eigenen Mitteln die Drogenerfahrung zu imitieren. Regelmäßig verwendete Stilmittel sind Farbspiele und Farbfilter, Zeitraffer und Zeitlupen, rasche Perspektivwechsel oder eine entfesselte, "wirbelnde" Kameraführung, Kaleidoskopeffekte, Doppelbelichtungen und Unschärfen. Manchmal verändert sich die Umgebung wie in "Fear and Loathing in Las Vegas" in einem regelrechten Morphing, und in "Naked Lunch" sehen wir zum Beispiel, wie sich eine Schreibmaschine in einen sprechenden Käfer verwandelt. Mit über 5.000 Schnitten in 100 Minuten versucht der Videoclip-Regisseur Jonas Åkerlund in "Spun" (2002) die Wirkungen von Speed direkt auf das Sehen zu übertragen. Und in "Requiem for a Dream" (2000) verwendet Darren Aronofsky Soundeffekte zur akustischen Desorganisation. Dokumentarisch dagegen werden in dem emblematischen deutschen (Anti-)Drogenfilm "Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" (1981) die zeitgemäßen Drogensongs von Rock und Pop eingesetzt. Dass das Ende des Trips eine paranoide Verschiebung der Wahrnehmung ist, versucht auch Hans Weingartner mit "Das weiße Rauschen" (2001) direkt in Bilder zu übertragen.
Drogen als Verbrechen: Die Schnittstelle zwischen der Welt der Gangster und der Welt der "guten" Bürgerinnen und Bürger ist – neben der Prostitution und dem Glücksspiel – die Droge. Der Kampf zwischen Gesetz und Drogengangstern ist einer, der nicht gewonnen werden kann, nicht zuletzt weil er sich immer mehr globalisiert, wie wir es in Filmen von "Scarface" (1983) bis "Traffic" (2000) erfahren. Krimis und Polizeifilme, Serien und Comics wären kaum denkbar ohne den "ewigen Kampf" gegen das Rauschgift, das einen unheilvollen Sog ausübt und in eine "Halbwelt" führt, in der ein Menschenleben nicht viel zählt. Häufig damit verknüpft ist das Motiv der faszinierenden Bösen: Die Netflix-Serie "Narcos" (2015–2017) behandelt den Aufstieg und Fall des kolumbianischen Drogenkartellbosses Pablo Escobar, die Serie "El Chapo" (2017–2018) die Geschichte von Joaquín Guzmán, des berüchtigten Oberhaupts des mexikanischen Sinaloa-Kartells. Eine Reihe von Filmen wie der dänische Thriller "Pusher" (1996) oder das belgische Drama "Ex Drummer" (2007) stehen mit ihren Darstellungen eines elenden Drogenalltags gegen solche falsche Faszination.
Vom Oszillieren an der Schnittstelle zwischen Gut und Böse lebt auch das Breaking-Bad-Syndrom: In der gleichnamigen Fernsehserie (2008–2013) geht es um einen braven Chemielehrer, der seine Krebsbehandlung nicht bezahlen kann und aus dieser Notlage heraus beginnt, Crystal Meth zu produzieren und ein eigenes Drogenimperium errichtet. In einer etwas leichtherzigeren Variante geht es um Frauen aus bürgerlichen Kreisen, die aus persönlichen Notlagen zu Drogendealern werden: Die britische Komödie "Saving Grace" (2000) erzählt von einer allseits respektierten Dame der gehobenen englischen Landgesellschaft, die nach dem Tode des treulosen und verschwenderischen Gatten einem Schuldenberg gegenübersteht, den sie schließlich mithilfe eines lebensfrohen Kiffers durch die Kunst des Marihuanaanbaus abträgt. Die französische Variante bietet zuletzt die Komödie "La daronne" (2020), in der Isabelle Huppert eine Übersetzerin bei der Pariser Polizei spielt, die sich nach einem mächtigen Drogenfund zur Dealerin macht, um der Trostlosigkeit ihres Lebens zu entkommen.
Die Drogenkarriere als Opfermythos: Ein Passionsspiel um eine nicht nur drogenkranke Ex-Filmdiva aus dem "Dritten Reich" ist Rainer Werner Fassbinders Film "Die Sehnsucht der Veronika Voss" (1982), in dem das Rauschgift symbolisch für ein allgemeineres Problem, der Abhängigkeit, ausgespielt wird. Den Trinkern gebührt nicht bloß bei Joseph Roth ein Anspruch auf "Heiligkeit" ("Die Legende vom heiligen Trinker", 1939) – Sucht wird auch andernorts als Preis für eine Wahrheit dargestellt, weshalb der abstinente jugendliche Westernheld oftmals einen alten Trunkenbold als Freund braucht. Der drogenkranke Mensch, der seine Rückkehr in die "Normalität" aufgegeben hat, ist zu Heldentaten fähig, die wiederum hart am Rande der Selbstzerstörung liegen.
Eng damit verbunden ist das Motiv der Droge aus Hass und Verzweiflung: In Carl Zuckmayers Stück "Des Teufels General" (1946) und der Verfilmung (1955) kann der Mitläufer-Offizier seine Sünden und die seines Regimes nur durch den Suff ertragen; im Western "Rio Bravo" (1959) muss sich Dean Martin als Hilfssheriff an der Seite von John Wayne aus Kummer beinahe zu Tode saufen, bevor ihn eine große Aufgabe aus dem Elend erlöst. Erzeugt die Einsamkeit die Drogensucht, oder ist es die Drogensucht, die den Menschen isoliert? Eine eindeutige Antwort gibt es nicht. Der britische Film "Trainspotting" (1996) jedenfalls wurde zu einem Kultfilm, weil er keine der geläufigen Haltungen und moralischen Perspektiven einnimmt, sondern nur genau hinsieht. In einigen Filmen wird ein letzter, gewalttätiger und verzweifelter Beutezug als letzte Reise geschildert, so etwa in Gus Van Sants "Drugstore Cowboy" (1989), der vier jungen Typen auf Heroin bei einer Serie von Einbrüchen und der Flucht vor der Polizei begleitet, oder Roger Avarys "Killing Zoe" (1993), die Vorbereitung auf einen in Blut und Gewalt endenden Coup als kompletten Drogentrip. Das Gegenteil davon ist die letzte Solidarität unter Junkies wie etwa im französisch-belgischen Drama "Neige" (1981) von Juliet Berto.
Abschreckung: Bisweilen wird der Held oder die Heldin auch in ihrem ganzen Elend und möglicherweise am Ende seiner oder ihrer Drogengeschichte gezeigt, wie etwa Billy Wilders erbarmungswürdiger Alkoholiker in "The Lost Weekend" (1945). Das Prinzip wandte auch Otto Preminger in "The Man with the Golden Arm" (1955) am Beispiel eines drogensüchtigen Schlagzeugers an. Beispiele für sozialkritische Annäherungen mit einem starken Aspekt des Mitleidens sind etwa "The Panic in Needle Park" (1971) über ein drogenabhängiges Liebespaar oder "Die beste aller Welten" (2017), die autobiografische Geschichte einer Kindheit mit einer heroinsüchtigen Mutter. "Maria Full of Grace" (2004) ist ein kritisches Gegenbild aus der Welt der Armut zu den "bürgerlichen" Dealer-Geschichten. Immer wieder hat es auch "öffentliche" Versuche gegeben, mit den Mitteln der populären Kultur vor dem Genuss von Drogen abzuschrecken. Manchmal ging der Versuch freilich in die Gegenrichtung los: Der 1936 in den USA produzierte "Aufklärungsfilm" "Reefer Madness", der vor dem Genuss von Marihuana warnen sollte, wurde später ungewollt zum Kultfilm. Die Animation "Cartoon All-Stars to the Rescue" (1990), in dem populäre Cartoonfiguren verschiedener Studios von Bugs Bunny bis Winnie Pooh auftreten, um Kinder vor Drogen zu warnen, entwickelte sich mehr zum begehrten Sammelstück unter Comic-Fans als seinen vermeintlichen Auftrag zu erfüllen. Die Abschreckung funktioniert wohl noch am ehesten über eine einzelne Identifikationsfigur, wie beispielsweise in der Graphic Novel "Crystal.Klar" (2020) von Dominik Forster, Stefan Dinter und Adrian Richter, in der Abstieg und Ausstieg aus der Drogensucht buchstäblich nachgezeichnet werden.
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Dies alles bildet gerade einmal die sprichwörtliche Spitze des Eisbergs möglicher und existierender Darstellungen. Aber aus alldem erwächst keine konsistente Erzählung von Droge, Leben und Gesellschaft, nicht einmal ein Genre, wie der Western oder die Detektivgeschichte, mit einem stabilen inneren Kern – einer großen Erzählung von Zivilisation und Aufklärung – und unzähligen Varianten und Revisionen. Die Droge dissoziiert vielmehr offenbar auch in ihren Erzählungen und Abbildungen. Sie zeigt ihre vielen Gesichter, die faszinierenden wie die abschreckenden, aber sie findet dafür nirgends den archimedischen Punkt, nirgends ein Zentrum, nirgends ein Ziel. Doch genau darin liegt wohl die Wahrheit dieses verzweifelten, dramatischen und manchmal auch komischen Dauerversuchs, mit der Realität der Entwirklichung umzugehen und zwischen einer kollektiven Haltung und einer subjektiven Erfahrung zu vermitteln. Zumindest so viel ist also sicher: Auch Film und Literatur, Kunst und Popkultur allgemein, lassen sich nicht auf eine simple Dualität von "Dafür" oder "Dagegen" reduzieren.